Business-IT
09.03.2020
Best Practice
1. Teil: „Agile Organisation als neues Betriebssystem“

Agile Organisation als neues Betriebssystem

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Unternehmen müssen einige Hürden überwinden und neue Wege einschlagen, um agiler zu werden. Dabei müssen zentrale Erfolgsfaktoren sowie Risiken berücksichtigt werden.
  • Reifegrad an Agilität: Führungskräfte attestieren dem eigenen Unternehmen häufiger ein hohes oder sehr hohes Maß an Agilität als die Mitarbeiter.
    Quelle:
    „Future Organizations Report“, Campana & Schott / Universität St. Gallen (n = 517)
In der IT zählen agile Methoden längst zum Standard. Mit ihnen können Produkte rasch entwickelt und laufend angepasst werden. Diese Vorteile entdecken auch immer mehr Anwenderunternehmen für sich, um sich schneller auf die Erfordernisse am Markt einzustellen, Kunden stärker ins Zentrum ihres Handelns zu stellen und Mitarbeiter zu fördern.
Wie solche Unternehmen arbeiten und worauf es bei der Transformation zur agilen Organisation ankommt, haben das Beratungsunternehmen Campana & Schott und das Institut für Wirtschaftsinformatik die Universität St. Gallen im „Future Organization Report 2019“ für den DACH-Raum untersucht. Dafür nahmen 517 Führungskräfte und Mitarbeiter in Unternehmen, die bereits agil arbeiten, an einer Online-Befragung teil. 22 Interviews beleuchteten, welche Chancen und Risiken Agilität aus Sicht von Top-Entscheidern, Führungskräften und Mitarbeitern birgt. 
Die zentrale Aussage des Reports lautet: Viele Unternehmen im DACH-Raum arbeiten schon mit agilen Methoden wie Scrum oder Kanban (doing agile). Aber Agilität ist noch nicht in den Köpfen der Mitarbeiter oder in der Unternehmenskultur ver­ankert (being agile). Daran zu arbeiten lohnt sich aber, denn die Studie belegt einen Zusammenhang zwischen dem Grad an Agilität und der Unternehmens­leistung.

Drei Erfolgsfaktoren

Dem Report zufolge gibt es für die agile Transformation drei Erfolgsfaktoren: ein unternehmensweites Bewusstsein für die Veränderung, ein organisationales Engagement der Mitarbeiter und ein förderndes Verhalten der Führungskräfte.
Bewusstsein für die Veränderung: Während viele Unternehmen bereits agile Methoden in einzelnen Abteilungen ein­setzen, fehlt ein unternehmensweites Bewusstsein dafür. Es mangelt häufig an einem übergeordneten Zielbild, an dem alle Abteilungen - unabhängig von ihren jeweiligen Arbeitsweisen - ihr Handeln ausrichten können. Entsprechend lassen sich die anspruchsvollen Ziele in Verbindung mit Agilität häufig nicht oder nur ungenügend realisieren. Um eine höhere Durchgängigkeit zu erreichen, steigert eine offene Darstellung, wer warum wo­ran arbeitet, die Motivation der Mitarbeiter und ermöglicht eine bessere Priorisierung der Aufgaben. Dies erhöht die Geschwindigkeit und Effizienz bei der Entscheidungsfindung und Umsetzung der Projekte. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass ein Teil der Mitarbeiter in der erhöhten Transparenz die Gefahr unerwünschter Kontrollen sieht. Diese Bedenken sind frühzeitig zu erkennen und durch umfassende Aufklärung auszuräumen.
Engagement der Mitarbeiter: Den Teammitgliedern ist durchaus bewusst, dass für agile Arbeitsweisen neue Fähigkeiten nötig sind. Die Umfrage zeigte auf, dass sich 81,2 Prozent der Teilnehmer für ihre aktuellen betrieblichen Aufgaben gerüstet fühlen. Gleichzeitig glauben allerdings 75,4 Prozent der Befragten, dass der weitere Aufbau neuer Fähigkeiten essenziell ist. Auch Teamarbeit wird als wichtig für die Agilität erachtet. Ein Drittel der Mitarbeiter ist überzeugt, dadurch erfolgreicher zu sein (30,5 Prozent). Diese Gruppe betont die Bedeutung einer notwendigen Abstimmung (48,5 Prozent) sowie Diskussion im Team (30,4 Prozent). Zudem greift sie gerne auf die Hilfe von Kolleginnen und Kollegen zurück (32,8 Prozent).
Verhalten der Führungskräfte: Die Studie ergab außerdem, dass Führungskräfte eine besondere Vorbildfunktion im Rahmen der agilen Trans­formation einnehmen. In der Praxis geben Führungskräfte bereits in vielen agilen Unternehmen einen großen Teil der Verantwortung ab. Sie schaffen Freiräume für die Mitarbeiter und fördern die ganzheitliche Zusammenarbeit, Kommunikation und Entscheidungs­findung auf Augenhöhe - also unabhängig von der Position im Unternehmen. Ein Drittel der Befragten (33,5 Prozent) bestätigte, dass ihre Führungskraft sie zur Bewältigung ihrer agilen Arbeits­tätig­keiten befähigt. Von den Um­­frageteilnehmern werden knapp zwei Drittel zur Eigen­initiative motiviert (65,7 Prozent), erhalten mehrheitlich Befugnisse (64,6 Prozent) und blicken größtenteils positiv in die Zukunft (60,9 Prozent). Entsprechend können sie ihre Arbeit auch weitgehend selbstbestimmt gestalten (60,2 Prozent).
2. Teil: „Risikofaktoren“

Risikofaktoren

  • Selbsteinschätzung: Fast die Hälfte der Führungskräfte hält sich für sehr agil, von den Mitarbeitern dagegen ist nur ein Viertel der Meinung, sehr agil zu sein.
    Quelle:
    „Future Organizations Report“, Campana & Schott / Universität St. Gallen (n = 517)
Die größten Risiken sind laut Studie eine inkonsequente Umsetzung der Transformationsprozesse, mangelnder Wandel der Unternehmenskultur und eine unzureichende Fehlerkultur.
Inkonsequente Umsetzung: Hemmend für die agile Trans­formation eines Unternehmens wirkt sich vor allem eine halbherzige Umsetzung der Abläufe aus. Häufig lassen sich die Fortschritte im Transforma­tionsprozess nicht oder nur schwer nachvollziehen, da keine Roadmap, Zwischenziele oder angestrebte Ergebnisse festgehalten werden. Agilität muss dabei nicht zwingend über eigene KPIs gemessen werden, sondern dient dazu, andere Ziele besser zu erreichen. Jedoch ist eine Überprüfung und Anpassung der bisherigen KPIs nötig, da agile Organisa­tionen andere Rahmenbedingungen schaffen als klassisch strukturierte Unternehmen.
Mangelnder Kulturwandel: Viele Unternehmen glauben, dass sie mit der Einführung von Scrum auf Projektebene oder SAFe in der Organisation schon agil geworden sind. Doch dies führt nicht automatisch zum Umdenken, wenn es um Themen wie Kundenzentrierung und bereichsübergreifende Zusammenarbeit geht. Tatsächlich muss Agilität in der Unternehmenskultur verankert werden. Ein Teil der Mitarbeiter ist für diese neuartige Flexibilität eventuell nicht bereit. Daher sollten Unternehmen Agilitätsziele in ihre Vision integrieren und allen Beteiligten eine klare Richtung vorgeben, sie zur Teilnahme motivieren und bei der Transformation ihrer Arbeitsprozesse unterstützen. Eine offene Kommunikation, externe Coaches und die Berücksichtigung sensibler Bereiche können helfen, Widerstände abzubauen und Skeptiker im Unternehmen zu halten. So wünschen sich etwa 36,1 Prozent der befragten Mitarbeiter Team-Recruiting, wollen also an der Auswahl von neuem Per­sonal in ihrem Team beteiligt sein. An Probearbeitstagen könnte etwa die Zusammenarbeit und Harmonie mit dem Team getestet werden. Das vermeidet Frustrationen oder Probleme mit neuen Arbeitskräften.
Unzureichende Fehlerkultur: Jeder zweite Studienteilnehmer kann Probleme intern nicht ansprechen. Nur 30,5 Prozent fühlen sich sicher, wenn sie ein Risiko ein­gehen - und nicht einmal jeder Fünfte glaubt, er könne Kollegen ungefährdet um Hilfe bitten (13,9 Prozent). Hier müssen Führungskräfte eine Kultur vorleben, die Mitarbeiter motiviert, Ideen auszuprobieren und ein mögliches Scheitern früh zu erkennen. Dies führt zu ergebnisoffenen und effizienteren Innovationen.

Fazit & Ausblick

Unternehmen arbeiten schon heute in Projekten oder Bereichen agil, sind es aber noch nicht durchgehend. Entscheider müssen daher - unter Berücksichtigung zentraler Erfolgsfaktoren und Risiken - ein agiles Mindset entwickeln und in der Unternehmenskultur verankern. Das braucht Zeit. Doch erhöhen sich mit jedem erfolgreichen Schritt die Teamorientierung, die Leistung, die Arbeitszufriedenheit und die psychologische Sicherheit der Mitarbeiter. Und: Je weiter die Transformation voranschreitet, desto flexibler können Unternehmen auf Kundenbedürfnisse und sich verändernde Marktbedingungen reagieren, um im Wettbewerb zu bestehen.
3. Teil: „Im Gespräch mit Fabrizio Giaquinto von Cam­pana & Schott Schweiz“

Im Gespräch mit Fabrizio Giaquinto von Cam­pana & Schott Schweiz

  • Fabrizio Giaquinto: Sales Manager bei Cam­pana & Schott Schweiz
    Quelle:
    Cam­pana & Schott
Schnellere Betriebsabläufe, mehr Flexibilität, transparente Entscheidungswege: Agile Me­thoden sind beliebt, aber nicht für alle Unternehmensbereiche geeignet. Warum sich der Aufbau agiler Organisa­tionen dennoch lohnt, erläutert Fabrizio Giaquinto, Sales Manager beim Beratungsunternehmen Campana & Schott Schweiz.
com! professional:  Müssen in Zukunft alle Unternehmen agile Organisationen werden?
Fabrizio Giaquinto: Nein, selbst agile Organisationen sind dies meistens nicht in allen Bereichen, sondern nur in bestimmten. Zum Beispiel ist die Rechtsabteilung häufig so stark reguliert, dass sie gar nicht agil werden kann. Produktentwicklung und Marketing profitieren dagegen oft von agilen Prozessen. Wichtig ist es, einen konkreten Nutzen aus der Agilität zu ziehen.
Unternehmen sollten aber in allen Bereichen ein agiles Mindset, Zusammenarbeit, Innovationsbereitschaft und Kundenorientierung fördern.
com! professional: Können Sie Beispiele von Unternehmen nennen, die zwar agil arbeiten, aber keine klassischen IT-Unternehmen sind?
Giaquinto: Ja, auch wenn hier ebenfalls gilt, dass meist nicht das gesamte Unternehmen, sondern nur ein Teil davon wirklich agil ist. In der Schweiz nutzen zum Beispiel Swisscom, PostFinance oder Novartis nicht nur agile Methoden, sondern fördern auch ein agiles Mindset.
com! professional: Viele agile Methoden kommen aus der IT, inwieweit sind Führungskräfte aus Fachabteilungen und dem Top-Level-Management überhaupt fit auf diesem Gebiet?
Giaquinto: Das ist stark vom Unternehmen abhängig. Führungskräften kommt eine Hauptrolle für den Erfolg der agilen Transformation zu. Doch sie fürchten häufig Macht­verlust, wenn sie die Mitarbeiter empowern. Sie müssen aber Vorbilder sein und die Mitarbeiter nicht nur am Anfang, sondern kontinuierlich auf die Reise mitnehmen. Hier sollte die Unternehmensleitung Ängste nehmen und konkrete, nachvollziehbare Ziele ausgeben. Wichtig ist jedoch auch zu beachten, dass Agilität mehr bedeutet, als nur Methoden und Tools einzuführen. Agilität ist im Wesentlichen eine Einstellungssache.
com! professional: Benötigen wir dafür neue Führungsmodelle und wie müssten diese konkret aussehen?
Giaquinto: Ja, neue Führungsmodelle sind nötig, aber der Wandel wird wohl schrittweise erfolgen. So sollten Führungskräfte stärker Ziele vorgeben und nicht einfach Aufgaben delegieren: den Mitarbeitern mehr Freiraum geben. Neben Führungskräften kann Agilität durch weitere Kompetenzträger im Unternehmen eta­bliert werden. Über die gesammelten Erfahrungen sollte man sich in Communities austauschen, um auch so den bereichsübergreifenden Austausch zu fördern.
com! professional: Laut Ihren Ergebnissen ist nur ein Drittel der Mitarbeiter von den Vorteilen der Teamarbeit überzeugt. Was müssten CEOs diesbezüglich unternehmen?
Giaquinto: Viele Mitarbeiter haben aufgrund der bestehenden Strukturen und Kultur noch gar keine Erfahrung mit offener, sich gegenseitig bestärkender Teamarbeit. Bei der genannten Zahl ist großes Potenzial. Die CxOs sollten Agilität vorleben, um die Mitarbeiter mitzunehmen. Abstimmung im Team, Transparenz über aktuelle Tätigkeiten, Austauschmöglichkeiten schaffen, das sind wichtige Punkte. Es darf beispielsweise keine Angst vor „blöden Fragen“ oder Fehlern geben.
com! professional: Insbesondere die mangelhafte Fehlerkultur ist einer der größten Bremsklötze auf dem Weg zu einer agilen Organisation. Welchen Ansatz empfehlen Sie?
Giaquinto: Statt Aufgaben vorzugeben, sollte eine Kultur des Ausprobierens entstehen. Auch frühzeitig erkennen und einräumen, wenn eine Maßnahme nicht das gewünschte Resultat bringt. Führungskräfte müssen diese Kultur zunächst selbst verinnerlichen, um die Mitarbeiter dazu zu ermutigen, Neues auszuprobieren - ohne Angst vor Schuldzuweisungen oder persönlichen Konsequenzen.
com! professional: Mit welchen „low hanging fruits“ kann man starten, um sein Unternehmen auf Agilität zu trimmen?
Giaquinto: Im ersten Schritt muss man ein agiles Mindset fördern. Offene Kommunikation und Austausch sind etwa schon mit regelmäßigen Kurzmeetings möglich. Lieber öfter und dafür kürzer. Hier berichten verschiedene Abteilungen über ihre aktuellen Projekte. So erhalten Mitarbeiter Impulse aus anderen Bereichen und die Hemmschwelle zur Zusammenarbeit sinkt. Erst müssen Unternehmen diese Grundstimmung schaffen, bevor sie weitere Schritte und Methoden wie Gamification oder Scrum einsetzen.
com! professional: Wie können dann die nächsten Schritte aussehen?
Giaquinto: Darüber hinaus gilt es, in allen Bereichen kundenzentrierte Denkmuster zu festigen. Jeder Mitarbeiter sollte die Empfänger der Leistung, die er erbringt, kennen und seine Aktivitäten mehrwertorientiert daran ausrichten. Dies hat zugleich einen direkten wirtschaftlichen Impact. Zudem sind Erfolge offen zu kommunizieren: Wo wurde eine besonders kundenfokussierte Lösung entwickelt oder die Time-to-Market reduziert? So erhöht sich die Akzeptanz der Mitarbeiter für agile Prozesse.

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