Internet
24.07.2022
Internet der Zukunft
1. Teil: „Geschäftschancen in virtuellen Welten“

Geschäftschancen in virtuellen Welten

Shutterstock / Yuganov Konstantin
Wie Unternehmen sich auf die nächste Internetrevolution vorbereiten sollten.
Lesen, schreiben, besitzen“ – so beschreibt Prashant Kelker, Chief Strategy Officer bei der Information Services Group (ISG), die Entwicklungsstufen des Internets. Während Anwender im „Web 1“ hauptsächlich vorgefertigte Texte konsumierten, spielt im aktuellen Web 2 das Verfassen eigener Inhalte, der User-generated Content, eine große Rolle. Die Interaktion findet jedoch überwiegend auf einigen wenigen Plattformen statt, die in der westlichen Welt von den „Big Five“ Google/Alphabet, Amazon, Facebook/Meta, Apple und Microsoft (GAFAM) kon­trolliert werden. Sie monetarisieren nicht nur die intellektuellen und kreativen Leistungen der Nutzer, sondern verkaufen zum Teil auch deren persönliche Daten an Werbetreibende, Parteien, Geheimdienste und andere Interessenten. „Das heutige Internet ist eine sehr zentralisierte Welt“, sagt Prashant Kelker. „Alles, was Nutzer heute kreieren, gehört wenigen Konzernen.“
Die nächste Evolutionsstufe, das Web 3, könnte die Nutzer mithilfe von Blockchain-Technologien aus den Fängen des Internet-Oligopols befreien. „Blockchain ermöglicht es Anwendern, wirklich Besitzer ihrer Daten und Inhalte zu werden“, erklärt Kelker, „selbst wenn ein Unternehmen wie Facebook den Account eines Anwenders löschen oder gar vom Markt verschwinden sollte, bleiben die Informationen auf der Blockchain erhalten.“
  • Die Blockchain-Spieleplattform The Sandbox hat einen Hype ausgelöst.
    Quelle:
    com! professional
Die Nutzung von Blockchains als Informationsspeicher gibt Anwendern aber nicht nur die Hoheit über ihre Daten zurück, sie ermöglicht auch eine dezentrale Identitätsverwaltung. Wer heute Amazon, Facebook, Instagram & Co. nutzen möchte, muss einen User-Account anlegen und sich mit den dort hinterlegten Daten einloggen. Oft verlangen die Anbieter in ihren Geschäftsbedingungen, dass man dafür seinen echten Namen, seine Adresse, sein Geburtsdatum und andere sensible Informationen angeben muss. Das ist nicht nur aus Datenschutzsicht ein Problem, sondern stellt auch ein enormes Sicherheitsrisiko dar, denn User-Daten werden im großen Stil gestohlen. Die Website „Have I been pwned?“ listet aktuell fast zwölf Milliarden Account-Diebstähle auf, bei denen Nutzerinformationen entwendet wurden.
Im Web 3 könnte dieses personalisierte Login der Vergangenheit angehören. Stattdessen genügt es, sich über eine Blockchain-basierte Identität anzumelden, um eine Plattform zu nutzen. Der Betreiber weiß nur, dass es sich um eine legitime Identität handelt, aber nicht, wer dahintersteckt – die Macht der Internetgiganten würde schwinden.
2. Teil: „Virtuelles Leben im Decentraland“

Virtuelles Leben im Decentraland

Eine der bekanntesten Web-3-Plattformen trägt dieses Konzept der Dezentralisierung sogar im Namen: Decentraland (siehe auch Tabelle). Die 3D-Welt basiert auf der Blockchain Ethereum. Um alle Funktionen nutzen zu können, müssen sich Teilnehmer über ihre Ethereum-Wallet mit der Plattform verbinden, es besteht aber auch die Möglichkeit, Decentraland als Gast zu betreten. Für Smart Contracts gibt die Plattform das eigene Token MANA heraus, das auf Kryptobörsen wie Coinbase, Huobi oder Binance erworben werden kann.
Mit MANA können die Einwohner von Decentraland Kleidung (WEAR), oder Parzellen (LAND) kaufen, um da­rauf eigene Gebäude zu errichten. Decentraland wird als DAO (Dezentrale Autonome Organisation) verwaltet. Jeder, der MANA-Token hält oder Land besitzt, hat bei Änderungen im Protokoll ein Stimmrecht.
  • Parzellen auf der Metaverse-Plattform Decentraland sind NFTs in der Ethereum-Blockchain.
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Einer der Nutzer im Decentraland ist das Auktionshaus Sotheby’s. Es hat dort eine virtuelle Repräsentanz seiner Zentrale in der Londoner New Bond Street eröffnet. „Wir sehen Orte wie Decentraland als die kommende Schnittstelle für digitale Kunst, über die Künstler, Sammler und Betrachter gleichermaßen von jedem Ort der Welt aus miteinander in Kontakt treten und Kunst präsentieren können“, sagt Michael Bouhanna, Leiter der Verkaufsabteilung bei Sotheby‘s.
3. Teil: „Der Hype ums Metaverse“

Der Hype ums Metaverse

Virtuelle 3D-Welten wie Decentraland, aber auch Sandbox oder Axie Infinity werden als „Metaversen“ bezeichnet, ein Begriff, der bereits in den 1990er-Jahren vom Science-Fiction-Autor Neal Stephenson in seinem Roman „Snow Crash“ geprägt wurde. In diesen virtuellen Welten können Menschen sogenannte Non-Fungible Tokens (NFTs) kaufen oder erschaffen, die Gegenständen, Land oder Immobilien entsprechen, und mit diesen Schätzen Geld verdienen. „Es werden visuelle Umgebungen kreiert, in denen Nutzer miteinander in Interaktion treten können – eine Real Life Experience“, erklärt Maria Levina, Customer Experience Manager bei Fujitsu, das Konzept. Einen ersten Metaverse-Hype gab es schon 2003 mit der virtuellen Welt „Second Life“. Obwohl die anfängliche Begeisterung für Second Life schnell abebbte, bezeichnet der Anbieter Linden Lab das Metaverse heute immer noch als die „größte und erfolgreichste von Nutzern kreierte 3D-Welt“.
Einen besonderen Schub bekam das Thema, als Mark Zuckerberg im Oktober 2021 die Umfirmierung von Facebook zu Meta und die Entwicklung eines eigenen Metaverse bekannt gab. In der Folge explodierten die Suchan­fragen nach „Metaverse“. Google Trends verzeichnet in Deutschland im Oktober vergangenen Jahres einen Anstieg um fast das 25-Fache. Mittlerweile flaut das Interesse aber wieder deutlich ab.
  • Arbeiten im Metaverse
    Quelle:
    Microsoft
ISG-Analyst Prashant Kelker hält die Euphorie ohnehin für übertrieben: „Web 3 ist das Betriebssystem, das Metaverse nur die Benutzeroberfläche“, sagt er. „Utopische Vorstellungen einer Verschmelzung von Realität und virtuellen Welten sollte man Hollywood überlassen.“ Entscheidender als die Entwicklung virtueller Welten sei für Unternehmen, Kunden zu Fans ihrer Produkte und Services zu machen, so Kelker: „Unternehmen sollten nicht das Metaverse in den Mittelpunkt ihrer Strategie stellen, sondern den Aufbau von Communities.“
Die acht Komponenten des Metaverse
Diese Bereiche sind für die Entwicklung immersiver virtueller Welten entscheidend.
  • 1. Hardware: Um immersive virtuelle Welten erzeugen und erleben zu können, braucht es die entsprechende Hardware. Dazu zählen Brillen für Virtual und Augmented Reality (VR/AR), haptische Handschuhe und Anzüge, 3D-Kameras und -Scanner, Tracker und Sensoren.
  • 2. Netzwerke: Hohe Bandbreiten, Echtzeitübertragung und stän­dige Verfügbarkeit sind auf Netzwerkseite Voraussetzungen, damit das Metaverse funktioniert. Laut Citi GPS sind für eine immersive Metaverse-Erfahrung Latenzen von weniger als 12 Millisekunden nötig.
  • 3. Rechenleistung: Damit im Metaverse realistische Umgebungsbedingungen und Interaktionen möglich sind, müssen physische Parameter wie Beleuchtung und Schwerkraft, Strukturen, Bewegungen und Nutzerinteraktionen in Echtzeit berechnet werden. Das erfordert neben enormer Rechenleistung den massiven Einsatz Künstlicher Intelligenz. Raja Koduri, Senior Vice President bei Intel, glaubt, dass dafür die Effizienz von Rechnersystemen um den Faktor 1000 verbessert werden muss.
  • 4. Plattformen: Die virtuellen Welten des Web 3 werden sich nicht nur technologisch von aktuellen Gaming- und Social-Plattformen unterscheiden, sondern auch strukturell und ökonomisch. Statt eines Anbieters wird es große Ökosysteme von Entwicklern und Produzenten geben, die den größten Teil der Funktionen und Inhalte einer Plattform erstellen und auch den Großteil der Ein­nahmen erzielen.
  • 5. Werkzeuge und Standards für den Datenaustausch: Um virtuelle Welten miteinander verbinden zu können, braucht es einheitliche Formate und Protokolle. Organisationen müssen deshalb Standards entwickeln, die einen Austausch von Informationen und Gegenständen zwischen den Metaversen ermöglichen.
  • 6. Zahlungssysteme: Digitale Zahlungsprozesse müssen den Umtausch von Fiatgeld wie Dollar oder Euro in Kryptogeld wie Bitcoin oder Ether erlauben, den Handel mit digitalen Währungen unterstützen und weitere Finanzdienstleistungen ermöglichen. Dabei sind Aspekte wie der Schutz vor Betrug und Manipulation, Nachvollziehbarkeit und Rechtskonformität zu beachten.
  • 7. Inhalte, Dienstleistungen und Vermögenswerte: Dieser Bereich umfasst alle von Nutzern kreierten Werte, deren Verkauf, Speicherung oder Verwaltung. Plattformbetreiber und Gesetzgeber müssen für den Handel mit virtuellen Gütern faire Wettbewerbsbedingungen sicherstellen und das Eigentum der Nutzer vor Diebstahl und Betrug schützen.
  • 8. Nutzerverhalten: Die zunehmende Verbreitung und Nutzung von Metaversen wird das Verhalten von Verbrauchern und Unternehmen verändern. Diese Verhaltensweisen erscheinen zunächst als „Trends“, werden aber eine dauerhafte globale gesellschaft­liche Bedeutung erlangen, wenn sich Milliarden von Menschen in virtuellen Räumen begegnen und austauschen.
4. Teil: „„Das Metaverse ist keine Spinnerei““

„Das Metaverse ist keine Spinnerei“

Mark Wächter, interimistischer Vorsitzender des Ressorts Metaverse im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), erklärt im Gespräch mit com! professional, woher die Renaissance des Metaverse-Konzepts kommt und warum sich Unternehmen gerade jetzt mit Web 3 und Metaverse beschäftigen sollten.
com! professional: Herr Wächter, der BVDW hat im Februar dieses Jahres ein eigenes Ressort „Metaverse“ gegründet. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
  • Mark Wächter Interimistischer Vorsitzender des Ressorts Metaverse im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW)
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Mark Wächter:
Um die Frage zu beantworten, muss man eigentlich 16 Jahre zurückgehen. Damals haben wir im BVDW die „Fokusgruppe Mobile“ gegründet, weil wir glaubten, dass dem mobilen Internet eine große Zukunft bevorsteht. Heute ist das Smartphone – und damit das mobile Internet, das Medium, das alles bestimmt. Nun gibt es immer mehr Anzeichen, dass das Metaverse der Nachfolger des mobilen Internets werden könnte. Deshalb haben wir uns entschlossen, die Fokusgruppe Mobile umzubenennen und gleichzeitig in ein Ressort zu transformieren.
com! professional: Was ist der Unterschied zwischen einer Fokusgruppe im BVDW und einem Ressort?
Wächter: Ressorts befassen sich mit verbandsübergreifenden Themen, die jedes Mitglied betreffen, man hätte eigentlich also schon Mobile auf Ressort-Status heben müssen, das haben wir nun im Zuge der Umbenennung realisiert.
com! professional: Womit beschäftigt sich das Ressort Metaverse im Wesentlichen?
Wächter: Uns treibt die alles entscheidende Frage um, ob das Metaverse in der Lage ist, das Smartphone zu disruptieren. Und wenn dem so ist: Was heißt das für die heutigen Geschäftsmodelle, die auf das Smartphone fokussiert sind? Wir verstehen uns als Verband der digitalen Ökonomie und sehen uns daher in der Pflicht, die Unternehmen bei der Beantwortung dieser Fragen zu begleiten.
com! professional: Wie wird die Arbeit des Ressorts in der Praxis aussehen?
Wächter: Es sind zwei Kernthemen, die wir mit entsprechenden Labs adressieren werden. Das eine ist „Technologie und Geschäftsmodelle“. Darin werden wir uns mit der Frage beschäftigen, welche Technologien das Smartphone ablösen werden und welche Folgen sich daraus für die digitale Wirtschaft ergeben. Hier spielen Stichworte wie „Virtual Reality“, „Augmented Reality“ oder „Mixed Reality“ eine große Rolle. Alle wichtigen Hersteller haben dafür neue Hardware angekündigt. Darüber hinaus geht es in diesem Lab um Spezifikationen und Standards für immersive 3D-Realitäten sowie – Stichwort Geschäftsmodelle – um Themen wie NFT-Economy und Metaverse-Commerce. Die Themen sind so vielfältig, dass wir daraus zwei Labs formen werden.
com! professional: Und womit beschäftigt sich der zweite Bereich?
Wächter: Im zweiten Bereich, den wir durch ein drittes Lab abdecken, wird es um gesetzliche Rahmenbedingungen, Ethik und Sustainability gehen. Wir werden mit Brüssel und Berlin reden, was die gesetzliche Regulierung betrifft. Auch ethische Fragen werden sich ergeben, wenn Menschen permanent online sind und das Internet nicht mehr abschalten können. Und wenn Intel recht hat, dass wir eine Vertausendfachung der Rechenleistung brauchen, um das Metaverse zu betreiben, müssen wir uns natürlich auch mit den Auswirkungen auf das Klima und den Ressourcenverbrauch beschäftigen.
com! professional: Ist Metaverse nicht eigentlich ein alter Hut, über den schon seit Jahrzehnten gesprochen wird?
Wächter: Sie haben recht, die Idee immersiver digitaler Welten gibt es schon sehr lange. Bereits in den 1980er-Jahren haben sich Arbeitsgruppen in den USA damit beschäftigt, der Begriff „Metaversum“ wurde 1992 von dem Autor Neal Stephenson in seinem Roman „Snow Crash“ geprägt, Bücher und Filme wie „Ready Player One“, „Tron“ oder „Ma­trix“ haben das Thema aufgegriffen, die virtuelle Welt „Second Life“ gibt es seit 2003.
com! professional: Woher kommt dann diese Renaissance?
Wächter: Dafür sind drei Entwicklungen entscheidend. Unter anderem machen Blockchain-Technologien eine neue Form des Internets möglich, die dem Nutzer die Macht über seine Inhalte und Daten zurückgeben soll. Dieses „Web 3“ ist dezentral organisiert – ein Gegenentwurf zum Web 2.0, in dem die Macht bei den großen Plattformen liegt, die die Daten der Nutzer absaugen und an die Werbekunden verkaufen. Hier schließt sich der Kreis zum Metaverse. In den vergangenen Jahren sind Blockchain-basierte Metaversum-Spiele wie Decentraland, Sandbox oder Axie Infinity entstanden, in die jeder einsteigen kann, der eine Wallet mit der entsprechenden Kryptowährung auflädt.
com! professional: Aber solche Spiele sind doch eher etwas für Nerds. Warum also dieser Hype?
Wächter: Im vergangenen Jahr gab es einige Ereignisse, die dieses Nischendasein aufgebrochen und das Thema Metaverse in die öffentliche Wahrnehmung katapultiert haben. Da ist beispielsweise der Börsengang der Online-Spieleplattform Roblox, die sich selbst als „ersten Metaverse-IPO“ bezeichnet, obwohl die Plattform nichts mit Web 3 zu tun hat, sondern klassisch mit Logins arbeitet. Das war ungefähr ein halbes Jahr, bevor sich Facebook zu Meta umbenannt und seine Firma zur „Metaverse Company“ erklärt hat.
com! professional: Warum springt Facebook/Meta gerade jetzt auf diesen Zug auf?
Wächter: Ich denke, Meta erhofft sich davon mehr Unabhängigkeit von den großen Mobil-Plattformen iOS und Android in der Gestaltung seiner Geschäftsmodelle. Bis heute zahlt das Unternehmen erhebliche Summen als Gebühren an Apple und Google. Und natürlich bietet sich eine Fusion von Social und Virtual Worlds geradezu an.
com! professional: Mit der ursprünglichen Idee von Web 3 und Meta­verse haben die Facebook-Projekte aber letztlich doch nur wenig zu tun, oder?
Wächter: Das ist richtig. Das Facebook-Metaversum „Horizon Worlds“ ist eine klassische Web-2.0-Plattform.
com! professional: Aktuell kommen die wichtigsten technologischen und wirtschaftlichen Metaverse-Impulse aus den USA und China. Besteht die Gefahr, dass Europa auch diesen Trend verschläft wie Cloud-Computing und Social Media?
Wächter: Die großen Konzerne aus den USA und China haben natürlich andere Startvoraussetzungen. Mit einer etablieren Plattform und entsprechenden finanziellen Ressourcen fällt es leichter, ein großes Metaverse-Projekt zu stemmen. Es gibt allerdings eine Menge deutscher Mittelständler und Start-ups, die schon seit Langem an 3D-En­gines und anderen Lösungen für das Metaverse arbeiten.
Auch im Business-to-Business-Bereich sind wir vorne mit dabei. Es wird nämlich gerne vergessen, dass es beim Metaverse nicht nur um 3D-Spielewelten geht, sondern auch darum, ganze Industriezweige zu optimieren. Beim Bestimmen der ethischen Grundsätze und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle kann Europa eine entscheidende Rolle spielen.
com! professional: Was müssen Unternehmen heute tun, um die Chancen im Metaverse nicht zu verpassen? Andererseits könnte es ja auch teuer werden, wenn sie zu früh loslegen.
Wächter: Zunächst einmal sollten sie sich nicht vom aktuellen Hype abschrecken lassen. Das Metaverse ist keine Spinnerei, sondern eine neue Internet-Infrastruktur, die verstanden und durchdrungen werden muss. Vielen Unternehmen ist außerdem nicht bewusst, dass sie das Metaverse als eigenen Markt betrachten müssen. Sie sollten daher am besten schon jetzt ihre Marken für diesen neuen Markt schützen und als NFT auf einer Blockchain eintragen.
Als Nächstes gilt es, eine interdisziplinäre und crossfunktionale Metaverse Task Force zu etablieren, deren Mitglieder Dinge wie VR und AR ausprobieren, in Arbeitsgruppen wie dem BVDW-Ressort mitarbeiten, auf Messen und Kongressen Informationen sammeln und Kontakte knüpfen.
Zudem sollte man Know-how zu Trendthemen wie Web 3, Blockchain und NFT aufbauen, das letztendlich in ein Excellence Center eingebracht werden kann. Ganz wichtig ist es, die richtigen Kommunikationskanäle zu nutzen. Die entscheidenden Themen werden auf Discord oder Reddit besprochen. Wenn ich da nicht bin, werde ich nicht verstehen, was im Metaverse passiert.
com! professional: Für welche Branchen und Unternehmen ist es denn aus Ihrer Sicht besonders wichtig, sich mit dem Thema Meta­verse zu beschäftigen?
Wächter: Firmen, die verbrauchernahe Produkte und Services anbieten, betrifft es aktuell sicher mehr als den B2B-Sektor. Einige Branchen sind schon stark im Metaverse vertreten, zum Beispiel die Bereiche Kunst und Mode, aber auch in Themen wie Bildung und Gesundheit wird das Metaverse eine große Rolle spielen. Unternehmen aus anderen Branchen sollten sich diese Entwicklungen genau ansehen und davon lernen.
com! professional: Wie wird Werbung im Metaverse gestaltet sein? Erwartet uns da ein noch intensiveres Tracking? Wie können wir uns davor schützen?
Wächter: Wir haben ja im Web 2.0 aktuell eine enorme Regulierungsdebatte. Ich glaube, dass man diesen Schwung mitnehmen muss ins Metaverse. In Brüssel und Berlin wird das aufmerksam beobachtet, auch Lehrstühle an Universitäten beschäftigen sich damit – und wir.
com! professional: Kann der BVDW die großen Plattformen denn wirklich einhegen?
Wächter: Wir versuchen das, auch im Verbund mit anderen Verbänden, aber das ist natürlich ein Machtspiel. Ich glaube aber, so seltsam das klingt, dass etwa Facebook beziehungsweise Meta aus den vergangenen Skandalen gelernt hat und im Metaverse sehr viel vorsich­tiger agiert. Das Unternehmen hat zum Beispiel das Thema Belästigung in virtuellen Welten sehr schnell adressiert und zu lösen versucht, während frühere Fehlentwicklungen oft über Wochen und Monate ignoriert wurden.
5. Teil: „Ein Billionenmarkt entsteht“

Ein Billionenmarkt entsteht

Langfristig sagen Marktforscher Web 3 und Metaverse eine große Zukunft voraus. Dem Analystenhaus Greyscale zufolge könnten schon bald Jahresumsätze von einer Billion Dollar Realität werden. Emergen Research rechnet mit einem Marktvolumen von über 1,6 Billionen Dollar bis 2030, für die Citibank liegt der adressierbare Markt sogar bei acht bis 13 Billionen Dollar. Aktuell ist die Marktkapitalisierung der Blockchain-basierten Web-3-Companies mit rund 27,5 Milliarden Dollar laut Greyscale jedoch noch überschaubar. Allein der Web-2-Gigant Facebook bringt es auf 900 Milliarden Dollar, die Gaming- und E-Sports-Branche auf fast zwei Billionen.
Alle Analysten gehen übereinstimmend davon aus, dass die stärksten Impulse für die Metaverse-Evolution in den kommenden Jahren der Gaming-Markt bringen wird. Laut Grayscale könnte der Umsatz mit virtuellen Spielewelten von 180 Milliarden Dollar im Jahr 2020 bis 2025 auf 400 Milliarden Dollar steigen. „Wir sollten den Gaming-Markt sehr genau beobachten. Er wird uns lehren, wo die wirklich wichtigen Themen im Web 3 liegen, wie man Communities kreiert und wie man digitale Produkte monetarisiert“, sagt Prashant Kelker von ISG.
Spiel, Sport und Spaß sind aber bei Weitem nicht die einzigen Anwendungsfelder, die von den neuen Technologien profitieren werden, ist sich Raymond Ma, General Manager of Europe bei Alibaba Cloud Intelligence, sicher: „Das Metaverse beschränkt sich nicht auf die perfekte virtuelle Welt für Social Media oder Videospiele.“ So könnten laut Ma beispielsweise 3D-Technologien zur Simulation von Unwetterereignissen eingesetzt werden. „Im Bausektor können wir intelligente Echtzeitsimulationen nutzen, um verschiedene Aspekte von Entwicklung und Bau eines Gebäudes zu visualisieren und gleichzeitig ein nachhaltiges Design auf kosteneffiziente Weise einzubeziehen“, gibt der Alibaba-Manager ein weiteres Beispiel. Auch der Retail-Bereich könnte laut Ma profitieren: „In der Einzelhandelsbranche sind es beispielsweise Online-Showrooms, in denen Einzelhändler die virtuelle und die physische Welt überlagern können, um ein informativeres und nachhaltigeres Einkaufserlebnis zu bieten.“
6. Teil: „Was Unternehmen jetzt tun sollten“

Was Unternehmen jetzt tun sollten

ISG-Analyst Prashant Kelker empfiehlt Unternehmen, jetzt einzusteigen und erste Erfahrungen mit NFTs, Crypto- Wallets und anderen Komponenten des Web 3 zu sammeln: „Nur wenn man weiß, welche Elemente es gibt und wie sie funktionieren, kann man deren Nutzen für die eigenen Geschäftsziele abschätzen.“
Diese Erfahrungen sollten laut Kelker in einem Positionspapier münden, das die wichtigsten Fragen klärt: Welche Möglichkeiten ergeben sich für Vertrieb und After Sales? Wie könnten Design und Produktion davon profitieren? Wie lassen sich mithilfe von Blockchain-Technologien Lieferketten optimieren? „Es ist wichtig, dass ein Unternehmen seine eigene Sicht auf das Thema definiert und so ein gemeinsames Verständnis für die Chancen und Risiken von Web 3 und Metaverse entwickelt.“
Die gefundenen Ideen sollten in kleinen, überschaubaren Projekten auf ihre Praxistauglichkeit überprüft werden und im Erfolgsfall skaliert werden. „Das ist ein kontinuierlicher Prozess“, betont Kelker. „Unternehmen müssen sich daran gewöhnen, in evolutionären Architekturen zu denken und weniger in Zielen.“
Fujitsu-Managerin Levina sieht dabei vor allem die Unternehmensführung in der Pflicht: „An erster Stelle ist für einen solchen Schritt das Commitment des Managements erforderlich – sowohl budgetär als auch visionär.“ Teams, die ein Metaverse konzipieren, sollten laut Levina divers aufgestellt sein: „Es werden sowohl technisch als auch kreativ denkende Köpfe benötigt, um der zu kreierenden Welt Leben einzuhauchen und auf die Bedürfnisse der Nutzer eingehen zu können.“ Sicherheitsaspekte wie Firewalls und Zugriffsrechte seien ebenfalls zu bedenken: „Dies ist essenziell, vor allem im Hinblick auf die externe Nutzung.“
Wie Unternehmen Web-3- und Metaverse-Technologien für sich nutzen können, lässt sich im Customer Experience Lab (CX Lab) von Fujitsu ausprobieren. In interaktiven virtuellen Workshops entwickeln die Teilnehmer in einer „kybernetischen Stadt“ branchenspezifische Lösungen. „Eine solche inspirierende Umgebung fördert das kreative Denken und Agieren“, sagt Maria Levina. Das Web 3 eröffne neue Räume, so die Fujitsu-Managerin: „Es wird nicht mehr linear durch die Wissensvermittlung geführt, es gibt eine kreierte Welt, die erkundet werden kann.“ Zukünftig sollen auch Partner das CX Lab nutzen können. „Wir ermöglichen ihnen damit, selbst mit ihren Kunden in die Interaktion zu treten und komplexe Themen einfacher darzustellen.“
Tabelle:
Blockchain-basierte Metaverse-Plattformen (Auswahl)

7. Teil: „Fazit & Ausblick“

Fazit & Ausblick

Der Hype um Web 3 und Metaverse erinnert an die Anfänge des Internets und die Dotcom-Blase um die Jahrtausendwende. Und wie vor 20 Jahren wird sich nach anfänglicher Euphorie auch hier erst einmal Ernüchterung breitmachen. Viele werden im Metaverse sehr viel Geld verlieren, einige sehr reich werden. Dennoch können es sich Unternehmen nicht leisten, den Trend zu ignorieren. Vor allem jüngere Zielgruppen werden sich in Zukunft wohl nur noch über Metaversen, NFTs und andere virtuelle Angebote an ein Produkt oder eine Marke binden lassen. Auch sind die weit über das Metaverse hinausgehenden Vorteile und Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain viel zu wichtig, als dass man sie vernachlässigen könnte.
Wird das Web 3 das Ursprungsversprechen des Internets einlösen und eine dezentral organisierte, den Nutzern gehörende Welt sein? Prashant Kelker bezweifelt das: „Wir werden eine Rezentralisierung erleben, neue Plattformen werden entstehen.“ Der ISG-Analyst hält das für unausweichlich und sinnvoll: „Wir brauchen Infrastrukturanbieter, schließlich produzieren wir auch unseren Strom nicht selber.“
Tabelle:
Metaverse-Agenturen (Auswahl)


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