18.03.2021
Scheinselbstständigkeit:
Steht das Uber-Geschäftsmodell auf der Kippe?
Autor: Frank Kemper
Tero Vesalainen / shutterstock.com
Ein aktuelles Urteil aus Großbritannien gesellt sich zu einer Reihe ähnlicher Entscheidungen: Uber muss seine freien Fahrer in wesentlichen Dingen behandeln wie feste Angestellte. Was wird aus dem Uber-Geschäftsmodell? Und was bedeutet das für andere Unternehmen?
Die Nachricht betrifft Großbritannien, aber sie klingt ähnlich wie vergleichbare Meldungen der letzten Monate: Der Fahrdienstvermittler Uber hat in einer Konzernmitteilung verkündet, seine Vertragspartner (=Fahrer) im Vereinigten Königreich wie Mitarbeiter zu behandeln. Dem ging ein jahrelanger Rechtsstreit voraus, der vor dem Supreme Court endete - mit einer Niederlage für Uber.
Im Februar hatte das höchste Gericht Großbritanniens entschieden, dass die rund 70.000 Uber-Fahrer in UK keine freien Vetragspartner seien, sondern Mitarbeiter des Unternehmens. Dadurch stehen ihnen eine Reihe von Vergünstigungen zu, etwa Anrecht auf Mindestlohn, bezahlter Urlaub und Zuschüsse zur Altersvorsorge. Festangestellten ganz gleich sind sie noch nicht gestellt, etwa bei Elternzeiten oder einem Recht auf Abfindung.
Abkehr von der Ur-Idee
Immer häufiger fällen Gerichte solche Entscheidungen. Betroffen ist nicht nur Uber, sondern auch sein Hauptkonkurrent Lyft. Aus der einstigen Uber-Geschäftsidee, dass ein Autobesitzer, der zufällig gerade irgendwo hinfährt, dabei jemanden mitnehmen kann und sich so ein kleines Zubrot verdient, ist inzwischen eine gut durchstrukturierte Taxi-Konkurrenz geworden. Die allermeisten Vertragspartner von Uber sind eben keine Gelegenheitsfahrer, sondern verdienen damit ihren Lebensunterhalt. Allerdings sind sie, trotz aller zeitlicher Flexibilität, ziemlich gebunden an das Unternehmen, für das sie fahren, können zum Beispiel Preise nicht selbst festsetzen. Und so kommt es immer wieder zu Entscheidungen wie der aktuellen.
Schließlich ist es auch eine politische Frage, ob ein Staat einen Dienstleistungssektor haben möchte, in dem die Regeln des Staates nicht mehr gelten - die Gerichte sehen das offenbar zunehmend anders. Damit steht allerdings das Geschäftsmodell der Sharing-Economy auf dem Spiel, genauer, das der Vermittler, die davon leben, dass sie Dienstleistern Aufträge vermitteln und ihnen gleichzeitig die Spielregeln vorschreiben.
Verdacht der Scheinselbstständigkeit
Diese Modelle stehen weltweit unter dem Verdacht der Scheinselbstständigkeit, und dieser Verdacht betrifft längst nicht nur Uber allein.
Ob zum Beispiel selbstständige Paketkuriere, die im Auftrag eines großen Logistikunternehmens Pakete ausfahren, wirklich selbstständig sind, ist oft zu bezweifeln. Oder die "Juicer", die nachts in den Metropolen die E-Roller einsammeln, aufladen und wieder in den Straßen verteilen. Oder die Fahrradkuriere, die auf Vermittlungsportalen bestellte Essenslieferungen ausliefern.
Lieferando
Lieferando testet aktuell, ob Preiserhöhungen in Deutschland durchsetzbar sind und erhöhte in einigen Großstädten die Gebühren um 90 Prozent. Offizielle Begründung: Man wolle die Entlohnung der freien Mitarbeiter auf das Niveau der Festangestellten anheben. Ob ein Modell wie Uber oder Lieferando noch profitabel sein kann, wenn der Vermittler die vollen Sozialkosten für seine Schar an Diensleistern stemmen muss, darf man durchaus bezweifeln.
Um eine andere Möglichkeit, dieses Problem grundsätzlich zu umgehen, ist es bei Uber in letzter Zeit deutlich ruhiger geworden: Autonom fahrende Taxis, die gänzlich ohne Fahrer auskommen - also auch ohne dessen Urlaubsanspruch - sind von ihrer Markteinführung deutlich weiter entfernt als zunächst gedacht. Aber auch sie würden das Uber-Geschäftsmodell komplett auf den Kopf stellen. Im Moment besitzt Uber kein einziges Taxi. In Zeiten von selbstfahrenden Autos müssten sie plötzlich ganz viele haben - und Angestellte, die sie warten, putzen und gegebenenfalls aufladen.
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