Mobilfunk
08.04.2022
Vorschau auf die nächste Mobilfunkgeneration
1. Teil: „6G – was kommt auf uns zu?“

6G – was kommt auf uns zu?

Shutterstock/chaythawin
Kaum ist 5G eingeführt, starten bereits erste Forschungen zu dessen Nachfolger. Wie 6G dereinst genau aussehen wird, ist noch unklar. Trotzdem werden erste Eckpfeiler gesetzt, welche die Richtung vor­geben. 
Spätestens bei Einführung der vierten Mobilfunkgeneration 4G/LTE (Long Term Evolution) wurde deutlich, dass die Technologieentwicklung eher als Evolution denn Revolution verläuft. Dies trifft auch auf 2G/GSM (Global System For Mobile Communications) zu, das erstmals voll digital funktionierende Mobilfunknetz. Diese erste Generation wurde in der Schweiz 2021 abgeschaltet. Auch 3G/UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) wird wohl spätestens 2024 dasselbe Schicksal treffen. Schon dessen Name zeigt, dass der ISDN-Gedanke aus dem Festnetz auch dessen Design bestimmte.
In Deutschland ist es genau umgekehrt: Die um die Jahrtausendwende in spektakulären Versteigerungen erworbenen UMTS-Lizenzen sind aufgrund der 3G-Abschaltung hinfällig. Dafür lebt 2G weiter – unter anderem wegen der auf diesem Netz laufenden Telemetrie-Anwendungen, dies gerade auch in Osteuropa. Sowohl 2G als auch 3G sind sehr auf die Sprachkommunikation ausgerichtet und nutzen die teuer ersteigerten Frequenzen nur sehr ineffizient. Durch deren Abschaltung stehen die Frequenzbereiche 900 und 1800 MHz (2G) sowie 1,8/2,1/2,6 GHz (3G) als Funkkapazitäten für 4G und 5G zur Verfügung.

3GPP setzt die Standards

Bei der Entwicklung von 5G stand die Steigerung der spektralen Effizienz im Zentrum. Sie gibt in Bit/Hz an, wie viel Kapazität aus einem Funkspektrum herausgeholt werden kann. Hinzu kamen eine ultratiefe Latenz (ca. 3–10 Millisekunden) und hohe Bandbreiten (ca. 1–3 Gbit/s). Der schnelle Zugang zu Netzinformationen ermöglicht eine computergestützte Suche nach komplexen Inhalten in lokalen Clouds oder die Bestimmung des Aufenthaltsorts. 5G eignet sich damit als Basis für neue Anwendungen wie die Verkehrslenkung, das Internet der Dinge (IoT), Cloud Computing und «Industrial 5G».
Nach wie vor kümmert sich das «3rd Generation Partnership Programm» (3GPP) um die Standards, ob 4G, 5G oder künftig 6G. Als führendes Standardisierungsgremium für Mobilkommunikation hat 3GPP über Jahrzehnte Grosses und Wegweisendes geleistet – für die Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Die Standards werden schrittweise in einem evolutionären, iterativen Entwicklungsprozess erarbeitet und als Releases veröffentlicht. So wird für 5G Phase 3 noch in diesem Monat der 3GPP Rel. 17 erwartet, gefolgt von Rel. 18 etwa Ende 2023 mit 5G Phase 4.
  • Evolution von Mobil­funk­standards in 3GPP
    Quelle:
    Rüdiger Sellin
Das 3GPP (www.3gpp.org) vereint zurzeit sechs nationale Standardisierungsgremien aus Europa (1), den USA (1), Japan (2), Korea (1) und China (1), was die asiatische Dominanz verdeutlicht. Für das sehr erfolgreiche 4G wurden die Grundlagen bereits im März 2010 gelegt (Rel. 9). Der letzte Feinschliff wurde mit Rel. 14 für LTE-A Pro vorgenommen. Aber bereits mit Release 13 und früheren Releases wurden wichtige technische Grundlagen für 5G gelegt, so die Carrier Aggregation (CA), die Grundlagen für IoT in 4G und 5G (Machine Type Communications, MTC), MIMO und Beam Forming, Indoor Positioning (wichtig zur Ortung von Produktionsmitteln in der industriellen Produktion), Broadcast Messaging in einer Zelle (etwa im Katastrophenfall) oder Emergency Services (bei Unfällen/Notfällen) und so weiter.
2. Teil: „Neue Frequenzspektren für 5G und 6G“

Neue Frequenzspektren für 5G und 6G

Für 5G wurden Frequenzen in den Bändern 700, 1400 und 2600 MHz sowie 3,5 GHz vergeben. Besonders das 700-MHz-Band weist sehr gute Übertragungseigenschaften auf, womit Wände auch ohne Signalverstärker oder Inhouse-Sender durchdrungen werden können. Entsprechend teuer sind solche Frequenzen in Auktionen. 5G könnte auch höhere Frequenzbereiche über 6 GHz bis zu 60 GHz nutzen, was in der Schweiz aber nicht der Fall ist. Für 6G sind Frequenzbereiche von 100–300 GHz bis zu 10 THz im Gespräch. Ab etwa 30 GHz wird von sogenannten Millimeter-Wellen (mmW) gesprochen, die eigene Charakteristika haben und Signale nur im Nahbereich übertragen können.
Derart kurze Wellen dringen nicht in Gebäude ein und haben eine extrem kleine Reichweite. Sie eignen sich fast nur für Nahfeld-Übertragungen und Inhouse-Anwendungen. Es wird heute davon ausgegangen, dass für 6G, ähnlich wie für WLANs, hausinterne Zugangspunkte die Versorgung innerhalb von Gebäuden oder an schwierig zugänglichen Punkten sicherstellen. 6G wird daher kein singuläres Radio Access Network (RAN) nutzen, sondern sich auf mehrere Netze abstützen. Dies werden neben lizenzfreien Netzen wie WLANs auch andere, teilweise noch nicht existente Netzzugänge sein. Dazu zählt die Signalübertragung über Visible Light Connections (VLCs), die sichtbares Licht zwischen 400 und 800 THz umfassen. Auch Satellitenverbindungen sind vorgesehen – eine Art «Multi-Connectivity» also.
  • Verbesserungen von 5G zu 6G
    Quelle:
    Rüdiger Sellin
Bisher verbrauchte jedes Endgerät, das auf mehreren Frequenzen gleichzeitig Signale empfang und sendete, viel Energie. Trotzdem soll der Energieverbrauch von 6G-Endgeräten im Vergleich zu 5G auf maximal ein Hundertstel sinken. Für IoT-Anwendungen über 6G sollen Batterielaufzeiten von mindestens zehn Jahren möglich sein, was etwa der Lebensdauer einer Batterie entspricht. Erforscht wird auch, wie sich Funkwellen aus der Umgebung zur Energiegewinnung im Endgerät nutzen lassen, um dessen Akkulaufzeit zu verlängern.
3. Teil: „Neuartiges 6G Core Network“

Neuartiges 6G Core Network

Ebenso wie das RAN wird auch das Kernnetz für 6G völlig anders strukturiert sein und dem Prinzip kognitiver Netze folgen. Denn die geplanten Höchstgeschwindigkeiten und ultratiefe Latenzen bedingen Steuerungsmechanismen, die nicht erst reagieren, wenn eine Serviceanforderung eintrifft, sondern proaktiv agieren, also im Voraus wissen, was eine Instanz (Mensch, Maschine etc.) eigentlich will. Inspiriert durch die Vorzüge softwarebasierter Netze wird bei 6G der Signalfluss und die Bereitstellung von Diensten völlig flexibilisiert. Je nach jeweils nötiger Bandbreite, Latenz und Quality of Service entscheidet die Steuerungsintelligenz immer wieder von Neuem, welchen Weg das Signal nimmt und welche Ressourcen dazu nötig sind.
  • Kognitive Netzwerkumgebung für 6G
    Quelle:
    Rüdiger Sellin
Kognitive Technologien ermöglichen die Implementierung kognitiver Fähigkeiten und der künstlichen Intelligenz (KI) in ein technisches System. Dies schliesst maschinelles Lernen und Denken sowie ein adaptives Daten- und Wissensmanagement ein. Das kognitive Denken geht auf den Menschen selbst zurück. Wir nehmen wahr, was um uns herum passiert, diskutieren über diese Wahrnehmungen, kombinieren diese mit früheren Wahrnehmungen, ziehen Schlussfolgerungen daraus und handeln, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Eine kognitive Netzwerkumgebung für 6G wird auf ähnliche Weise funktionieren und Informationen durch Wahrnehmung sammeln, Wissen über die Netzumgebung und deren Benutzer aufbauen und dann entsprechend handeln. Es wird autonom arbeiten, indem es komplexe, intelligente Entscheidungen trifft, die bisher nur von Menschen getroffen werden konnten.

6G-Netzwerkumgebung erkennt Muster

Durch Beobachtungen kann das kognitive Netzwerk beispielsweise Muster in der Ressourcennutzung autonom finden und Massnahmen treffen, um diese Nutzung zielgerichtet zu optimieren. Ein kognitives System hat die Fähigkeit, seine Aktionen basierend auf einer definierten Nutzenfunktion zu bewerten. Auf diese Weise kann festgestellt werden, welche Aktion die bevorzugte Wirkung hat. Damit kann sich das autonome System nicht nur an neue Situationen in der verwalteten Umgebung anpassen, sondern auch an eine wachsende Palette geschäftlicher Ziele abdecken und erfüllen – und zwar besser, als ein Mensch dies könnte.
Ein kognitives Netzwerk erreicht ein hohes Mass an Autonomie und entlastet den Netzbetreiber von direkten Netzmanagement-Aufgaben, etwa bei der Entscheidung über Lösungsstrategien zur Zielerreichung und Durchführung operativer Massnahmen. Dank der Entwicklung kognitiver Netzwerke für 6G werden sich die Aufgaben menschlicher Arbeitskräfte in Richtung Prozessführung entwickeln. 6G-Operators werden das Netzwerk in seinen Lern- und Entscheidungsprozessen führen, damit das Netzwerk einen höheren Grad an Autonomie und Selbstverwaltung erhält. Damit wird der Operator entlastet und die Dienstleistung zielgerichtet optimiert, sowohl betreffend QoS als auch in Richtung neuer Geschäftsfelder.
4. Teil: „Ein völlig neuer Denkansatz“

Ein völlig neuer Denkansatz

Mehr Autonomie im Netzwerk bedeutet auch, dass Menschen mit ihm interagieren, indem sie Anforderungen und Ziele festlegen, um die Geschäftsziele und Kundenbedürfnisse des Operators festzulegen und zu steuern. Damit das 6G-Netzwerk autonom funktioniert, muss ihm ein gewisses Mass an Freiheit zugestanden werden, seine Aktionen frei wählen zu können. Auch hier findet sich eine Parallele zu uns Menschen: zur Kindererziehung oder Mitarbeiterführung. Denn im Vordergrund stehen die zu erreichenden Ziele und Absichten statt Vorgaben, wie etwas zu tun ist. Damit kann das kognitive Netzwerk Lösungsstrategien finden, um diese Anforderungen ohne weitere Anweisungen zu erfüllen, was den Netzbetreiber entlastet.
Zur Realisierung kognitiver Netzwerke für 6G existieren einige Schlüsselbereiche in der Netzwerkarchitektur, die in nächster Zukunft neu- oder weiterzuentwickeln sind. Um die erforderlichen Funktionen zur Leistungsoptimierung und zur gewünschten betrieblichen Effizienz zu entwickeln, wurden einige wenige, aber zentrale «Technology-Enabler» definiert. Dazu zählen:
  • ein datengesteuerter IT- und Netzbetrieb
  • eine verteilte Intelligenz
  • ein kontinuierliches Beobachten und Lernen
  • eine absichtsbasierte Automatisierung
  • eine erklärbare und vertrauenswürdige künstliche
  • Intelligenz (KI)
  • eine kognitive 6G-System- und -Netzumgebung

Ausblick

Gegenwärtig kann davon ausgegangen werden, dass 6G die Vorgängergenerationen frühestens ab 2030 schrittweise ablösen wird. Doch bis dahin ist noch viel Arbeit zu erledigen, vor allem in den Standardisierungsgremien, aber auch in der Forschung. Denn bei 6G sind derart viele neue Komponenten involviert, die ein profundes Systemdesign und gründliches Testen bedingen, damit die Zuverlässigkeit von 5G am Ende wirklich übertroffen wird. Denn der Druck auf die Anbieter wird sehr gross sein – seitens des Bandbreitenbedarfs, der Anwendungen und der Nutzer. So besteht dank der erfolgreichen Vorgänger 4G und 5G eine hohe Erwartungshaltung. Tiefgreifende technische Probleme können sich die Anbieter wie Anfang 2020 bei einzelnen 5G-Neulingen nicht erlauben.

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