25.04.2022
Barrierefreiheit
Menschen mit Behinderung stoßen bei vielen Onlineshops noch auf große Probleme
Autor: Frank Kemper
Shutterstock / Visual Gerneration
Fast jeder zehnte Bundesbürger ist schwerbehindert. Deshalb sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, die Nutzung von Online-Services auch Menschen mit Handicaps zu erleichtern. Doch eine Untersuchung zeigt: Viele Top-Player haben hier noch großen Nachholbedarf.
Was eigentlich selbstverständlich sein sollte, wird ab 2025 zur Pflicht: Zum 28. Juni tritt das
Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft, das - neben vielen anderen Marktteilnehmern - auch Onlinehändler dazu verpflichtet, ihre Services barrierefrei zu gestalten.
Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft, das - neben vielen anderen Marktteilnehmern - auch Onlinehändler dazu verpflichtet, ihre Services barrierefrei zu gestalten.
Die Untergrenze für eine Verpflichtung gemäß BFSG liegt für Webshops bei zwei Millionen Euro Jahresumsatz, doch auch für kleinere Händler sollte das Thema Barrierefreiheit weit oben auf der Prioritätenliste stehen. Denn schließlich gilt in Deutschland fast jeder zehnte Bürger als schwerbehindert. Und diese Bevölkerungsgruppe hat nicht nur besondere Anforderungen an Online-Angebote, sie ist häufig auch in besonderem Maße auf sie angewiesen.
Dass Barrierefreiheit heute selbst bei großen Playern noch keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt eine Untersuchung, die die Beratungsagentur Sapera Studios jetzt veröffentlicht hat. Die Agentur, zu deren Beratungsschwerpunkten auch das Thema Barrierefreiheit gehört, hat 20 Top-Onlineshops in Deutschland daraufhin abgecheckt, inwieweit sie Menschen mit Handicaps Hürden in den Weg legen - und jede Menge davon gefunden. Die Ergebnisse mögen nicht unbedingt repräsentativ sein, geben aber wertvolle Hinweise darauf, worauf Onlineshops achten sollten.
Die Meisten sind nicht Screenreader-tauglich
Screenreader-Software ist in Verbindung mit einer externen Braille-Zeile für blinde Menschen unerlässlich, um Zugang zu den Inhalten einer Benutzeroberfläche zu bekommen. Hier konnten nach Erkenntnissen von Sapera nur sieben der größten deutschen Onlineshops überzeugen, darunter Zalando und Apple. Weitere sieben sind nur eingeschränkt kompatibel. Große Player wie Lidl und IKEA gehörten zu den Shops, die in dieser Disziplin am schlechtesten abschnitten.
Ein Drittel mit Probleme bei Alternativtexten
Bilddateien werden für Screenreader-Software erst durch hinterlegte Alternativtexte lesbar. Dies funktioniert bei den meisten der untersuchten Webseiten auch gut, so etwa bei Mediamarkt und DocMorris. Hingegen wurden bei drei der Onlineshops nur eingeschränkte Alternativtexte vorgefunden. Vier weitere Shops lieferten nicht ausreichende oder unpassende Alternativtexte.
Einfache Spache, einheitliche Schriftgröße
Die Verwendung einfacher, gut verständlicher Sprache ist inzwischen weit verbreitet. Nachholbedarf verorten die Berater bei den Onlineshops von Zalando und H&M (zu viele Anglizismen) und bei Cyberport und Conrad (zu viele Fachbegriffe)
Die Schriftgrößen der Navigationen der Webseiten liegen zumeist bei 14 bis 16 Punkten. Apple nutzt kleinere Schrift. Lidl und IKEA mischen verschiedene Schriftgrößen besonders häufig. Einige der Anbieter verwenden zudem mehr als drei verschiedene Schriftarten - für Nutzer mit beschränktem Sehvermögen suboptimal.
Wenig Anpassungsmöglichkeiten
Eigentlich bietet vor allem HTML ideale Möglichkeiten, die Darstellung einer Website auf die Bedürfnisse des Nutzers anzupassen. Doch auf keiner der 20 untersuchten Webseiten ließ sich die Schrift anpassen oder vergrößern. Auch der Kontrast war in keinem der Onlineshops veränderbar oder erhöhbar. Immerhin erschließen sich alle Webseiten auch ohne Farben gut.
Nutzt eine blinde Person eine Website, sollte die Sprachausgabe automatisch erfolgen, daraufhin war jedoch keine der getesteten Websites vorbereitet. Und nicht jeder Besucher kann im Browser mit einer Maus navigeiern. Tastennabigation sollte also alternativ möglich sein, bei fünf der 20 getesteten Seiten war sie es nicht.
Sapera-Geschäftsführerin Katrin Kolossa sieht deshalb dringenden Nachholbedarf: "Das ungenutzte Potential der größten deutschen Onlineshops hinsichtlich ihrer digitalen Barrierefreiheit ist erstaunlich."
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