Virtual Reality
20.04.2018
Im Gespräch mit Christian Möhring von Ikea
1. Teil: „Ikea setzt beim E-Commerce auf Virtual Reality“

Ikea setzt beim E-Commerce auf Virtual Reality

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Fishman64 / Shutterstock.com
Lange zurückhaltend, gibt Möbelrise Ikea jetzt digital Gas – mit Virtual Reality. Schon bald sollen die Nutzer etwa mit VR-Brillen ihre Wohnung von zu Hause aus mit Ikea-Möbeln einrichten, wie Christian Möhring, Web & Digital Manager bei Ikea Deutschland berichtet.
  • Christian Möhring, Web & Digital Manager bei Ikea Deutschland
    Quelle:
    Ikea
Hasst Ikea das Internet oder die Online-Kunden?“, fragte „Wirtschaftswoche“-Kolumnist Marcus Werner noch im November 2017 und meckerte über die schlechte Customer Experience beim Online-Kauf. Und dennoch schaffte es der schwedische Möbelriese im Geschäftsjahr 2016/17, in Deutschland 304 Millionen Euro Umsatz im Netz zu erwirtschaften. Das entspricht einem Plus von 30,7 Prozent und einem Anteil am Gesamtumsatz von 6,3 Prozent. 77.000 Bestellungen im Wert von 40 Millionen Euro holen Kunden in den Filialen ab und sparen sich damit die Liefergebühren. Insgesamt besuchten 262,7 Millio­nen Kunden Ikea.de.
„Ikea verfolgt eine Multichannel-Strategie“, schreibt Kai Fuhlrott, Geschäftsführer bei Ikea Deutschland. „Unser Ziel ist es, für den Kunden überall dort erreichbar zu sein, wo er uns treffen möchte.“ Man arbeite daran, Online- und stationären Handel nahtlos zu verbinden und Kunden über alle Kontaktpunkte hinweg ein inspirierendes und komfortables Einkaufserlebnis zu bieten.
Vor allem die Kundennachfrage nach Online-Küchenplanungen ist dem Geschäftsbericht zufolge gestiegen. 12,5 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftete der Konzern über sogenanntes Remote Kitchen Planning, also die Beratung, Planung und den Verkauf von Küchen via Online-Konferenz. Und auch mit Virtual Reality experimentierten die Schweden im Rahmen eines Pilotprojekts im Einrichtungshaus Berlin-Lichtenberg erfolgreich.
com! professional spricht mit Christian Möhring, Web & Digital Manager bei Ikea Deutschland, über den weiteren Weg in Richtung Multichannel-Händler.
com! professional: Bis vor Kurzem galt Ikea eher als E-Commerce-Verhinderer. Jetzt kommt die Kehrtwende und Sie geben im digitalen Handel richtig Gas. Wie kam es zu dem Sinneswandel?
Christian Möhring: Für uns ist in erster Linie wichtig, was der Kunde uns sagt. Und tatsächlich sind wir schon seit einigen Jahren strategisch in Richtung Multichannel-Retailing unterwegs. Als klassisches Retail-Unternehmen gab es auf diesem Weg natürlich die eine oder andere Herausfor­derung.
com! professional: Wo auf einer Skala zwischen 0 und 10 zum perfekten Multichannel-Retailer sehen Sie sich da gerade?
  • Zweigleisig: Ikea will nicht mehr nur in den Stores, sondern auch online ein Einkaufserlebnis bieten.
    Quelle:
    André Grohe
Möhring: Das ist schwer einzuschätzen, weil es bei einer Vision wie dieser auch kein wirkliches Ende gibt. Strategisch stehen alle Ampeln auf Grün und wir befinden uns mitten in einer für Ikea sehr wichtigen Transformation. Unser Einkaufserlebnis und auch die Marke verändert sich und wir probieren gerade sehr viel Neues aus. Besonders bei der digitalen Entwicklung sind wir sehr agil unterwegs und beschäftigen uns intensiv mit innovativen Technologien. Das ist uns sehr wichtig. Was morgen ist und im digitalen Geschäft passiert – das ist teilweise auch für uns eine Überraschung.
com! professional: Was sind digitale Innovationen, auf die Sie stolz sind?
Möhring: Wir sind einer der ersten Retailer in Deutschland, die in-store sehr früh mit dem Thema VR viel Erfahrung gesammelt haben. Wir haben nicht einfach nur eine VR-Anwendung mit Event-Charakter entwickelt, sondern eine Lösung konzipiert, die 365 Tage im Store im Einsatz sein kann. Es ist für uns extrem spannend, zu sehen, wie eine sehr breite Gruppe an Menschen, die unsere Einrichtungshäuser besuchen, zum ersten Mal mit VR-Technologie in Berührung kommt. So bekommen wir ein Gefühl dafür, welche Möglichkeiten VR für Ikea bietet. Sehr ­explorativ mit neuen Technologien umzugehen ist ein Schwerpunkt für uns: Wir möchten Digital als Enabler für unsere Marke nutzen.
com! professional: Was sind denn Ihre Erkenntnisse aus den ersten VR-Tests?
Möhring: Die wichtigste Erkenntnis ist: Es funktioniert. Die Menschen nutzen intuitiv unsere VR-Anwendung und sie wollen mehr Möglichkeiten. Eine weitere Erkenntnis betrifft die Umsetzung: Es stellen sich neben der digitalen Entwicklung auch sehr viele Detailfragen zur Installation einer VR-Anwendung im Store. Sie müssen darauf achten, dass die Hardware für den Einsatz im Store geeignet ist, oder besser sie dafür vorbereiten. Und dann gibt es Sicherheitsaspekte: Entwickeln Sie eine VR-Experience für jemanden, der sitzt oder der steht? Da gibt es tatsächlich unterschiedliche Faktoren in der Konfiguration zu berücksichtigen, die für uns auch gänzlich neu waren und für viele andere Retailer und Marken ebenfalls gänzlich neu sind.
Es war eine sehr spannende Erfahrung, explorativ an ein solches Projekt heranzugehen und zu sehen, wie unsere Interior-Designer auf einmal virtuelle Räume gestalten. Das war auch über den digitalen Bereich hinaus ein sehr inspirierendes Projekt – auch im Sinne unserer Multichannel-Zukunft.
2. Teil: „Mit VR-Brille die Wohnung virtuell einrichten

Mit VR-Brille die Wohnung virtuell einrichten

com! professional: Sehen Sie VR eher als Erlebnis für den stationären Handel oder glauben Sie, dass die Menschen irgendwann tatsächlich virtuell einkaufen?
Möhring: Sowohl als auch. Wir sind dabei, die VR-Anwendung auch online im Oculus-Store verfügbar zu machen. Dort kann man die Anwendung kostenlos herunterladen und dann mit dem eigenen VR-Device zu Hause die gleiche Experience erleben wie im Einrichtungshaus. Natürlich behalten wir auch die neuen Möglichkeiten mit Web-VR im Auge. Denn uns ist sehr daran gelegen, dieses Erlebnis möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Das ist einfach Teil unserer DNA.
com! professional: Aber noch kann man nicht in den VR-Anwendungen einkaufen.
Möhring: Wir können in der aktuellen VR-Anwendung, die wir im Einrichtungshaus einsetzen, Produkte auf einen Merkzettel setzen und dieser Merkzettel kann dann von der VR-Anwendung auf die Website
  • Digitaler Helfer: Die Ikea-Store-App begleitet den Kunden durch das Geschäft.
    Quelle:
    André Grohe
übertragen und dort weiter verändert oder tatsächlich gekauft werden. VR wird in Zukunft eine wichtige Rolle im Alltag vieler Menschen spielen und ist aus diesem Grund wie gemacht für Ikea.
com! professional: Kommen wir noch mal zurück zum Online-Shop. Wer es nicht gut mit Ihnen meint, mäkelt, dass Ikea im Web mit einem veralteten Shop, extrem hohen Liefergebühren und extrem kundenunfreundlichen Lieferzeitfenstern aufwartet. Was antworten Sie darauf?
Möhring: Wir entwickeln uns sukzessive und bereichsübergreifend weiter. E-Commerce wird immer mehr Teil unseres Gesamtunternehmens und nicht als separater Vertriebskanal betrachtet. Es ist kein Geheimnis, dass wir aktuell noch auf einer technologischen Plattform unterwegs sind, die veraltet ist, und wir hier Veränderungen planen. Sie sprechen unser Versandkostenmodell an. Es gibt verschiedene Modelle, anhand derer man Versandkosten berechnen kann, alle haben ihre Vor- und Nachteile. Mögliche Kriterien sind zum Beispiel das Raumvolumen, die Fahrtstrecke oder der Warenwert. Wir haben uns für eine Berechnung der Versandkosten auf Grundlage des Warenwerts entschieden, da dies aus Kundenperspektive die transparenteste Art und Weise ist. Grundsätzlich überprüfen wir dies aber in regelmäßigen Abständen. Sollten wir zu dem Ergebnis kommen, dass eine andere Option aus Kundenperspektive geeigneter ist, würden wir das System umstellen.
Unser Ziel ist aber auch, dass die Preise für ­eine Lieferung bei Online-Bestellung analog zu den Transportkosten bei einer Lieferung aus dem Einrichtungshaus sind.
com! professional: Aber sind Sie da wirklich konkurrenzfähig mit Anbietern wie Home24 oder wie Amazon, das ja durchaus auch Möbel-Ambitionen hegt und da mit einer anderen Preisstruktur angreift?
Möhring: Aktuell sind wir mit diesem Modell sehr erfolgreich. Aber natürlich machen wir uns Gedanken, wie wir in Zukunft noch besser werden können. Und wir nehmen natürlich auch wahr, was die Kunden erwarten. Von daher sind wir immer bemüht, Store-Erlebnis und Erlebnis auf der Webseite gleichermaßen zu entwickeln und zu verbessern.
Dass wir ein Multichannel-Retailer sind, sehen wir als große Stärke gegenüber unseren Mitbewerbern an, die reine Online-Händler sind. Wir kennen unsere Herausforderungen, blicken jedoch sehr optimistisch in die Zukunft.
com! professional: Schaffen Sie es, über den Online-Shop die Frequenz auf der Fläche zu steigern?
Möhring: Ja. Ikea.de spielt eine sehr wichtige Rolle in der Einkaufsvorbereitung. Neben klassischen Services wie dem Zugang zu unserem Sortiment oder einer Online-Verfügbarkeitsabfrage bieten wir mittlerweile auch Multichannel-Services wie Click & Collect.
com! professional: Im vergangenen Jahr wuchs Ikea im digitalen Handel in Deutschland um 30 Prozent. Was war denn da der Hebel?
Möhring: Unser Ziel ist es, den Kunden überall dort zu begegnen, wo sie uns treffen möchten: Das kann im Einrichtungshaus sein, das kann aber auch der Katalog oder das Smartphone sein. Die Kombination aus Online- und stationärem Handel, unterstützt durch unterschiedlichste Informations- und Serviceangebote, hilft uns, dieses Ziel zu erreichen. Wir sind noch nicht in allen Bereichen da, wo wir sein möchten, aber wir haben unsere Website und die Möglichkeit, bei Ikea online einzukaufen, kontinuierlich verbessert.
com! professional: Wie viel von Ikeas Digitalstrategie kommt aus Deutschland und wie viel wird zentral über Schweden gesteuert?
Möhring: Was die generelle Strategie angeht, gibt es eine globale Richtung. Das ist letztendlich unsere Multichannel-Strategie. Aber alles andere, wie wir lokal die Webseite weiterentwickeln und wie wir mit lokalen Erlebnissen im Einrichtungshaus umgehen bis hin zur digitalen Kommuni­ka­tion und den Maßnahmen, ist in lokaler Hand. Hier schauen wir uns genau an, was die Bedürfnisse unserer Kunden sind und welche Möglichkeiten die digitale Entwicklung für Ikea in Deutschland beinhaltet.
com! professional: Wie nutzen Sie Digitalisierung in den Stores?
Möhring: Aktuell liegt der Fokus auf unserer Ikea-Store-App, die als digitaler Begleiter durchs Einrichtungshaus fungiert. Da sind einige neue Features hinzugekommen. Der klassische Zettel und Bleistift, den jeder von Ikea kennt, wurde ergänzt durch eine Ikea-App. Und natürlich wird auch unsere Web­seite auch im Store verwendet. Das komplette mobile Erlebnis, wie Auffindbarkeit von Produkten, Planungs-Tools zur Einkaufsvorbereitung oder einfach die Info, in welchem Regalfach ich ein Produkt im Store finde, wird inzwischen über ­digitale Touchpoints gelöst. Zusätzlich gibt es stationäre digitale Touchpoints wie Produktfinder, die klassischen Planer, die auch dort verfügbar sind.
com! professional: Was sind Ihre größten Herausforderungen?
Möhring: Ikea bei den Gegebenheiten der digitalen Transformation zu begleiten und dabei die Mitarbeiter in den vielen Ikea-Einrichtungshäusern mitzunehmen und nicht auf der Reise zu verlieren. Das ist die größte Herausforderung, die wir haben. Ziel ist, dass jeder Mitarbeiter ein aktiver Teil der Veränderung ist.

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