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18.08.2022
Nachhaltigkeit in der IT
1. Teil: „Green IT wird Circular Economy“

Green IT wird Circular Economy

Shutterstock / PeachShutterStock
Die IT will und muss grüner werden. Ein Weg dorthin: Kreislaufwirtschaft. Sie spart Kosten und CO2.
Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit haben für den Großteil der Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen inzwischen einen hohen Stellenwert. Laut der IDC-Studie „Greening of and by IT“ vom Frühjahr 2022 verfolgen schon 38 Prozent der Organisationen in Deutschland einen strategischen Ansatz, um Nachhaltigkeit umfassend in Strategien, Prozessen und Produkten zu verankern. Weitere 56 Prozent der Befragten wollen auch mehr Nachhaltigkeit, setzen aber noch auf eine selektive Vorgehensweise. Bei beiden Gruppen spielt die IT eine wichtige Rolle, um die Umweltverträglichkeit zu optimieren, und dies in zweifacher Hinsicht:
  • Sie wollen mithilfe von IT „grüner“ werden: Organisationen können IT-Lösungen nutzen, um ihre Wirtschaftstätigkeit umweltfreundlicher zu gestalten. Mit ERP-Funktionen lässt sich etwa die Nachhaltigkeit von Lieferketten ermitteln. Oder Software-Lösungen überprüfen die Auswirkungen der Unternehmensaktivitäten und der Digitalisierung auf die Umwelt und fassen KPIs im Bereich Nachhaltigkeit in Dashboards zusammen.
  • Sie wollen die Nachhaltigkeit der IT selbst erhöhen: IT-Systeme haben durch ihren Material- und Stromverbrauch, die Nutzungszyklen und die Wiederverwertung von Altsystemen eine spürbare Auswirkung auf die Nachhaltigkeit einer Organisation. Deshalb gehen Anbieter von IT-Systemen dazu über, eine Kreislaufwirtschaft (Circular IT, Circular Economy) einzurichten. Das heißt, Anwender können die Nachhaltigkeit steigern, indem sie ihre IT-Umgebungen optimieren und zusätzlich mithilfe von IT-Lösungen Produktionsprozesse, Services, Lieferketten und die Logistik optimieren.
Zahlen und Fakten zur Nachhaltigkeit von IT-Umgebungen
Strombedarf von Rechenzentren und IT-Umgebungen: Bei rund 35 Milliarden kWh/a wird 2035 der Strombedarf von Rechenzentren und kleineren IT-Installationen in Deutschland liegen, wenn sich der Boom in diesem Bereich fortsetzt – doppelt so hoch wie 2022. Dies ist ein Ergebnis der Studie „Rechenzentren in Deutschland“ des Borderstep Instituts und des Digitalverbands Bitkom. Mit Maß­nahmen, die die Effizienz der IT-Infrastruktur und der Software konsequent optimieren, ließe sich der Studie zufolge der Anstieg bis 2035 auf etwa 23 Milliarden kWh/a begrenzen. Dies ist dringend geboten, auch deshalb, weil der Strombedarf durch Entwicklungen wie die Elektromobilität drastisch steigen wird.
Lebenszyklus von mobilen Rechnern und Smartphones: Zwei Drittel der deutschen Unternehmen entsorgen Mobiltelefone, Notebooks und Tablets vorzeitig, obwohl dies eigentlich nicht nötig wäre, etwa aus technischen Gründen. Das belegt eine Studie, die im Frühjahr 2022 im Auftrag von Soti erstellt wurde, einem Anbieter von Lösungen für das Management von mobilen und IoT-Endgeräten. Rund 41 Prozent der Firmen tauschen Notebooks und Tablets demnach aus, sobald ein neues Modell auf den Markt kommt. Ein Grund, so vorzugehen: Unternehmen wollen die Motivation der Mitarbeiter erhöhen und sich als attraktiver Arbeitgeber positionieren. Doch dieses Vorgehen erhöht den Ressourcenbedarf beträchtlich.
Umweltbelastung durch Systemparameter und Anwendungen: Laut einer Analyse von 3,5 Millionen PCs und Notebooks durch Nex­think, darunter 1,4 Millionen ältere Systeme, benötigen 34 Prozent der Rechner mehr als fünf Minuten zum Booten. Typische Ursache sind falsche Konfigurationseinstellungen und zu wenig Arbeitsspeicher. Das kostet unnötig Strom und entspricht rund 450 Tonnen CO₂ pro Jahr. Überflüssige Gaming- und Streaming-Apps auf den Rechnern produzieren zudem 700 Tonnen CO₂ pro Woche. 
Wiederverwertung von Elektro- und Elektroniksystemen: Rund 14 Prozent der Elektronik- und Elektrogeräte, die 2019 in der Europäischen Union gesammelt und einer Wiederverwertung zugeführt wurden, entfielen nach Angaben von Eurostat auf die Bereiche IT und Telekommunikation. Hersteller, Händler und Kommunen sollen 65 Prozent der nicht mehr brauchbaren Elektro- und Elektronik­geräte sammeln. Dieses Ziel legte die EU 2019 fest. Davon sind fast alle EU-Mitgliedsstaaten weit entfernt, auch Deutschland mit einer Sammelquote von rund 45 Prozent.
Dark Data und irrelevante Informationen: Zwei Drittel der Daten, die deutsche Unternehmen speichern, sind Dark Data – Informationen, deren geschäftlicher Nutzen nicht ermittelt wurde, die aber dennoch Storage-Ressourcen belegen sowie den Stromverbrauch und den Verschleiß von Servern erhöhen. Das belegt die Studie „Databerg“ des Datenmanagement-Unternehmens Veritas. Hinzu kommen weitere 19 Prozent redundante und obsolete Daten. Ein intelligentes Datenmanagement kann aus diesem Grund dazu beitragen, den Bestand irrelevanter Daten zu reduzieren und die Umweltverträglichkeit von Storage-Systemen und Rechenzentren zu erhöhen.

Kurs auf Kreislaufwirtschaft

„Im Rahmen unserer Arbeit werden wir täglich Zeuge, mit welcher Geschwindigkeit Unternehmen ihre Einstellung zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz weiterentwickeln“, berichtet Matthias Steybe, Group Sustainability Officer bei CHG-Meridian, einem Anbieter von Technologie-Infrastrukturen. „Wir erleben einen Boom bei nachhaltigen IT-Nutzungsmodellen sowie ein stark wachsendes Interesse an unserer Expertise beim Thema Circular Economy.“
Unternehmen müssen sich Steybe zufolge darüber im Klaren sein, dass IT-Umgebungen während des gesamten Lebenszyklus Auswirkungen auf die Umwelt haben: „Allein die Herstellung und Logistik von IT-Hardware sind für ein Drittel des Ausstoßes an CO2 und anderen Emissionen verantwortlich. All das macht klar, welches Potenzial für den Klimaschutz in einer Kreislaufwirtschaft steckt.“
2. Teil: „Von Produktdesign bis Wiederverwertung“

Von Produktdesign bis Wiederverwertung

Doch was verbirgt sich hinter dem Begriff Circular Economy eigentlich? Markus Stutz, Director EMEA Product Compliance Engineering & Environmental Affairs bei Dell, definiert dieses Nachhaltigkeitskonzept so: „Kreislaufwirtschaft ist ein systemischer Lösungsansatz, bei dem im Idealfall mehrere Faktoren ineinandergreifen. Zu diesen Faktoren zählen im Bereich IT die Wiederverwertung von ausrangierten Systemen, die Reduzierung des Abfalls, etwa bei der Verpackung von Komponenten, aber auch ein Produktdesign, das Reparaturen und ein Recycling erleichtert.“
Was der Blick auf Dell auch zeigt: Neu ist das Konzept keineswegs. Dell zum Beispiel hat schon vor rund 20 Jahren ein solches Programm gestartet. „Wir nutzen recycelte Kunststoffe, Magnete und Aluminiumwerkstoffe sowie Materialien aus anderen Branchen, um nachhaltige Produkte herzustellen, etwa Kohlefaser aus der Flugzeugindustrie“, so Stutz.
  • Beispiel Dell: Ein wichtiges Element einer Circular IT ist das Recycling von IT-Systemen und der darin verbauten Komponenten.
    Quelle:
    Dell Technologies
In jüngster Zeit aber hat der Zug in Richtung Circular Economy so richtig Fahrt aufgenommen. Auf vergleichbare Modelle setzt mittlerweile ein Großteil der Hersteller von IT- und TK-Ausrüstung, darunter Cisco, HP, Lenovo, Fujitsu, Samsung und Apple. Ein Teil von ihnen, inklusive Software-Anbietern wie Microsoft, hat sich in der Vereinigung Circular Electronics Partnership (CEP) zusammengeschlossen. Sie will bis 2030 eine Kreislaufwirtschaft im IT-, Elektro- und Elektronikbereich aufbauen, Geschäftsmodelle, nachhaltige Lieferketten und eine umfassende Wiederverwertung von Materialien und Systemen eingeschlossen.
Ein Einstiegspunkt in die Circular IT besteht darin, gebrauchte IT-Systeme zu erwerben oder vorhandene Komponenten über den steuerlichen Abschreibungszeitraum hinaus zu nutzen. „Bei Servern beträgt die Abschreibungsdauer drei bis sieben Jahre, bei User-Hardware mittlerweile sogar nur noch ein Jahr“, erklärt Gaston Pukies, Technical Project Manager für R&D-Projekte bei Capgemini Engineering. „Aus unserer Sicht besteht keine Notwendigkeit, Hardware so oft auszutauschen.“
Um welche Dimensionen es geht, lässt sich am Beispiel des IT-Remarketing-Spezialisten AfB social & green IT ablesen. Der konnte rund 59 Prozent von 450.000 gebrauchten Rechnern, Smartphones und Peripheriegeräten, die er 2021 wiederaufbereitet hat, einer neuen Verwendung zuführen. Wenn ein Notebook 7,5 statt 4,5 Jahre im Einsatz ist, entspricht das schon einer Einsparung von rund 114 Kilogramm CO2. Insgesamt ließen sich durch die Zweitnutzung der 450.000 Systeme 33.900 Tonnen CO2 und 130.300 MWh Primärenergie einsparen, die bei der Herstellung neuer Notebooks und Smartphones angefallen wären.
3. Teil: „Kleine Maßnahmen – große Wirkung“

Kleine Maßnahmen – große Wirkung

Dass Rechner nicht zwangsläufig alle drei Jahre oder bei Markteinführung eines Nachfolgemodells ersetzt werden müssen, belegt auch die Analyse von 3,5 Millionen Rechnern, die das Software-Haus Nexthink in anonymisierter Form durchführte. Das Unternehmen stellt eine Digital-Employee-Experience-Plattform bereit (DEX). Damit können Anwender digitale Arbeitsplätze optimieren, etwa unter den Aspekten Nutzererfahrung und Nachhaltigkeit. Die Untersuchung ergab, dass bei einem Drittel der Systeme der Startvorgang mehr als fünf Minuten dauert. Dies summiert sich im Lauf eines Arbeitsjahrs auf 20.000 Stunden, in denen die Systeme unnötig Strom verbrauchen. „Bei unserer Analyse waren 1,38 Millionen ältere Geräte dabei, die turnusmäßig ausgetauscht würden. Aber nur etwa 2 Prozent dieser Rechner müssten tatsächlich ersetzt werden“, betont Holger Doernemann, Solution Consulting Director, Central EMEA bei Nexthink. So könnten Nutzer die Boot-Zeiten deutlich reduzieren, wenn sie diese Systeme mit mehr RAM ausstatten, die Konfiguration optimieren und unnötige Apps und Plug-ins entfernen.
Auch die Nutzungsdauer von Servern und Storage-Systemen lässt sich ausdehnen, etwa durch einen modularen Aufbau. Der Storage-Spezialist Pure Storage hat mit „Evergreen“ eine solche Architektur für seine Flash-Speichersysteme entwickelt. „Dank dieses Ansatzes lassen sich Storage-Arrays ohne Unterbrechung des laufenden Betriebs aufrüsten. Das heißt, die Systeme veralten nicht im selben Maß wie herkömmliche Storage-Plattformen und müssen nicht in großem Maßstab ausgetauscht werden“, erläutert Begoña Jara, Regional Vice President Germany & Austria bei Pure Storage. Dies ist laut Jara ein Grund dafür, dass 97 Prozent der Pure-Storage-Arrays auch nach sechs Jahren Nutzungszeit noch im Einsatz sind.
Um den Aufwand für die Nutzer möglichst gering zu halten, sollten die Hersteller und Systemlieferanten im Rahmen eines Circular-IT-Ansatzes ergänzende Dienste anbieten. Dazu zählen das Abholen, Wiederaufbereiten und Entsorgen von IT-Ausrüstung. Das schließt ein fachgerechtes, rechtskonformes Löschen von Daten auf diesen Systemen mit ein. „Vor diesem Hintergrund kann es nötig sein, neue Wege zu gehen, etwa indem ein Unternehmen innovativen, nachhaltigen Lieferanten eine Chance gibt, auch wenn deren Umsatz noch gering ist und sie neu auf dem Markt sind“, betont Gaston Pukies von Capgemini.
4. Teil: „Hardware As a Service“

Hardware As a Service

Eng verknüpft mit einer Kreislaufwirtschaft im IT-Bereich ist ein weiterer Ansatz: Hersteller von IT-Lösungen gehen dazu über, ihren Kunden nutzungsorientierte Bereitstellungsmodelle anzubieten, die sich am tatsächlichen Bedarf orientieren, ähnlich wie bei Cloud-Computing. Nur erhalten User in solchen Fällen Server, Storage-Systeme, Netzwerkkomponenten und Endgeräte „as a Service“. Ein Bestandteil solcher Angebote ist die Garantie, dass der Hersteller die Systeme nach Ende der Vertragslaufzeit zurücknimmt, nach einem „Refurbishing“ als Gebraucht-IT wieder auf den Markt bringt oder sie fachgerecht entsorgt.
„Wir bieten mit Dell Apex, PC as a Service und Flex on Demand bereits mehrere nutzungsbasierte Modelle für den Einsatz von IT-Lösungen inklusive des Rückkaufs“, erläutert Dell-Manager Markus Stutz. Ein weiterer Baustein sind Leasing-Optionen und Dienste, die die Auslastung von IT-Komponenten optimieren. Konkurrenten von Dell wie HPE bieten vergleichbare Services an. Zudem können Unternehmen über Dienstleister wie Devicenow und CHG-Meridian „Device as a Service“-Angebote nutzen. Dabei erwerben die Nutzer die Systeme nicht, sondern abonnieren digitale Arbeitsplätze inklusive Hard- und Software.
Ein Vorteil von nutzungsorientierten IT-Infrastrukturdiensten ist, dass Unternehmen damit Überkapazitäten vermeiden können, etwa zu große Server- und Storage-Systeme. Auch dies trägt dazu bei, den Umweltabdruck einer Organisation zu verkleinern. Außerdem reduziert ein solches Modell unter Umständen die Kosten: Der User zahlt nur für die Systeme, die tatsächlich im Einsatz sind.
Maßnahmen für eine nachhaltigere IT
Um die Nachhaltigkeit der IT-Umgebung zu erhöhen, kommen nach Einschätzung von Experten mehrere Faktoren in Betracht. Gaston Pukies, Technical Project Manager für R&D-Projekte bei Capgemini Engineering, stuft vier Maßnahmen als besonders wichtig ein:
  • Einen hohen Grad an Virtualisierung und Containerisierung erreichen: Dadurch lässt sich Hardware optimal auslasten, ohne viele Ressourcen zu binden.„Work­loads mit stark wechselnden Anforderungen lassen sich außerdem am effizientesten in einer Public Cloud betreiben“, so Pukies.
  • Eine längere Nutzungsdauer der Hardware ermöglichen: Bei der Beschaffung sollten Anwender beispielsweise auf Zertifizierungen achten oder auf nach­haltige Leasing-Modelle setzen, bei denen der Leasing-Partner die ausgemusterten Systeme wiederaufbereitet. Außerdem sollten Unternehmen ihre Vorbehalte gegenüber gebrauchten IT-Systemen ablegen und solche „Refurbished“- Systeme auch in der Praxis nutzen.
  • Mit Data-Center- und Hosting-Partnern zusammenarbeiten, die Rechenzen­tren besonders ressourcenschonend und nachhaltig betreiben: So gehen Service-Provider dazu über, die Abwärme von IT-Systemen zu nutzen, clevere Kühlkonzepte einzusetzen sowie auf Wind- oder Solarenergie aus eigener Produktion zurückzugreifen.
  • Ein Green Programming beziehungsweise Green Coding einführen: „Das heißt, effizient, performant und schlank programmieren sowie IT-Umgebungen konsequent auf einen Zweck fokussieren“, erläutert der Capgemini-Fachmann.
5. Teil: „„Mitarbeiter erwarten vom Arbeitgeber Nachhaltigkeit““

„Mitarbeiter erwarten vom Arbeitgeber Nachhaltigkeit“

Das Interesse an gebrauchten IT-Systemen nimmt zu. Das gilt für Server und Storage-Systeme, aber auch für Mobilgeräte und Arbeitsplatzrechner. Beschäftigte sind heute eher bereit, ein „Refurbished“-System zu verwenden, erläutert Andreas Mayer, CEO des Circular-IT-Spezialisten Flex IT. Die Voraussetzung ist, dass ihr Arbeitgeber auf diese Weise eine umweltfreundliche, nachhaltige Geschäftsstrategie umsetzen will.
com! professional: Herr Mayer, wie schätzt Flex IT die Bereitschaft deutscher Unternehmen ein, IT-Systeme über den steuerlichen Abschreibungszeitraum hinaus einzusetzen oder „Refur­bished“-Systeme zu verwenden?
  • Andreas Mayer CEO Flex IT
    Quelle:
    Flex IT
Andreas Mayer: Wir verzeichnen eine wachsende Nachfrage nach solchen Systemen. Das ist einerseits auf den gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit zurückzuführen. Zum anderen sehen wir aber auch ein zunehmendes Verständnis dafür, dass eine Circular IT Bestandteil einer Gesamt­lösung sein kann. Die stellt sicher, dass Mitarbeiter die richtige Technologie erhalten, um ihre Aufgaben effizient zu bewältigen. Ich behaupte aber nicht, dass es heute für alle Unternehmen der richtige Weg ist, zu 100 Prozent auf Circular IT zu setzen. Vielmehr ist dieser Ansatz Teil einer umfassenden Strategie.
com! professional: Häufig ist zu hören, dass wegen der steigenden technischen Anforderungen an IT-Systeme sowie wegen der Erwartungshaltung von Mitarbeitern solche Ansätze nur bedingt funktionieren.
Mayer: Hier sehen wir den beschrie­benen Sinneswandel. Und der  wird sich weiter verstärken, weil Mitarbeiter von ihrem Arbeitgeber vermehrt einen ganzheitlichen und nachhaltigen Ansatz fordern. Wir sehen beispielsweise, dass es in der jüngeren Generation plötzlich cool ist, wenn man ein gebrauchtes Smartphone statt eines neuen verwendet. Gleichzeitig sind viele Unternehmen stark auf cloudbasierte Anwendungen fokussiert. Da ist vor allem eine stabile Internetanbindung notwendig. Die Leistungsfähigkeit des Endgeräts spielt dagegen eine weniger wichtige Rolle.
com! professional: Circular IT wird häufig mit Endgeräten wie Notebooks und Tablets in Verbindung gebracht. Besteht auch Interesse bei Unternehmen an wiederaufbereiteten Servern oder Storage-Systemen, Stichwort Refurbi­shing?
Mayer: In der Tat verzeichnen wir ein großes Interesse auch an gebrauchten Systemen im Server-, Storage- und Networking-Bereich. Neben der Nachhaltigkeit sind hier weitere Aspekte zu beachten. So wollen manche Kunden ihre bestehende IT-Infrastruktur homogen halten und beschaffen deshalb die gleichen Systeme, auch wenn die bereits etwas älter sind. Andere sehen den Kostenvorteil. Auch hier geht es insgesamt darum, dem Kunden die Technologie zur Verfügung zu stellen, die es ihm erlaubt, seine Aufgaben effizient zu erfüllen und zugleich einen Beitrag zur Schonung der Ressourcen zu leisten.
com! professional: Welche Rolle spielen EU-Regelungen und Pläne wie der European Green Deal?
Mayer: Neben der gesellschaftlichen Entwicklung hilft es natürlich, dass ein formaler Druck entsteht, nachhaltig mit Ressourcen umzugehen. Er zwingt Unternehmen, dieses Thema aufzunehmen und über die klassischen Themen wie die Einführung von Elektrofahrzeugen als Dienstwagen hinauszugehen.
com! professional: Wie schätzt Flex IT die mittelfristige Entwicklung von Circular IT ein? Werden Faktoren wie die Lieferkettenprobleme durch die Corona-Pandemie dazu beitragen, dass dieser Ansatz an Bedeutung gewinnt?
Mayer: Sicherlich haben die Pandemie und die Lieferkettenprobleme zu einem außergewöhnlich positiven Effekt bei Circular-IT-Ansätzen geführt. Dieser war jedoch im wahrsten Sinn des Wortes nicht nachhaltig. Einige Kunden haben unsere Systeme vor allem wegen der mangelnden Verfügbarkeit neuer Rechner oder Server erworben, nicht wegen der Nachhaltigkeit. Wichtiger als der kurzfristige Boom ist der langfristige Trend, der eine stete Zunahme zeigt und von dem wir sicherlich noch einige Zeit profitieren werden. Und jene Kunden, die zum ersten Mal gebrauchte IT-Systeme gekauft haben, konnten damit positive Erfahrungen sammeln. Wir haben nun die Gelegenheit, ihnen dieses Thema auch unter dem Aspekt Nachhaltigkeit näherzubringen.
6. Teil: „Hürden für die Circular IT“

Hürden für die Circular IT

Ob ein Circular-IT-Ansatz den gewünschten Nutzen bringt, hängt nicht nur von der Technik und von Bereitstellungsmodellen an. Auch der Faktor Mensch ist sehr wichtig, unterstreicht Matthias Steybe von CHG-Meridian: „Die erfolgreiche Einführung einer Circular IT beginnt bei einem gemeinsamen Umdenken von Management und Mitarbeitern, das Flexibilität und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt der IT-Strategie rückt.“ Denn der Bedarf an IT-Lösungen in den nächsten drei bis fünf Jahren werde angesichts der dynamischen Entwicklung und der zahlreichen Disrup­tionen in allen Branchen kontinuierlich zunehmen. Deshalb plädiert CHG-Meridian für Nutzen-statt-besitzen-Konzepte. Das allerdings bedeutet eine Abkehr von herkömmlichen Beschaffungs- und Nutzungsmodellen, wozu nicht jedes Unternehmen bereit oder fähig ist.
  • Green-IT-Initiativen heute und in Zukunft
    Quelle:
    IDC
Eine weitere Herausforderung beim Aufbau einer Circular IT und einer Nachhaltigkeitsstrategie für IT-Umgebungen ist der Mangel an validen Informationen. „Nach unserer Erfahrung ist das Interesse in den Unternehmen groß, ihre IT-Umgebung nachhaltig zu gestalten“, erläutert Holger Doernemann von Nexthink. „Häufig fehlt es jedoch an Werkzeugen, um die Auswirkungen digitaler Arbeitsplätze auf die Umwelt zu messen und den Effekt von Klimaschutzmaßnahmen zu verifizieren.“
Auch das Beratungsunternehmen Capgemini warnt davor, die Hürden bei der Einführung von Nachhaltigkeitsmodellen und einer Circular IT zu unterschätzen: „Unternehmen stehen oft vor der Herausforderung, effektive Maßnahmen zu identifizieren, sie zielgerichtet umzusetzen und dabei aus kaufmännischer Sicht im grünen Bereich zu bleiben“, unterstreicht Gaston Pukies. Daher sei es wichtig, zuerst den Status quo zu ermitteln und zu analysieren, wo Handlungsbedarf bestehe.
Diese Analyse sollte nicht nur die IT einbeziehen, sondern weitere Bereiche, etwa die Nachhaltigkeit der Produkte und Services, die ein Unternehmen anbietet, sowie die Lieferketten. Um das zu erreichen, kommen Tools für das Lifecycle Assessment und Produktdesign in Betracht. Mit Blockchain-Lösungen für Lieferketten können Nutzer laut Gaston Pukies etwa die CO2-Emissionen eines Produkts über die gesamte Supply Chain hinweg transparent machen.
Auf einen weiteren Aspekt weist Maggie Slowick hin, Global Industry Director für die Fertigungsindustrie bei IFS, einem Anbieter von Unternehmens-Software – die Rolle von ERP in Verbindung mit weiteren Software-Lösungen: „Um eine tragfähige Circular-Economy-Strategie aufzubauen, benötigt ein Unternehmen zusätzlich ein Enterprise Asset Management sowie ein Enterprise und Field Service Management.“ Dies ist ihrer Einschätzung nach die Vo­raussetzung, um komplexe Prozesse wie das Reparieren, Wiederaufbereiten und erneute Einspeisen von Produkten und Materialien in den Nutzungskreislauf zu implementieren. IFS und Mitbewerber wie SAP setzen auf Cloud-Plattformen, um solche Lösungen bereitzustellen.
Apropos Cloud: Die IDC-Studie „Greening of and by IT“ hat ergeben, dass bereits 37 Prozent der deutschen Unternehmen auf Public- oder Hybrid-Cloud-Dienste zurückgreifen, um ihre Nachhaltigkeit zu verbessern. Weitere 32 Prozent wollen das in den kommenden zwölf bis 24 Monaten tun. Als Begründung führen die Nutzer an, dass Cloud-Service-Provider ihre Rechenzentren energieeffizienter und nachhaltiger betreiben können als sie selbst.
7. Teil: „Fazit & Ausblick“

Fazit & Ausblick

Nicht einfach, aber notwendig. So lässt sich die Aufgabe charakterisieren, vor der Geschäftsführer, CIOs, IT-Fachleute, aber auch „normale“ IT-Anwender stehen, wenn es um die Nachhaltigkeit der IT-Umgebung geht. Denn keine Organisation kann es sich heute noch leisten, diesen Aspekt zu ignorieren. Dies nicht nur, weil die Europäische Union Unternehmen mit einer CO2-Steuer belegt, die den Faktor Nachhaltigkeit auf die leichte Schulter nehmen. Auch wenn es zynisch klingen mag: Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind Wirtschaftsfaktoren. Wenn die Energie- und Rohstoffpreise steigen, werden auch IT-Systeme kostspieliger – in der Anschaffung und im Betrieb.
Zudem erwarten immer mehr Kunden von ihren Lieferanten einen nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Dasselbe wünschen sich auch immer mehr Mitarbeiter von ihrem Arbeitgeber. Dies sollte Motivation genug sein, damit Unternehmen und öffentliche Auftrag­geber ihre IT-Umgebungen nachhaltiger gestalten. Eine Kreislaufwirtschaft und nutzungsbasierte IT-Services sind zentrale Bausteine einer solchen Strategie.
Tabelle:


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