Digitalisierung
11.10.2019
Das Netz der nächsten Generation
1. Teil: „Ohne Infrastruktur gibt es keine Digitalisierung“

Ohne Infrastruktur gibt es keine Digitalisierung

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NicoElNino / shutterstock.com
Innovation und Weiterentwicklung bewährter Technologien prägen das Internet der Zukunft. Auch die technische Basis muss für eine erfolgreiche Digitalisierung optimiert werden.
Der Beitrag wurde Erstellt von Christoph Dietzel. Er verantwortet den Bereich Products and Research beim Betreiber des Internetknotens DE-CIX.
Egal ob online oder in der gedruckten Zeitung - in den Medien begegnet man immer wieder Buzzwords aus dem Dunstkreis der Digitalisierung. Wobei „Digitalisierung“ selbst schon eines davon ist. Mit Künstlicher Intelligenz, Industrie 4.0, virtueller Realität geht es weiter, viel ist auch von Transformation die Rede. Das alles kann nicht in einem luftleeren Raum passieren. Züge fahren nicht ohne Gleise. Genauso kann es keine Digitalisierung ohne Infrastruktur geben. Alle innovativen Zukunftstechnologien setzen unablässige und immer weiter wachsende Datenflüsse voraus. Diese durch Netzwerke zu bewegen ist die Grundvoraussetzung für jede digitale Transformation. Das macht es so wichtig, sich mit der technischen Basis des Internets und deren Zukunft zu befassen und nicht nur auf die Oberfläche zu blicken.
Dort sehen wir natürlich die auffälligsten Entwicklungen: Streaming von Filmen und Serien wurde in den letzten Jahren vom Nischen- zum Massenphänomen. Online ist man heute längst nicht mehr nur mit dem Computer - Smartphones sind Standard, Wearables verbreiten sich immer mehr und sogar diverse Haushaltsgeräte sind bereits mit WLAN erhältlich. Damit dies alles funktioniert, braucht es die Technik hinter den Kulissen, mit der die wenigsten Menschen in Kontakt kommen.

In der „Unterwelt“ des Internets

Die technischen Grundlagen des Internets sehen zunächst eher unspektakulär aus. Sieht es in einem Rechenzentrum heute anders aus als vor 10 oder 20 Jahren? Auf den ersten Blick kaum. Schaut man genauer hin, sieht man, dass es in modernen Rechenzentren eigentlich keine Kupferkabel mehr gibt. Die Datenübertragung wird fast ausschließlich mittels Glasfaser abgewickelt. Allerdings sehen wir ein großes Wachstum in die Breite - es gibt immer mehr Rechenzentren.
Alles in der digitalen Welt lässt sich auf 1 und 0 herunterbrechen, von der simplen E-Mail bis zur Virtual-Reality-Anwendung. Allerdings benötigt Letztere erheblich mehr Einsen und Nullen, die übertragen werden müssen. Dabei entsteht keine neue Art von Traffic, nur viel mehr.
Völlig neue Ansätze in der Datenübertragung befinden sich noch im akademischen Stadium. Diskutiert werden etwa Reinraum-Rechenzentren, bei denen die Kommunikation über spiegelnde Decken abläuft. Für die Übertragung von Lichtimpulsen über längere Strecken wird man vermutlich auch in Zukunft vornehmlich auf Kabel (oder Trägermedien) setzen. Prinzipiell wäre auch die direkte Übertragung Erde-Satellit-Erde möglich. Doch gibt es technische Herausforderungen; so müsste man etwa Licht einer speziellen Wellenlänge verwenden, um Wolken zu durchdringen. Man würde neue Satelliten benötigen. Spätestens hier stellt sich dann auch die Frage der Wirtschaftlichkeit. 
Währenddessen entwickelt sich die Übertragung durch Lichtwellenleiter fortwährend weiter. Beim DE-CIX sind heute bereits 400GE-Ports im Einsatz. Beim Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) sind schon Planungen für den Tausenderstandard im Gange. Statt einer Revolution erleben wir auf dem
Gebiet der Übertragungstechnologie eher eine Evolution. Bestehende Technologien werden so ausgebaut, dass sie immer mehr Daten übermitteln können. Da die einzelnen Lichtwellenleiter sehr dünn sind, können sie problemlos repliziert werden. Das Verfahren der Replikation wird auch bei Prozessoren angewandt. Als es nicht mehr ohne Weiteres möglich war, die Leistung einzelner Prozessorkerne zu erhöhen, begann man damit, Mehrkernprozessoren zu bauen.
2. Teil: „Zähe Standardisierung“

Zähe Standardisierung

Der rasanten Entwicklung von Technologien steht eine sehr umständliche und langsame Etablierung von Standards gegenüber. Um die Bits, die sich durch die Internetinfrastruktur bewegen, zu strukturieren und dann auf der Gegenseite zu interpretieren, bedarf es der Nutzung standardisierter Protokolle. Diese findet für das Internet innerhalb der Internet Engineering Task Force (IETF) statt. Bis sich alle Beteiligten auf einen Kompromiss einigen, vergeht natürlich Zeit. So beruht auch heute noch der größte Teil der Kommunikation im Netz auf dem IPv4-Standard. Das Problem: Adressen werden knapp. IPv4 arbeitet mit 32-Bit-Adressen. Es gibt also 2 32 oder 4,3 Milliarden mögliche IP-Adressen. Mit diesem Protokoll sind wir nicht einmal in der Lage, jedem Menschen eine IP zuzuweisen. Wenn wir uns vor Augen führen, dass die Anzahl vernetzter Geräte unaufhörlich wächst, wird klar, dass sich hier etwas ändern muss. Konkret bedeutet das die Umstellung auf IPv6. Diese Version des Protokolls arbeitet mit 128 Bit, was bedeutet, dass es 2 128 mögliche Adressen gibt, über 340 Sextillionen. Grob geschätzt bewegen sich die Adressen pro Mensch dann im Bereich von 100 Quadrillionen. Das verschafft genügend Planungssicherheit für diverse IoT-Szenarien. Allerdings geht die Umsetzung des neuen Standards langsam voran. Vom Gesamt-Traffic am DE-CIX laufen aktuell nur 5 Prozent über IPv6.
Eine mittelfristige Lösung könnte die Entwicklung eigenständiger Protokolle für Teilnetze in geschlossenen Domänen sein. Möglich wird das durch frei programmierbare Netzwerkausrüstung, die nicht nur standardisierte Protokolle konfiguriert, sondern Software-de­fined Networking (SDN) ermöglicht, also die Verarbeitung von Datenströmen und Paketen mittels Software selbst definiert.

Global und lokal

Das Internet gehört sicher zu den Technologien, die die Globalisierung am stärksten vorangetrieben haben. Durch günstige und jederzeit verfügbare Kommunikationswege wächst die Welt in nie dagewesenen Dimensionen zusammen. Doch gerade wenn es um die Zukunft des Internets geht, müssen wir wieder lokaler denken. Was sich zunächst vielleicht etwas abwegig anhört, ist eigentlich ganz logisch. Dass sich im Universum nichts schneller als Licht bewegen kann, wissen wir seit Einstein. Selbstverständlich gilt das auch für Daten. Licht bewegt sich zwar mit unglaublichen 300.000.000 Metern pro Sekunde, doch das wäre immer noch zu wenig, um in den USA gehostete hochauflösende VR-Inhalte in Europa ohne Ruckeln wiederzugeben. Die einzig logische Konsequenz daraus: Die Daten müssen näher an die Nutzer.
Bereits seit einiger Zeit haben Anbieter eigene Hardware zum Zwischenspeichern von Inhalten in den Endkundennetzen. Jedoch beschränkt sich das vornehmlich auf große Telekommunikations-Zentren wie Frankfurt. Sollte Virtual Reality im großen Stil genutzt werden, müsste das Netz viel engmaschiger werden. Auch kleinere Städte benötigten dann eigene Rechenzentren. Für autonomen Straßenverkehr brauchte man vermutlich eines an jedem Autobahnkreuz, um der Datenflut Herr zu werden, die diese Fahrzeuge generieren. 
Die nähere Zukunft wird vermutlich auf eine konsequente Weiterentwicklung bestehender und bewährter Technologien beruhen. Dies wird auch nötig sein, um den Anforderungen einer digitalisierten Welt gerecht zu werden. Darüber hinaus brauchen wir neue, innovative Ansätze, um Daten möglichst effizient zu verarbeiten und zu übertragen. Denkbar sind etwa intelligente Netzwerke, die Datenströme während der Übertragung analysieren und optimieren. Auf jeden Fall bleibt die weitere Entwicklung des Internets spannend.
Über DE-CIX
DE-CIX ist ein weltweit führender Betreiber von Internet­knoten. 1995 in Betrieb genommen, ist der DE-CIX in Frankfurt am Main mit knapp 7 Terabit pro Sekunde (TBit/s) der Internet Exchange (IX) mit dem weltweit höchsten Datendurchsatz in Spitzenzeiten. Seine technische Infrastruktur hat eine Gesamtkapazität von 48 Terabit.
Insgesamt bedient DE-CIX an seinen Standorten in Frankfurt, Hamburg, München, Düsseldorf, Berlin, New York, Dallas, Dubai, Marseille, Palermo, Madrid, Lissabon, Istanbul, Mumbai und in Kürze Chennai, Kalkutta und Delhi über 1600 Netzbetreiber, Internet Service Provider (ISP) und Content-Anbieter aus mehr als 100 Ländern mit Peering und Interconnection-Services.

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