Virtual Reality
07.12.2017
Sta­tus quo Virtual Reality
1. Teil: „VR-Welten zwischen Hype und Praxis“

VR-Welten zwischen Hype und Praxis

Virtual-Reality-BrilleVirtual-Reality-BrilleVirtual-Reality-Brille
Foto: Shutterstock / Halfpoint
VR-Technologien werden teamfähig und verkürzen Produktionszeiten. Bis die Virtuelle Realität allerdings auf breiter Front in Industrie und Wirtschaft zum Einsatz kommt, sind noch einige Hindernisse zu meistern.
Der Virtual-Reality-Markt boomt. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Deloitte und des Branchenverbands Bitkom soll der Umsatz mit VR allein im deutschen Consumer-Markt bis 2020 auf über eine Milliarde Euro steigen, weltweit werden es nach Prognosen von Statista und Digi-Capital über 20 Milliarden Dollar sein. Bis 2021 werden laut IDC rund 67 Millionen VR-Brillen einen Käufer finden. Jeder dritte Deutsche werde 2018 eine Virtual-Reality-Brille besitzen, prognostiziert die Hamburger Initiative für die Medien- und Digitalwirtschaft NextMedia.Hamburg.
Knapp 30 Prozent der Headsets werden nach der Prognose der IDC-Marktforscher nicht in Gamer-Haushalten landen, sondern für kommerzielle Zwecke eingesetzt werden. Immer mehr Branchen entdecken das Potenzial der Technologie für Entwicklung, Projektierung, Simulation, Training und Marketing. Unternehmen aus den Bereichen Immobilienentwicklung, Tourismus und Entertainment, aber auch der produzierenden Industrie sowie aus Transport und Logistik haben das Thema adaptiert und nutzen bereits VR-Lösungen.

Das Angebot an VR-Brillen wächst

Die Hersteller von VR-Brillen, auch Head-Mounted Devices (HMDs) genannt, reagieren auf die steigende Nachfrage und erweitern ihr Angebot oder haben zumindest neue Modellvarianten angekündigt. So liefert etwa Samsung seine neueste Variante der gemeinsam mit dem VR-Pionier Oculus Rift entwickelten Gear VR auch mit einem zusätzlichen Controller aus, der die Bedienung komfortabler machen soll und erweiterte Aktionen in der virtuellen Welt ermöglicht. Mit einem empfohlenen Verkaufspreis von 129 Euro liegt das Set allerdings über der von Samsung selbst ausgerufenen psychologischen Verkaufsschwelle von 100 Euro. Etwas preisgünstiger ist die Daydream View von Google, die mit 109 Euro zu Buche schlägt und ebenfalls mit einem Controller geliefert wird. Beide Geräte benötigen zum Betrieb ein VR-fähiges Smartphone, das in die Brille eingelegt wird. Das Samsung-Modell unterstützt die unternehmenseigenen Galaxy-Modelle ab der Version S6 sowie das Galaxy Note 5, während die Google-Variante ein Smartphone voraussetzt, das mindestens Version 7.1 des Betriebssystems Android installiert hat.
  • Gemeinsames Arbeiten bei Audi: Im virtuellen Raum soll die Entwicklung neuer Produkte beschleunigt werden.
    Quelle:
    Audi AG
Ganz unabhängig von einem Smartphone sollen Brillen funktionieren, die zwar wie die Daydream View auf Googles VR-Plattform Daydream basieren, Bildschirm und Rechner-Hardware aber bereits eingebaut haben. Bisher gibt es allerdings nur Ankündigungen. So will etwa das mittlerweile zu großen Teilen von Google übernommene Unternehmen HTC mit der Vive Standalone eine solche Brille anbieten und auch von Lenovo soll eine Daydream-Standalone-Variante kommen.
VR-Brillen auf Basis von Smartphone-Technologie eignen sich vor allem für vorgefertigte Inhalte. Sie werden in Vergnügungsparks eingesetzt, um Achterbahnfahrten noch aufregender zu machen, erlauben es im Tourismus, Hotels und Urlaubsorte vor der Reise virtuell zu besuchen, oder geben potenziellen Autokäufern einen Eindruck ihres Fahrzeugs.
Wesentlich anspruchsvoller sind dagegen Einsatzszenarien, in denen die virtuellen Inhalte in Echtzeit verändert werden sollen, oder in denen sehr vielschichtige und komplexe Welten zu sehen sind, etwa im Design von Automobilen, Schiffen oder Flugzeugen, bei der Entwicklung von Industrieanlagen oder der Simulation wissenschaftlicher Experimente. In diesen Fällen reicht die Rechenkapazität eines Smartphones nicht aus. Stattdessen muss die Brille mit einer High-End-Workstation oder zumindest einem leistungsfähigen PC verbunden werden. Brillenmodelle für diesen Einsatzzweck sind beispielsweise HTC Vive oder Oculus Rift. Sie verfügen über eigene Displays und sind nicht nur deutlich schwerer als die Smartphone-Varianten, sondern auch erheblich teurer. Das Modell Oculus Rift schlägt mit circa 450 Euro, die Alternative HTC Vive mit 700 Euro zu Buche. Von letzterer gibt es außerdem für 1150 Euro eine Business Edition HTC Vive BE, die neben der Lizenz zur kommerziellen Nutzung eine Support-Hotline für Unternehmenskunden und eine zusätzliche Gewährleistung von zwölf Monaten bietet.
Eine Sonderstellung bei den VR-Brillen nimmt die HoloLens von Microsoft ein. Sie bettet virtuelle Elemente in eine holografische Darstellung der realen Umgebung ein und stellt so eine Mischung aus beiden Welten dar, die als Mixed Reality bezeichnet wird. Möglich macht das ein in die Brille integrierter PC, der über Sensoren und Kameras Informationen aus der Umgebung und den Bewegungen des Trägers erhält. Das macht die Brille mit knapp 600 Gramm allerdings recht schwer – und hat seinen Preis. Die Developer Edition der HoloLens liegt bei knapp 3300 Euro, die Commercial Suite, die zusätzliche Funktionen für Sicherheit und Geräte­management enthält, ist für rund 5500 Euro zu haben.
Für die HoloLens hat Microsoft eine eigene Entwicklerplattform geschaffen, die ursprünglich Windows Holographic hieß, mittlerweile aber als Windows Mixed Reality vermarktet wird. Auf dieser Plattform lassen sich nicht nur Anwendungen für die HoloLens, sondern auch für eine ganze Reihe preisgünstigerer Mixed-Reality-Brillen programmieren, die von Hardware-Herstellern wie Acer, Asus, Dell, HP, Lenovo und Samsung angeboten werden. Bei diesen Headsets, die zwischen 350 und 500 Euro kosten, handelt es sich aber genau genommen nicht um Mixed-Reality-Devices, auch wenn der Name dies suggeriert, sondern um reine VR-Brillen. Sie benötigen zum Betrieb zudem einen Windows-10-PC mit aktuellem Windows-Creator-Update.
2. Teil: „Virtual Reality für Teams“

Virtual Reality für Teams

  • Stark steigender Absatz: Bis 2021 sollen rund 67 Millionen VR-Brillen einen Käufer finden.
    Quelle:
    IDC
Ein großer Schwachpunkt vieler VR-Systeme für den industriellen Bereich ist ihre mangelnde Teamfähigkeit. Sollen sich mehrere Teilnehmer im selben virtuellen Raum bewegen, ist ein erheblicher Aufwand zu treiben. Jeder Anwender benötigt eine eigene Workstation mit Hochleistungskomponenten, eine Lizenz der VR-Software und eine Kopie der verwendeten CAD-Daten, die über ein weiteres System synchronisiert werden müssen. Zudem sind die Headsets per Kabel mit den Workstations verbunden, man kann sich also nicht frei im Raum bewegen, ohne Kabelsalat zu riskieren.
Eine Möglichkeit, zumindest das letzte Problem zu lösen, sind sogenannte Backpack-PCs – leistungsfähige, akkubetriebene Endgeräte, die über ein Tragesystem (Harness) auf dem Rücken getragen werden können. Solche Systeme sind beispielsweise von der deutschen Firma Schenker Technologies (XMG Walker), von MSI (VR One), Zotac (VR GO) und Hewlett Packard (Z VR Backpack) erhältlich.
Eine andere Option, ohne Kabel gemeinsam in eine VR-Welt einzutauchen, bieten sogenannte CAVEs (Cave Automatic Virtual Environment). Bei der bereits 1992 vorgestellten Technologie werden 3D-Bilder auf eine oder mehrere Wände eines Raums projiziert. Die Bewegungen der Nutzer im Inneren der „Höhle“ werden registriert und die virtuelle Welt wird entsprechend verändert. Für das stereoskopische Sehen genügen handelsübliche 3D-Shutter-Brillen. Eine Weiterentwicklung stellt die CAVE2 dar, die vom Electronic Visualization Laboratory (EVL) an der University of Illinois at Chicago (UIC) entwickelt wurde. Ihre Wände bestehen aus 3D-LCD-Bildschirmen mit einer Gesamtauflösung von bis zu 74 Megapixeln. Anbieter von CAVE-Systemen sind beispielsweise die Firmen Mechdyne und Visbox. Die Preise für CAVE-Systeme sind in den vergangenen Jahren stark gesunken. „Musste man vor fünf Jahren für eine CAVE mit einer einseitigen Projektionsfläche noch rund 400.000 Euro rechnen, erhält man portable Einseitensysteme heute bereits ab 30.000 Euro“, sagt Michael Grethler, Leiter der Forschung bei der Bechtle-Tochter SolidLine AG. Eine qualitativ hochwertige Einseiten-CAVE mit Tracking-System schlage mit rund 50.000 bis 80.000 Euro zu Buche, so Grethler weiter.
Eine flexible Alternative zur CAVE stellt die Holodeck-Plattform dar, die Nvidia im Mai 2017 angekündigt hatte. Das System soll es Teams erlauben, gemeinsam in einer virtuellen Umgebung zu arbeiten. Es basiert auf der Unreal En­gine 4 von Epic Games, der Nvidia-Middleware GameWorks und den API- beziehungsweise Library-Sammlungen VRWorks und DesignWorks. Die leistungsfähige Hardware muss mindestens mit einem Intel-Core-i7-6700K-Prozessor sowie einer Grafikkarte vom Typ Quadro P6000, Geforce GTX 1080Ti oder Titan Xp ausgestattet sein. Zur GPU Technology Conference (GTC) Europe 2017, die im Oktober 2017 in München stattfand, öffnete Nvidia Holodeck offiziell für 3D-Designer und lud sie ein, ihre Modelle in die Plattform zu importieren.
Das Nvidia Holodeck ist allerdings nicht die einzige VR-Lösung, die sich mit ihren Namen auf die Science-Fiction-Serie Star Trek bezieht. So setzt beispielsweise das Large Scale VR/ LS Holodeck des Stuttgarter 3D-Spezialisten Light­shape zwar auch Nvidia-Grafikkarten ein, hat aber sonst keine direkte Verbindung zu der gleichnamigen Lösung des GPU-Spezialisten. „Unser Projekt hat schon zu Zeiten der Oculus DK2 begonnen, noch bevor HTC die Vive an den Markt brachte“, sagt Robin Wenk, Geschäftsführer der Lightshape GmbH und Co. KG. Das System wurde unter anderem in gemeinsamen Projekten mit Audi entwickelt und soll noch im ersten Quartal 2018 auch als Produkt für andere Kunden, vorrangig aus der Industrie, zur Verfügung stehen. Bei der Lösung können nicht nur mehrere Entwickler zusammen im selben physischen Raum virtuell interagieren, es lassen sich auch mehrere Systeme via Internet miteinander verbinden. „Damit können dann Entwicklerteams und Entscheider von überall auf der Welt in einer ‚VR Conference‘ zusammenarbeiten“, sagt Wenk.
3. Teil: „VR-Teamwork in der Praxis“

VR-Teamwork in der Praxis

  • Virtuelle Realität beim bayerischen Autobauer: Auch BMW setzt im Entwicklungsprozess Virtual Reality ein.
    Quelle:
    BMW
Ein Beispiel, wie die Zusammenarbeit in einer virtuellen Welt praktisch aussehen kann, zeigte Audi auf der GTC Europe. Der Automobilhersteller setzt schon seit 2007 computergenerierte 3D-Modelle (Computer Generated Imaginery, CGI) in der Produktentwicklung ein. Allerdings sind im Evaluierungsprozess nach wie vor handgefertigte physische Prototypen notwendig, deren Fertigstellung jeweils mehrere Wochen dauert. Der Hersteller sucht deshalb nach Wegen, die Zahl notwendiger physischer Prototypen zu reduzieren und so die Zeit bis zur Markteinführung eines neuen Modells zu verkürzen. Das Unternehmen prüft derzeit, inwieweit sich ein VR-Mehrbenutzersystem für diese Aufgabe eignet, und hat dazu in Zusammenarbeit mit der erwähnten Stuttgarter Firma Lightshape ein System entwickelt. Noch reiche die Auflösung der verwendeten HTC-Vive-Brillen nicht aus, um Strukturen und Oberflächen mit genügend hohem Detailgrad anzuzeigen, sagt Projektleiter Martin H. Rademacher von der Abteilung Daten-Kontroll-Modell/Toleranzmanagement bei der Audi AG. Der Aufenthalt im virtuellen Raum gebe den Nutzern aber eine gute Vorstellung von den Proportionen und dem Gesamteindruck des Modells. „Unsere These ist folgende: Entscheider, die sich den Prototypen in der virtuellen Welt angesehen haben, vertrauen stärker auf die zugrunde liegenden 3D-Daten, die sonst häufig infrage gestellt werden“, sagt Rademacher.
Die Produktentwicklung ist nicht der einzige Bereich, in dem Autofirmen wie Audi, BMW oder VW Virtual Reality bereits im Einsatz haben. Auch bei der Schulung von Mitarbeitern oder im Handel kommt VR schon zur Anwendung. Besonders große Hoffnungen setzen die Autobauer auf Virtual Reality in Marketing und Vertrieb. Laut einer Studie von McKinsey lassen sich mit Hilfe der Digitalisierung die Besuche im Autohaus vor der Kaufentscheidung von fünf auf durchschnittlich 1,6 senken.         
Audi setzt im Handel bereits an rund 600 Stationen weltweit einen 3D-Konfigurator ein. „Dieser erlaubt es dem Kunden, bei allen Modellen sämtliche Ausstattungsoptionen inklusive der Scheinwerfer und der Lichtführung direkt im 3D-Modell zu erleben“, sagt Thomas Orenz, Teamlead Virtual Reality/Digital Content bei Audi, „derzeit testen wir in Pilotprojekten in Deutschland und Holland den Einsatz des 3D-Konfigurators auf den Audi-Webseiten.“ Erste Messungen des Konzerns zeigen, dass bei einer Modelldarstellung in 3D die Nutzerinteraktion und das Kaufinteresse deutlich steigen.
Tabelle:

4. Teil: „VR für den Mittelstand“

VR für den Mittelstand

  • Cave Automatic Virtual Environment (CAVE): Erlaubt das Eintauchen in eine 3D-Welt.
    Quelle:
    L. Long und A. Nishimoto, Electronic Visualization Laboratory (EVL)
Während die großen Konzerne aus der Automobil- und Luftfahrtindustrie Virtual Reality längst einsetzen, sind kleine und mittelständische Unternehmen oft noch skeptisch. „Mittelständler zögern, in Technologien zu investieren, deren Mehrwert sich nicht auf den ersten Blick erschließt“, sagt Michael Grethler von SolidLine. Um diesen Mehrwert erlebbar zu machen, wurde bereits 2014 am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) das Industrie 4.0 Collaboration Lab eröffnet, zu dessen Koopera­tionspartnern neben Bechtle und SolidLine auch das In­stitut für Informationsmanagement im lngenieurwesen (IMI) am KIT und das FZI Forschungszentrum Informatik gehören. Eine institutseigene 3D-CAVE macht virtuelle Welten erfahrbar. „Unternehmen können ganz unmittelbar erleben, wie sich mit Hilfe von Virtual und Augmented Reality etwa der Bau von Werkshallen, Produktionsanlagen oder Rechenzentren beschleunigen lässt“, sagt Grethler.
Ein Beispiel, wie sich diese Erkenntnisse anwenden lassen, ist die Firma Gabler aus dem badischen Malsch bei Ettlingen. Das 1906 gegründete Familienunternehmen fertigt Produktionsanlagen für die Lebensmittel- und Pharmaindustrie und ist ein typischer „Hidden Champion“, der mit seinen Fertigungsstraßen für die Kaugummiproduktion gegen große Konkurrenten eine marktführende Stellung behaupten kann. Das bisher genutzte angemietete Werksgebäude war für die Bedürfnisse der Firma nicht optimal, Zeitverluste bei der Produktion und unnötige Aufwände waren die Folge. 
Um die Schwachstellen zu identifizieren, wurden die Arbeitsabläufe analysiert und virtuell nachgestellt, sodass sie in der 3D-Umgebung der CAVE nachvollzogen werden konnten. Von der Anlieferung des Materials über Lager, Warenverteilung und Fertigung bis hin zum Aufbau der fertigen Produktionsanlagen, die bis zu 300 Meter lang sind und sich über zwei Etagen erstrecken, wurden gemeinsam mit dem Planungs­büro und Bauunternehmen Vollack sämtliche Arbeitsabläufe virtuell nachgestellt und der rund 4100 Qua­dratmeter große Neubau geplant, in dem nun sämtliche Prozesse optimal ablaufen können.
Gabler nutzt Virtualisierungsmethoden auch, um neue Fertigungsstraßen schneller und reibungsloser produzieren zu können. „Bei der Konstruktion solcher Anlagen müssen Fachleute aus der Starrkörperphysik, der Sensorik, der Kinematik und der Aktorik interdisziplinär zusammenarbeiten“, sagt Michael Grethler, „das führt häufig zu Engpässen, vor allem in den Bereichen Elektronik und Steuerungsprogrammierung.“ Komponenten und Programme für die Kommunikation zwischen der Speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS) und Robotern würden häufig erst während des Aufbaus einer Anlage realisiert, so Grethler weiter, „das kann zu erheblichen Verzögerungen und Pro­blemen führen.“ Mit Hilfe der Virtualisierung lässt sich dieser Prozess standardisieren und die interdisziplinäre Zusammenarbeit vereinfachen. Probleme in der Steuerung können so bereits bei der virtuellen Inbetriebnahme erkannt und behoben werden. Eine fehlerhafte räumliche Verteilung der einzelnen Komponenten und Roboter, die zu Kollisionen im Arbeitsablauf führen würde, lässt sich intuitiv in der 3D-Ansicht erkennen. Gabler hat dazu im neuen Betriebsgebäude extra ein 3D-Kino eingerichtet, in dem die mit der 3D-CAD-Software SolidWorks konstruierten Modelle von allen Seiten betrachtet werden können.
Virtuelle Welten lassen sich aber nicht nur bei der Inbetriebnahme neuer Gebäude oder Maschinen einsetzen, sondern auch zur Visualisierung und Optimierung bestehender Prozesse. Noch fehle es aber häufig an der dafür notwendigen digitalen Durchgängigkeit, sagt Grethler: „Um permanente Optimierungen zu ermög­lichen, benötigt man eine tiefe Integration von Product Lifecycle Management und Enterprise Resource Planning, die meist noch nicht vorhanden ist.“
5. Teil: „Neue Geschäftsmodelle“

Neue Geschäftsmodelle

VR eröffnet aber auch neue Geschäftsfelder. So erkundet zum Beispiel das Forschungsprojekt „dimenSion“ Möglichkeiten, neue Dienstleistungen auf Basis von Simulationen anzubieten. Ein solcher Service, um beim Beispiel Gabler zu bleiben, könnte etwa in der kundenindividuellen Anpassung von Produktionsstraßen liegen. Ein Unternehmen scannt dazu das Gebäude, in dem die Fertigungsanlage aufgebaut werden soll, inklusive aller notwendigen Anschlüsse für Wasser und Energie. Auf Basis dieser Informationen wird ein virtuelles Modell der Produktionsstraße entwickelt, das exakt in das bestehende Gebäude passt. „So sieht der Kunde schon vorab genau, was er bekommt“, sagt Grethler.

Fazit

Industrie und Wirtschaft finden immer mehr Anwendungsmöglichkeiten für Virtual Reality – auch durch die Arbeit von Institutionen wie dem Industrie 4.0 Collaboration Lab. Gerade im Mittelstand gilt der Satz „Seeing is believing“, und so überzeugen Anwendungsmöglichkeiten wie die virtuelle Inbetriebnahme von Bauten, Produktionsanlagen oder Rechenzentren vor allem dann, wenn sie direkt erfahrbar werden.
Konzerne sind auf diesem Weg schon viel weiter. In der Automobil- und Luftfahrtindustrie, aber auch im Tourismus stellt sich längst nicht mehr die Frage, ob VR eingesetzt werden soll. Es geht vielmehr darum, wie sich die Einsatzmöglichkeiten ausweiten und optimieren lassen. Noch setzen die technischen Möglichkeiten den Szenarien Grenzen. Für etliche Probleme wurden aber bereits Lösungen angekündigt oder sind sogar schon verfügbar. Einem weiteren Siegeszug von VR steht also kaum etwas im Weg, höchstens noch die Skepsis mancher Manager.
ICE-4-Schulung: Bahnmitarbeiter lernen in einer 3D-Simula­tion zum Beispiel, wie der neue Hublift zu bedienen ist.
DB AG
Virtuelles Training bei der Deutschen Bahn
Vom neuen ICE 4 sind derzeit erst wenige Züge im Einsatz. Dennoch müssen alle Mitarbeiter aus Fahrbetrieb und Bordservice auf das neue Modell geschult werden, ein Training am „lebenden Objekt“ ist aus logistischen, personellen und Kostengründen aber kaum sinnvoll umsetzbar.
Zusammen mit den Mitarbeitern hat das EVE-Team (Engaging Virtual Education) der Bahn-Tochter DB Systel eine Schulung entwickelt, die auf VR setzt. Aufgaben wie die Bedienung des Hublifts, der Fahrgästen mit Handicap das Ein- und Aussteigen ermöglicht, das Öffnen der Bugklappen oder die Wartung der Stromabnehmer lassen sich so trainieren. Erste Ergebnisse zeigen, dass sich die virtuell eingeübten Arbeitsschritte gut in die physische Welt übertragen lassen. Das VR-Training soll daher 2018 fest in die Fortbildung der Zugbegleiter integriert werden.
6. Teil: „Interview mit Nvidias David Weinstein“

Interview mit Nvidias David Weinstein

  • David Weinstein, Director VR bei Nvidia
    Quelle:
    Nvidia
Der Einsatz von Virtual Reality in Unternehmen erfordert nicht nur leistungsfähige Hard- und Software, sondern ein Ökosystem, das die entsprechenden Lösungen umfasst. David Weinstein, Director VR bei Nvidia, erklärt, welche Voraussetzungen notwendig sind.
com! professional: Herr Weinstein, Virtual Reality galt lange als Spielerei. Hat die Industrie das Potenzial von VR mittlerweile erkannt?
David Weinstein: Absolut, wir sehen ein starkes Wachstum, auch wenn es in manchen Bereichen noch an konkreten Lösungen fehlt. Wir brauchen daher unabhängige Hersteller, die ihre Software für VR lauffähig machen und zertifizieren. Wenn das geschehen ist, werden wir eine noch breitere Akzeptanz bei den Unternehmenskunden sehen.
com! professional: Werden wir VR auch als Service aus der Cloud sehen? Oder ist der Rechenaufwand dafür zu hoch?
Weinstein: Die Rechenleistung ließe sich sicher zur Verfügung stellen, die Netzverbindung ist das Problem. Dabei geht es weniger um Bandbreite. Wir haben genügend Durchsatz, um
90 Bilder pro Sekunde zu übertragen, aber die Latenz macht uns Schwierigkeiten. Ist der Zeitversatz zwischen einer Kopfbewegung und der entsprechenden Veränderung in der virtuellen Umgebung zu groß, wird dem Nutzer in kürzester Zeit schlecht und er reißt sich das Headset vom Kopf.
com! professional: Wo liegt die Grenze für eine realistische Wiedergabe von Bewegungen in VR?
Weinstein: Die Latenz muss unter 20 Millisekunden betragen, manche Sinnespsychologen sagen auch 15 Millisekunden. Das ist über die meisten heutigen Netzwerkverbindungen nicht erreichbar. Als erster Schritt wird vielleicht nicht VR aus der Cloud möglich sein, aber über LAN aus dem eigenen Rechenzentrum.
com! professional: Welche Branchen und Unternehmen profitieren am meisten von VR?
Weinstein: Die Vorteile im Bereich Produktdesign und -entwicklung sind offensichtlich, deshalb sehen wir bereits eine große Verbreitung in Branchen wie der Automobil- und der Luftfahrtindustrie oder im Immobilienbereich. Persönlich finde ich die Entwicklungen im Gesundheitswesen sehr spannend. Neben der Simulation von Operationen sind das Möglichkeiten in der Psychologie, Patienten mit Angststörungen wie Agoraphobie oder Arachnophobie direkt, aber gefahrlos in der virtuellen Welt mit den Auslösern zu konfrontieren. Auch bei der Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen kann VR eine positive Rolle spielen. Im Unterhaltungsbereich gibt es auch jede Menge Anwendungsmöglichkeiten. Regisseure nutzen VR beispielsweise, um Filmszenen zu planen, und es kommen auch immer mehr VR-Inhalte auf den Markt.
com! professional: Viele Unternehmenskunden lassen sich schwer davon überzeugen, während einer Besprechung eine VR-Brille aufzusetzen. Wie wollen Sie diese Vorbehalte überwinden?
Weinstein: Das mag sein, Ingenieure und Techniker haben dagegen kaum Berührungsängste und sind von der Technologie begeistert. Aber Sie haben recht: Wenn wir wollen, dass die ganze Welt VR nutzt, muss das Design der Brillen besser werden.

com! professional: Die komplette Ausblendung der Realität ist ein weiterer Kritikpunkt an VR-Lösungen. Wird es zukünftig vermehrt Mixed-Reality-Produkte geben, die eine bessere Orientierung im realen Raum ermöglichen?
Weinstein: Ja, ich denke es wird in diese Richtung gehen, und mit dieser Meinung stehe ich nicht allein. Auch wenn das Eintauchen in virtuelle Realitäten großen Spaß macht, leben wir schließlich in einer physischen Welt. Es kann bei bestimmten Anwendungen sehr wichtig sein mitzubekommen, was um einen herum vorgeht. Deshalb wird Mixed Reality langfristig gesehen viele sinnvolle Einsatzzwecke finden.
com! professional: Warum sehen wir noch vergleichsweise wenige Mixed-Reality-Anwendungen?
Weinstein: Wir mussten in VR eine Menge kniffliger Probleme lösen, um die Qualität zu erreichen, die wir heute haben. In Mixed Reality sind die Herausforderungen um eine Größenordnung schwieriger. Die Tracking-Genauigkeit muss Bruchteile eines Millimeters betragen, um virtuelle Gegenstände passgenau in einer realen Welt zu platzieren, die Probleme der Lichtführung sind immens. Die Komplexität hier ist der Grund, warum die Entwicklung einige Jahre hinter der von VR hinterherhinkt.

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