Cloud
08.06.2018
Lift and Shift oder Re-Factoring
1. Teil: „Die vielen Wege der Cloudifizierung“

Die vielen Wege der Cloudifizierung

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Bild: Shutterstock / bestfoto77
Welchen Ansatz sollten Unternehmen beim Umzug in die Cloud fahren? Ein Patentrezept dafür gibt es nicht, da sich je nach Ausgangslage unterschiedliche Vorgehensweisen für die Cloudifizierung anbieten.
Heutzutage müsse jedes Unternehmen eine Software-Schmiede sein, meint bekanntlich Microsofts CEO Satya Nadella. Genauso sieht das Karl-Heinz Streibich, CEO der Software AG: „Die Digitalisierung findet jetzt auf der wertschöpfenden Seite statt“, sagte er auf dem Tag der Deutschen Industrie im vergangenen Jahr. Die Digitalisierung basiere auf dem Bewusstsein, dass Software-Plattformen „den Kern der neuen Geschäftsmodelle“ darstellen. Für diese Software-Plattformen würden Unternehmen Fachkräfte benötigen, die „Software verstehen“.
Gerade darin sehen viele Mittelständler eine enorme He­rausforderung. Denn für sie gilt es auf einmal, proprietäre Altlasten-Software für die massive Skalierbarkeit der IoT-Ära fit zu machen. Die technischen Kompetenzen, die hierzu benötigt werden, stehen nicht allen Unternehmen frei zur Verfügung. Hinzu kommen zusätzliche Hürden im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Einhaltung regulatorischer Vorschriften wie der Datenschutz-Grundverordnung. So viel Transformation auf einmal lässt sich nicht so leicht bewältigen.

Schwierige Transformation

Die Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen gestaltet sich offenbar deutlich schwieriger als erwartet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des ECM-Herstellers D.velop. Die „Branchenstudie Digitalisierungsstatus 2017“ habe „erhebliche Defizite gerade in der Projektrealisierung“ aufgedeckt, wie Mario Dönnebrink, Vorstand Marketing und Vertrieb und CMO bei D.velop, zusammenfassend feststellt. Ursache für die ausbleibenden Erfolge der Digitalisierung, so die Studie, dürfte vor allem sein, dass es „vielen Unternehmen noch an einem ausreichenden digitalen Know-how fehlt“. Diese Einschätzung bestätigten knapp 40 Prozent der Befragten. Doch damit nicht genug: Auch Probleme bei den Zieldefinitionen und der methodischen Umsetzung haben demnach negativen Einfluss auf die Erfolgsquote der Digitalisierungsmaßnahmen. Als weitere Ursachen nannten die Befragten Herausforderungen bei den Kosten- und Zeitplanungen im eigenen Betrieb. In jedem vierten Fall verwiesen sie zudem ausdrücklich auf übergeordnete Instanzen der Fachbereiche als nicht hinreichend förderlich für den digitalen Wandel.
Dabei sind die Prognosen eigentlich ermutigend. Laut einer McKinsey-Studie soll Deutschland gerade einmal 10 Prozent seines digitalen Potenzials ausschöpfen. Würden mittelständische Unternehmen hierzulande die Möglichkeiten der Digitalisierung in vollem Umfang nutzen, ergäbe sich daraus bis 2025 ein zusätzliches Wertschöpfungspotenzial von rund 126 Milliarden Euro, rechnen die McKinsey-Analysten im Studienbericht „Die Digitalisierung des deutschen Mittelstands“ vor.
Um dieses Wachstum zu realisieren, müssen Unternehmen die IT-spezifischen Herausforderungen der Digitalisierung, darunter die „Cloudifizierung“ ihrer IT-Arbeitslasten, meistern. Ein klassisches Beispiel stellt die Auslagerung temporärer kritischer IT-Arbeitslasten in die Cloud dar, auch bekannt als Cloud-Bursting.
2. Teil: „Cloud-Bursting“

Cloud-Bursting

  • Quelle: McKinsey
Mit der Aufgabe, ihre Workloads in die Cloud zu verschieben, sehen sich mittlerweile Unternehmen jeder Größe konfrontiert. Unternehmen „cloudifizieren“ ihre IT-Arbeitslasten, sei es, um Kosten zu senken, um ihre Kapitalbindung zu reduzieren, um die Verfügbarkeit kritischer Dienste zu verbessern oder um im Notfall eine reibungslose Wiederherstellung zu gewährleisten.
Ein typischer Anwendungsfall für den Aufbau einer hy­briden IT-Umgebung, bestehend aus unternehmenseigener IT und den Diensten eines oder mehrerer Cloud-Anbieter, besteht darin, zeitweilige Belastungsspitzen aus dem unternehmenseigenen Rechenzentrum möglichst kosteneffizient auf die externe Infrastruktur auszulagern. Dieser Ansatz minimiert die Kapitalbindung und verbessert die unternehmerische Agilität, indem die benötigten Kapazitäten bedarfsgerechter provisioniert und kostensparend freigegeben werden.
In einer perfekten Welt würde ein IT-zentrisches Unternehmen nur noch cloudoptimierte oder, noch besser, cloud-native, containerisierte Workloads aufsetzen und diese vorzugsweise als verteilte Anwendungen in Form von „selbstheilenden“ Microservices implementieren, um sich die Robustheit und Kosteneffizienz verteilter Architekturen hybrider IT-Umgebungen zunutze zu machen. Altlasten-Software würde durch sogenanntes Re-Factoring und Re-Architecting von Grund auf neu entwickelt werden und dadurch zum vollwertigen Cloud-Mitglied werden können.
In der Praxis können nur die wenigsten Unternehmen dieses Ziel kurzfristig erreichen. Für viele sind Kompromisse unvermeidlich – die trotzdem teuer werden können.
Wege in die Cloud
Für Unternehmen führen je nach verfügbarem Zeit- und Budgetrahmen potenziell mehrere Strategien zu einer erfolgreichen Cloud-Migration ihrer Workloads:
  • Re-Factoring/Re-Architecting: Für Software-Entwickler geht es zurück zum Reißbrett, um die gesamte IT-Umgebung von Grund auf als cloud-nativ zu konzipieren. Dieser Ansatz zählt zu den teuersten und zeitaufwendigsten; einigen Anwendungen lassen sich allerdings erst dann sinnvoll Cloud-Fähigkeiten verleihen, nachdem sie zunächst per Lift and Shift in die Cloud übertragen wurden.
  • Re-Platforming (gegebenenfalls mit Re-Purchasing):
    Zur Optimierung der Architektur für die Anforderungen der Cloud werden vorab lediglich geringfügige Anpas­sungen an den Anwendungen oder der virtualisierten Infrastruktur vorgenommen (zum Beispiel werden andere Instanzgrößen gewählt); eventuell erfolgt die Migration zu alternativen Lösungen anderer Anbieter; ein Software-Framework wie Apprenda kann den Vorgang erleichtern und einige cloud-native Fähigkeiten auch bei Altlasten-Software vortäuschen.
  • Lift and Shift (Re-Hosting): Eine schnelle Migration von Workloads aus dem unternehmenseigenen Rechenzen­trum in die Cloud sieht in den meisten Fällen aus Zeitgründen keinerlei architektonische Anpassungen vor. Automatisierungs-Tools wie Racemi oder AWS VM Import/Export erleichtern die Migration, nicht jedoch etwa­ige Code-Optimierungen.
3. Teil: „Lift and Shift“

Lift and Shift

  • Milliardenpotenzial: Je nach Branche ermöglicht die Digitalisierung bis 2025 eine beachtliche zusätzliche Wertschöpfung.
    Quelle:
    McKinsey Global Institute
Die einfachste Art der Migration bestehender Work­loads aus dem unternehmenseigenen Rechenzentren in die Cloud ist das sogenannte Lift and Shift oder Re-Hosting. Die Workloads werden hierbei als Images virtueller Maschinen von ihrem ursprünglichen Ablageort im Rechenzentrum „hochgehoben“ (Lift) und praktisch unverändert in ihre neue Zielumgebung bewegt (Shift).
Während Cloud-Puristen bei Lift and Shift mit dem Kopf schütteln, ist dieser Ansatz nach wie vor sehr beliebt, denn er reduziert die Betriebskosten, erweitert die Kapazitäten und sorgt dafür, dass sich schnell das erste Erfolgserlebnis einstellt. So kommt die Cloud-Migration vielerorts überhaupt erst zustande.
Eben diesen Weg hat zum Beispiel GE Oil & Gas eingeschlagen, eine Geschäftssparte des Konzerns General Electric. Die Führungsetage von GE Oil & Gas stand vor der Aufgabe, die TCO-Kosten der eigenen IT um mehr als die Hälfte zu reduzieren und gleichzeitig die Agilität zu erhöhen.
Es wurde beschlossen, alle Workloads von Grund auf als cloud-native Dienste aufzusetzen. Bald stellte sich die Aufgabe allerdings als viel zu umfangreich und unerwartet kompliziert heraus, der Zeitrahmen als ungewiss und das zu erwartende Geschäftsergebnis als nicht proportional zum Aufwand. Für die Transformation zeichnete der CTO Ben Wilson verantwortlich. Er entschied, mit dem Lift and Shift einiger Workloads in die Cloud einen Mittelweg zu gehen und nach Priorität nur einige handverlesene Anwendungen für die Cloud neu zu entwickeln. Bis Ende 2016 konnten so über 500 Applikationen und 750 TByte an Daten erfolgreich in die Cloud migriert werden. Die TCO fiel um 52 Prozent.
Bei all seinen Vorteilen stellt der Lift-and-Shift-Ansatz jedoch kein Patentrezept für den Erfolg einer Cloud-Migration dar. In vielen Fällen offenbart er vielmehr gravierende konzeptionelle Defizite bestehender Anwendungen. Klobige, monolithisch aufgebaute Altlasten-Software weiß mit der elastischen horizontalen Skalierbarkeit einer Cloud-Umgebung nichts anzufangen, weswegen oft tiefer greifende Optimierungen bis hin zum Re-Factoring und Re-Architecting unumgänglich sind.
4. Teil: „Re-Factoring“

Re-Factoring

  • Know-how ist Mangelware: Fehlende digitale Kompetenzen sind häufig die Hauptursache für Schwierigkeiten bei der Digitalisierung.
    Quelle:
    D.velop AG
Bei Netflix begann die „Cloudifizierung“ der unternehmenseigenen IT mit einem regelrechten Daten-GAU. Der Streaming-Dienst hatte die Cloud noch gar nicht auf dem Radar, als ein Zusammenbruch der relationalen Datenbank im August 2008 den Betrieb für drei Tage lahmlegte. „Zu diesem Zeitpunkt hatten wir gerade die Notwendigkeit erkannt“, erinnert sich Yury Izrailevsky, Vice President Cloud und Platform Engineering bei Netflix, „weg von ausfallanfälligen Architekturen vertikal skalierbarer Systeme wie unserer relationalen Datenbank hin zu robusten (...) verteilten Anwendungen der Cloud-Ära zu migrieren.“ Also kein Lift and Shift, sondern Re-Factoring und Re-Architecting. Anfang 2015, nach sechs Jahren Umstellung, war dann zunächst die Mehrheit der kundenzentrischen Workloads in der AWS-Cloud untergebracht. Ein weiteres Jahr später, im Januar 2016, konnte Netflix endlich das letzte seiner eigenen Rechenzentren vom Netz nehmen.
Der Aufwand hat sich gelohnt: In der Zeit der Cloud-Mi­gration zwischen 2008 und 2015 erlebte das Unternehmen, gemessen an der Anzahl der bereitgestellten Streaming-Stunden, ein beispielloses Wachstum um den Faktor tausend. Als Resultat der Modernisierung der eigenen Software-Plattform konnte Netflix im Januar 2016 die eigenen Dienste quasi im Vorbeigehen auf weitere 130 Länder ausweiten.
Cloud-native Anwendungen als containerisierte Microservices stellen im Hinblick auf die betriebliche Effizienz, die horizontale Skalierbarkeit und die selbstheilende Robustheit bei unternehmenskritischen Workloads klar das Nonplusultra dar. In vielen Fällen kommt es im ersten Anlauf jedoch da­rauf an, in der Cloud überhaupt Fuß zu fassen.
Wer sich nicht etliche Jahre mit dem Re-Factoring befassen möchte, für den führt der Lift-and-Shift-Ansatz zweifelsohne schneller ans Ziel. Beim Re-Factoring geht vielen Unternehmen schon mal die Puste aus.

Der dritte Weg

Der Wettbewerb um die besten Köpfe der Software-Entwicklung spitzt sich zu. Der Mittelstand zieht dabei oft den Kürzeren. So bescheinigt McKinsey deutschen Unternehmen Schwierigkeiten, Fachkräfte wie Datenanalysten, Software-Entwickler und Designer an Standorte mit weniger als 300.000 Einwohnern zu locken. Für die Umsetzung von Digitalisierungsinitiativen wie Re-Factoring von Altlasten-Anwendungen bedeutet das: Stillstand.
Es geht jedoch auch ohne den Sprung ins kalte Wasser der Entwicklung containerisierter Microservices für verteilte cloud-native Workloads. Lösungen wie die Apprenda Cloud Platform stellen einen dritten Weg dar: Apprenda verwandelt eine beliebige IT-Infrastruktur in eine richtliniengesteuerte hybride Cloud-Anwendungsplattform auf der Basis von Google Kubernetes. Zu seinen Nutzern zählt das US-amerikanische Start-up Apprenda Namen wie JP Morgan Chase und Boeing.
„Das ultimative Alleinstellungsmerkmal unseres Ansatzes besteht in der Unterstützung beliebiger Infrastrukturen und eines breit gefächerten Portfolios von Anwendungsarchitekturen“, sagt Erik Lustgarten, Senior Sales Engineer von Apprenda. Die Lösung sei die einzige, die sowohl containerisierte, native Cloud-Work­loads unterstützen als auch vorhandene Anwendungen modernisieren könne. Andere Plattformen unterstützten lediglich bereits containerisierte Workloads.
Ein gewisses Maß an Vendor-Lock-in sei beim Einsatz von Technologieprodukten wie Apprenda in der Praxis „schlicht unvermeidbar“, räumt Lustgarten ein. Entweder bestehe eine Abhängigkeit von einer technischen Architektur oder aber aus der operativen oder geschäftlichen Perspektive. Dabei sei wichtig zu wissen, wo genau Abhängigkeiten bestehen und aus welchem Grund man diese eingegangen ist. In jedem Fall sollte man sich Gedanken darüber machen, wie eine mögliche Fallback-Strategie zum Wechsel des Anbieters aussehen könne.
Mit Hilfe einer einheitlichen Entwicklungssprache soll die Apprenda-Plattform die Dev- und die Ops-Abteilungen in Unternehmen auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Die IT würde ihre Richtlinien, Kontrollen und andere Funktionen konfigurieren, während die Entwickler die ihnen bereitgestellten Dienste zeitsparend im Selbstbedienungsverfahren in Anspruch nehmen. So könnten Unternehmen Zeit für die „Cloudifizierung“ ihrer kritischen Workloads gewinnen, ohne den laufenden Betrieb zu gefährden. „Wir möchten, dass unsere Kunden ihre erste App innerhalb von 30 bis spätestens 60 Tagen im Produktivbetrieb am Laufen haben“, so Lustgarten. Unternehmen könnten dann die gewonnenen Erkenntnisse „auf die nächsten 100 oder 1000 Apps anwenden“.
5. Teil: „Cluster und Ökosysteme“

Cluster und Ökosysteme

Mit der Digitalisierung begeben sich Unternehmen auf unsicheres und unbekanntes Terrain – in der Regel auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko.
Das sei der falsche Weg, sind sich die von uns befragten Experten einig. Man müsse sich vielmehr in Ökosystemen zusammenfinden, um den Risiken entgegenzuwirken. „Unternehmen sollten neue Wege gehen und Netzwerke für einen werthaltigen Wissenstransfer aufbauen“, urteilt etwa D.velop-Vorstand Mario Dönnebrink. „Mittelständische Firmen müssen Partner suchen, Cluster bilden“, pflichtet ihm Karl-Heinz Streibich bei. „Keiner kann das alleine schaffen; auch die ganz Großen schaffen es nicht alleine“, so Streibich weiter.
Ein Konzern wie die Deutsche Bank möchte die Cloud-Transformation ebenfalls nicht ohne Unterstützung von außen stemmen: Sie setzt auf strategische Partnerschaften. In einem vielbeachteten Zehnjahresabkommen im Wert von vielen Milliarden Euro ging beispielsweise die Data-Center-Sparte für das Großkundengeschäft der Deutschen Bank fast vollständig an HPE. Aus regulierungstechnischen Gründen wurden einige Unternehmensbereiche wie die IT-Architektur und die Cybersecurity von dem Abkommen ausgeschlossen. Für den Betrieb des Privatkundengeschäfts der Deutschen Bank hat wiederum IBM den Zuschlag erhalten.
Viele Firmen neigen allerdings dazu, dringend benötigte Modernisierungsinitiativen auf die lange Bank zu schieben. Das sei falsch, denn weitere Verzögerungen könnten die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig schädigen, argumentiert Mario Dönnebrink. Und das Warten kann teuer werden.

Fazit

Für eine erfolgreiche Cloud-Migration gibt es noch kein Patentrezept. So greift der Lift-and-Shift-Ansatz bei vielen Anwendungen einfach zu kurz und für Re-Factoring und Re-Architecting brauchen Unternehmen einen langen Atem. Technologieplattformen wie Apprenda können die Software-Anpassung an die Besonderheiten der Cloud in gewissen Grenzen erleichtern und auch den Zeitrahmen etwas lockern. Doch erst Partnerschaften erlauben es Unternehmen, ihre Kompetenzen auszubauen und die Risiken der Digitalisierung erfolgreich zu bewältigen.

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