Digitalisierung
23.01.2018
Unklare Business-Strategie
1. Teil: „Digitalisierung ist für den Mittelstand ein IT-Thema“

Digitalisierung ist für den Mittelstand ein IT-Thema

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Sashkin / Shutterstock.com
Obwohl die ­Digita­li­sierung sämtliche Unternehmensbereiche umfasst, wird sie von kleinen und mittelständischen Unternehmen oft als reines IT-Thema angegangen.
  • KMUs: Mittelständler sehen sich angesichts der Digitalisierung etlichen Problemen ausgesetzt. Das größte: der Mangel an IT-Kompetenz im Haus.
    Quelle:
    ZEW/Infas Institut
Das Bundeswirtschaftsministerium gab zuletzt ein wenig Entwarnung. In einem aktuellen Report wies Staatssekretär Matthias Machnig darauf hin, dass es mit der Digitalisierung der heimischen Wirtschaft bergauf geht. Ob in Großunternehmen oder mittelständischen Firmen, überall seien Fortschritte festzustellen. Dennoch bleibe viel zu tun, die Potenziale, die sich im Zuge der Digitalisierung ergeben, würden längst nicht ausgeschöpft.
Vor allem im Mittelstand, dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft, liegt viel brach. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat soeben eine Studie vorgelegt, die den Status quo bei den kleineren Firmen detailliert beschreibt. Danach gilt etwa ein Drittel des deutschen Mittelstands als Nachzügler; bei ihnen bestehen Defizite selbst in der grundlegenden digitalen Infrastruktur wie einer eigenen Webseite oder einer Enterprise-Resource-Planning-Software (ERP). Deutlich wird dies auch bei Aussagen, die Social-Media-Kanäle betreffen. Nicht einmal jeder dritte Mittelständler hat dort ein eigenes Profil.
Die Unternehmensberatung McKinsey kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Sie ließ eine Befragung durchführen, wonach zwar jedes zweite Unternehmen den eigenen Digitalisierungsgrad hoch einschätzt, das Thema gilt aber intern als eines, das vor allem die IT-Abteilung angeht. „Viele Unternehmen sehen die Digitalisierung immer noch als IT-Phänomen und reines Mittel zur Produktionsverbesserung“, sagt Niko Mohr, Partner im Düsseldorfer Büro von McKinsey. Dabei sei das Thema viel umfassender. Man müsse neue Geschäftsfelder erschließen, die Organisation anpassen und die Unternehmenskultur runderneuern. Mohr: „Die Mittelständler müssen auf die digitale Überholspur wechseln, um im Wettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren.“
Mit solchen Aussagen wird natürlich auch für das eigene Business getrommelt. Denn längst haben Consulting-Firmen – und nicht nur sie – erkannt, dass hier erhöhter Beratungsbedarf besteht. Auch die Telekom beispielsweise schreibt dem Bereich viel Potenzial zu und bietet kleinen Betrieben unter so klangvollen Namen wie MagentaBusiness POS Lösungen an, die Geschäftsprozesse durchgängig digitalisieren.

Marketing ist zentral

Vermarkter wie United Internet Media sehen den Mittelstand ebenfalls als potenziellen Kunden und haben eine Art Baukasten entwickelt, mit dem sich kleinere Firmen Display-Anzeigen selbst basteln können. „Mittelständler, die in ihrem Betrieb nicht über die Ressourcen oder das Know-how verfügen, können sich nach dem Do-it-yourself-Prinzip Werbemittel in wenigen Minuten in verschiedenen Formaten zusammenstellen“, sagt Rasmus Giese, CEO von UIM. „Gerade das Marketing ist ein zentrales Spielfeld der Digitalisierung und Mittelständler tun sich hier oft schwer“, bestätigt Robert Jacobi, Managing Director, The Nunatak Group. „Heute ist es aber entscheidend, mit datengetriebenen Ansätzen bestehende Kunden öfter zu erreichen und neue Leads zu gewinnen.“ Das Problem: Dafür sind Investitionen in nicht vorhandene oder veraltete CRM-Systeme erforderlich, ebenso wie viel personelles Know-how für das Lead-Management. Das alles kostet eine Menge Geld.
2. Teil: „Halbherzige Investitionen“

Halbherzige Investitionen

Die für die digitale Transformation erforderliche Investitionsbereitschaft ist bislang jedoch nur gering ausgeprägt. Knapp die Hälfte der Mittelständler gibt im Jahr weniger als 10.000 Euro für die Digitalisierung aus. Sogar nur jedes zehnte Unternehmen lässt 40.000 Euro oder mehr springen. Hochgerechnet, so fasst dies das ZEW ernüchtert zusammen, investiert der deutsche Mittelstand also lediglich rund 10 Milliarden Euro pro Jahr in die Erweiterung und Verbesserung der Digitalisierung. Eine Fahrt auf der digitalen Überholspur ist das nicht gerade.
Wer allerdings die Ausgabebereitschaft kritisiert, verkennt die Mentalität des Mittelstands, die ihn letztendlich so stark gemacht hat. Der Unternehmer investiert gern, wenn er fest mit einem Ertrag rechnen kann. Doch den hohen Ausgaben, die im Übrigen sofort anfallen, steht eine unsichere Zukunft in weiter Ferne gegenüber. Keiner kann derzeit genau sagen, in welche Richtung sich die Geschäfte bewegen und welche technischen Entwicklungen sich durchsetzen.
Die jüngere Wirtschaftsgeschichte ist voll mit Beispielen von Unternehmen, die plötzlich von Start-ups überrollt wurden, weil diese mit überraschenden Business-Modellen um die Ecke kamen und jahrzehntelang bewährte Geschäfts­ideen überflüssig machten. Diese Unsicherheit führt zu halbherzigen Entscheidungen. So wird häufig nur punktuell in die Digitalisierung investiert, um das Investment in einem überschaubaren Rahmen zu halten.
Dieses Vorgehen aber kann nach Ansicht vieler Experten nicht funktionieren. Denn die Digitalisierung betrifft schließlich die gesamte Wertschöpfungskette – von der Anschaffung neuer Software bis hin zur Einstellung von Spezialisten mit Digital-Know-how.

Talente gehen in die Großstädte

Dabei fehlt es nicht an ermutigenden Prognosen. McKinsey hat errechnet, dass sich bis zum Jahr 2025 ein zusätzliches Wertschöpfungspotenzial von 126 Milliarden Euro ergibt, wenn sämtliche Mittelständler in Deutschland die Chancen der Digitalisierung konsequent nutzen.
Zudem haben Mittelständler durchaus Startvorteile. Inhaber können Entscheidungen schneller treffen als Manager in Großkonzernen, wo man sich gern in Endlos-Meetings verzettelt und mit anderen Abteilungen mühsam Kompromisse aushandeln muss. Eine kleinere Unternehmensgröße erlaubt auch einen schnellen Informationsaustausch. Und: Eigentümer denken strategisch, während Entscheider in Großunternehmen oft einer kurzfristigen Agenda folgen, um Investoren zufriedenzustellen.
Ein Nachteil in diesem Wettbewerb ist der Standort. Mittelständler in der Provinz tun sich oft schwer, digitale Talente anzulocken. Die zieht es meist in die großen Städte, dorthin, wo die großen IT-Konzerne sitzen. Auch beim Recruiting ist also Einfallsreichtum gefragt – keine einfachen Zeiten für den Mittelstand.
Tabelle:

3. Teil: „Interview mit Staroffice-Gründer Marco Börries“

Interview mit Staroffice-Gründer Marco Börries

  • Marco Börries, Gründer und CEO der Enfore GmbH
    Quelle:
    Enfore
Staroffice-Gründer Marco Börries gilt als einer der Internetpioniere Deutschlands. Jetzt nimmt der 49-Jährige die Digitalisierung der KMU-Welt in Angriff.
com! professional: Wie weit ist Deutschland bei der Digitalisierung, vor allem im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen?
Marco Börries: Natürlich ist es so, dass Digitalisierung mehrere Facetten hat. Die großen Konzerne sind beim Einsatz von EDV und Digitalisierung schon weit fortgeschritten, was auch an den hohen Lohnkosten in Deutschland liegt und der Notwendigkeit, Arbeitsplätze abzubauen. Anders sieht es bei den kleinen und mittleren Unternehmen aus, auf die wir uns zum Beispiel konzentrieren. Und 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland fallen in dieses Segment.
com! professional: Können Sie das näher spezifizieren?
Börries: Diese 99 Prozent, das sind Firmen mit weniger als 100 Mitarbeitern, und wir betrachten da vor allem den Markt der Unternehmen, die in irgendeiner Form einen Point of Sale haben. Und da kann ich mittlerweile sagen: 90 Prozent aller Unternehmen in diesem Bereich haben in puncto Digitalisierung Nachholbedarf.
com! professional: Woran liegt das?
Börries: Viele dieser Unternehmen haben aufgrund ihrer Größe weder IT-Experten noch eine IT-Abteilung, geschweige denn ein Budget dafür. Dazu kommt, dass die Lösungen, die ihnen zugänglich gemacht werden könnten, extrem teuer sind und für ihre Bedürfnisse nicht passen.
com! professional: Wie ist Ihr Ansatz, das zu ändern?
Börries: Wir alle leben in einer „Connected“-Welt: Alles ist miteinander verbunden. Auch die Konsumenten sind connected, sie tragen ein Connected Device mit sich herum, besser bekannt als Smartphone. In einer connected Welt ist alles irgendwann Software. Und wenn man in diesem Konzert nicht mitspielen kann, weil man keinen Zugang zu diesen Software-Lösungen hat, dann wird man mittelfristig als Unternehmen nicht überleben. Deshalb ist mein Ansatz, kleinen Unternehmen für ein überschaubares Budget den Zugang zu den Software-Werkzeugen zu ermöglichen, die sie brauchen, um mit den Großen auf Augenhöhe mitzuspielen.
com! professional: Muss jedes kleine Unternehmen sich mit Amazon messen?
Börries: Ich möchte jetzt nicht als Schwarzmaler erscheinen, aber ich glaube schon. Wen es den vielen kleinen Unternehmen nicht gelingt, beim Angebot von Services zu den Großen aufzuschließen, dann wird es mittelfristig nicht so gut aussehen für sie. Denn wir Kunden haben uns an Services von Amazon, Foodora, Zalando et cetera gewöhnt. Und in diesem Konzert müssen die Kleineren mitspielen, sie müssen neue Vertriebskanäle nutzen, neue Service-Leistungen anbieten – und am Ende ist das alles technikgetrieben.
com! professional: Welche Herausforderungen kommen denn auf uns zu?
Börries: Größere Umwälzungen bringen neue, digitale Geschäftsmodelle wie Uber. Da werden sich komplette Industrien verändern. Das betrifft dann auch die Großunternehmen, die neue Wege der Distribution und der Finanzierung beschreiten müssen. Da wird auch ein großer Shift der Wertschöpfung stattfinden. Im Print-Bereich haben wir das schon gesehen, als Nächstes kommt vermutlich das Segment Transportation dran.

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