Business-IT
01.09.2020
Software-Entwicklung
1. Teil: „Jeder verfügt über ein Weiterbildungsbudget“

Jeder verfügt über ein Weiterbildungsbudget

WeiterbildungWeiterbildungWeiterbildung
Tashatuvango / shutterstock.com
Das Leitbild: gute Arbeit für die Kunden, attraktiver Arbeitgeber für die Mitarbeiter.
  • Gabriela Keller: CEO Ergon Informatik
    Quelle:
    Samuel Trümpy
Entwickeln von Individual-Software funktioniert heute nicht mehr wie vor 25 Jahren. Damals stieg Gabriela Keller als Programmiererin bei Ergon Informatik in, zu dessen Kunden etwa der Pharmagroßkonzern Roche gehört. Ab 2000 war sie in der Geschäftsleitung verantwortlich für Marketing und Personal, seit Mitte 2016 ist sie nun CEO des Unternehmens - und vermisst die Software-Entwicklung manchmal. Sie räumt aber ein, dass sich die Technologie weiterentwickelt hat und neue Ansätze wie DevOps und auch spezielle Kundenanforderungen sie und ihre mittlerweile 300 Kollegen stark umtreiben.
com! professional: Sie haben den Ausbau des Consulting-Geschäfts besonders vorangetrieben. Was waren die Gründe dafür?
Gabriela Keller: So haben wir die Möglichkeit, Kunden auch für die Strategieerarbeitung sowie in der Ideenphase von Projekten nachhaltig zu begleiten und unsere Kernkompetenzen kundenorientiert zu entwickeln.
com! professional: Wie groß ist das Consulting-Team?
Keller: Aktuell besteht es im Kern aus vier Personen. Wenn man die Engineers dazurechnet, die ihre Expertise einbringen und die sich in einer Community of Practice für Consulting engagieren, dann steigt die Anzahl substanziell. Im Vergleich zu den gut 220 Software-Engineers ist dies eine kleine, aber feine Truppe, die unsere Kunden bei den Herausforderungen der Digitalisierung sehr fundiert und wirksam unterstützen kann.
com! professional: Was für Unternehmen kommen für ihr erstes Software-Projekt auf Ergon zu?
Keller: Viele sind Unternehmen, die sich aktuell mit der Digitalisierung ihres Geschäfts auseinandersetzen und Prozesse optimieren wollen. Sie arbeiten oft mit Standard-Lösungen, die nicht flexibel genug sind für die neuen Anforderungen. Dann ist die eine Möglichkeit, auf eine andere Standard-Software umzusteigen. Eine zweite Option ist die Individualentwicklung einer Lösung.
Entscheidet sich der Kunde für eine Eigenentwicklung, erarbeiten wir gemeinsam Ziele und Anforderungen. Wir setzen großen Fokus auf die Benutzerfreundlichkeit, quasi die vom Nutzer erlebte Qualität. Denn um nachhaltigen Erfolg sowie eine hohe Nutzerakzeptanz zu erreichen, müssen die Lösungen auch gut bedienbar sein. Nicht zu vergessen sind Unternehmer mit einer großen Idee, die einen Technologie-Partner suchen. Wir durften bereits mit einer Vielzahl von Start-ups wortwörtlich von der Idee bis zum Markterfolg zusammenarbeiten.
com! professional: Programmieren Sie wirklich alles selbst?
Keller: Wir entwickeln die Software-Lösungen selbst. Natürlich verwenden wir eine Vielzahl von Frameworks und Komponenten, aber wir integrieren die Lösungen auch in die bestehenden Systemlandschaften der Kunden.
2. Teil: „Individuelle Kundenbedürfnisse realisieren“

Individuelle Kundenbedürfnisse realisieren

com! professional: Sie haben auffallend wenige Partnerschaften mit großen Software-Lieferanten.
Keller: Wir sind ein unabhängiger IT-Dienstleister und kein klassischer Systemintegrator. Wir realisieren Kundenprojekte, die auf die jeweiligen individuellen Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sind, und wir entwickeln primär Systeme, die es so noch nicht gibt. Allerdings sind zum Beispiel im Cloud-Umfeld mittlerweile einige neue Partnerschaften entstanden, sodass wir heute alle gängigen Cloud-Plattformen bedienen. Zusätzliche Partnerschaften pflegen wir im Bereich Airlock, unserem Sicherheitsprodukt. Airlock ist etwa integrierter Teil von Banken-Software.
com! professional: Welche bemerkenswerten Kundenprojekte haben Sie in den vergangenen Monaten begleitet?
Keller: Ein kürzlich abgeschlossenes Projekt konnten wir mit Vision Apartments realisieren: Wir haben für sie eine Plattform für die Bewirtschaftung und Vermietung der möblierten Wohnungen entwickelt. Sie wollten ein zusammenhängendes Property-Management-System entwickeln, das die Grundlage für ihr Business bildet. Weiter konnten wir einige Kleinprojekte im Augmented-Reality-Umfeld umsetzen, zum Beispiel eine mobile AR-App­likation für das Amt für Städtebau der Stadt Zürich. Andere Vorzeigeprojekte sind ein web­basiertes Management-System für das Straßeninspektorat des Kantons Luzern, das den Winterdienst bei der Planung, Durchführung und Dokumentation der Einsätze unterstützt. Für Coop realisieren wir eine Lösung für die Warenwirtschaft, die über 100 Millionen Transaktionen pro Woche bewältigt, mehr als bei vielen Banken.
com! professional: Ergon hat viele langjährige Kundenbeziehungen. Können Sie bitte ein Beispiel geben?
Keller: Seit 20 Jahren dürfen wir die Liechtensteinische Landesbank (LLB) zu unseren Kunden zählen. 1999 war ich die erste Projektleiterin, als das Institut uns beauftragt hat, ein
E-Banking zu entwickeln.
com! professional: Womit überzeugt Ergon seine Kunden?
Keller: Ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal ist das Expertenwissen von 300 hoch qualifizierten Fachleuten, die alle in Zürich stationiert sind und vom täglichen Wissensaustausch profitieren. Ein weiteres Merkmal ist zudem die durchgängige Security-Kompetenz, die auch mit unserem einzigen eigenen Produkt - dem Airlock Secure Access Hub - abgedeckt wird.
com! professional: Haben Sie selbst Freude daran, Ihren Kollegen bei der Problemlösung zu helfen?
Keller: Die Fehlersuche macht mir schon Spaß, ja! [lacht]
com! professional: Wirklich? Möchten Sie auch heute noch beim Entwickeln von Software helfen?
Keller: Das wäre schwierig. Die grundlegenden Methoden sind zwar noch die gleichen wie vor 20 Jahren. Allerdings gibt es bei Tools, Frameworks und Ansätzen wie Continuous Delivery und DevOps große Veränderungen. Hier fehlt mir schlicht die Praxis.
com! professional: Vermissen Sie die Programmierarbeit?
Keller: Nein und ja. Als ich in die Geschäftsleitung eintrat, habe ich immer mehr eigene Projekte ab­gegeben. Bei der Firmengröße von damals 60 Leuten konnte ich andere spannende Aufgaben übernehmen. Dennoch würde ich heute auch noch gerne Software entwickeln.
com! professional: Welche Folgen hat die Cloud für das Software-Development?
Keller: Ergon hat die Entwicklung intensiv beobachtet und Technologien analysiert. Dass Kunden aktiv mit dem Thema auf uns zukommen, hat sich erst in den letzten zwölf Monaten intensiviert. Heute sind die Kundenbedürfnisse da und unsere Kompetenzen umfassen alle gängigen Cloud-Plattformen.
3. Teil: „Weiterbildung geht immer“

Weiterbildung geht immer

com! professional: Fördern Sie die Weiterbildung Ihrer Angestellten?
Keller: Selbstverständlich. Jeder Ergonianer verfügt über ein Weiterbildungsbudget von zehn Tagen pro Jahr. Die Angestellten interessieren sich auch in der Freizeit für die Fach­themen und bilden sich darin fort.
com! professional: Betreibt Ergon intern eine spezielle Plattform für den Wissensaustausch der Angestellten?
Keller: Nein. Es gibt eine Reihe von Kommunikationslösungen, darunter die Atlassian-Suite für Collaboration, Ticketing und Chat. Zusätzlich haben wir organisierte Formate wie Communities of Practice, in denen die Angestellten auch über Teamgrenzen hinweg zusammenarbeiten. Diese Initiativen sind alle auf freiwilliger Basis, eine verordnete Plattform gibt es bei Ergon nicht.
com! professional: Gibt es Branchen, die Sie überhaupt nicht bedienen?
Keller: Wenige. Wir sind heute bewusst sehr breit auf­gestellt. Vor dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang des Jahrtausends waren wir stark auf die Finanzindustrie fokussiert. In eine ähnlich große Abhängigkeit von einzelnen Branchen möchten wir nicht noch einmal geraten. Heute erwirtschaften wir noch rund ein Drittel des Umsatzes mit der Finanzbranche, wobei unser Sicherheitsprodukt Airlock Secure Access Hub hier auch viel beiträgt. Weitere starke Kundengruppen sind der Einzelhandel und die Industrie. Mit dem Weltmarktführer Belimo zum Beispiel arbeiten wir schon seit 2006 zusammen und haben eine Plattform entwickelt, die eine wichtige Referenz im Bereich Internet der Dinge (IoT) ist.
com! professional: Wo setzen Ergon und Ihre Kunden auf Künstliche Intelligenz?
Keller: Wir experimentieren mit vielen Kunden zum Thema. So konnten wir in der Ventiltechnologie zur Herstellung von PET-Flaschen Eugen Seitz dabei unterstützen, den Produk­tionsprozess zu optimieren. Weiter gibt es Projekte im Zusammenhang mit Cloud-Anbietern wie Google, bei denen Kunden mit KI-Vorhaben auf uns zukommen. Hier geht es um Anwendungen wie Bild- oder Mustererkennung, Datenanalysen, Sprachsteuerung und so weiter.
com! professional: Spielt die Blockchain schon eine Rolle bei Ihren Kundenprojekten?
Keller: Aktuell arbeiten wir für einige Unternehmen aus dem Kryptowährungsbereich. Abgesehen davon gibt es Anfragen für Consulting im Blockchain-Umfeld. Noch fehlen Anwendungsfälle für eigene Blockchains. Uns interessiert die Technologie aber sehr und wir experimentieren damit.
4. Teil: „Fachkräftemangel“

Fachkräftemangel

com! professional: Haben Sie Probleme, neue Mitarbeiter zu rekrutieren - Stichwort: Fachkräftemangel?
Keller: Der Fachkräftemangel nimmt zu, doch bis jetzt finden wir noch immer die Experten, die wir benötigen. Aber wir müssen uns schon mehr anstrengen als zuvor. Daneben registrieren wir einen Wandel in der Belegschaft. Bei jüngeren Kollegen ist die Fluktuation eher höher, denn sie wollen mehr Jobs kennenlernen oder eigene Ideen verwirklichen.
com! professional: Ist Google am Standort Zürich eher ein Personallieferant oder ein Wettbewerber für Ergon?
Keller: Für den IT-Standort Zürich ist die Präsenz von Google sicher ein Vorteil. Die Attraktivität der Arbeitsplätze dort hat sich herumgesprochen, sodass etwa die ETH einen echten Run auf die Informatik-Studienplätze erlebt. Von den höheren Studierendenzahlen profitieren natürlich neben Google auch Ergon und die anderen IT-Unternehmen in der Schweiz.
com! professional: Sie haben erwähnt, dass die Benutzererfahrung eine wichtige Rolle spielt bei Entwicklungsprojekten. Stellen Sie auch Designer und Psychologen ein?
Keller: Wir haben ein UX-Team mit verschiedenen Experten, die vom Design oder von der Research her kommen, aber auch solche mit Engineering-Background. Bei UX geht es nicht nur darum, eine hübsche Oberfläche zu gestalten oder Buttons am richtigen Ort zu platzieren. Vielmehr müssen die dahinterliegenden Abläufe optimal gestaltet sein. Ich gehe davon aus, dass in ein bis zwei Jahren jedes unserer Teams einen UX-Spezialisten - mit Informatik-Ausbildung oder ohne - haben wird. Die Zusammenarbeit wird interdisziplinärer werden. Ein anderer Bereich, in dem wir fachfremdes Personal haben, ist das Software-Testing. Hier arbeiten wir viel mit Abiturienten. Sie liefern den Entwicklern oft sehr wertvolle Hinweise fürs Weiterentwickeln von Prototypen.
com! professional: Welche Pläne hat Ergon für die nähere Zukunft?
Keller: Unsere Mission ist es zunächst einmal, gute Arbeit für unsere Kunden zu leisten und ein attraktiver Arbeit­geber für unsere Mitarbeiter zu sein. Zusätzlich wollen wir die Bereiche Consulting, Business-Analyse, Requirements Engineering und UX noch stärker ausbauen.
Den heutigen Umsatzanteil von 5 Prozent wollen wir innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre verdoppeln. Das ist ein ambitioniertes Ziel, wir sind jedoch motiviert und entschlossen. Weiterhin möchten wir den Neukundenanteil von 17 Prozent gerne halten. Bei Airlock steht die weitere Internationalisierung an. Derzeit sind wir mit Partnern in 18 Ländern vertreten.

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