23.10.2018
Reportage
1. Teil: „Der lange Weg der Innovation“
Der lange Weg der Innovation
Autor: Luca Perler
NMGZ
Im März hat ein Team des Beratungshauses Q-Perior mit der Entwicklung eines digitalen Versicherungsassistenten den InnoJam Hackathon von SAP gewonnen. Als Belohnung durfte die Crew nach Berlin reisen, ihre Lösung dort einer Expertengruppe vorstellen und sie in einem Design-Thinking-Workshop weiterentwickeln.
Es ist Mittwochmorgen Anfang Juli, kurz vor neun Uhr. Am Berliner Flughafen Tegel herrscht großes Gewusel. Die Leute suchen im unübersichtlichen Hexagon den Weg zu Bussen und Taxen oder drängeln gehetzt in Richtung Abfluggate. Unter einer gelb-schwarzen Anzeigetafel stehen sieben Männer beisammen. Bei sich haben sie nur leichtes Handgepäck. Es sind Sandro Scalco, Michel Magne, Jan Wilhelm Ruh, Thomas Ta und Alrik Künne von Q-Perior. Sie alle sind Teil des "Technology & Innovations"-Bereichs des international tätigen Beratungsunternehmens. Begleitet werden sie von Christoph Hahn, der diesen Bereich leitet, und einem Vertreter des Software-Konzerns SAP, Christian Messerli.
In Berlin treffen sich die Herren von Q-Perior auf Einladung von Messerlis Arbeitgeber. Dazu kam es, weil sie im März den von SAP veranstalteten InnoJam Hackathon gewannen. Dieser findet jeweils während des SAP Live Campus in Basel statt. Bis zu zehn Teams programmieren am Hackathon um die Wette und messen sich mit ihren Entwicklungen. Siegreich war das Team von Q-Perior mit einem digitalen Versicherungsassistenten, der Meldungen zu Hagelschäden automatisch verarbeitet. Hierzu aber später mehr. Am Flughafen ist die Stimmung heiter, man bringt sich gegenseitig auf den neusten Stand und unterhält sich über Aktuelles aus dem Beruf. Man hat sich schließlich teilweise auch schon eine Weile nicht mehr gesehen. Denn während Scalco, Magne, Ruh und Hahn in der Schweiz für die Beratungsfirma arbeiten, sind Ta und Künne in Deutschland beschäftigt.
Zwischenstopp im Data Space
Viel Zeit bleibt am Flughafen aber nicht. Nur kurz darauf bricht das Team ins Zentrum der Hauptstadt auf. Erster Stopp: Hotel. Der Vormittag verläuft insgesamt noch einigermaßen ruhig, schon am Nachmittag wird es aber ernst. Denn dann pitcht die Gruppe ihre Entwicklung im insurHUB, einem Innovationslabor verschiedener deutscher Versicherungsunternehmen. Davor legt die Gruppe noch einen Zwischenstopp im Data Space ein. Das SAP-Gebäude beherbergt einen Veranstaltungsraum, einen digitalen Kreativraum sowie den IoT Startup Accelerator des Software-Konzerns. Untergebracht ist im Data Space auch die Data Kitchen, wo sich die Crew zum Lunch für den Pitch stärkt. Das futuristische Restaurant in der SAP-Niederlassung an der Rosenthaler Straße eröffnete ein Berliner Gastronom in Kooperation mit dem Software-Haus. Bestellt wird dort online oder über eine App - keine einfache Angelegenheit, wie sich herausstellen sollte. Den IT-Cracks gelang es schließlich doch noch, ihr Mittagessen zu ordern. Per Mail wurden sie benachrichtigt, sobald die Mahlzeiten in einer der vielen beleuchteten Boxen im Innern des Restaurants zur Abholung bereitstanden.
Ein spannender Kontrast zur fortschrittlichen Mensa ist das Gebäude gleich nebenan, an der Rosenthaler Straße 39. Es sticht im durchgestylten Berlin Mitte aus den renovierten Häusern mit den schnieken Schaufensterfronten heraus. Das sogenannte Haus Schwarzenberg wurde seit Jahrzehnten nicht saniert und zeugt mit seiner versprayten und bröckelnden Fassade noch vom "alten" Berlin. Das denkmalgeschützte Haus beherbergt heute unter anderem das Anne-Frank-Zentrum, ein Café, ein Kino, Ateliers und Büros.
Ab ins Haifischbecken
Der insurHUB versteht sich als Innovationskatalysator für die Versicherungsbranche, in dem neue Ideen und Lösungsansätze generiert und in Prototypen überführt werden sollen. Beteiligt sind dort aktuell die deutschen Versicherer Ecclesia, HDI, LVM, Provinzial NordWest und die Stuttgarter. Jede Unternehmung stellt für drei Tage in der Woche Mitarbeiter ab, um modernen Methoden und innovativen Ideen nachzugehen. Die verbleibende Zeit nutzen sie, um diese Erkenntnisse in ihre jeweiligen Firmen zu bringen. Unterstützung erhalten sie dabei von den Partnern EY Innovalue, SAP und V. E. R. S. Leipzig.
2. Teil: „Bühne frei “
Bühne frei
Nach der Ankunft steht schon bald der Pitch an. In diesen steigt Christoph Hahn mit einem Video aus Filmmaterial ein, das am Hackathon aufgenommen wurde. Da das Beratungshaus viele Unternehmen aus der Versicherungsbranche zu seinen Kunden zählt, lag es nahe, eine innovative Lösung für die Versicherer zu realisieren, wie der Leiter des "Technology & Innovations"-Bereichs von Q-Perior erklärt. Im Vorfeld hatte man sich intern bei Q-Perior mit Ansätzen des Design Thinkings der Idee des digitalen Assistenten genähert, da Versicherer es bei schweren und unvorhersehbaren Gewittern in kurzer Zeit mit einer großen Masse an Meldungen zu tun bekommen. "So haben wir uns für diesen Case entschieden und uns das Ziel gesetzt, innerhalb von 40 Stunden eine digitale und vollautomatisierte Lösung zu bauen", erklärt Hahn vor der Expertengruppe.
Blockchain-Komponente ein, um den Schaden anhand von Attributen zusätzlich abzulegen. Diese könne später an verschiedene Versicherungen angegliedert werden. Das ermögliche es zu prüfen, ob ein Schadensfall beispielsweise nach einem Halterwechsel bereits zuvor über eine andere Versicherung abgehandelt wurde, erklärt Hahn. "Insgesamt ist es uns wichtig, mit der Lösung zu zeigen, dass auch ganz moderne Technologien in kürzester Zeit lauffähig sein können. Zudem wollen wir keine freien, radikalen Lösungen entwickeln, sondern die bestehenden Geschäftsprozesse im Unternehmen optimieren und ergänzen."
Als Medium der Kommunikation kommt ein Chatbot zum Einsatz, mit dem Kunden der Versicherung einen Hagelschaden melden können. Das Rückgrat der Lösung bildet eine Machine-Learning-Komponente, die das Bild eines Schadens am Fahrzeug automatisch klassifiziert. Laut Hahn kann dadurch etwa zugeordnet werden, um welchen Schaden es sich handelt und wie schwerwiegend dieser ist. Wäre auch das Nummernschild erkennbar, könnte sogleich die dazugehörige Police ermittelt werden. Mit in die Lösung baute das Team schließlich noch eine Ja, aber ...
Für den digitalen Assistenten erntet das Team nach dem Pitch positive Rückmeldungen. "Wenn es in einer Region ein Unwetter gibt, bauen wir sogenannte Hagelzentren auf. Das kommt bei uns regelmäßig vor", erklärt ein Experte. "Dann schicken wir dort ein Paar Gutachter hin, die sich die beschädigten Autos live vor Ort anschauen. Dabei bilden sich immer lange Schlangen und die Kunden müssen warten, bis sie endlich an der Reihe sind." Eine digitale Abwicklung könne deshalb eine echte Erleichterung darstellen, meint er.
Gleichzeitig sahen die Versicherungsexperten bei der Lösung noch Verbesserungspotenzial - etwa bei der Bilderkennung. So wäre es ideal, wenn diese so gut funktionieren würde, dass aufgrund der Analyse direkt berechnet werden könnte, wie viel Geld ein Kunde zugute habe, merkte jemand an. Hierbei stößt die Lösung jedoch an ihre Grenzen. Während des InnoJams konnte das Team den Assistenten mit Modellen von SAP so weit trainieren, dass er Autos und Hagelschäden automatisch erkennen kann. So weit, wie sich das die Fachleute aus den Versicherungen wünschen, reichen die Fähigkeiten des digitalen Assistenten allerdings noch nicht. "Das ist aber alles eine Frage der verfügbaren Daten und des Trainings", sagt Hahn. Die Frage sei dann, ob das jede Versicherung mit den eigenen Datensätzen selbst machen wolle oder ob man sich mit anderen Unternehmen zusammenschließe und die Algorithmen gemeinsam mit Bildern und Informationen versorge.
Viel Aufwand und Sorgen um Arbeitsplätze
Mit zahlreichen Inputs und Empfehlungen der Versicherungsexperten geht das Entwickler-Team nach der aufschlussreichen Diskussionsrunde schließlich in den wohlverdienten Feierabend, den sie auf der Aussichtsplattform des Fernsehturms einläuten. Dort genießen sie die Aussicht über die Stadt Berlin und lassen den ersten Tag bei einem gemeinsamen Apéro Revue passieren.
3. Teil: „Was die Kunden wollen “
Was die Kunden wollen
Am Donnerstag geht es schon früh wieder los. Im Berliner AppHaus von SAP - es gibt vier weitere davon in Heidelberg, Palo Alto, New York und in der Nähe von Seoul - wartet schon der Design-Thinking-Experte Christian Hänchen auf das Team. Im Dachstock des Gebäudes, der zum Arbeitsraum umfunktioniert wurde, feilen die InnoJam-Gewinner am zweiten Tag ihrer Reise im Rahmen eines Design-Thinking-Workshops weiter an ihrer Versicherungslösung. Der Arbeitsraum ist dafür mit allerlei Arbeitsmaterialien und Whiteboards ausgestattet. Mit einer kleinen DJ-Anlage ist auch für Unterhaltung gesorgt. Diese zieht sogleich die Aufmerksamkeit einiger Crewmitglieder auf sich - es dauert nicht lange, bis die ersten Scheiben auf dem Plattenteller drehen.
Auf Eis gelegt
Unterdessen ist die Reise des Q-Perior-Teams nach Berlin schon eine Weile her. Groß weiterentwickelt wurde die Lösung laut Christoph Hahn in der Zwischenzeit jedoch nicht. Q-Perior war aber bei verschiedenen Versicherungen vor Ort und hat bei ihnen nachgefragt, wie sie überhaupt zu einer solchen Lösung stehen. "Das Ganze wird von der Branche grundsätzlich mit ziemlichem Respekt angesehen. Vielleicht sind doch zu viele neue Technologien involviert", erklärt der Bereichsleiter. Er sei dennoch der Meinung, dass schon jetzt einige Unternehmen bereit wären, einen digitalen Versicherungsassistenten einzukaufen, würde es sich um ein fertiges Produkt handeln. Selber sei aber niemand dazu bereit, Zeit in die Weiterentwicklung des Prototyps und das Training des Services zu investieren. "Unser Ziel ist es, dass wir beispielsweise ein Konsortium oder einen Dachverband finden, der das Projekt fördern möchte." Weil das Produkt aber auch an andere Branchen angepasst werden könne, biete es dem Beratungsunternehmen zudem die Möglichkeit, Firmen aus anderen Bereichen anzugehen – etwa aus dem Einzelhandel. "So ist es nun meine Aufgabe, Beispiele aufzuzeigen, wie Chatbots und künstliche Intelligenz auch für andere Branchen adaptiert werden können."
Eine Innovation ganzheitlich umsetzen zu können, ist laut Hahn generell ein schwieriges Thema. Dass das Beratungsunternehmen solche Projekte angeht, habe verschiedene Beweggründe. Einerseits biete es der Firma die Möglichkeit, sich beispielsweise an Events von Partnern wie SAP zu positionieren. "Zudem können wir damit unsere Mitarbeiter mit neuen Themen ausbilden. Das hilft uns auch beim Recruiting." Gerade im Consulting sei der Markt dünn, sagt Hahn. Umso schwieriger sei es, gute Berater zu finden. "Da hilft es, wenn wir mit spannenden und innovativen Themen unterwegs sind."
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