Business-IT
02.09.2020
Kernkompetenz Technologie
1. Teil: „Darum muss jede Führungskraft Digital Leader werden“

Darum muss jede Führungskraft Digital Leader werden

Digital LeaderDigital LeaderDigital Leader
PopTika / shutterstock.com
Corona beschleunigt die Digitalisierung. Das fordert  gerade die Führungsetagen. Das Verständnis für neue Technologien muss bereits dort vorhanden sein und darf nicht nur delegiert werden.
  • Patrick Naef: "CIO der Dekade", Inhaber der Beratungsfirma ITvisor
    Quelle:
    Emirates
Eine durch die Corona-Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise scheint unvermeidlich. Alle Branchen leiden unter den Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Die Luftfahrt besonders.
Patrick Naef war von 2006 bis 2018 Konzern-CIO der Fluggesellschaft Emirates in Dubai und wurde 2011 von den Lesern des Magazins „CIO“ zum „CIO der Dekade“ gewählt. Heute begleitet Naef Organisationen bei der Digitalisierung, unterstützt Geschäftsleitungen bei IT-Themen und coacht IT-Führungskräfte. Er ist unter anderem Inhaber der Beratungsfirma ITvisor, Managing Partner beim Executive-Search-Spezialisten Boyden Switzerland und Verwaltungsratsmitglied der Franke Gruppe, einem weltweiten Anbieter von Lösungen etwa für Küchen, Waschräume und die Systemgastronomie.
com! professional: Wie gut funktioniert das Rekrutieren von Führungskräften in der Krise?
Patrick Naef: Derzeit arbeiten wir noch an Mandaten, die wir vor Beginn der Krise gewonnen haben. Entsprechend sind wir noch sehr gut ausgelastet. Das wird sich in den nächsten ein bis zwei Monaten ändern, wenn wir die Aufträge abschließen. Wie gewinnen zwar schon noch neue Mandate, aber viel weniger als vor der Krise.
com! professional: Sind die Unternehmen zurzeit weniger auf der Suche nach Führungskräften?
Naef: Ich denke es liegt vor allem daran, dass die Firmen generell weniger gewillt sind, in der aktuellen Krisensituation neue Führungskräfte anzustellen. Der Lockdown hat viele Firmen unvorbereitet erwischt und die Verunsicherung im Markt ist riesengroß. Die Geschäftsleitungen können weder planen, wie ihr Unternehmen in einem halben Jahr wirtschaftlich dasteht, noch welche Kompetenzen dann gefragt sind, um das Business wieder anzukurbeln. 
com! professional: Wie sieht Ihr Tagesgeschäft heute aus?
Naef: Wir haben Kunden erfolgreich Führungskräfte vermittelt, die sie noch nie persönlich getroffen haben. Die Gespräche dazu liefen online oder über Videokonferenz. Da wir noch an den vorhandenen Mandaten arbeiten, hat sich das Tagesgeschäft bis jetzt nicht groß verändert. Natürlich haben wir den Anforderungen des Lockdowns entsprochen und die
Angestellten ins Homeoffice geschickt. Allerdings ist bei der Führungskräfterekrutierung der Unterschied zwischen dem Arbeiten im Büro oder von daheim nicht groß. Die Option Homeoffice gab es schon vor dem Lockdown - und sie wurde auch häufig genutzt. Neu haben wir einen „Open Coffee Chat“, in dem wir uns online zum Plaudern treffen. Jeden Morgen um viertel vor zehn tauschen wir uns in der Videokonferenz über Gott und die Welt, die Haustiere und natürlich das Wetter aus. An dem großen Zuspruch lese ich ab, dass die Kollegen Freude haben an der virtuellen Kaffee-Ecke. Das Treffen geht maximal eine halbe Stunde. Auch die regelmäßigen Geschäftsmeetings finden nun über Videokonferenz statt.
Wenn wir allerdings ein Suchmandat mit einem Kunden diskutiert haben, waren wir bis jetzt immer vor Ort. Dort geht es ja nicht nur um die harten Fakten, sondern auch um „weiche“ Faktoren wie das Zusammenspiel des Teams, die Einbettung in die Kultur, die Organisation und die Strategie. In der jetzigen Situation war ich bei einigen meiner aktuellen Mandate seit dem Start allerdings nie mehr beim Kunden. Die Kommunikation erfolgt rein via Videokonferenz.
Mit dem Medium sind wir aber schon lange vertraut, insbesondere da wir ausschließlich auf Führungskräfte fokussieren. Solche Rekrutierungen laufen meistens international, sodass Video für die ersten Interviews sehr praktikabel ist. In der zweiten Runde, wenn dann der Kunde mit in die Gespräche einbezogen wird, gab es bislang stets ein persönliches Treffen. Übrigens auch in Corona-Zeiten, denn in einem großen Sitzungszimmer gibt es genügend Raum für den vorgeschriebenen Mindestabstand.
2. Teil: „Corona und die Kanditatensuche“

Corona und die Kanditatensuche

com! professional: Beeinflusst Corona die Kandidatensuche?
Naef: Ja. Genau wie die Unternehmen sind auch die Kandidaten sehr viel zurückhaltender. Bei internationalen Rekrutierungen hören wir schon ein ums andere Mal den Zweifel der Führungskräfte, ob sie ihren aktuell sicheren Job für eine neue Herausforderung in der Schweiz aufgeben sollen. Erst jüngst wollten wir einen Manager aus den Beneluxländern für einen Schweizer Kunden gewinnen. Die Verträge lagen im März schon zur Unterschrift bereit. Dann hat uns der Kandidat aber abgesagt aufgrund der unsicheren Lage bei der Rückreise zu seiner Familie am Wochenende. Mit geschlossenen Grenzen wie zuletzt wäre es für ihn nicht möglich gewesen, regelmäßig ins Ausland zu reisen.
Auf der anderen Seite bekommen wir mittlerweile Hunderte Zuschriften von Kandidaten, die sich beruflich „verändern“ wollen. Diese Führungskräfte haben jetzt häufig ihren Job schon verloren oder fürchten, ihn bald zu verlieren, und sind auf der Suche nach einer neuen Stelle.
com! professional: Sie besitzen Expertise in der Luftfahrt und der IT. Welche Rollen suchen Sie persönlich?
Naef: Alles im Digitalumfeld: vom IT-Leiter über den Head of Digital bis hin zum Verwaltungsrat und CEO. Denn mittlerweile registrieren die Unternehmen, dass Technologiekompetenz in allen Führungsgremien erforderlich ist. Digital wird zum strategischen Thema auch für den Verwaltungsrat. Beispielsweise konnten wir für einen Kunden aus dem Hospitality-Sektor einen Verwaltungsratspräsidenten gewinnen, der bei einer der großen US-Technologiefirmen angestellt ist. Er hilft dem Unternehmen nun bei der Transformation in die Sharing Economy - à la Airbnb und Uber.
com! professional: Sitzen Sie deshalb im Verwaltungsrat der Franke Gruppe?
Naef: Ja, auch. Der Inhaber wollte den Verwaltungsrat neu besetzen und ist auf mich zugekommen mit dem Ansinnen, für den Posten eine technologieerfahrene Person zu gewinnen. Denn auch in den Kaffeemaschinen und Küchen von Franke hält die Computertechnologie mittlerweile Einzug. Die Geräte werden mit Sensoren ausgestattet sowie mit dem Service vernetzt. Außerdem werden die mechanischen Teile immer mehr durch Elektronik und Software ersetzt. Der Besitzer von Franke hatte erkannt, dass die IT zum strategischen Baustein des künftigen Geschäftserfolgs werden kann. So weit sind noch längst nicht alle Unternehmen in der Schweiz.
com! professional: Wie sind die Verwaltungsräte heute typischerweise zusammengesetzt?
Naef: Oftmals bestehen die Leitungsgremien aus Experten in dem jeweiligen Industriezweig, meist einem Anwalt und einem Personalspezialisten sowie teilweise einem Investmentbanker respektive Finanzspezialisten. Das Technologie-Know-how fehlt in den Verwaltungsräten vielerorts noch.
com! professional: Erkennen die Schweizer Firmen, dass sie ein Defizit im Digitalbereich haben?
Naef: In den meisten Unternehmen erarbeitet die Geschäftsleitung die Strategie, die dann der Verwaltungsrat geneh­-migt - und die Umsetzung überwacht. Damit ist der Verwaltungsrat aber auch in der Verantwortung. Wenn hier die Technologiekompetenz fehlt, kann die Digitalstrategie der Geschäftsleitung noch so gut sein. Sie wird selten in dem heute erforderlichen Umfang umgesetzt.
So wird es in Zukunft nicht mehr genügen, Verantwortlichkeiten zu delegieren. Wenn sich bis jetzt die Fach­bereiche aus der Verantwortung gestohlen haben, indem sie die Technologie dem CIO überlassen haben, wird das in einem digitalisierten Unternehmen nicht mehr funktionieren. Dafür ist die Technologie mittlerweile zu kritisch für alle Dienstleistungen und Produkte. Mein Lieblingsbeispiel ist die Rekrutierung eines Chief Digital Officers.
3. Teil: „Chief Digital Officer (CDO)“

Chief Digital Officer (CDO)

com! professional: Danke für das Stichwort. Löst der Chief Digital Officer das Problem?
Naef: Nein, denn schon das Konzept ist meines Erachtens völlig falsch. Es wird von jeder Führungskraft erwartet, dass sie sich mit Finanzen und Personal auskennt. Genauso muss sie sich jetzt auch mit Technologie auskennen. Dieses Know-how darf nicht weiter delegiert werden - etwa an einen Chief Digital Officer. Vielmehr muss Technologie zur Kernkompetenz in allen Unternehmens­bereichen werden. Und jede Führungskraft muss selber zum Digital Leader werden.
com! professional: Das Umdenken hat eingesetzt. Denn die Notwendigkeit eines CDOs wurde schon intensiver diskutiert als derzeit.
Naef: Das kann ich aus meiner Praxis im Executive Search bestätigen. CDOs stellt heute so gut wie niemand mehr an. Allerdings ist die Bandbreite an Mandaten im Digital­bereich weiter sehr groß. Die einen suchen noch einen traditio­nellen CIO, der die Infrastruktur absichert und managt sowie das ERP-System betreibt. Auf der anderen Seite möchte ein Industriekonzern einen Leiter für das wachsende Digitalgeschäft anstellen. Der Konzern hat schon vor Jahren begonnen, eine digitale Plattform zu entwickeln, die alle physischen Produkte mit den digitalen Services verbindet. Der neue Head of Digital Business soll mit dem CTO das „alte“ und das „neue“ Geschäft weiterentwickeln und enger verzahnen.
com! professional: Gibt es Sparten, die besonders digitalisiert sind?
Naef: Aus meiner beruflichen Vergangenheit habe ich einen guten Einblick in die Finanzbranche. Die Sparte ohne ein physisches Gut ist eigentlich prädestiniert für die Digitalisierung. Sie handeln mit Informationen und die Prozesse dafür sind weitgehend digital. Allerdings arbeiten Banken immer noch wie vor einem halben Jahrhundert. Da werden Bankschalter betrieben, die von 9 bis 12 Uhr und noch von 14 bis 16 Uhr geöffnet sind. Hier stellt sich mir die Frage, welcher Berufstätige zu diesen Zeiten eine Filiale besuchen kann. Die wenigsten, denke ich. Wer auf Online-Banking ausweicht, kann am Wochenende regelmäßig seine Geschäfte auch nicht erledigen, weil Banken dann ihre Systeme warten. Das Paradigma einer Bank, auf den Öffnungszeiten zu bestehen und die Kunden dahingehend zu erziehen, ist längst nicht mehr zeitgemäß. Ansonsten könnte der Online-Versender ebenfalls argumentieren, er schalte den Web-Shop am Sonntag ab, denn die Läden sind ja auch geschlossen.
Banken können es sich zudem noch leisten, ein Filialnetz zu unterhalten mit Standorten an attraktiven und damit auch teuren Lagen. Auf die Frage nach den Besucherzahlen ist zu hören, dass viele ältere Kunden regelmäßig an den Schalter gehen. Ob mit der älteren Kundschaft aber ein zukunftsfähiges Geschäft zu planen ist, darf bezweifelt werden. Die zukunftsträchtigen jungen Kunden wählen heute eher Neon oder Revolut. Sie haben weder Filialen noch Öffnungszeiten. Um auch diese Kunden zu gewinnen, rate ich den Banken: Kommt von eurem hohen Ross herunter. Und holt die IT aus dem Hinterzimmer in die strategischen Gremien, denn das Bankgeschäft ist reine IT.
4. Teil: „Airline-IT bei der Digitalisierung“

Airline-IT bei der Digitalisierung

com! professional: Wo steht die Airline-IT bei der Digitalisierung?
Naef: Die Luftfahrt leidet wie die Banken an althergebrachten Prozessen und Strukturen. Beispiel Interline Settlement: Wenn ein Kunde ein Flugticket bei der Swiss bucht, aber nicht alle Flüge von ihr durch­geführt werden, bekommt die andere Gesellschaft einen Teil des Ticketpreises erstattet. Für diese Erstattung betreibt die IATA (International Air Transport Association) ein Clearing House, das den Anteil des Ticketpreises errechnet und der Swiss in Rechnung stellt. Ist der Betrag überwiesen, bekommt die andere Fluggesellschaft das Geld. Diese ganze Organisation ist extrem aufgebläht: Allein für dieses Clearing House arbeiten vermutlich Hunderte von Leuten. Ein Interline Settlement kann schon mal zwei bis drei Wochen dauern, bis das Geld überwiesen ist. Dabei sind die Regeln eigentlich klar definiert und zwischen einigen Fluggesellschaften gibt es auch noch bilaterale Verträge, die den Prozess beschleunigen sollten. Sie tun es aber nicht.
com! professional: Welche Alternative gibt es?
Naef: Während meiner Tätigkeit bei Emirates hatte ich mit zwei weiteren Airlines - Flydubai und Quantas - einen Pilot lanciert: Die Interline-Regeln wurden in Smart Contracts in einer Blockchain-Plattform eines Start-ups abgebildet. Die Lösung erlaubte uns das Interline Settlement in Echtzeit und ohne weiteren Aufwand oder Administration. In dem Moment, in dem das Flugzeug gelandet war, wurde automatisch ein digitaler Vertrag eingelöst und das Geld virtuell von einem Wallet auf das andere gebucht. Die Blockchain hat den Intermediär - das Clearing House der IATA - vollkommen überflüssig gemacht. Als wir die Plattform allerdings propagieren und für andere Airlines öffnen wollten, hat sich die IATA dagegen gewehrt. Denn sie verdienen natürlich viel Geld mit dem Betrieb des Clearing Houses. Nun ist aber der Proof of Concept vorhanden, sodass es eine Frage der Zeit sein dürfte, bis der Widerstand gebrochen ist. Denn in der Luftfahrtindustrie wird viel Geld für ineffiziente Prozesse und Strukturen verschwendet.
com! professional: Welches Szenario sehen Sie für die Luftfahrtindustrie und ihre IT nach der Krise?
Naef: (seufzt) Ich mache mir große Sorgen um die Luftfahrt. Schon kurz nach dem Lockdown standen viele Airlines vor dem Aus. Denn eine Gesellschaft finanziert ihren Tagesbetrieb mit den Geldern, die sie aus dem Ticket­verkauf für die zukünftigen Reisen einnimmt. Die Kosten kann man typischerweise nicht rasch genug senken. Das partielle Groun­ding der Flotte und die Kurzarbeit der Angestellten halfen dabei nur eingeschränkt.
com! professional: Wenn die Flieger wieder abheben - dann mit immens hohen Ticketpreisen?
Naef: Das ist schwierig abzuschätzen. In der Vergangenheit war es so, dass eine Airline hauptsächlich Geld mit den Optimierungsprozessen für die Ticketpreise verdiente. Sprich: Zu welchem Zeitpunkt biete ich welchen Sitzplatz zu welchem Preis an? Die Fluggesellschaften betreiben für die Kalkulation komplexe IT-Systeme. Traditionell wird hier mit linearen Optimierungsmodellen gearbeitet, wobei Faktoren wie saisonale Nachfrage, Schulferien oder Konferenzen einbezogen werden. Zuletzt bahnte sich hier ebenfalls ein Wandel an. Denn es lassen sich Machine-Lear­ning-Algorithmen konstruieren, die weit bessere Resultate liefern als die traditionellen linearen Optimierungs­systeme. Und hier können noch zusätzliche Faktoren, etwa Aktivitäten auf Social Media, einbezogen werden. Start-ups wie Flyr Labs sind mit ihren Algorithmen den traditionellen Methoden massiv überlegen. Andere Start-ups wenden ähnliche Machine-Learning-Konzepte an, um den optimalen Preis für die Kunden vorauszusagen. Die Konsumenten können sich die Differenz erstatten lassen, wenn sie zu einem ungünstigen Zeitpunkt zu viel bezahlt haben. 
com! professional: Welche Rolle spielt die Firmen-IT beim Übergang in die Normalität?
Naef: Erste Anzeichen für die bedeutendere Rolle der IT in der Zeit nach Corona sehen wir schon: Das Zahlen geschieht heute viel häufiger bargeldlos oder sogar kontaktlos als noch vor dem Lockdown. Geld wird nun auch noch virtualisiert, wie schon so vieles andere nicht mehr als physisches Objekt existiert. Meine These ist, dass in Zukunft noch viel mehr Gegenstände virtualisiert werden. Jedes Objekt, das Information aufnimmt, jedes, das Information speichert, jedes, das Information verarbeitet und jedes, das Information anzeigt, hat das Potenzial, durch ein digitales Pendant ersetzt zu werden. Bei der Kamera, der Banknote, der Rechenmaschine und dem Flugticket ist die Virtualisierung schon geschehen.
5. Teil: „Übergang in die virtualisierte Zukunft“

Übergang in die virtualisierte Zukunft

com! professional: Können CIOs das Geschäft so gut unterstützen, dass der Übergang in die virtualisierte Zukunft gelingt?
Naef: Leider gibt es darauf keine allgemeingültige Antwort. Nur zu gerne würde ich sagen: Ja, alle CIOs können das Geschäft adäquat bei der digitalen Transformation unterstützen! Tatsächlich sind sehr viele meiner (früheren) Kollegen eifrig dabei, ihre Unternehmen für die Zukunft aufzustellen.
Andere CIOs wähnen sich auf verlorenem Posten, weil sie nur als Kostenfaktor betrachtet werden und sich vom Business nicht ernst genommen fühlen. Wenn die Prioritäten für 2020 sind: stabiler Betrieb und Kostendämpfung, ERP-Upgrade und Cybersicherheit, dann muss sich kein IT-Leiter wundern, dass er weiterhin an den Finanzchef berichtet und die IT als nicht strategisch betrachtet wird.
Sie kann ich aber ermutigen, da ich bei Emirates in der gleichen Situation war. Mein Chef war der CFO. Als ich aber die IT aufgeräumt und das Business in die Governance involviert habe, hat der Präsident mich schnell in die Geschäftsleitung geholt. Ich befürchte jedoch, einigen CIOs fehlt der Mut zum Wandel oder das Vertrauen in ihre Fähigkeiten.
com! professional: Wie lockt man traditionelle CIOs aus der Reserve?
Naef: Meine Strategie ist, Veränderungen mit den eigenen Leuten zu schaffen. Berater gehen ebenfalls so vor. Sie sprechen zuerst mit der Belegschaft und sammeln dort die besten Ideen ein. Dann gießen sie die Erkenntnisse in schicke Power­Point-Folien und präsentieren sie so, als wären es ihre eigenen Ideen. Wenn das Management an die Berater glaubt und dann die Veränderungen diktiert, können sich beide dem Widerstand der Mitarbeiter gewiss sein. Denn nun will jemand anderes die Lorbeeren einheimsen für ihre Ideen. Die Krux bei Transformationsprojekten liegt ja bei der Umsetzung. Es geht vor allem darum, dass die Veränderungen der Kultur, der Werte, der Prozesse und Arbeitsweisen in der Belegschaft angenommen werden. Da helfen schöne PowerPoint-Folien herzlich wenig. Es geht darum, die Belegschaft, das heißt die Menschen zu mobilisieren und den Veränderungsprozess nicht in einem Push-Model Top-down aufzuzwingen, sondern in ein Pull-Model Bottom-up von der Belegschaft herbeizuführen. Wer direkt auf die Belegschaft hört, kann sich einer breiten Unterstützung sicher sein. Allerdings muss ich auch die Frage in den Raum stellen, ob ein „traditioneller“ CIO fähig ist für einen solchen Wandel. Jemand, der sich jahrelang nur mit Infrastruktur und Kostenoptimierung beschäftigt hat, wird sich vermutlich sehr schwertun damit, seine Abteilung neu zu posi­tionieren. Aber genau das müssen CIOs jetzt tun. Weil IT dermaßen strategisch geworden ist, kann sie nicht mehr nur in Eigenregie betrieben werden.
com! professional: Muss IT überall zum Kern des Geschäfts werden?
Naef: Genau. Die IT wird zum Business. Für den CIO bedeutet das, dass er seine mühsam aufgebaute Herrschaft über die Informatik nun abtreten muss an die Fachbereiche. Seine neue Rolle ist die des Enablers, eines Coaches. Auf den ersten Blick verliert er seine Macht, wenn der Erfolg im Unter­nehmen weiter nur über die Mitarbeiterzahl und Budget­größe definiert wird. Auf den zweiten Blick hat er anschließend einen viel größeren Einfluss, da die IT ja nun das Business selbst ist.

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