E-Commerce
13.02.2020
Handel der Zukunft
1. Teil: „Auf der Suche nach dem digitalen Optimum“

Auf der Suche nach dem digitalen Optimum

Handel der ZukunftHandel der ZukunftHandel der Zukunft
Shutterstock / Donut
Die Digitalisierung kommt auch im Handel an. Viele Firmen stehen im Spagat zwischen zu viel und zu wenig digitalen Services.
Mit ihrer Videoberatung traf die Einrichtungskette Butlers 2013 den Nerv der Zeit: Mitarbeiter in den Filialen sollten Kunden per Webcam beim Online-Kauf von Möbeln beraten. Butlers wurde als Vorreiter der Handelsdigitalisierung gefeiert, doch für die Geschäftsentwicklung brachte das wenig: Anfang 2017 musste die Einrichtungskette Insolvenz anmelden. „Ich glaube nicht, dass ­unsere Multichannel-Features der Grund für die Krise waren. Das war, weil wir zwei, drei Jahre falsch eingekauft haben“, erklärt Butlers-Geschäftsführer Wilhelm Josten heute – nach ­der Sanierung des Unternehmens. „Trotzdem beanspruchen wir dieses Vorreitertum in der Digitalisierung inzwischen nicht mehr so sehr.“
Damit steht der Einrichtungshändler nicht allein da. Viele ehemalige Wegbereiter der Modernisierung des Handels ­haben das Spektrum der angebotenen ­digitalen Services mittlerweile eingedampft. Gleichzeitig hat so mancher Nachzügler, dem noch vor wenigen Jahren der wirtschaftliche Tod prophezeit wurde, sein Handelskonzept mit überschaubarem Aufwand erfolgreich modernisieren ­können. Es zeigt sich: Bei der Frage, wie digital der Handel werden muss, um auch in Zukunft zu bestehen, hat sich ein Konsens gebildet.

Butlers: weniger Multichannel

Vor allem Butlers-Chef Josten hat sich von einem Anhänger der Handelsdigitalisierung zu einem Vertreter einer stärker ­differenzierenden Sichtweise gewandelt: „Viele digitale Features tragen sich nicht. Und bei uns geht heute Ertrag vor Umsatz. Das mag von außen wie eine Rückwärtsbewegung aussehen. Doch selbst ein Amazon und ein Zalando machen heute noch Verluste. Und mit steigenden Kosten etwa beim Online-Marketing und bei der Logistik wird der Investitionsaufwand für die Digitalisierung immer mehr hochgetrieben.“
Dabei unterscheidet Josten klar zwischen kanalübergreifenden Services und dem reinen Online-Geschäft: „E-Commerce als Teil des Multichannel ist heute eine Erwartungshaltung der Kunden. Ich bin aber nicht mehr der Meinung, dass E-Commerce mehr können muss als das stationäre Geschäft. Er muss weder mehr Produkte bieten noch günstigere Preise noch kostenlosen Versand - sondern nur, was sich auch rechnet.“ Sein ­Online-Sortiment hat Butlers deshalb ­gestrafft und das Angebot auf Marktplätzen wie Amazon, Wayfair und Otto neu ausgerichtet. Dort stehen jetzt die Eigenmarkenartikel der Einrichtungskette im Zentrum.
Was die Digitalisierung der stationären Geschäfte betrifft, konzentriert sich Butlers auf Services wie Click & Collect, Online-Bestellung in den Filialen und ein Kundenbindungsprogramm. „Mehr ist für unser Geschäft an digitalen Services heute nicht nötig“, ­erklärt Josten. Die Videoberatung hat Butlers wieder eingestellt – weil sich der Händler aus dem Verkauf von Möbeln zurückgezogen hat. „An sich war diese Funktion richtig, sie wurde von den Kunden genutzt und hat auch umsatzseitig leicht etwas gebracht“, so der Butlers-Chef.
Mit dem reduzierten Digital-Set-up expandiert die sanierte Kette nun auch wieder stationär. Zuletzt hat Butlers fünf Geschäfte eröffnet, 2020 sollen zehn weitere folgen. Daneben betreibt Butlers eine wachsende Anzahl von Shop-in-Shops bei Händlern wie C&A, Rewe und Galeria Karstadt Kaufhof. „Als Marke haben wir Möglichkeiten, die ein reiner Händler nicht hat, und können online und offline mit Dritt­anbietern zusammenarbeiten“, so Josten.
2. Teil: „Sport Scheck: Ökosystem“

Sport Scheck: Ökosystem

  • Sport Scheck: Der Vorreiter der Handelsdigitalisierung setzt auf ein digitales Ökosystem.
    Quelle:
    com! professional / Screenshot
In einer ähnlichen Position wie Butlers ­befindet sich Sport Scheck. Mit vielen digitalen Pilotprojekten wie Kunden-Ta­blets für Online-Bestellungen oder orts­basierten Marketingaktionen auf Basis von Beacon-Technologie zählte das Unternehmen ebenfalls zu den Vorreitern der Handelsdigitalisierung. Doch das ließ sich nicht adäquat in zusätzliche Umsätze ­ummünzen. Gleichzeitig schrieb der Sporthändler zunehmend rote Zahlen, weswegen ihn die Otto-Gruppe Anfang Dezember an Galeria Karstadt Kaufhof verkauft hat.
„In der Frühzeit der Digitalisierung sind viele Ansätze nicht aus einer kundenzentrierten Sicht erfolgt“, erklärt dazu Jan Kegelberg, Chief Digital Officer bei Sport Scheck. „Das ­waren oft nur digitale Spielereien, bei denen man inzwischen gesehen hat, dass das aus Kundensicht zu kurz greift. Deshalb haben wir auch die iPads wieder aus den Läden rausgenommen.“ Heute gehe es mehr um die Frage: „Was will der Kunde, welche Digitalprojekte braucht er?“ Dazu zählten ganz klar die Online-Anzeige stationärer Verfügbarkeiten und darauf basierend Services wie Click & Collect und Reserve & Collect. Zudem mache es Sinn, aus den Filialen auf den Gesamtbestand zugreifen und den Kunden nicht verfügbare Artikel nach Hause liefern zu können. Aktuell teste Sport Scheck die Möglichkeit, dass Kunden mit EC- oder Kreditkarte direkt bei den Beratern bezahlen. „In zehn Filialen haben wir das bereits umgesetzt und wir sehen, dass das vor ­allem bei Produkten mit hohem Beratungsaufwand gut angenommen wird.“
Andere digitale Innovationen wie die Integration von Augmented und Virtual Reality in die Geschäfte seien weniger für den Kunden als aus Marketingsicht attraktiv. „Das sind Digitalisierungsprojekte, die in erster Linie Investi­tionen in die Marke sind, aber auch die müssen sich rechnen. Zum Beispiel indem sie mehr Traffic in die Filialen bringen.“
Relevanter findet Kegelberg das digitale Ökosystem, das Sport Scheck seit einigen Jahren rund um sein Handelsgeschäft aufbaut. Dazu zählen die 2018 übernommene Online-Plattform Fitfox mit Zugang zu über tausend Fitness-Studios, die von Sport Scheck veranstalteten Sport-Events, aber auch Versicherungs- und Leihservices. „Das müssen wir so zusammenkriegen und erklären, dass es für den Kunden klar als Ökosystem wahrnehmbar wird“, so Kegelberg. Insgesamt habe sich bei der Handelsdigitalisierung der Schwerpunkt verschoben: „Früher ging es um digitale Prozesse oder den Online-Shop, heute mehr um die Frage: Was ist unsere stationäre Daseinsberechtigung? Warum sind wir noch da?“ Nach Ansicht des Managers gelinge es Sport Scheck immer besser, das seinen Kunden zu erklären. „Wir haben heute die besten Kundenbewertungen, die wir je hatten. Unser Neukundenwachstum liegt bei 10 Prozent. Daran sehen wir, dass unser Ökosystem auch an den Rändern Fahrt aufnimmt.“ Auch an den Geschäftszahlen sei das erkennbar. Der Gesamtumsatz sei in den ersten sechs ­Monaten des vergangenen Geschäftsjahres um 6 Prozent gestiegen, das Online-Handelsvolumen um 21 Prozent.

Der Zeit voraus

Was Sport Scheck und Butlers erleben, bestätigt auch ­eine Konsumentenbefragung der Unternehmensberatung PwC. Der zufolge ­gehörten zu den Aspekten, die bei den Konsumenten die Entscheidung über den Einkauf im Geschäft bestimmten, noch immer vor allem harte Faktoren wie die Erreichbarkeit des Ladens, die Attrakti­vität des Sortiments und die Anzahl der verfügbaren Parkplätze. Erst bei den ­sekundären Überlegungen kämen digitale Features wie Online-Verfügbarkeitsanzeigen, Self-Check-out und die Lieferung von Einkäufen nach Hause ins Spiel. Features wie Click & Collect, Instore-­Navigation oder eine Händler-App seien für die meisten Kunden weiterhin lediglich die Sahne auf dem Kuchen, aber nicht kaufentscheidend.
„Digitale Services haben generationenübergreifend für das Einkaufserlebnis noch keine wesentliche Bedeutung“, ­erklärt dazu Christian Wulff, Leiter des Geschäftsbereichs Handel und Konsumgüter Deutschland bei PwC. „Für Menschen unter 30 sind sie jedoch bereits ­heute höchst relevant: So wollen 43 Prozent der Jüngeren die Produkt­verfügbarkeit online einsehen können und knapp ein Drittel möchte online sehen, wie voll es im Laden ist, oder Produkte ­online bestellen und im Anschluss persönlich abholen.“
3. Teil: „Thalia: raus aus der Krise“

Thalia: raus aus der Krise

  • Mymuesli: Hat sein kanalübergreifendes Engagement in den vergangenen Jahren heruntergefahren.
    Quelle:
    com! professional / Screenshot
Ein Händler, der sich in den letzten Jahren auf diese Kundenerwartungen ausgerichtet hat, ist die Buchhandelskette Thalia. Vor fünf Jahren rangierte das Unternehmen auf der von der Unternehmensberatung Wieselhuber & Partner erstellten „Todesliste“ der 50 am stärksten bedrohten deutschen Händler auf dem neunten Platz. Die von der Online-Dominanz von Amazon schwer gezeichnete Buchkette machte nach dem Verkauf 2012 an den Finanzinvestor Advent vor allem mit Filialschließungen von sich reden. Seitdem Thalia 2016 an ein Eigentümerkonsortium weiterverkauft wurde, zu dem Unternehmenschef Michael Busch und die Verlegerfamilie Herder ­gehören, befindet sich die Buchkette wieder im Aufwind. Im Geschäftsjahr 2018/19 konnte Thalia den Umsatz um 6 Prozent steigern und sogar fünf zusätzliche Filialen eröffnen.
„Wir haben es geschafft, uns selbst aus der ‚Todesliste‘ he­rauszustreichen“, freut sich Chief Customer Officer Roland Kölbl. Eine große Rolle habe die erfolgreiche ­Digitalisierung der traditionsreichen Kette gespielt. „Ein Omnichannel-Händler zu werden, war für uns kein Selbstzweck, sondern es geht uns darum, eine begeisternde Customer Experience zu schaffen, um die Kunden bei uns zu behalten. Dafür ist die Digitalisierung heute eine Voraussetzung.“ Auch bei Thalia sind Click & Collect und Reserve & Collect besonders gefragt. Basis ist ­eine zentrale Bestandsverwaltung, die es ermöglicht, stationäre Verfügbarkeiten online live anzuzeigen. „Das war ein großes Digitalisierungsprojekt, das in den Kern unseres Warenwirtschaftssystems hineinging und mit dem Live-Modus erst seit Mitte 2018 abgeschlossen ist“, berichtet Kölbl.
Neu hat Thalia begonnen, zwei weitere digitale Services auszurollen - zum einen in drei Filialen Abholstationen, an denen Kunden ­außerhalb der Öffnungszeiten ­Bestellungen abholen können, zum anderen Ta­blets für die Buchhändler in den Geschäften, an denen Kunden mit EC- und Kreditkarte zahlen können. Manche Digitalisierungsprojekten sind aber auch schon wieder Geschichte, etwa Touchscreens in den Filialen, auf ­denen die Kunden selbst nach Büchern suchen sollten. „Das war eine Funktion mit nur wenig Mehrwert für die Customer Experience“ so Kölbl.
Relevanter sind für ihn Online-Projekte, die direkt auf den Erfolg des ­Filialgeschäfts einwirken. Dazu zählt die eigene App mit der „Lieblingsbuchhändler“-Funktion. „Damit verlängern wir die Leseempfehlungen vom stationären Handel in den digitalen Kanal und ermöglichen es dem Kunden, seinen Lieblingsbuchhändlern zu folgen und von diesen regelmäßig Empfehlungen zu erhalten.“ Zudem gehört Thalia zur Allianz deutscher Buchketten, die 2013 den ­E-Reader Tolino auf den Markt gebracht hat und heute damit in Deutschland die einzige ernsthafte Konkurrenz zu Amazons Kindle darstellt.

Mymuesli: Offline-Geschäft

Dass sich bei der Handelsdigitalisierung ein Konsens herausgebildet hat, sich auf Projekte mit klarem Kundennutzen zu fokussieren, verdeutlicht auch das von der reinen Online-Marke zum Multichannel-Anbieter ­gewandelte Mymuesli. Nachdem das Unternehmen in den Jahren 2015 und 2016 sein Store-Netz rasch auf über 50 Standorte ausgebaut hatte, wurde das ­kanalübergreifende Engagement seitdem wieder auf 29 Filialen heruntergefahren. „Indem wir unser Store-Portfolio reorganisiert haben, können wir die Läden wieder deutlich besser steuern und ­betreuen. Wir können viel mehr Qualität in die ­Läden bringen, und darum geht es uns ­primär“, berichtet ­Mymuesli-Gründer Philipp Kraiss.
Neben dem Webshop seien die Läden für den Müsliversender vor ­allem ein Touchpoint, um die Vielfalt der Produkte für die Kunden erlebbar zu machen. Das Ladenkonzept habe Mymuesli bewusst simpel gehalten: „Digitale Features in den Stores sind nur spannend, wenn sie für unsere Müsli-Freunde einen echten Mehrwert bringen. Jeder, der sich sein Lieblingsmüsli selbst zusammenstellen möchte, macht das über sein Smartphone oder den Desktop zu Hause“, ­erklärt Kraiss. Digitale Features müssten die Servicequalität für die Kunden verbessern, wie die Hotspot-Funktion für die kostenlose ­Abholung von Online-Bestellungen in den Ladengeschäften.
Daneben setzt My­muesli beim kanalübergreifenden Handel heute verstärkt auf Koopera­tionsmodelle. „Wir entwickeln für unsere Partner im Lebensmitteleinzelhandel zum Beispiel zielgruppenspezifische Müslis in marktindividuellem Design oder auch Shop-in-Shop-Konzepte, die wir für kleinere und mittelgroße Städte erarbeitet haben“, so Kraiss.
Wie der Mymuesli-Gründer erklärt, glaube sein Unternehmen weiterhin an ­eine Multichannel-Strategie – allerdings dürfe die Digitalisierung im stationären Handel nie zum Selbstzweck werden: „Es überleben nicht zwingend diejenigen, die digital sind, sondern die, die es schaffen, ihren Kunden eine gute Beratung, spannende Ladenkonzepte und eine ­innovative Sortimentierung anzubieten.“
4. Teil: „Elektronikhandel: eigene Wege“

Elektronikhandel: eigene Wege

Stationärer Einkauf Prioritäten
Generationenübergreifend: Jungen wie älteren Verbrauchern ist Handfestes immer noch wichtiger als Digitales.
PwC 2018 (n = 1000), Mehrfachnennungen möglich
Stationärer Einkauf: Prioritäten
Die Zeit digitaler Spielereien im stationären Handel scheint vorbei zu sein. Doch gilt das nicht für alle Branchen gleichermaßen, wie der Elektronikhändler Conrad zeigt. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren digitale Features wie Ta­blets zur virtuellen Regalverlängerung, 24-Stunden-Abholstationen und Verkaufsroboter in die Läden gebracht, bekam aber auch die Kosten der Digitalisierung zu spüren. Die Optionen ­seien begrenzt, so Chief Sales Officer Ralf Bühler. Die Läden zuzumachen und zum Online-Pure-Player zu werden, gehe nicht, da das E-Commerce-Geschäft stark auf den Abstrahleffekten des stationären Geschäfts basiere. Und in den Filialen könne man nicht einfach auf digi­tale Gimmicks verzichten: „Mit Projekten wie zuletzt unserem Verkaufsroboter Alex wollen wir unsere Kunden begeistern und ihnen zeigen, dass wir ein Unternehmen sind, das früh darauf achtet, was sich an technischen ­Innovationen tut. Solche Projekte sind natürlich keine Verkaufsschlager, aber sie zahlen für uns als Technikhändler auf die Wahrnehmung der Marke ein.“
Dennoch bemühe sich Conrad, Digitalisierungsprojekte zu priorisieren, die sich konkret auf Umsatz- und Ertrag auswirkten. „Beispiele sind ­unser B2B-Online-Marktplatz und unsere Internet-of-Things-Plattform Conrad Connect. Dafür haben wir beträchtliche Investitionen getätigt, doch nachdem die Grundlagen gelegt sind, erzielen wir hier inzwischen spürbare Mehrumsätze.“ Conrad wolle seine Geschäftszahlen wieder besser gestalten. Eine wesentliche Rolle spiele die Fokussierung auf wertigere Umsätze im B2B-Geschäft. „Auch hier ist der digitale Handel Teil der Lösung“, so Bühler. „Gerade von B2B-Kunden werden zum Beispiel die digitale Regalverlängerung per Tablet ­sowie unsere Abholstationen viel genutzt, weil sie schnellere Bestell- und Abholvorgänge ermöglichen.“

mehr zum Thema