Forschung
04.05.2017
Interview mit Wolfgang Hildesheim
1. Teil: „IBM Watson soll Menschen unterstützen“

IBM Watson soll Menschen unterstützen

IBMIBMIBM
DW labs Incorporated / SHutterstock.com
Wolfgang Hildesheim ist Watson & AI Leader DACH bei IBM. Mit com! professional spricht er über die Technik hinter Watson und darüber, was in Zukunft in Sachen Künstlicher Intelligenz zu erwarten ist.
  • Dr. Wolfgang Hildesheim: Watson & AI Leader DACH IBM Cognitive Solutions
    Quelle:
    IBM
com! professional: Herr Dr. Hildesheim, Künstliche Intelligenz, Algorithmen – was genau verbirgt sich hinter IBMs Watson?
Wolfgang Hildesheim: Der Mensch fragt, die Maschine antwortet. In natürlicher Sprache – das ist das Besondere. Dies wird möglich durch die Nutzung einer Reihe von Technologien wie Natural Language Processing zur Spracherkennung, neuen Übersetzungsdiensten sowie Anwendungen zur Bild- und Gesichtserkennung. Das System ist in der Lage, sich neue Inhalte zu erschließen sowie sich Fähigkeiten und Wissen im Training mit Menschen anzueignen. Damit wird Watson auch nicht mehr wie ein herkömmlicher Computer programmiert. Stattdessen verwendet das lernende System eine Kombination aus Machine Learning und Deep Learning.
com! professional: DeepQA, probabilistisches Nachweisprinzip. Können Sie die Funktionsweise von Watson kurz erklären?
Hildesheim: KI-Systeme wie Watson arbeiten zwar immer noch mit binären Codes, können aber Millionen Berechnungen gleichzeitig ausführen, ihre Ergebnisse evaluieren und in die Lösung neuer Aufgaben einbeziehen.
Beim Machine Learning werden die Algorithmen mit einer beliebig großen Menge an Daten versorgt und lernen im Training, wie sie diese Daten zu interpretieren haben. Doch das allein reicht nicht. Denn eine Hürde war bisher die Unfähigkeit von Computern, unstrukturierte Daten, etwa handgeschriebene
Texte, zu verarbeiten.
Hier wiederum schlägt die Stunde von Deep Learning, um auch unstrukturierte Daten wie Sprache oder Bilder auswerten zu können. Wie die Neuronen in einem Gehirn reagieren Hundertausende von solchen, in einem kognitiven System verbauten Computerchips aufeinander. Damit stellt das System eigenständig Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen Informationen her und lernt quasi dazu.
com! professional: Amazon, Google, Microsoft – fast alle großen IT-Anbieter setzen auf Künstliche Intelligenz. Was genau macht IBM anders als die anderen?
Hildesheim: Anders als die meisten Wettbewerber arbeitet das System Watson in erster Linie mit den Daten aus dem Unternehmen oder der Organisation, in der es eingesetzt wird, und kombiniert diese Daten mit frei zugänglichen, ausgewählten Informationen aus dem Netz.
Dieser Ansatz folgt unserer Überzeugung, dass erst die intelligente Analyse der eigenen Daten in Kombination mit sorgfältig ausgewählten externen Daten den Unterschied macht, denn sie begründen den originären Wettbewerbsvorteil einer Organisation. Und diese Daten bleiben – das ist uns sehr wichtig – auch im Unternehmen.
com! professional: An welche Zielgruppe richtet sich IBM mit Watson? Ist das nur etwas für große Unternehmen oder auch für den klassischen Mittelständler?
Hildesheim: Das kommt darauf an, wie und in welchem Umfang Watson-Technologie genutzt werden soll. Umfangreiche Assistenzsysteme, wie sie zum Beispiel zur Weiterentwicklung von Krebstherapien, zur Unterstützung von Callcenter-Mitarbeitern oder in der Finanzberatung eingesetzt werden, sind natürlich in erster Linie für größere Unternehmen oder Organisationen gedacht.
Aber es gibt mittlerweile kognitive Apps, Chatbots oder andere Watson-Services, die auch für kleine und mittelständische Unternehmen bezahlbar und interessant sind.
com! professional: Jetzt soll Watson auch die IT-Sicherheit vorantreiben. Was steckt hinter dem Modul „Watson for Cyber Security“ und für wen eignet es sich?
Hildesheim: Dabei handelt es sich um die branchenweit erste Augmented-Intelligence-Lösung, die unser weltweites Netzwerk von über 300 Security Operations Centern (SOCs) und
damit unsere Kunden ab sofort in natürlicher Sprache unterstützt. Damit benötigen IT-Analysten für die IT-gestützte Untersuchung und Bewertung sicherheitsrelevanter Vorfälle anstatt Wochen nur noch wenige Minuten.
Dazu haben unsere Experten das System seit Anfang 2016 mit über einer Million sicherheitsbezogener Dokumente gefüttert und trainiert. Sie werden nun ständig weiter aktualisiert und mit neuen Erkenntnissen aus Blogs, Webseiten und Forschungspapieren unterfüttert.
2. Teil: „AI-Entwicklung aus Deutschland“

AI-Entwicklung aus Deutschland

com! professional: Und das alles kommt aus Deutschland. Die weltweite Watson-IoT-Zentrale befindet sich seit Kurzem in München. Wieso hat sich IBM ausgerechnet für die bayerische Landeshauptstadt entschieden?
Hildesheim: Eine Vielzahl von Gründen spricht für München, etwa die beiden Exzellenz-Universitäten. Zudem gibt es ein starkes wirtschaftliches Umfeld mit führenden Unternehmen, die zum Austausch einladen. Vor allem auch im Hinblick auf Industrie 4.0, die Fabrik der Zukunft sowie deren intelligente Anbindung an das Internet (Internet of Things) bietet der Standort enorme Vorteile.
com! professional: Und wo stehen die Server? Besonders Kunden in Deutschland sind beim Datenschutz sensibel.
Hildesheim: Der Kunde entscheidet, wo seine Daten bleiben und was mit ihnen geschieht. Zudem haben wir unter anderem in Frankfurt ein eigenes Rechenzentrum für unsere deutschen Kunden. Watson-Services unterstützen ebenfalls eine End-to-End-Verschlüsselung der Kommunikation sowie eine getrennte Datenhaltung auf Kundenwunsch.
com! professional: Bei allen Vorteilen, die Watson bietet – avanciert das Universalgenie nicht zum Jobkiller und übernimmt immer mehr Aufgaben, für die bisher gut ausgebildetes Fachpersonal gebraucht wurde?
Hildesheim: Unser System ist darauf ausgelegt, als Assistent die Menschen zu unterstützen, nicht zu ersetzen. Watson soll uns ermüdende, stupide und – in Kombination mit Robotics – körperlich anstrengende Arbeiten abnehmen. Natürlich werden sich durch intelligente Systeme viele Berufsbilder verändern. Aber von einem Jobkiller kann nicht die Rede sein.
com! professional: Mittlerweile benötigen Computer keine menschliche Mithilfe mehr, um aus dem unerschöpflichen Wissensvorrat eigene Schlüsse zu ziehen. Da denkt man sofort an HAL 9000, die fiktive neurotische Intelligenz aus Stanley Kubricks „Odyssee im Weltraum“. Wird die Maschine irgendwann Mensch?
Hildesheim: Zunächst einmal: Wir wollen keine menschliche Intelligenz einfach nur replizieren oder klonen. Aber unsere Intelligenz hängt eben auch davon ab, wie viel wir beispielsweise lesen können – und da sind uns schon zeitliche Grenzen gesetzt. Hier kommt Watson ins Spiel: Kognitives Computing soll unser Bewusstsein weiter schärfen und erweitern, unser Wissen vertiefen und ergänzen – entweder im Kontext einer Konversation oder um neue Dinge zu entdecken, neue Ideen zu entwickeln oder neue Perspektiven einzunehmen, an die zuvor niemand gedacht hat.
Unser Ziel ist es nicht, die menschliche Intelligenz 1:1 abzubilden und die Maschine irgendwann zu einem menschenähnlichen Abbild zu machen. Das macht für uns keinen Sinn. Wir stellen uns vielmehr die Frage, für welche Aufgaben Menschen gern die Unterstützung durch ein lernendes System hätten und wo es uns nützlich sein kann, mit seiner Hilfe Probleme zu lösen. Daher haben wir uns auch bestimmten ethischen Richtlinien verpflichtet, die einen HAL 9000 unmöglich machen.

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