Business-IT
16.01.2023
Zukunftstechnologie
1. Teil: „Hotspot für Quantenrechner“

Hotspot für Quantenrechner

IBM
Wie die Politik die Quantenforschung in Deutschland fördert und was Unternehmen davon haben.
Ein System, das instabiler ist als ein geschältes rohes Ei, dessen theoretische Grundlage nach Ansicht des Physikers Richard Feynman niemand versteht und dessen Wirkungsweise Albert Einstein als „spukhaft“ bezeichnet hat – die Forschung mit und an Quanten scheint auf den ersten Blick eine äußerst esoterische Wissenschaft zu sein.
Dabei spielen die Phänomene der Quantenmechanik schon heute in praktischen Anwendungen eine Rolle, etwa bei der Magnetresonanztomografie (MRT), in Lasersystemen und Atomuhren. Auch die Funktionsweise von Halbleitern – Grundlage aller Computer – basiert zum Teil auf quantenphysikalischen Prinzipien. Schon seit den 1980er- Jahren wollen Wissenschaftler und Industrie aber mehr. Sie hoffen, Quanten für die Berechnung mathematischer Probleme nutzen zu können, die sich mit klassischen Computern nicht oder nur mit extremem Aufwand lösen lassen. Diese „zweite Revolution der Quantenforschung“ soll in völlig neue Dimensionen der wissenschaftlichen und industriellen Anwendung von Computern vorstoßen.

Vorsprung durch Förderung

Wie häufig in der Informationstechnologie geben auch bei der Quantenforschung die USA den Ton an. Laut dem „Quantum Technology Monitor“ des Beratungsunternehmens McKinsey konzentrieren sich 40 Prozent der Marktteilnehmer und 60 Prozent der Start-up-Förderung auf Nordamerika. Auch zehn der zwölf größten Hardware-Anbieter sind dort zu finden.
Europa will sich aber nicht ein weiteres Mal von den USA bei der Entwicklung bahnbrechender Technologien abhängen lassen und setzt auf massive Förderung. In der gesamten EU sollen McKinsey zufolge rund 7,3 Milliarden Euro für die Quantenforschung ausgegeben werden. Damit liegt Europa auf Platz zwei hinter China. „Europa will sich ganz klar als Leader in der Quantentechnologie positionieren“, berichtet Max Werninghaus, der am Walther-Meissner-Institut für Tieftemperaturforschung (WMI) in Garching an seiner Doktorarbeit über „Quantum Computing and Information Processing“ arbeitet.
  • Globaler Investitionswettlauf
    Quelle:
    McKinsey Quantum Technology Monitor
Zu den EU-Initiativen gehört das Quantum-Technologies-Flagship-Programm, das seit 2018 läuft und über zehn Jahre mit einer Milliarde Euro gefördert werden soll. Ziel ist es, Europa in den Bereichen Quantencomputing, Quantensimulation, Quantenkommunikation sowie Quan­tensensorik und -metrologie an die Spitze zu bringen. Alle Förderprogramme legen Wert darauf, universitäre Forschung und industrielle Anwender zusammenzubringen. „Die Beteiligung von Unternehmen ist ein wesentlicher Baustein der Förderung“, erklärt Christian Schweizer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Walther-Meissner-Institut, das unter anderem Teil des 2021 gestarteten Projekts „Munich Quantum Valley“ ist. Das sei auch sinnvoll, so Schweizer weiter. Denn: „Eine kleine Forschungsgruppe wird es allein niemals schaffen, Quantencomputing in größerem Maßstab umzusetzen.“
Auch die Fördertöpfe in Deutschland sind prall gefüllt. Insgesamt will die Bundesregierung rund zwei Milliarden Euro für die Erforschung und Entwicklung von Quantencomputern ausgeben. „Die Förderlandschaft in Deutschland ist riesig“, beobachtet Schweizer. Die Ziele der deutschen Quantenforschung hat ein Expertenrat im vergangenen Jahr in der „Roadmap Quantencomputing“ zusammengefasst. So soll bis zum Jahr 2024 ein umfassendes Ökosystem für die Entwicklung von Quantenrechnern aufgebaut und ein international wettbewerbsfähiger Quantencomputer mit 100 Qubits verfügbar sein, der sich auf 500 Qubits skalieren lässt. In fünf bis zehn Jahren wollen die Experten den Quantenvorteil für praxisrelevante Anwendungen demonstrieren und in zehn bis fünfzehn Jahren einen fehlerkorrigierten universellen Quantencomputer realisieren können.
Quantencomputing und das Thema IT-Sicherheit
Schon seit Jahren wird davor gewarnt, dass Quantencomputer bislang als sicher geltende Verschlüsselungsverfahren in kürzester Zeit knacken könnten. Tatsächlich besteht diese Gefahr aber auf absehbare Zeit nicht. Ein Forscherteam der Universität Sussex hat berechnet, dass zur Entschlüsselung der auf elliptischen Kurven basierenden 256-Bit-Verschlüsselung in der Bitcoin-Blockchain mehrere Millionen Qubits nötig wären. Aktuelle Systeme verfügen über wenige Dutzend bis einige Hundert Qubits.
Dennoch benötigen Wissenschaft und Industrie langfristig quantensichere Verschlüsselungsalgorithmen. Das National Institute of Standards and Technology (NIST) hat deshalb bereits im Jahr 2016 einen Wettbewerb für die Entwicklung von Post-Quantum Kryptografiestandards ins Leben gerufen. Im Juli dieses Jahres wurden die ersten vier Algorithmen prämiert, die einem Quantenangriff standhalten sollen. Weitere Informationen dazu unter www.nist.gov/news-events/news/2022/07/nist-announces-first-four-quantum-resistant-cryptographic-algorithms.
2. Teil: „Supraleiter und noch viel Mehr“

Supraleiter und noch viel Mehr

Die meisten heute verfügbaren Quantenprozessoren basieren auf supraleitenden Schaltkreisen. Dazu wird ein Transistor auf wenige Zehntel Grad über dem absoluten Nullpunkt gekühlt, sodass die Qubits ihren Grundzustand einnehmen. Die Entwicklung supraleitender Qubits ist relativ weit fortgeschritten, allerdings macht die Skalierung Schwierigkeiten. Die Bauteile lassen sich nicht beliebig miniaturisieren und die Anforderungen an die Kühlung nehmen mit steigender Qubit-Zahl deutlich zu.
In Deutschland forschen unter anderem das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), das Forschungszentrum Jülich (FZJ) und das Walther-Meissner-Institut im Verbundprojekt „GeQCoS“ (German Quantum Computer based on Superconducting Qubits) an skalierbaren Quantenprozessoren auf Supraleiterbasis. Mit im Boot sind auch der Halbleiterhersteller Infineon, der skalierbare Fabrikationsprozesse entwickeln soll, und das Freiburger Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik IAF, das optimierte Chipgehäuse beisteuern wird.
Auch im Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) in Garching soll ein Quantencomputer auf Supraleiterbasis entstehen. Das mit rund 40 Millionen Euro geförderte Projekt „Q-Exa“ (Quantencomputer-Erweiterung durch Exascale) soll einen Quantenrechner mit 20 Qubits aufbauen, der in das geplante Exascale-High-Performance-Computing-System des LRZ integriert wird. „Das internationale Wettrennen im Bereich der Quantentechnologien ist in vollem Gange. Deutschland und die EU müssen hier zur Sicherstellung unserer technologischen Souveränität mit ganzer Kraft mithalten“, erklärte die damalige Bundesforschungs­ministerin Anja Karliczek anlässlich des Projektstarts im November 2021.
  • Im Forschungszentrum Jülich soll der erste Quantencomputer „made in Germany“ entstehen.
    Quelle:
    Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau
Supraleitende Systeme sind jedoch bei Weitem nicht die einzige Technologie, mit der sich Qubits generieren lassen. Die folgenden Ansätze sind ebenfalls vielver­sprechend:
Ionen: In Ionenfallen können Ionen durch Laserbeschuss in einen Überlagerungszustand überführt werden, der sich als Qubit nutzen lässt. Die bereits entwickelten Systeme sind ähnlich leistungsfähig wie die Supraleiter, lassen sich aber wohl leichter skalieren. Die Firma IonQ, ein Spin-off der University of Maryland, stellte beispielsweise Anfang Oktober 2020 einen Quantencomputer auf Ionenfallenbasis vor, der nach eigenen Angaben 32 perfekte Qubits mit geringen Gatterfehlern bot, was einem Quantenvolumen von mehr als vier Millionen entspräche. Das Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, die Zahl der Qubits jedes Jahr zu verdoppeln. Das Quantensystem IonQ Aria mit 23 Qubits ist über die Cloud-Plattformen Amazon Braket, Microsoft Azure und Google Cloud verfügbar (siehe Tabelle).
Im kommenden Jahr soll der Quantencomputer IonQ Forte auf den Markt kommen, dessen 32 Qubits vollständig softwarebasiert gesteuert und programmiert werden können.
Neutralatome: Atombasierte Quantencomputer speichern Information in einzelnen Atomen, die in einem Kristallgitter gefangen sind. In Deutschland wird beispielsweise im Munich Quantum Valley an solchen Quantensystemen geforscht. In dem Verbundprojekt MUNIQC-Atoms soll bis 2026 ein auf Neutralatomen basierender Quantenprozessor mit bis zu 400 Qubits realisiert werden. Die Forscher wollen einzelne Strontium-Atome, in denen die Qubits kodiert sind, in speziellen optischen Fallen­potenzialen fangen und kühlen. Mittels fokussierter Laserstrahlen können diese Qubits so manipuliert werden, dass sich elementare Ein- und Zwei-Qubit-Gatter realisieren lassen.
Das Spin-off planqc, das im April 2022 gegründet wurde, will die Technologie industriefähig machen und einen Quantencomputer mit mehreren Tausend Qubits entwickeln.
Photonen: Photonische Quantencomputer nutzen die Quantenzustände von Licht, um Qubits zu erzeugen. Dabei kommen vor allem zwei Ansätze zum Einsatz, das KLM-Protokoll, nach seinen Entwicklern Emanuel Knill, Raymond Laflamme und Gerald J. Milburn benannt, und das (nicht universelle) Boson Sampling. Im Jahr 2020 konnten chinesische Forscher für einen auf Boson Samp­ling basierenden Quantencomputer einen Quantenvorteil von 1014 gegenüber einem klassischen Supercomputer darstellen.
In Deutschland arbeiten mehrere Projektgruppen an der Entwicklung photonischer Quantencomputer. Im Forschungsprojekt „PhoQuant“ will beispielsweise ein Konsortium unter der Leitung des Start-ups Q.ANT in den kommenden fünf Jahren eine Demonstrations- und Testanlage für photonische Quantencomputer-Chips und andere Quantencomputer-Komponenten aufbauen. An dem Projekt, das mit 50 Millionen Euro gefördert wird, sind unter anderem auch das Institut für photonische Quantensysteme (PhoQS) der Universität Paderborn und das Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF beteiligt. „Wir haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten in der Forschung auf diesem Gebiet weltweit führende Pionierarbeit in der Grundlagenwissenschaft geleistet. Das Projekt gibt uns erstmals die Möglichkeit, diese mit Demonstrationsaufbauten in die Anwendung zu bringen“, erklärt Professor Christine Silberhorn von der Universität Paderborn.
Spin-Qubits: Auch der Eigendrehimpuls (Spin) von Elementarteilchen kann als Qubit genutzt werden. Zum Einsatz kommen dabei Halbleiter oder Diamanten, in deren Kristallgitter Fehlstellen erzeugt werden. Aktuell haben Spin-Systeme nur wenige Qubits, zeichnen sich aber durch kleine Fehlerraten und einen geringen Kühlbedarf aus. In Deutschland beschäftigt sich beispielsweise das Projekt „SPINNING“ mit dieser Technologie. Ziel ist die Erforschung und Demonstration eines Quantencomputers auf Basis von Spin-Qubits in Diamanten sowie dessen Anbindung an herkömmliche Computersysteme. Das Projekt wird vom Fraunhofer IAF koordiniert und hat ein Budget von 16,1 Millionen Euro.
3. Teil: „„Ein Quantencomputer darf nie Selbstzweck sein““

„Ein Quantencomputer darf nie Selbstzweck sein“

Michael Förtsch, CEO der Q.ANT GmbH, erklärt im Interview mit com! professional, warum das Start-up bei der Entwicklung von Quantenchips auf Photonen setzt und wie Unternehmen schon jetzt von der Quantenforschung profitieren können.
com! professional: Herr Förtsch, wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Quantencomputing-Forschung? Welchen Platz nehmen die EU und Deutschland dabei ein?
  • Michael Förtsch CEO der Q.ANT GmbH
    Quelle:
    Mathis Leicht Photography
Michael Förtsch:
In Deutschland beziehungsweise Europa wurde in den vergangenen 40 Jahren sehr gute Grundlagenforschung betrieben, vor allem im experimentellen Bereich. Das sehen wir heute auch bei der Quantenforschung. Betrachtet man die Publikationen zu Quantentechnologien und Quantencomputing, dann liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz drei. Darunter sind sehr viele Beiträge in hochrangigen wissenschaftlichen Zeitschriften. Wo wir uns häufig schwertun, ist der Transfer in die Industrie. Das zeigt sich zum Beispiel an der Zahl der weltweit angemeldeten Patente, bei denen Deutschland nur Platz sechs einnimmt. Wir sind also wissenschaftlich stark, bei der industriellen Umsetzung müssen wir noch aufholen.
com! professional: Hat die Politik diese Defizite erkannt?
Förtsch: Ich denke schon. Vor Kurzem hat die Unternehmensberatung McKinsey eine Studie zu den Förderprogrammen für Quantentechnologien veröffentlicht. Demnach liegt die EU auf Platz zwei hinter China, mit Fördermitteln in einer Gesamthöhe von 7,2 Milliarden Dollar (circa 7,3 Milliarden Euro). Dass hier allein Deutschland zwei Milliarden Euro beisteuert, zeigt die Zukunftserwartungen der Bundesregierung in diese Technologie. Dabei muss klar sein: Ein Quantencomputer darf nie Selbstzweck sein. Wir müssen industrie­relevante Anwendungen für diese neuen Technologien und Konzepte erforschen und herausfinden, in welchen Bereichen diese neue Art des Rechnens funktioniert und in welchen nicht. Das sollte aus meiner Sicht in den kommenden Jahren im Vordergrund stehen.
com! professional: Welche Anwendungen könnten das sein?
Förtsch: Es existieren prinzipiell drei Klassen von Problemen: Es gibt Probleme, die sich mit der klassischen Von-Neumann-Architektur schon heute gut lösen lassen. Dafür benötigen wir keinen Quantencomputer. Dann gibt es die echten Quantenpro­bleme, etwa Molekül- und Proteinsimulationen in der Chemie oder Pharmazie. Dort brauchen wir auf jeden Fall einen Quantencomputer, aber da sind wir noch weit von der Realisierung entfernt. Es bräuchte deutlich mehr Qubits und eine wesentlich höhere Zuverlässigkeit, um diese Aufgaben zu lösen. Und schließlich gibt es die komplex-klassischen Probleme, die sich auf heutiger Standardarchitektur nur schwer
berechnen lassen, weil es zu lange, mitunter Jahre dauern würde. Das ist der spannende Bereich für die nächsten Jahre. Quantencomputing eröffnet den Zugang zu neuen Algorithmen, die genau diese Art von Problemen adressieren und schnell Ergebnisse liefern.
com! professional: Anders als Google oder IBM setzen Sie nicht auf supraleitende Quantenschaltkreise, sondern auf Photonen – warum?
Förtsch: Photonen haben den großen Vorteil, dass sich die Anzahl der verfügbaren Qubits sehr schnell erhöhen lässt. Außerdem lassen sich photonische Chips im Gegensatz zu anderen Ansätzen ohne aufwendige Kühlung betreiben. Zwar lassen sich nicht alle Quantengatter darauf ausführen, aber das ist für bestimmte Probleme auch gar nicht nötig. Für typische komplex-klassische Problemstellungen wie das Travelling-Salesman-Problem oder jede Art von Logistik-Optimierung reichen die Quantengatter völlig aus, die sich auf einem photonischen Quantencomputer einfach realisieren lassen. Das haben wir vor Kurzem am Beispiel des Plane-Gate-Assignment-Problems gezeigt, bei dem es um die optimale Verteilung von Flugzeugen auf die am Flughafen verfügbaren Gates geht. Solche Fragestellungen können wir sehr effizient lösen, unter anderem auch, weil wir das gesamte System betrachten und die elektronische mit der photonischen Welt wie kein anderer verbinden.
com! professional: Der Photonenrechner ist also kein universeller Quantencomputer, sondern eher mit einer RISC-Maschine zu vergleichen?
Förtsch: Genau, wir nennen das Special Purpose Quantum Computer. Natürlich träumen auch wir vom universellen Quantencomputer und machen uns viele Gedanken dazu. Aber ganz ehrlich: Es ist Stand heute noch in der wissenschaftlichen Diskussion, für welche Problemlösungen wir wirklich einen universellen Quantencomputer brauchen.
com! professional: Sie hatten vor rund einem Jahr angekündigt, bis 2025 einen funktionsfähigen Quantenchip entwickeln zu wollen. Ist der Zeitplan noch realistisch?
Förtsch: Im Moment sieht es sehr gut aus. Wir möchten Ende des Jahres unseren ersten steuerbaren Chip präsentieren, mit dem sich Pro­blemlösungen nicht nur emulieren, sondern tatsächlich berechnen lassen. Dann haben wir noch zweieinhalb Jahre, um die Leistung und die Prozesstechnologie zu verbessern – wobei wir natürlich erst einmal nur kleine Stückzahlen anstreben. Aber 2025 bleibt auf jeden Fall unser Ziel. Da werde ich 40, und der Chip wäre ein fantastisches Geburtstagsgeschenk.
com! professional: Es gibt ja noch andere Möglichkeiten, Qubits zu erzeugen, etwa über Ionen, Atome oder Dia­manten. Wie bewerten Sie diese Ansätze?
Förtsch: Supraleiter sind das am weitesten gereifte System, gefolgt von Ionen, Photonen, Atomen und Diamanten. Viel spannender ist aber die Frage, wie gut sich die Systeme skalieren lassen. Da sehe ich bei der Photonik enormes Potenzial, nicht zuletzt, weil wir bei der Herstellung der Chips auf etablierte Halb­leiterprozesse aufsetzen können. Bei den anderen Systemen erscheint mir der Schritt vom Labor zur Industriereife deutlich schwieriger.
com! professional: Sie sind sehr erfolgreich in der Einwerbung von Fördermitteln. Ist das die Überzeugungskraft der Photonik?
Förtsch: Deutschland hat in der Tat eine starke Historie im Bereich der Photonik, sowohl was die Förderung als auch die industrielle Umsetzung angeht. Es ist eines der erklärten strategischen Ziele der Bundesregierung, die Photonik in die Zukunft zu begleiten, unter anderem auch über das neue Feld der Quantentechnologie.
com! professional: Wie schwer ist es überhaupt, Fördermittel für Quantencomputing-Projekte zu erhalten?
Förtsch: Wenn man nur mit einem technologischen Ansatz kommt, erhält man oft keine Fördermittel, weil der ökonomische Wert fehlt. Uns ist es bisher immer gelungen, gemeinsam mit unseren Partnern die Forschungsanträge an einer konkreten Anwendung auszurichten. Jüngstes Beispiel ist das atomare Gyroskop, das beim Steuern von Mini-Satelliten im Weltall helfen soll. Zusammen mit der geplanten Anwendung unseres Kunden, in diesem Fall des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR, konnten wir die technologische Idee und die geplante Anwendung einreichen. Solche Ansätze erhöhen die Chance einer Förderzusage deutlich.
com! professional: Wo sehen Sie Nachbesserungsbedarf bei der Förderung?
Förtsch: Wir brauchen eine Vereinfachung der Prozesse. Die Antragstellung ist sehr aufwendig, die Verwaltung der Programme auch. Ich würde mir außerdem wünschen, dass die Bundesministerien selbst als Kunden auftreten könnten. Von so einem Schritt könnten alle Seiten enorm profitieren.
Die Ministerien und die ihnen unterstellten Organisationen hätten Zugriff auf neueste Technologie, die deutsche Start-up-Szene würde gefördert und am Ende würde der gesamte Industriestandort Deutschland durch einen modernen Staat und neue Arbeitsplätze einen Nutzen daraus ziehen.
com! professional: Was sollten Unternehmen tun, um möglichst bald von Quantencomputing zu profitieren?
Förtsch: Unternehmen sollten sich frühzeitig mit Quantencomputing, seinen Einsatzfeldern und ganz konkreten Problemstellungen beschäftigen. Wir haben Programme, in denen wir mit Firmen Use-Cases diskutieren und gemeinsam den Mehrwert von Quantentechnologie he­rausarbeiten. Persönlich kann ich nur jeden dazu motivieren, Quantencomputing selbst auszuprobieren. Machen ist noch schöner als wollen.
4. Teil: „Die wichtigsten Einsatzgebiete“

Die wichtigsten Einsatzgebiete

Wissenschaft und Industrie setzen vor allem in folgenden Bereichen große Hoffnungen auf die Überlegenheit von Quantentechnologie:
Sensorik: Quantensensoren ermöglichen eine wesentlich genauere Messung von Temperatur, Geschwindigkeit, Position und anderen physikalischen Größen als herkömmliche Systeme. So lassen sich bessere und/oder kleinere Systeme realisieren als dies bislang möglich war. Das Start-up Q.ANT, eine hundertprozentige Tochter des Maschinenbauers Trumpf, hat beispielsweise im Mai 2022 auf der Hannover Messe einen industriereifen Partikelsensor für die Analyse von Gasen, Flüssigkeiten und Pulvern vorgestellt. Die Auswertung der großen Datenmenge erfolgt KI-gestützt, das System lässt sich per API ansprechen oder per MQTT (Message Queuing Telemetry Transport) in eine automatisierte Messkette einbinden. Erste auf der Hannover Messe präsentierte Anwendungen waren die Qualitätsprüfung von Kaffee und die Biomassemessung in einem Algenreaktor.
Optimierung: Verkehrsplaner, Produktionsleiter und Fonds-Manager stehen alle vor demselben Problem: Sie müssen aus einer riesigen Menge möglicher Szenarien und Kombinationen eine optimale Lösung herausfiltern. Spezielle Quantencomputer, sogenannte Quanten-Annealer, können diese Probleme unter Umständen schneller lösen als klassische Rechner, zumindest wenn es um heuristische Ansätze geht, in denen die Lösung per Trial and Error gesucht wird. Prominentester Anbieter bereits industriell verfügbarer Quanten-Annealer ist das kanadische Unternehmen D-Wave, dessen Maschinen zum Beispiel bei Volkswagen in einem Pilotprojekt für die Verkehrsflussoptimierung eingesetzt werden.
Allerdings wird die Quantenüberlegenheit bei Annealern auch immer wieder infrage gestellt. So kamen Wissenschaftler um den Kölner Forscher Michael Jünger in einem 2021 erschienenen Beitrag im „ACM Journal of Experimental Algorithmics“ zu dem Schluss, dass klassische Algorithmen einem Quantencomputer wie dem D-Wave 2000Q mit 2000 Qubits überlegen sind.
Man sollte sich jedoch nicht zu sehr auf den reinen Leistungsvergleich fokussieren, gibt Christian Schweizer zu bedenken: „Die Zahl der Lösungsmöglichkeiten für ein Optimierungsproblem ist riesig und jeder Algorithmus bringt einen gewissen Bias mit“, erklärt der Wissenschaftler. „Mit einem Quantencomputer könnte man deswegen ganz andere Lösungen finden als mit einem klassischen Ansatz.“
Lösung quantenphysikalischer Probleme: In der Entwicklung von Halbleitern und Batterien sowie bei der Suche nach neuen Legierungen, Wirkstoffen und Medikamenten spielen quantenmechanische Phänomene eine große Rolle. „Mit einem Quantencomputer oder Quantensimulationen wäre man den tatsächlichen physikalischen Problemen deutlich näher als mit klassischen Systemen“, erklärt Schweizer. „Das könnte die Lösung solcher Aufgaben erleichtern.“
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) forscht beispielsweise in dem Projekt „QuESt“ (Quantencomputer Materialdesign für elektrochemische Energiespeicher und -wandler mit innovativen Simulationstechniken) gemeinsam mit der Universität Ulm und dem Karlsruher KIT an neuen Materialien für Batterien und Brennstoffzellen. „Mit einem Quantencomputer können wir die quantenchemischen Vorgänge an den Elektroden von Batterien und Brennstoffzellen ideal abbilden. Wir forschen daran, wie sich der Quantencomputer hierfür am besten programmieren lässt“, erläutert Sabine Wölk vom DLR-Institut für Quantentechnologien.
Quanten-Maschinelles Lernen (QML): Das Training großer neuronaler Netze ließe sich durch Quantencomputing deutlich beschleunigen. Im Fraunhofer Cluster of Excellence Cognitive Internet Technologies entwickelt etwa Professor Christian Bauckhage vom Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS mit seinem Team Quantenalgorithmen für grundlegende Optimierungsprobleme beim maschinellen Lernen und in der KI. „Das erklärte Ziel ist, bei der bevorstehenden Quantencomputing-Revolution vorne dabei zu sein und schnell industrierelevante Lösungen liefern zu können“, erklärt Bauckhage.
Im Projekt „PlanQK“ arbeitet das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS mit Partnern an einer Plattform für quantenunterstützte Künstliche Intelligenz (QKI). Hiermit soll in erster Linie kleine­ren und mittelständischen Unternehmen die Möglich­-keitgegeben werden, von den neuen Technologien zu profitieren.
Quantencomputing – die wichtigsten Begriffe
  • NISQ (Noisy Intermediate-scale Quantum): Das Akronym NISQ wurde von dem amerikanischen Physiker John Preskill 2018 in dem Aufsatz „Quantum Computing in the NISQ era and beyond“ geprägt. Es bezeichnet Quantenprozessoren mit 50 bis 100 Qubits, die bereits einen nützlichen Beitrag zur Berechnung komplexer Probleme leisten können, für den großen Durchbruch aber noch zu unzuverlässig (noisy) sind. NISQ-Algorithmen kombinieren Quantenchips mit klassischen Prozessoren und nutzen so die Vorteile beider Systeme. Superposition: Überlagerung aller möglichen Einzelzustände eines Qubits, die den Gesamtzustand definieren; kann auch als (nicht reale) Wellenfunktion beschrieben werden.
  • Qubit: Kleinste Recheneinheit eines Quantencomputers. Im Unterschied zu einem klassischen Bit kann ein Quantenbit (Qubit) nicht nur den Status 0 und 1 annehmen, sondern auch Zustände dazwischen. Bei einer Messung wird allerdings nur der Wert 0 oder 1 erfasst. Welcher Wert gemessen wird, hängt von der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Zustände ab. Da die Messung selbst den Zustand verändert, ist sie nicht reproduzierbar.
  • Quantengatter: Rechenoperationen, die auf einem Quantencomputer ausgeführt werden. Zu den bekanntesten universellen Quantengattern gehören das Hadamard-Gatter und das Controlled-NOT-Gatter (CNOT).
  • Quantenüberlegenheit (Quantum Supremacy): Quantenüberlegenheit liegt vor, wenn ein komplexes Problem durch einen Quantencomputer Größenordnungen schneller gelöst werden kann als mit einem klassischen System. Bisherige Behauptungen, etwa von Google, Quantenüberlegenheit erreicht zu haben, sind umstritten.
  • Quantenverschränkung: Mehrere Qubits bilden gemeinsam ein System, das sich nicht aus den Zuständen der Teilsysteme erklären lässt. Die Verschränkung ist weder durch den Ort der Qubits noch durch die Entfernung zwischen den Teilsystemen definiert (nicht-lokal-realistisch). Messungen an einem Teilsystem beeinflussen die Messung an anderen. Diese Beeinflussung ist das, was Albert Einstein als „spukhafte Fernwirkung“ bezeichnet hat.
  • Quantenvolumen: Nicht standardisiertes Maß für die Rechenleistung eines Quantencomputers. In die Berechnung des Quantenvolumens gehen neben der Menge an erzeugten Qubits deren Stabilität, die Anzahl der Fehler und der Korrektur sowie die Effizienz des Compilers und des gesamten Software-Stacks ein. So lässt sich abschätzen, wie viele Operationen gleichzeitig auf dem Quantencomputer durchgeführt werden können.
5. Teil: „Fazit & Ausblick“

Fazit & Ausblick

Die Diskussion um den Quantencomputer erinnert in vielen Aspekten an die Forschung zur kalten Kernfusion. Hier wie dort sind die technischen Hürden hoch, die Erwartungen riesig – und der Durchbruch immer genau fünf Jahre entfernt.
„Bis zum produktiven Einsatz universeller Quantencomputer fehlt noch einiges“, räumt Max Werninghaus vom Walther-Meissner-Institut ein. „Es gibt vielversprechende Ansätze, aber die Zahl und die Qualität der Qubits reicht einfach noch nicht.“ Der Aufwand sei enorm, um hier noch eine Größenordnung besser zu werden. „Das kann eine Arbeitsgruppe allein nicht mehr leisten.“ Dasselbe gilt laut Christian Schweizer auch für die passende Software: „Wir brauchen ganz spezifische Algorithmen, die Probleme aus der echten Welt umwandeln in eine Quantensprache, die auf einer sehr speziellen Hardware ausführbar ist.“
Zum Glück geht es aber bei der Quantentechnologie nicht um alles oder nichts, auch wenn es sich um ein digitales System handelt. Schließlich braucht es nicht unbedingt einen riesigen universellen Quantenrechner, um von den Vorteilen der Technologie profitieren zu können. Quantensensoren und Quanten-Annealer sind heute schon industriereif, andere Spezialsysteme werden in naher Zukunft folgen. Unternehmen tun daher gut daran, sich mit Quantentechnologien auseinanderzusetzen, auch wenn die Theorie dahinter zugegebenermaßen für die meisten Menschen unverständlich bleibt. „Sobald wir eine deutliche Steigerung der Performance gegenüber klassischen Computern sehen, geht der Goldrausch los“, ist Max Werninghaus sicher. „Wer dann in den Startlöchern steht, der hat auf jeden Fall gewonnen.“
Tabelle:


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