Interview
27.07.2022
Interview

„Bei SAP ist es uncool, Stunden zu kloppen“

SAP
New Work ist beliebt – aber auch voller Herausforderungen. Drei Experten diskutieren die Hürden der neuen Arbeitswelt.
Wir werden alle immer glücklicher: Neue Arbeitsformen wie hybrides Arbeiten verbessern das Wohlbefinden, die Work-Life-Balance und – ganz wichtig für die Arbeitgeber – die berufliche Leistung. Mehr als drei Viertel der Deutschen bestätigen einen positiven Effekt auf verschiedene Aspekte ihres Lebens. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Netzwerkausrüsters Cisco. Also: Morgens aufstehen und selbstbestimmt entscheiden, um welche Uhrzeit man mit der Arbeit beginnt, ob man ins Büro fährt, von zu Hause aus arbeitet oder an einem ganz anderen Ort – das scheint für viele Angestellte das Richtige zu sein.
Aber ist das wirklich immer so? Ist das ganze Thema New Work sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer ein Segen und in der Praxis so einfach umzusetzen, wie es immer dargestellt wird? Das diskutieren drei Experten im Gespräch mit com! professional – die jeweils aus einer anderen Perspektive einen Blick auf das Thema New Work werfen: Stella Pazzi, Geschäftsführerin der Digital­agentur Moltomedia und stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbands „Die jungen Unternehmer“ nimmt die Arbeitgebersicht ein. Roman Kormann arbeitet in der Abteilung Digitale Arbeitswelten im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Er gibt einen Einblick, wie es den Mitarbeitern in Zeiten von New Work geht. Und wir schauen auch in die Praxis: Cawa Younosi, Global Head of People Experience bei SAP, zeigt, wie sich modernes Arbeiten bei SAP gestaltet.
com! professional: Herr Younosi, wie wichtig ist eigentlich Bewerbern bei SAP das Thema New Work, also zum Beispiel der Arbeitsort und die Arbeitszeiten?
Cawa Younosi: Flexibilität als solche war auch schon vor der Pandemie entscheidend. Aber das Thema Flexibilität geht ja weit über Arbeitsort und Arbeitszeiten hinaus. Sie  ist der Treiber für die Wahl des Arbeitsgebers, aber auch wichtig dafür, ob man mit seinem Arbeitgeber zufrieden ist oder nicht. Entscheidend ist, wie flexibel der Arbeitgeber auf die jeweiligen Lebensphasen des Mitarbeiters reagiert. Man muss sich nicht entscheiden zwischen Job und Privatleben.
com! professional: Frau Pazzi, haben die Unternehmen in Deutschland verstanden, dass sie sich, vor allem auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel, wandeln und neue Formen der Arbeit anbieten müssen?
  • Stella Pazzi ist Geschäftsführerin der Digitalagentur Moltomedia in Saarbrücken.
    Quelle:
    Moltomedia
Stella Pazzi:
Gerade in Familienunternehmen, also meist in den kleineren und mittleren Betrieben, ist das Verständnis dafür schon seit Langem da. Was für die Unternehmen jedoch ein Problem darstellt: Die Arbeitswelt verändert sich, die Anforderungen der Mitarbeiter verändern sich – aber das geht nicht immer einher mit den Arbeitsmarktregulierungen und dem Arbeitsschutz.
com! professional: Können Sie hier vielleicht ein konkretes Beispiel nennen?
Pazzi: Zum Beispiel die Vertrauensarbeitszeit. Es ist das eine, so etwas anzubieten. Das andere ist aber, es dann rechtlich so umzusetzen, dass es auch Bestand hat. Ich denke, die Herausforderung gerade für mittelständische Unternehmen sind die Bürokratie und die Auflagen, die damit einhergehen.
com! professional: Herr Kormann, Sie müssen nun die Fahne für die Arbeitnehmer hochhalten – wie steht der DGB zu all den Möglichkeiten von New Work?
  • Roman Kormann ist Referent in der Abteilung „Digitale Arbeits­welten und Arbeitswelt­berichterstattung“ im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschafts­bundes (DGB).
    Quelle:
    DGB
Roman Kormann:
Ich glaube, im Kern geht es schon um das Thema Flexibilisierung. Jetzt ist die Frage, von wessen Flexibilisierung wir hier reden. Das muss man bei der Diskussion um New Work ein wenig auseinandernehmen. Für uns ist eine Flexibilisierung natürlich erst einmal gut, aber wichtig ist, ob sie aus Sicht der Beschäftigten mitgedacht wird. Dazu gehören für uns zum Beispiel die Arbeitszeiten, dass sie etwa auch gesundheitsverträglich sind.
com! professional: Der DGB warnte bereits 2016 vor einer „Entgrenzung“ der Arbeitszeiten …
Kormann: Es ist festzustellen, dass gerade im Homeoffice die Leute immer mehr Überstunden machen. Jedes Jahr werden rund zwei Milliarden Überstunden durch die Angestellten angehäuft – was sich im Kontext von New Work noch einmal stapeln kann, da wir diese Entgrenzung der Arbeitszeiten im Homeoffice haben. Da brauchen wir Regeln. Und diese Regeln müssen wir auf drei Ebenen setzen: In erster Linie ist der Gesetzgeber gefragt. Hier fordern wir auch ein Recht auf Homeoffice. Die anderen Regelungsebenen sind die Ausgestaltung der Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Die Erfahrung zeigt: Regeln sorgen im New Work für gesunde und zufriedene Mitarbeiter.
Pazzi: Es klingt häufig so, als würden die Arbeitgeber ihren Mitarbeitern das Homeoffice nicht gewähren wollen. Ich glaube, davon sind wir sehr weit entfernt, im Gegenteil. Mehr als die Hälfte aller deutschen Erwerbstätigen arbeitet momentan schon im Homeoffice, bei einigen ist es schlicht nicht möglich. Die Unternehmen, die es können, ermöglichen es. Wir haben aber an der Stelle einige He­rausforderungen, und hier wird der Blick häufig ein wenig verzerrt und auf die Arbeitgeber gerichtet, was ich so nicht ganz gerechtfertigt finde.
Ich würde gerne noch einmal das Thema Arbeitszeiten aufgreifen, das Herr Kormann angesprochen hat: einerseits Vertrauensarbeitszeit, andererseits Kontrolle. Das zusammenzubringen ist eine große Herausforderung, die nicht klar gesetzlich gelöst ist. Genauso ist es, wenn wir vom Recht auf Homeoffice sprechen. Sprechen wir dann davon, dass ich zu jedem Mitarbeiter nach Hause in die Wohnung gehen und überprüfen muss, wie sein Arbeitsplatz aussieht? Oder ob er doch einmal am Küchentisch arbeitet? Das sind gewisse Dinge, die kann ich nicht kontrollieren. Da muss ich meinen Mitarbeitern vertrauen. Und das Vertrauen, genauso die Flexibilität, sind mit die Kernthemen von New Work. Wenn ich hingehe und den Fokus auf die Kontrolle lege, dann werde ich meine Mitarbeiter damit vergraulen. Gerade in den Familienunternehmen hat das Thema Vertrauen immer eine große Rolle gespielt. Aber vieles ist halt rechtlich noch nicht eindeutig geklärt.
Zurzeit wird viel gefordert auf politischer Ebene, ohne vielleicht zu schauen, wie es bereits gelebt wird. Hier wären viele Politiker überrascht, wie es in den Betrieben schon längst läuft. Ansonsten hätten sie die Pandemie auch nie überstanden. Zusammenfassend lässt sich sagen: New Work und Arbeitsgesetze sind in Deutschland momentan nicht kompatibel.
Kormann: Das ist die von mir angesprochene unterschiedliche Vorstellung von Flexibilisierung. Es ist kein Geheimnis, dass es da eine Kontroverse gibt und Gewerkschaften arg darauf pochen, dass das Arbeitszeitgesetz nicht berührt wird. Es ist wissenschaftlich belegt, dass gerade die Ruhezeiten unglaublich wichtig sind. Man braucht Zeiten, um sich zu erholen, und das ist im Homeoffice schwierig genug. Bei allen positiven Aspekten, die hier eine Rolle spielen, würde ich davor warnen, die Arbeitszeitgesetze aufzumachen. Alle, auch die Unternehmen, sollten daran interessiert sein, einen gesunden Arbeitnehmer vorzufinden.
Pazzi: Aber Herr Kormann, die Frage stellt sich doch gar nicht. Es ist ja auch in unserem Interesse, dass die Mitarbeiter gute Arbeitszeiten haben. Zum Thema mentale Gesundheit: Es gibt auch betrieblich so viele Möglichkeiten, die Gesundheit der Mitarbeiter zu unterstützen. Auf der anderen Seite ist es auch so: Ich kann zum Beispiel in der IT meinen Mitarbeitern nicht sagen, dass, wenn sie ihre Kinder von der Kita abholen und mittags kochen müssen und dann erst später wieder anfangen können zu arbeiten, sie minutiös ihre Arbeitszeiten einhalten sollen. Beim Thema Flexibilisierung geht es nicht nur darum, Überstunden zu machen. Es geht auch darum, die Zeit für die Familie zwischendrin einzuschieben. Das bedeutet, dass jemand auch mal zu späterer Stunde konzentriert Arbeiten erledigen kann.
com! professional: Für den einen oder anderen Mitarbeiter ist das Homeoffice eine echte Herausforderung. Man muss sich alleine organisieren und aufraffen zum Arbeiten, Stichwort Selbstdisziplin. Wie kommen die Angestellten damit zurecht, Herr Kormann?
Kormann: Was dahintersteht, ist für mich eine neue Form der Kontrolle. Bei „Old Work“ hatte der Chef einen physischen Bezug zu seinen Beschäftigten und konnte darüber die Arbeitsleistung auch in irgendeiner Form kontrollieren. Im Homeoffice müssen wir über eine neue Form der Kontrolle reden. Zum einen ist das zum Beispiel die digitale Kontrolle über Software. Da ist für uns wichtig, dass sie DSGVO-konform ist.
Aber wie Sie in Ihrer Frage schon richtig sagten: Der Beschäftigte gerät immer mehr ins Zentrum von Managementaufgaben. Er muss sich selbst kontrollieren und selbst steuern. Und das kann zu einem Problem werden. Ich glaube, da ist vor allem die Führungskraft gefragt, gut und klar zu kommunizieren, Aufgaben klarzumachen und vor allem schaffbar zu machen.
com! professional: Von der Entgrenzung der Arbeitszeiten war bereits die Rede. Herr Younosi, gibt es bei SAP klare Regeln für die Arbeitszeiten und dafür, wann Feierabend ist? Wenn ich ehrlich sein darf: Bei SAP denke ich an den gut bezahlten Berater, der aber zwölf Stunden arbeitet und immer erreichbar ist …
Younosi: Der Fakt ist aber Gott sei Dank ein ganz anderer. Wir haben schon früh auf die Themen Achtsamkeit und mentale Fitness gesetzt. Bei uns muss keiner auch nur eine Minute länger arbeiten, als im Arbeitsvertrag steht. Allein im vergangenen Jahr haben in Deutschland 15.000 Kolleginnen und Kollegen an unserem Achtsamkeitstraining teilgenommen. Kurz gesagt: Es ist uncool bei SAP, sich durch Stunden-Kloppen beliebt zu machen.
com! professional: Herr Younosi, in einem Interview habe ich folgenden Satz von Ihnen gelesen „Die Pandemie sorgt für eine Vermenschlichung der Arbeitswelt“. Einerseits ist das eine schöne Sache – zeigt andererseits aber auch, dass vor Corona wohl viel falsch lief. Haben die Arbeitgeber erst in der Pandemie erkannt, dass ihre Mitarbeiter keine Arbeitsmaschinen sind, sondern Menschen mit Privatleben und Kindern?
Younosi: Nicht „die“ Arbeitgeber, aber manche Arbeitgeber haben erkannt, dass wir keine Roboter sind. Es ist nicht mehr das klassische juristische Arbeitsverhältnis – Arbeit gegen Lohn und Arbeitsstunden gleich Produktivität. Man hat in der Pandemie gemeinsam gelacht und geweint, man hat zum Beispiel die Haustiere der Kollegen gesehen. Das hat dazu geführt, dass das gesamte Menschsein sichtbarer wurde. Auch Dinge wie die Pflege daheim wurden sichtbar. Die Führungskräfte waren gezwungen, sich nun auch mit diesen Themen auseinanderzusetzen und den Menschen ganzheitlich zu sehen.
com! professional: Es lässt sich zusammenfassend sagen, dass die Arbeitgeber gewaltig umdenken müssen. Es braucht ein neues Führungsverständnis, das mit alten Gewohnheiten bricht. Frau Pazzi, wenn ich mir so manchen alteingesessenen Betrieb mit klassischem Unternehmenslenker anschaue…, das wird da manchmal etwas schwierig, oder?
Pazzi: Das kann ich so nicht bestätigen. Ich bin im Verband „Die jungen Unternehmer“ aktiv, also Unternehmer unter 40 Jahren. Da haben wir ohnehin schon eine neue Generation in den Unternehmen, die anders denkt und anders führt. Aber auch bei den Familienunternehmen habe ich gesehen, dass die, die in der Unternehmensführung über 40 Jahre alt waren, die ersten waren, die umgestellt haben. Bis die großen Konzerne so weit waren, 2020 die Flexibilisierung zu ermöglichen, war sie in den Familienunternehmen schon durchgesetzt.
com! professional: Ich würde jetzt gerne einmal in die Praxis schauen. Herr Younosi, Sie haben bei SAP den sogenannten Focus Friday ausgerufen. Es gibt freitags keine Meetings und Videokonferenzen mehr. Der Stress-Level soll zum Ende der Woche abnehmen. Bedeutet das im Umkehrschluss mehr Stress von Montag bis Donnerstag?
Younosi: Das ist tatsächlich das, was reflexhaft viele denken. Aber wir haben das Konzept eineinhalb Jahre lang in einem Vorstandsbereich mit vielen Tausenden Kolleginnen und Kollegen bereits vorgelebt und eine Verdichtung der Termine von Montag bis Donnerstag hat nicht stattgefunden. Eine Maßnahme allein bringt nichts, sie muss in eine Meeting-Kultur eingebunden sein. Vielmehr ist die Sensibilität für Meetings als solche gestiegen. Der Focus Friday ist ein Signal für uns als Company, dass alle, wenn möglich, den Tag freilassen. Es geht dabei nicht nur um Stress, sondern auch darum, einen Raum zu geben für lebenslanges Lernen, dass die Leute sich weiterbilden können. Denn in Meetings lernt man nicht wirklich – da versucht man, Probleme zu lösen. Es geht auch darum, freitags bestimmte Dinge abzuarbeiten, damit man nicht mit vollen To-do-Listen ins Wochenende geht.
com! professional: Apropos Freitag – ein häufig diskutierter Ansatz ist die Viertagewoche. Ein Ansatz ist hier das Verteilen der Arbeitsstunden auf vier Tage. Herr Kormann, für Sie als Gewerkschafter ist das wahrscheinlich keine schöne Vorstellung, oder?
Kormann: Das ist das Grundproblem, das sich durchzieht – die Arbeitsverdichtung. Immer mehr Menschen berichten, dass sich ihre Arbeit verdichtet. Daher finde ich die angesprochenen Ideen gut, die Arbeit zu entzerren und auch einmal den Kopf freizukriegen, auch aus der Produktivitätssicht. Wenn ich mich immer nur von einer Deadline zur nächsten hangele, dann kann das auch nicht im Sinn des Unternehmens sein.
com! professional: Frau Pazzi, eine Viertagewoche bei Moltomedia, wäre das was?
Pazzi: Schwierig, dann können Sie gerne versuchen, das den Kunden zu erklären. Ich glaube, wir als Dienstleister können eine Viertagewoche nur schwer umsetzen. Wenn bei uns ein Kunde am Freitag anruft, dann will er auch am Freitag jemanden erreichen und eine Antwort erhalten.
Wir haben versucht, wie bei SAP, Tage zu schaffen, an denen keine Meetings stattfinden. Und da kommt wieder das Thema Flexibilität ins Spiel. Wir konnten keinen Tag firmenübergreifend finden, an dem es bei allen gepasst hätte. Wir sind dann letztlich dazu übergegangen, dass sich die Teams untereinander koordinieren.
Younosi: Außerdem, wenn ich kritisch anmerken darf: In vier Tagen die Arbeit von fünf Tagen schaffen – das ist ein Denken aus dem industriellen Zeitalter, wo Arbeitsvolumen gleich Produktivität war. Das wäre nicht die ideale Lösung, ganz abgesehen vom gesundheitlichen Aspekt. Gerade in unserem IT-Bereich, wo sich manche Probleme in fünf Minuten und andere in fünf Monaten lösen lassen, spielt die Zeit als solche keine Rolle, ob ich erfolgreich bin oder nicht.
Wenn man eine Viertagewoche einführen will, dann muss man sich anders aufstellen und organisieren. Und man muss die Ergebnisse anders messen. Und es muss der Markt annehmen, denn letztendlich arbeiten wir für unsere Kunden. Es geht nicht nur darum, die Arbeit von fünf Tagen in vier Tagen zu machen, sondern es geht um eine ganz andere Art der Produktivitätsdefinition und Arbeitsweise.
Pazzi: Das würde ich gerne unterstreichen. Auch geht es nicht immer nur um Produktivität. In der Fünftagewoche besteht mal die Möglichkeit, dass ich meine Kollegen in der Kaffeeküche spreche oder Rauchpausen mache. Es geht auch um das Wohlfühlen und um das soziale Umfeld. Wenn wir es schaffen, die Viertagewoche umzusetzen, dann ist das klasse. Und ich bin mir auch sicher, dass es da valide Ansätze gibt.
Bei uns im Dienstleistungsbereich ist die Anspannung hoch, wenn man jederzeit den Anfragen der Kunden ausgesetzt ist – und da kann es entspannend sein, sich einfach mal mit Kollegen darüber zu unterhalten in einer Pause, die vielleicht wegfallen würde, wenn das Ganze weiter komprimiert werden würde.
Ich bin keine Vertreterin dessen, immer nur auf die Produktivität zu pochen. Sie spielt natürlich in einem Unternehmen eine Rolle, aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Arbeitszeit ein Teil der Lebenszeit ist. Und auch da müssen wir uns wohlfühlen und soziale Kontakte knüpfen, und dafür müssen wir den Raum und die Zeit lassen.
com! professional: Worüber wir bislang noch gar nicht gesprochen haben, ist das klassische Büro. Wie wichtig ist das heutzutage überhaupt noch, Herr Kormann? Und spielen andere Faktoren, etwa die Unternehmenskultur, nicht eine viel wichtigere Rolle als ein schickes Office?
Kormann: Ich denke, dass das Büro noch immer Dreh- und Angelpunkt sein sollte. Wie schon angedeutet wurde: Der Betrieb ist auch ein sozialer Ort. Auch für uns Gewerkschaften ist es ein wichtiger Ort, etwa für die Betriebsräte, um mit dem Beschäftigten in Kontakt zu kommen. Das macht die reine Verlagerung ins Homeoffice zum Beispiel schwierig. Ich glaube, dass hier ein gesunder Mix gefragt ist aus betrieblicher Arbeit und flexibilisierten Formen wie Homeoffice.
com! professional: Was sind denn überhaupt die Anreize, dass die Mitarbeiter ins Büro kommen? Angesichts des Aufwands, den so mancher Pendler auf sich nimmt, muss sich der Weg ins Büro schon lohnen … Spielt da der soziale Aspekt so eine große Rolle? Es klappte in den vergangenen zwei Jahren auch ganz gut remote.
Kormann: Der soziale Faktor ist meiner Meinung nach nicht zu unterschätzen. Es geht auch darum, das berichten Beschäftigte auch in Befragungen, dass sie eine klare Trennung wollen zwischen der Arbeitswelt und ihrem Privatleben. Und das ist ja auch eine legitime Entscheidung, die Beschäftigte für sich fällen. Deswegen ist es uns als Gewerkschaft auch so wichtig, dass es eine Selbstbestimmung der Beschäftigten über den Arbeitsort gibt.
Zu den Personen
Cawa Younosi ist Global Head of People Experience bei SAP. Er möchte Menschen die Möglichkeit bieten, sich zu entfalten, auch wenn ihr Lebenslauf von dem abweicht, wonach Personalverantwortliche normalerweise suchen. Als Personalleiter setzt sich Younosi für die Chancengleichheit aller ein – unabhängig von ihrer kulturellen und ethnischen Herkunft, von Alter, Geschlecht und sexueller Orientierung. Als Hauptansprechpartner des Unternehmens für den neuen Betriebsrat hat er außerdem dazu beigetragen, eine Kultur des Vertrauens und der Zusammenarbeit zu schaffen.
Stella Pazzi ist Geschäftsführerin der Digitalagentur Moltomedia in Saarbrücken. Zudem ist sie ehrenamtlich im Bundesvorstand von „Die jungen Unternehmer“ tätig und Beiratsmitglied des East Side Fab. Sie absolvierte ihren Bachelor in Internationaler Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien und ihren Master of Global Business in Kanada, Frankreich und Südkorea. Nach weiteren Stationen – unter anderem bei Mercedes-Benz in Malaysia und der Unternehmensberatung Kienbaum in Düsseldorf – kehrte sie 2015 ins Saarland zurück und übernahm das Familienunternehmen von ihrem Vater.
Roman Kormann ist Referent in der Abteilung „Digitale Arbeits­welten und Arbeitswelt­berichterstattung“ im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschafts­bundes (DGB) und unter anderem für die Themen Arbeitsforschung und Transfer zuständig. Er absolvierte ein sozialwissenschaftliches Studium (M. A. Praxisforschung in Sozialer Arbeit und Pädagogik) und arbeitet seit 2015 beim DGB.

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