14.06.2024
Untersuchung
Mitgefühl bleibt im Internet auf der Strecke
Autor: Moritz Bergmann
Mmaxer / Shutterstock.com
Das menschliche Gehirn kann laut einer Studie der New York University mit der Reizüberflutung im Internet nicht mithalten, die Empathie bleibt auf der Strecke.
Gewachsene menschliche Reaktionen wie das Mitgefühl für Opfer und der Drang, Missetäter zu bestrafen, funktionieren im Internet gänzlich anders als in der analogen Welt. Zu dem Schluss kommt ein Forscherteam unter der Leitung von Claire Robertson von der New York University. Das Internet bringe User mit großen Mengen von extrem moralisch relevanten Reizen in Kontakt. Dazu gehören der Fachfrau zufolge ganztägig zur Verfügung stehende Nachrichten sowie absichtlich ungeheuerlicher Content, der von weit entfernten Orten stammt.
Moralisch übersättigtes Umfeld
Dass das Gehirn diesem neuen moralisch übersättigten Umfeld ausgesetzt wird, hat der Studie zufolge zur "Compassion fatigue", also einer Mitgefühlerschöpfung, öffentlicher Beschämung, wirkungslosen kollektiven Maßnahmen und "Virtue signaling" geführt. Damit ist das Zurschaustellen moralischer Überlegenheit gemeint.
Zu einer Erschöpfung des Mitgefühls kommt es, weil Empathie eine aufwendige kognitive Ressource darstellt, die durch die laufenden Infos über Leiden leicht überfordert werden kann. Zu einer öffentlichen Beschämung durch die User kommt es, weil es das Internet einer sehr großen Anzahl von Menschen zu leicht macht, dem menschlichen Bedürfnis nach der Bestrafung von Übeltätern Nahrung zu geben.
Posten von Mitgefühl bleibt dennoch
Da das Posten einer Verdammung so gut wie nichts kostet, wird es eine verlockende Möglichkeit, die eigene moralische Tugend und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu signalisieren, heißt es. Eine tatsächliche Hilfe werde fallweise durch das Posten von Mitgefühl sowie das Liken und Teilen von Posts ersetzt.
Das helfe zwar den Betroffenen kaum, die Beteiligten hätten jedoch das Gefühl, ihren moralischen Verpflichtungen bereits nachgekommen zu sein. Dass es so einfach ist, online etwas zu organisieren, führe zudem dazu, dass zwar riesige, aber nur kurzlebige, soziale Bewegungen entstehen, die nur flach verwurzelt sind und wenig Durchhaltevermögen haben. Details sind in "PNAS Nexus" nachzulesen. (pressetext.com)
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