Business-IT
10.03.2020
IT im Wandel - Beispiel Schweiz
1. Teil: „So werden IT-Führungskräfte zum Digital Leader“

So werden IT-Führungskräfte zum Digital Leader

Digital LeaderDigital LeaderDigital Leader
pgraphis / shutterstock.com
Die Dynamik der Digitalisierung droht die klassische IT in die Bedeutungslosigkeit zu drängen. Der Weiterbildungsbedarf ist klar ersichtlich.
Laut „SwissVR Monitor“ von Deloitte und der Hochschule Luzern vom Sommer letzten Jahres sind die Top-Themen der Schweizer Verwaltungsräte [entspricht dem Vorstand einer AG, die Red.] die Digitalisierung und mit ihr verbundene neue Technologien für Effizienzsteuerung, Optimierung interner Prozesse und die  Erarbeitung einer neuen Unternehmensstrategie.
Umso mehr überrascht es, dass nur ein kleiner Teil des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung mit den neuen Formen der „Digital Leadership“ vertraut ist. So sind laut „Digital Transformation Index 2018“ von Dell EMC erst rund 36 Prozent der Führungskräfte in der Schweiz für die digitalen Führungs­aufgaben bereit.
Konkret sehen es die Führungskräfte heute als größte Herausforderung an, die Veränderungen der digitalisierten Welt zu managen, das lebenslange Lernen zu ermöglichen und agile Organisationsstrukturen einzuführen, wie dem „HR Report 2019“ des Personaldienstleisters Hays zu entnehmen ist. Daraus geht sehr klar hervor, dass Kreativität, soziale Intelligenz und ICT-Kenntnisse als zukunftsweisende Digitalkompetenzen gesehen werden, wie auch der SwissVR Monitor bestätigt.

Was ist Digital Leadership?

Die Goethe-Universität Frankfurt definiert „Digital Leadership“ in ihrer gleichnamigen Studie als Einsatz neuer digitaler Methoden und Instrumente durch die verantwortlichen Führungskräfte, etwa die aktive Nutzung moderner Collaboration-Tools oder der sozialen Medien im Unternehmen. Diese Definition greift jedoch zu kurz. Vordenker und Studien des Fraunhofer Instituts sowie des Beratungshauses Capgemini stellen klar: Nicht nur die praktische Umsetzung mit Tools, sondern auch die Adressierung der mit der digitalen Transformation verbundenen geschäftlichen, organisatorischen, kulturellen, technologischen und personellen Anforderungen ist hier entscheidend. Diese Fähigkeiten sind auf allen Ebenen notwendig und reichen vom strategischen Top-Management bis zur operativen und personellen Verantwortung. Ziel der Digital Leadership ist es, in einem sich immer schneller verändernden Marktumfeld mit ungewissen Rahmenbedingungen das eigene Unternehmen gegenüber der Konkurrenz flexibler, schneller und innovativer zu machen. Folglich muss sich über kurz oder lang jede Firma zu einem Technologieunternehmen transformieren, um sich im globalen Wettbewerb zu behaupten.
2. Teil: „Mühsame Aufholjagd“

Mühsame Aufholjagd

  • Christian Russ: Leiter des Studiengangs IT-Leadership an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
    Quelle:
    Russ
Was im Diskurs in den Medien inzwischen als Konsens gilt, spiegelt sich in der Realität noch nicht wirklich wider - dann nämlich, wenn es darum geht, digitale Kompetenzen als Individuum und als Organisation aufzubauen. Einerseits heben in der erwähnten Studie der Uni Frankfurt bis zu 80 Prozent der Befragten die Bedeutung der Digital Leadership hervor, andererseits wird die Reife der eigenen Organisation zugleich als eher gering eingeschätzt.
Oft werden der Einsatz neuer Instrumente wie agile Entwicklung, Design Thinking oder die Einführung neuer IT-Systeme wie Enterprise Social Networks und die Vernetzung über die Unternehmensgrenzen hinaus als Prioritäten angesehen. Dabei handelt es sich allerdings eher um begrenzte Maßnahmen von oft experimenteller Natur, wohingegen strategische Ansätze wie etwa der Aufbau neuer Führungsstrukturen und innovativer Führungsprinzipien am Ende der Prioritätenliste angesiedelt sind.
Besonders auffällig ist, dass externe Schulungen und Trainings ganz am Ende stehen. Es stellt sich daher die Frage, ob Organisationen parallel zu ihrem laufenden Tagesgeschäft überhaupt die organisatorische und kulturelle Transformation ohne externe Unterstützung nachhaltig entwickeln können.
Doch was sind die Gründe für den großen Nachholbedarf bei den Digitalkompetenzen? Einerseits ist es die fehlende Eigeninitiative des Top-Managements: Laut der „Digital Leadership“-Studie des Personalberaters Rochus-Mummert befassen sich mit 51 Prozent nur etwas mehr als die Hälfte der befragten Top-Führungskräfte maximal zwei Stunden in der Woche mit dem Erwerb neuer Kenntnisse zur Digitalisierung. 
Andererseits sind Weiterbildungsangebote zum Thema Digital Leadership noch nicht so bekannt oder akzeptiert. Ein ähnliches Fazit zieht die „Scil-Trendstudie 2019“ der Universität St. Gallen (HSG). Demnach wissen 44 Prozent der Unternehmensentscheider nicht, welche Kompetenzen im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung benötigt werden. Und 57 Prozent sagen, es fehle ein klares Konzept zur Entwicklung digitaler Kompetenzen für Mitarbeiter.

Gute IT-Leadership …

… ist die konsequente Fortsetzung der Digital Leadership in der IT-Organisation und deren Wertschöpfungskette. Reichte es früher aus­, der Chief Inventory Officer der Software und Hardware zu sein, muss heute der CIO den Anforderungen eines Chief Innovation Officers und des Chief Digital Officers gerecht werden, wenn er nicht eines Tages in der Bedeutungslosigkeit verschwinden möchte. Der CIO muss zudem nicht nur kreativ sein und gute Ideen für das Kerngeschäft des Unternehmens generieren, sondern er und sein Team müssen die damit verbundenen IT-Applikationen und IT-Services entwerfen und ausliefern. Diese IT-Lösungen sollten dem Unternehmen helfen, neue Kundenerlebnisse und Geschäftsbeziehungen zu schaffen und die damit verbundenen neuen Märkte und Umsatzquellen zu eröffnen. 
Nebenbei dürfen IT-Verantwortliche den Lebenszyklus der IT-Lösungen, die Technologietrends und auch den Wissens- und Talenteaufbau sowie das Lieferanten- und Cloud-Management nicht vergessen. Übergreifend sollten die IT-Lösungen in eine ganzheitliche Enterprise-Architektur eingebettet sein, die einen nahtlosen Informationsaustausch und die Zusammenarbeit aller Stakeholder innerhalb und außerhalb der Firma ermöglicht.
Schließlich muss auch noch der Wertbeitrag der IT nachgewiesen werden, und das nicht nur durch Budget- und Kostendisziplin, sondern auch in Form von Mehrwerten wie Umsatzsteigerung, Profitabilitätsbeiträgen sowie Stakeholder-Zufriedenheit.
3. Teil: „Konsequenzen für IT-Manager“

Konsequenzen für IT-Manager

Wie kann man als IT-Entscheider den Heraus­forderungen begegnen? Wie kann man sich darauf vorbereiten und welche Kompetenzen sind dafür wie bedeutend? Zu diesen Fragen hat im April 2019 eine Kurzstudie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) am Institut für Wirtschaftsinformatik den Trainings- und Weiterbildungsbedarf des Schweizer IT-Managements erhoben. Dabei wurden nicht technische IT-Themen­ am wichtigsten eingestuft, sondern „IT-Innovation“, „Digital Trans­formation, Business Modelle & Plattform Economy“ und „IT-Organisation und Personalführung“. Die Schlusslichter in der Online-Befragung bildeten „IT-Finance, -Performance und -Va­lue Management“, „IT-Qualität und Stammdatenmanagement“ und „Enterprise Architecture- (EAM) und Technologie Management“. 
Wenn man die Angaben der Senior IT-Manager in der strukturierten Online-Befragung für sich selbst mit denen für ihre Teamleads vergleicht, wird klar ersichtlich: Strategische Themen erachten die Manager primär für sich selbst als bedeutend, wohingegen Bereiche taktischer und operativer Natur eher den Teamleads zugesprochen werden. Hervorzuheben ist das „IT-Innovation Management“. Dies wurde für beide Gruppen als sehr wichtig angesehen.

Bedürfnis-Differenz

Vergleicht man die Ergebnisse der Online-Umfrage mit den persönlichen Interviews auf Basis der „IT-Leadership und Tech-Management-Matrix“, dann zeigen sich auffällige Unterschiede. Im Interview wurde zwar die „IT-Organisation und Personalführung“ ebenfalls als sehr bedeutend an­gesehen (Online-Umfrage, Top 3). Zusätzlich wurden aber „Digitale und IT-Strategieentwicklung“, „IT-Value Management & Governance“ sowie „EAM“ am stärksten gewichtet. „IT-Innovation“ und „Digital Transformation“ hingegen wurden eher als Ergebnis der konsequenten Realisierung der anderen Prioritäten gesehen.
Eine Erklärung der Unterschiede von Online-Umfrage und geführten Interviews könnte in der durchschnittlich abweichenden Berufserfahrung der Teilnehmer liegen. So hatten rund 40 Prozent der Online-Befragten weniger als elf Jahre Berufserfahrung, wohingegen Interviewte mindestens 16 Jahren Führungfunktion aufwiesen. Daraus folgt, dass die durchschnittlich jüngeren IT-Meinungs­geber einen stärkeren Bedarf an Kompetenzen in Soft-Faktoren und dem Business-IT-Zusammenspiel sehen. 
Zudem wurde beim persönlichen Interview das Konzept der „value-based IT-Organisationen“ erklärt, was in der Online-Befragung nicht erfolgte. Dieses Konzept basiert auf John P. Kotters Unterscheidung von Leadership und Management, das für die IT-Organisation erweitert und auf die heutigen Anforderungen adaptiert wurde. So ist als erfolgreiche IT- und Digitalisierungsorganisation die nahtlose Kombination von personellen und organisatorischen Führungskompetenzen mit zielgerichtetem Technologie- und Datenmanagement essenziell, um intelligente IT-Lösungen zu liefern. Unter diesem Blickwinkel stimmten die interviewten IT-Entscheider durchgängig zu, dass speziell junge IT-Führungskräfte einen umfassenden IT-Handwerkskasten dazu benötigen. Dieser sollte Themen wie adaptive IT-Governance, digitale Strategieentwicklung sowie Methoden der IT-Transformation und Leistungsmessung beinhalten.
Zusammenfassend besteht der Konsens zwischen allen Befragten, dass moderne IT-Führungsansätze für die Mitarbeiterzufriedenheit und den Erfolg der IT-Organisation immer wichtiger werden. Zudem kann der intelligente Einsatz von IT-Lösungen, unter Bezugnahme des klaren Kundennutzens, den Wertbeitrag der IT maßgeblich erhöhen. Damit leistet die IT einen wichtigen Beitrag zur Digital Leadership und wird ihrer Rolle als Business-Enabler oder sogar Business-Driver stärker gerecht.
4. Teil: „Weiterbildung lohnt sich“

Weiterbildung lohnt sich

Auch die weltweite Dell-Studie „Digital Transformation Index 2018“ zeigt mit ihrer Teilanalyse für die Schweiz klar auf, dass Nachholbedarf besteht. Der Anteil der Digital Leader ist noch zu gering. Zudem sind rund zwei Drittel der Führungskräfte (64 Prozent) der Meinung, dass die digitale Transformation im gesamten Unternehmen stärker verbreitet sein sollte. Und 43 Prozent wollen IT-Führungskräfte mit Business-Skills und vice versa Business-Führungskräfte mit IT-Skills ausstatten.
Hier bieten Fachhochschulen (FH) den optimalen Mix. Sie gewährleisten nicht nur eine zeitgerechte Ausbildung für junge IT-Talente, sondern auch maßgeschneiderte Weiterbildungsangebote für Berufstätige mit angehender oder bereits ausübender IT-Führungsverantwortung.
Gemäß der Swiss-IT-Studie von „Computerworld“, der Schwesterzeitschrift von com! professional, vom März 2019 wünschen sich Unternehmen zu 44 Prozent primär FH-Abgänger. Diese sind also im Vergleich zu rund 8 Prozent Universitätsabsolventen sehr begehrt. Damit sind die praxisorientierten Hochschulen zunehmend bedeutend für die Weiterbildung von digitalen und IT-Kompetenzen.

Fazit & Ausblick

Aus der Studie zum Weiterbildungsbedarf für IT-Manager wird klar ersichtlich: Neben Techie-Spezialisierungsfächern benötigt es ebenso IT-Generalisten und IT-Führungskräfte-Kompetenzen, um die digitale Trans­formation optimal vorantreiben zu können. Dafür braucht man verstärkt die Outside-in-Sicht auf das Zusammenspiel von IT-Leadership und strategischem Tech-Management. Ersteres stärkt die Soft Skills zur Verbesserung der Selbst- und Fremdsicht, Letzteres ermöglicht eine holistische Perspektive auf die strategischen Möglichkeiten neuer Technologien und Daten für den maximalen Business Impact im Unternehmen und darüber hinaus.
Zögern oder am falschen Ende sparen ist daher die schlechteste Variante der Digital Leadership. Stellt sich die Frage: Was, wenn wir unsere IT-Führungskräfte weiter­bilden und sie dann einfach kündigen? Viel wichtiger wäre aber zu klären: Was, wenn wir es nicht tun und sie versuchen, die IT-Mitarbeiter und die digitale Transformation in gewohnter Weise weiterzuführen?
Studien-Hintergrund
Die Studie der ZHAW zur Digital Leadership von IT-Leitern bestand aus zwei sich ergänzenden Erhebungsformen:
Zum einen basiert sie auf persönlichen qualitativen Interviews mit Se­nior IT-Managern und CIOs auf Basis von „value-based IT-Organisationen anhand der IT-Leadership und Tech-Management Ma­trix“ (n = 26 Interviews).
Zum anderen gab es eine quantitative Online-Umfrage von IT-Ma­nagern zur Bewertung der Wichtigkeit von 17 IT-Themenbereichen (n = 57 Antworten). Die persönlichen Interviews wurden mit IT-Führungskräften geführt, die alle 16 Jahre und mehr Berufserfahrung vorweisen konnten. Bei der Online-Umfrage hatten mehr als 60 Prozent der Befragten 10 bis 15 Jahre und 35 Prozent mehr als 16 Jahre Berufserfahrung im IT-Umfeld.

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