02.07.2019
Neue Rollen
1. Teil: „Der CIO wird vom Broker zum Piloten“
Der CIO wird vom Broker zum Piloten
Autor: Reinhard Riedl
Vladimir Pachenko / shutterstock.com
Auf den Chief Information Officer kommen in Zukunft ganz neue Aufgaben zu. Es liegt am CIO, Kenntnisse über die verwendete IT zu schaffen. Daran muss er sich unter anderem in Zukunft messen lassen.
Cloud-Dienste und Standard-Software werden auch in Großunternehmen immer mehr zur Normalität. Zudem gehört zur modernen Datenbewirtschaftung, dass externe Daten eingekauft und interne Daten als Dienstleistung nach außen verkauft werden. CIO-Teams verwenden zwar den Broker-Begriff selten, haben ihn aber verinnerlicht. Manche prophezeien sogar, dass von den Aufgaben der internen IT nur der Broker-Job übrig bleiben wird. Technik würde im Aufgabenportfolio des CIOs nur mehr eine geringe Rolle spielen.
Vor 15 Jahren gab ich der Schweizer Zeitschrift „Computerworld“ ein Interview zur Rolle des Chief Information Officers (CIO). Die Blattmacher verdichteten es zur Schlagzeile „Der CIO der Zukunft ist ein Broker“. Seither hat sich sehr vieles verändert. Microservices-Architekturen, DevOps und Low-Code-Plattformen sind einige der wichtigsten Innovationen der vergangenen Jahre. Die einstige Prognose hat sich aber zumindest teilweise bewahrheitet: Heute werden viel weniger IT-Ressourcen intern bereitgestellt als früher. Externe Ich sehe das anders. Erstens steht die große Zeit von Informatik und Mathematik erst bevor. Zweitens wird in großen Teilen der Volkswirtschaft - und insbesondere im dynamischen Dienstleistungssektor - die CIO der Zukunft nur sekundär eine IT-Brokerin sein. Primär wird sie Vermittlerin von IT, Coffin-Corner-Spezialistin und unorthodoxe Qualitätsfundamentalistin sein müssen. Und sie wird daran gemessen werden, wie sehr sie die digitale Transformation inspiriert. Gleiches gilt natürlich auch für die männlichen CIOs, die wohl auch in Zukunft in der Mehrheit sein werden.
IT-Vermittlung
Vermittlung ist eine Fachdisziplin, die ursprünglich im Bereich der Museen und der Kunst entstand. Gut ausgeführt schafft sie Interesse, Verstehenwollen und letztlich ein Begreifen des Vermittelten. IT-Vermittlung muss den Menschen vor allem Software nahebringen. Denn Software ist anders: Sie widerspricht sehr vielen Annahmen, von denen Menschen in unserem Kulturkreis in Bezug auf Maschinen ausgehen.
Und sie widerspricht der etablierten Managersicht auf maschinelle Ressourcen. Nicht selten ist das Anwenden selbstverständlicher Managementkonzepte und das Befolgen scheinbar „logischer“ Handlungsprinzipien das Dümmste, was man mit Software tun kann - etwa wenn man „nachhaltig“ mit „dauerhaft“ oder „langer Nutzung“ gleichsetzt. Denn Applikationen werden und müssen laufend um zusätzliche Funktionen ergänzt, an Veränderungen im Betriebsablauf angepasst oder mal durch eine neue Lösung vorzeitig komplett ersetzt werden.
Wegen der Andersartigkeit von Software genügt es nicht, einfach Messungen und Checklisten einzuführen. Es ist zusätzliche Vermittlungsarbeit notwendig, die ein Begreifen der Zusammenhänge fördert. Diese Arbeit muss zuallererst auf der Ebene der Geschäftsleitung geschehen. Mittelfristig sollte sie aber für alle höheren und mittleren Kader eines Unternehmens stattfinden, am besten sogar für alle Mitarbeiter.
2. Teil: „Coffin-Corner-Manager“
Coffin-Corner-Manager
Wandel erfolgreich durchzusetzen und Innovationen auf den Boden zu bringen, sind offensichtlich wichtige Aufgaben des CIOs. Doch wichtiger als die klassischen Tugenden wird es künftig sein, durch das Entwickeln kreativer Ideen und durch gute Zusammenarbeit kritische Situationen zu meistern. Ein Vergleich mit dem Fliegen macht dies verständlich. Wer wenig darüber weiß, fürchtet sich beim Start. Wer mehr weiß, hat eher Angst bei der Landung. Wirklich gefährlich ist aber der sogenannte Coffin Corner, wenn sich in großer Flughöhe das Intervall zwischen minimaler und maximaler Geschwindigkeit schließt. Fliegt man nur etwas zu langsam oder ein wenig zu schnell, stürzt man unweigerlich ab. Im Coffin Corner geht also der Spielraum für ungenaue Entscheide und Handlungen verloren. Plötzlich kommt es darauf an, sehr genau das Richtige zu tun. Sicher durch den Coffin Corner zu steuern, heißt, das Weiterleben zu sichern - das gilt für Unternehmen ebenso wie für die Fliegerei.
Im Coffin Corner sind andere Führungseigenschaften gefragt als in unkritischen Situationen. Meist braucht es zwei komplementäre Kompetenzen: den kreativen Umgang mit sachlicher Komplexität und die Fähigkeit, bei Kollegen proaktiv Unterstützung zu finden. Hierfür muss man reflektiert denken, Ideen entwickeln und soziale Vernunft sowie Empathie an den Tag legen können. Natürlich sollte man Coffin Corners ohne Not vermeiden, doch in der digitalen Transformation ist dies oft nicht möglich. Wer zu früh, zu langsam oder zu kostspielig agiert, den bestraft der digitale Umbruch. Früher gingen erfolgreiche Firmen unter, wenn sie zu extrem agierten - zu sozial oder zu unternehmerisch aggressiv, zu ressourcenorientiert oder zu ideenorientiert, zu divers oder zu gleichartig. In Zukunft werden in vielen Märkten nur noch extreme Geschäftsmodelle erfolgreich sein. Der Coffin Corner wird viel häufiger durchsteuert werden müssen - mit dem CIO und seinem Team in einer Schlüsselrolle.
Qualitätsfundamentalismus
Qualitätsmanagement verlangt in der Praxis zwei Arten von Wissen: das Wissen um richtiges Handeln unter optimalen Bedingungen und das Verständnis für pragmatische Abstriche vom richtigen Handeln unter realen Bedingungen. In der operativen IT-Praxis sollte man nur dort über Verbesserungen im Qualitätsmanagement nachdenken, wo sich Probleme ergeben. Hingegen sollte das Qualitätsmanagement bei IT-Projekten bei der Vorbereitung ganz vorn stehen - als Startpunkt für jede Ressourcenplanung.
Im Digitalisierungskontext ist ein unorthodoxer „Qualitätsfundamentalismus“ notwendig. Fundamentalismus steht hier für konsequentes kontextabhängiges Entscheiden und Umsetzen, aber auch für die Durchsetzung von Maßnahmen wie Verifizierung und Validierung. Beim Qualitätsfundamentalismus gilt es, auf der Basis von Geschäftsmodell, Nebenwirkungen und Risiken Maß zu halten. Zu viel Qualität ist zu teuer, zu wenig zu riskant und die falsche Art fördert den Crash.
3. Teil: „Neue Mitarbeiter, mehr Vielfalt“
Neue Mitarbeiter, mehr Vielfalt
Zwei Mitarbeiter im CIO-Team haben zuletzt stark an Profil gewonnen: der Chief Digital Officer (CDO) und der Chief Technology Officer (CTO). Der CDO ist verantwortlich für Vorreiterprojekte und für Experimente in Sachen digitale Transformation - und bereitet so die Zukunft des Unternehmens vor. Die Kernkompetenzen müssen dabei im Betriebswirtschaftlichen liegen, ergänzt durch ein profundes Verständnis der IT als Enabler. Die Rolle des CTOs ist verantwortlich für die Technologiestrategien, für gute Arbeitsumgebungen, eine adäquate fachliche Weiterbildung der IT-Mitarbeiter und für zukunftsfitte Organisationsstrukturen. In Unternehmen, die noch nicht auf Microservices und DevOps umgestiegen sind, muss zudem der technologische und organisatorische Wandel geleitet werden. Das dient ebenfalls einer nachhaltigen Zukunftssicherung, ist aber viel techniknäher als die Aufgabe des CDOs. Die CTO-Rolle verlangt zwar auch BWL-Wissen, vor allem aber echte Leidenschaft für die Informatik.
Zur CIO-Rolle gehört, das Team aufzubauen und Brücken zum Business zu schlagen, wo dieses in die Reorganisation involviert werden muss. Die Funktion ähnelt mal der eines Sport-Coaches, mal der eines Dirigenten. Sie verlangt ein tiefes Verständnis des großen Ganzen, Empathie und Kreativität, technische und betriebswirtschaftliche Visionen, eine stringente Situationsanalyse und die Fähigkeit zum Inspirieren. Das geht nicht ohne Individualität.
Deshalb wird es unter CIOs sehr viel mehr Vielfalt geben - von der Elternfigur über die klassischen Technikmanager bis zu den schwer fassbaren Genies, die durch unverrückbare Konsequenz oder pure Kreativität für sich begeistern. Dagegen wird die Nachfrage nach CIOs, die nicht angreifbar sind und sich sozial in der Geschäftsleitung gut einfügen, massiv zurückgehen. CIOs mit ungewöhnlichen Stärken bringen einem Unternehmen mehr als solche ohne Schwächen.
Was wäre, wenn …
Was wäre, wenn die Thesen in diesem Beitrag richtig wären? Dann müssten sich CIOs danach beurteilen lassen, wie gut die Geschäftsleitungsmitglieder Software verstehen, wie oft sie unmögliche Aufgaben bewältigt haben und wie umfassend sie Qualität messen. „No way - unmöglich!“ ist darauf vermutlich die erste Reaktion jedes CIOs. Doch das wäre vorschnell: Man muss in diesen Kriterien nicht perfekt abschneiden. Es genügt, zu den Besten zu zählen. Und das ist derzeit noch gar nicht so schwer.
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