Autonomes Fahren
25.01.2017
Fahrerlose Fahrzeuge
1. Teil: „Zweckbündnis für das Auto der Zukunft“

Zweckbündnis für das Auto der Zukunft

Mercedes-Benz
Autoindustrie und Silicon Valley tun sich zusammen für das autonom fahrende Auto: Bis selbstfahrende Fahrzeuge das Straßenbild prägen sind aber noch zahlreiche technologische Hürden zu nehmen.
  • Visionär I: Der schillernde Tesla-Gründer Elon Musk in einer Model-S-Limousine.
    Quelle:
    Tesla
Als es Ende September auf der A24 ­nahe Hamburg krachte, war das ­eigentlich ein Unfall, wie er jeden Tag auf Deutschlands Straßen tausendfach passiert: Ein Pkw war auf einen Bus aufgefahren, nachdem dieser ihn im Verlauf eines Überholmanövers geschnitten hatte. Die 29 Insassen des Busses blieben unverletzt, der Unfallgegner kam mit leichten Verletzungen davon. Ein Allerweltsvorfall, der im Polizeibericht normalerweise keine drei Zeilen bekommt. Das große Medienecho hatte mit dem Fahrzeug des Geschädigten zu tun, einem Tesla Model S mit aktiviertem „Autopilot“-Fahr­assistenten. Es war der erste Unfall eines teilautomatisiert fahrenden Fahrzeugs auf deutschen Straßen.
Seit Google, Tesla und Co. ihre automatisierten Fahrzeuge im Regelverkehr testen, werden sie mit Argusaugen überwacht. Und bisher fällt ihre Bilanz ­außerordentlich gut aus: Automatisiert fahrende Teslas haben schon über 100 Millionen Kilometer zurückgelegt, verkündete der Gründer des Unternehmens Elon Musk vergangenes Frühjahr stolz. Die Unfallbilanz im Verhältnis zur Kilometerzahl liegt dabei deutlich unter der Quote eines durchschnittlichen europäischen Fahrers.
Einzig der tödliche Unfall eines Tesla-Fahrers in Florida im Juli wirft einen Schatten auf den Elektro-Vorreiter. Damals hatte der Autopilot einen weißen Lkw vor bewölktem Himmel nicht als Hindernis erkannt und war ungebremst in den Laster gerast. Der Fahrer konnte nicht eingreifen; er schaute zum Unfallzeitpunkt auf seinem Tablet einen Harry-Potter-Film. Als Reaktion auf die darauffolgende Untersuchung des Falls ändert Tesla jetzt seine Software. Künftig soll sich der Auto­pilot automatisch abschalten, wenn der Fahrer ­seine Hände zu lange nicht ans Steuer legt. 
2. Teil: „Industrie als Hidden Champion“

Industrie als Hidden Champion

  • Visionär II: Der Schweizer Autovordenker Frank Rinderknecht in seinem Rinspeed Elton.
    Quelle:
    Foto: Rinspeed
Selten war die öffentliche Debatte um eine neue Technologie so emotional aufgeladen wie die um das autonome Fahren. Unfälle werden breit diskutiert – und gern mal vorschnell dem selbstfahrenden Auto zur Last gelegt, so auch als ein Google Car Mitte September in einen schweren Unfall verwickelt war. ­Dabei hatte ein Kleinlaster eine rote Ampel übersehen und war in das Google-Auto ­gerast. Politiker aller Parteien lassen sich oft bei Pressefahrten in selbstfahrenden Autos ablichten. Auf allen Automessen werden ständig weiterentwickelte Modelle vorgestellt, und natürlich bestimmen Google, Uber und vor allem Tesla mit ihrem Marketing-Geschick die Schlagzeilen.
Tatsächlich wirkt es auf den ersten Blick so, als würden die neuen Spieler im Automobilmarkt die Etablierten vor sich hertreiben. Google testet seit 2009 sein Google Car, zunächst auf der hauseigenen Teststrecke, inzwischen längst auf den öffentlichen kalifornischen Straßen. Tesla hat seine Limousine ­Model S 2015 per Software-Update zum Selbstfahrer gemacht und seine Käufer ­damit im Handstreich in einen breit angelegten Beta-Test eingebunden. Und Uber lässt seit Ende September selbstfahrende Taxis durch Pittsburgh kurven. Noch sitzt ein Fahrer hinterm Lenkrad, um im Ernstfall eingreifen zu können – aber wie lange noch?
  • Pittsburgh: Uber testet umgerüstete Ford Fusion als selbst­fahrende Taxis.
    Quelle:
    Uber
Schaut man genauer hin, ergibt sich ein anderes Bild: Die klassischen OEM (Original Equipment Manufacturer) haben sich beim autonomen Fahren keineswegs von den jungen Wilden abhängen lassen. Stattdessen treiben vor allem Mercedes, BMW und Audi, aber auch Ford, General Motors, Fiat Chrysler und Volvo das Thema mit aller Macht voran – sie reden nur nicht so viel darüber. Insgesamt sind derzeit 2838 Patente zum autonomen Fahren angemeldet, hat das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln gezählt. Davon entfällt über die Hälfte auf klassische Autohersteller, gut ein Drittel auf die etablierten Zulieferer wie Bosch und Continental. Google Tesla, Apple und Co. kommen nur auf 7 Prozent.
Besonders weit vorn in Sachen Innovation stehen die deutschen Unternehmen: 58 Prozent der weltweit angemeldeten Patente zum autonomen Fahren entfallen auf deutsche Hersteller. Vor diesem Hintergrund gönnt man sich ein wenig Arroganz gegenüber den Neuen. „Wir in Deutschland haben auf jeden Fall sehr viel Erfahrung mit dem Auto an sich, was in jedem Fall ein deutlich komplexeres Produkt ist, als das ein Neuling auf dem Markt vermuten mag“, so Michael Hafner, Leiter Fahrerassistenzsysteme und Aktive Sicherheit bei Mercedes-Benz. „Wir schätzen die Leistung der ‚digitaleren‘ Kollegen aber auch, weil sie das Thema autonomes Fahren so prominent ins Rampenlicht gerückt haben.“
3. Teil: „Fruchtbar: OEM und IT“

Fruchtbar: OEM und IT

  • Deutschland: Mercedes schickt seinen Future Truck über die Autobahn.
    Quelle:
    Mercedes-Benz
Auch wenn es im Rennen um den Bau des ersten vollautonom fahrenden Autos auf dem Markt zwischen den Teilnehmern mitunter zu kräftigem Säbelrassen kommt: Die Gräben zwischen klassischer Industrie und den digitalen Herausforderern sind gerade in der Automobilbranche weniger tief als anderswo. Tatsächlich haben die OEM längst erkannt, dass ihre Autos, so gut die fahrzeuginterne Technik auch sein mag, nur wirklich autonom fahren können, wenn sie auf hochwertiges, in Echtzeit aktualisiertes Kartenmaterial, auf ­Daten aus der Kommunikation zwischen zwei Fahrzeugen (Car2Car) und aus der Kommunikation zwischen Fahrzeug und Umgebung (Car2X) zurückgreifen können – und für diese IT-Elemente brauchen die Blechbieger die Programmierer.
Andererseits haben auch die meisten „Digitaler“ erkannt, dass der Bau eines Autos eine sehr komplexe Sache ist – und dass sie Zeit sparen und Entwicklungstempo aufnehmen können, wenn sie mit den klassischen OEM zusammenarbeiten.
Auf Basis dieser Erkenntnis wurden in den letzten zwölf Monaten einige interessante Zweckehen geschlossen: BMW, Mercedes und Audi haben gemeinsam Nokias Kartendienst Here übernommen; das Kartenwerk soll künftig die teilautomatisierten Fahrzeuge der drei Premiummarken mit hochgenauem Kartenmaterial versorgen – und gleichzeitig mit den unterwegs gesammelten Daten der vernetzten Fahrzeuge diese Karten ständig aktualisieren und verbessern.
Auch Google hat für sein „Project X“ Partner ­gesucht, wird in der Branche gemunkelt – allerdings lange ohne Erfolg. Mittlerweile hat sich Fiat Chrysler bereiterklärt, das Self-Driving-Projekt des Internetgiganten mit Fahrzeugen auszurüsten. Was ­daraus wird, ist fraglich: Alle drei Ingenieure, die Project X einst gestartet haben, haben Google wieder verlassen, um sich um eigene Projekte rund ums autonome Fahren zu kümmern.
4. Teil: „Quantensprung von Stufe 2 auf 3“

Quantensprung von Stufe 2 auf 3

  • Crash: Ein Google Car wartet nach dem schwersten Unfall bisher auf den Abschleppwagen.
    Quelle:
    Google
Die rege Zusammenarbeit zwischen den Branchen fördert durch den damit einhergehenden Wissens- und Personaltransfer die technologische Entwicklung. Und das ist auch dringend notwendig: Aktuell steht die Entwicklung des autonomen Fahrzeugs auf der zweiten von insgesamt fünf Stufen, auf die die Industrie sich geeinigt hat. Fahrerassistenzsysteme wie Spurassistent oder Einparkhilfen unterstützen den Fahrer und können einzelne Aufgaben, beispielsweise das Ausparken aus einer Parklücke oder auch das Fahren auf einer wenig befahrenen Autobahn bei guten Wetterbedin­gungen, selbstständig übernehmen.
„Für ein späteres hochautomatisiertes Fahren ­(Stufe 3) oder vollautomatisiertes Fahren (Stufe 4) ab 2021 sind noch technologische Sprünge erforderlich“, mahnt Dirk Wisselmann, Entwicklung Funktionalität Autonomes Fahren bei der BMW Group, an – und wehrt sich vehement dagegen, Stufe-2-Assistenzsysteme als automatisiertes Fahren zu ­bezeichnen.
Tesla ist weniger zurückhaltend und bezeichnet sein Stufe-2-System im vollmundigen Musk-Stil als „Autopilot“. Ein Ansatz, der Mitgliedern der klassischen Automobilindustrie sauer aufstößt, bei aller Begeisterung für Start-up-Kultur. „Wenn wir mit einem System zufrieden wären, das 99,8 Prozent der Situationen beherrschen kann und der Gesetzgeber dies zuließe, könnten wir schon deutlich mehr zeigen, als wir es aktuell tun“, so Michael Hafner von Mercedes-Benz. „Aus Eigenverantwortung machen wir dies aber bewusst nicht.“
Das sehen auch unabhängige Beobachter so: „Bei den deutschen Automobilherstellern gilt das Credo ,Das beste oder nichts‘. Es soll eine 100-prozentige Absicherung erreicht werden“, bewertet Daniel Duwe, Spezialist für autonomes Fahren am Fraunhofer-Institut, die unterschiedliche Herangehensweise. „Neue Player gehen bewusst ein höheres Risiko ein, da sie ja auch keinen Markenwert zu verlieren haben.
Außerdem kommen die Start-ups aus dem amerikanischen Kulturraum, in dem es in weiten Teilen keinen TÜV wie bei uns gibt – dafür muss man dort im Schadensfall deutlich höhere Schadensersatzforderungen begleichen. Wir sprechen über eine andere Form der Markt­regulierung.“
Damit aus den 99,8 Prozent an Sicherheit 99,99 Prozent werden, tüftelt die Industrie derzeit vor allem an der Technik. Zur ­Erkennung von Hindernissen werden 3D-Videotechniken, Radar und auch bisher noch sehr teure Lasertechnik getestet, hochdynamische und hochgenaue Karten werden entwickelt, gleichzeitig werden die bestehenden Fahrerassistenzsysteme ausgebaut. Sogar an den Reifen wird gebastelt: Zulieferer Continental will künftig in ­seine Reifen Sensoren einbauen, mit ­denen das Fahrzeug die Beschaffenheit der Fahrbahn ertasten kann.
Zeitgleich zur technologischen Entwicklung tut auch die Politik ihr Übriges, um das Ziel zu erreichen, bis 2021 das hochautomatisierte Fahrzeug möglichst zuerst auf deutsche Straßen zu bringen. Vor gut einem Jahr hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) den bayerischen Abschnitt der A9 zum digitalen Testfeld erklärt, auf dem teil- und hoch­automatisierte Fahrzeuge im regulären Straßenverkehr getestet werden können.
Im Rahmen eines jüngst geschlossenen Technologievertrags mit Siemens und Infineon wird dieser Autobahnabschnitt jetzt mit Radarsensorik-Anlagen ausgestattet, die Echtzeit­daten zu Verkehrsfluss und -dichte, Geschwindigkeit und Fahrverhalten sammeln und über das superschnelle 5G-Mobilfunknetz an die autonomen Fahrzeuge weitergeben sollen. Nahe Wuppertal entsteht ein ähnliches Testfeld auf einer 17 Kilometer langen Strecke auf der Landstraße. In Ingolstadt und Köln wird wiederum über innerstädtische Testzonen für autonome Fahrzeuge beraten.
Das autonome Fahrzeug, da sind sich Autoindustrie, IT-Branche und Politik einig, wird kommen; vermutlich können wir in den 2020er-Jahren mit ersten Pilotprojekten von komplett autonom fahrenden Autos rechnen. Bis dahin ist also noch etwas Zeit, um auch die Verbraucher von den Vorteilen der Technologie zu überzeugen; die sind nämlich weiterhin skeptisch.

mehr zum Thema