Business-IT
14.08.2018
Die wahren Weltmeister
1. Teil: „Die USA beherrschen die ­digitale Wirtschaft “

Die USA beherrschen die ­digitale Wirtschaft

Container von Google, Amazon, Microsoft und FacebookContainer von Google, Amazon, Microsoft und FacebookContainer von Google, Amazon, Microsoft und Facebook
Grzegorz Petrykowski / shutterstock.com
Deutschland ist Exportnation Nummer eins, hinkt im Internet-Business aber hinterher. Der Digitalmarkt wird vor allem von den USA durch Google, Amazon, Facebook und Co. dominiert.
Kaum war US-Präsident Donald Trump im Amt, sorgte er in deutschen Wirtschaftskreisen für Aufregung. Er sehe ­lauter BMW und Mercedes in Amerika herumfahren, monierte er Anfang 2017, US-Autos auf deutschen Straßen seien indes selten. Dies sei unfair und müsse sich ­ändern – notfalls durch Strafzölle.
Wenn es um Autos geht, ­reagiert die Deutschland AG empfindlich. Dabei gehört es zu den Merkwürdigkeiten des internationalen Handels, dass heute ein Auto, das aus den USA in die EU importiert wird, mit 10 Prozent Zoll belegt wird, während für Autoexporte in die Gegenrichtung nur 2,5 Prozent Zoll fällig werden. Und wer hätte gedacht, dass der größte Autoexporteur der USA ausgerechnet ­eine deutsche Firma ist? BMW stellt in seinem Werk in Spartanburg/South Carolina einen Großteil aller SUVs her, die das ­Unternehmen weltweit verkauft. 
Dennoch: Gerade Deutschland, das stolz ist auf seinen Ruf als Exportweltmeister, hat mit seinem massiven Handelsbi­lanzüberschuss immer mehr Pro­bleme. Waren im Wert von 1,2 Billionen Euro verkauften deutsche Unternehmen 2017 ins Ausland. Vergleicht man die Aus- mit den Einfuhren, bleibt ein Überschuss von 248 Milliarden Euro. Kurz: Für jeden Euro, den Deutschland exportiert, importiert es nur 79 Cent. Das ist Weltrekord. Nach Schätzungen des IFO-Instituts macht der deutsche Exportüberschuss rund 8,6 Prozent unserer Wirtschaftsleistung aus. Am anderen Ende der Skala rangieren die USA mit ­einem Handelsdefizit von fast 800 Milliarden Dollar – das ist rund das Doppelte des deutschen Bundeshaushalts 2017.

US-Dominanz im Internet

  • Top 10 weltweit: Die wertvollsten Unternehmen sind US-Digitalkonzerne. Öl-Multi Exxon rangiert auf Platz sieben.
    Quelle:
    WTO / Statista
Egal ob man auf die deutsche Exportstärke mit Stolz oder mit Sorge blickt: Die Zahlen sagen nur die halbe Wahrheit. Denn die USA mögen zwar weder bei Autos noch bei Heimtexti­lien die Märkte der Welt beherrschen, dafür dominieren sie die digitale Weltwirtschaft. Das geht bereits bei Software los: Microsoft ist nach wie vor der führende Anbieter für Office-Anwendungen und Betriebssysteme. Smartphones laufen entweder auf Software von Apple oder von Google – der Rest ist vernachlässigbar.
Das größte Video-Netzwerk der Erde heißt Youtube, der meistverwendete Messenger WhatsApp, die führende Suchmaschine Google und das wichtigste Social Network Facebook. Google und Facebook kontrollieren ­gemeinsam über 50 Prozent des weltweiten Werbemarkts – des gesamten Werbemarkts, nicht nur des digitalen.
Auch ein Blick auf die Infrastruktur der digitalen Welt zeigt, wo das Internet zu Hause ist: Der größte Webhoster und Domain-Registrar weltweit ist Godaddy aus Arizona. Das Unternehmen übernahm 2016 die Host Europe Group. Und um den Platz des größten Cloud-Anbieters weltweit streiten sich Amazon und Google, auf den folgenden Plätzen rangieren IBM und Microsoft. Die USA gaben zwar 2016 offiziell die Kontrolle über ICANN auf, die Koordinierungsorganisation für Internetadressen und Domains, dennoch: Ohne Amerika geht wenig im Internet.
Das gilt sogar für freie Software, auf der das World Wide Web läuft. Die Entwicklung des Apache-Webservers, der meistverwendeten Software für Internet-Server weltweit, wird von der Apache Foundation in Delaware koordiniert, finanziert vor allem von der US-amerikanischen IT-Industrie. Und die Wordpress-Foundation, die das am meisten benutzte Content-Management-System verwaltet, wurde 2005 in San Francisco gegründet.   
2. Teil: „Top Ten ohne Deutschland“

Top Ten ohne Deutschland

  • Quelle: Tagesschau.de
Europäische Unternehmen von Weltrang sucht man in diesem Konzert vergebens. Die VW Group mag zwar der größte ­Autohersteller der Welt sein, aber weder im Marken- noch im Unternehmenswert rangieren die Wolfsburger unter den Top Ten. Ein Blick auf die Tabelle (unten) zeigt, wie stark IT- und Online-Branche ­inzwischen die Welt dominieren: Apple, Google/Alphabet, Microsoft und Amazon führen die Rankings an – und bis auf den chinesischen Tencent-Konzern taucht überhaupt kein nicht amerikanischer ­Name auf. Stellt sich die Frage: Wie kann es sein, dass die USA einerseits die größten Konzerne der Welt hervorbringen und andererseits das höchste Handelsbilanzdefizit auf dem Globus aufweisen?
Experten melden Zweifel an, ob die übliche Berechnung der Außenhandelsaktivitäten eines Landes im Internetzeit­alter noch angemessen ist. Bereits seit Längerem geistert der Begriff des digitalen Handelsdefizits durch die Medien. So wies 2014 der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW), Marcel Fratzscher, darauf hin, dass bei digitalen Services ein US-Exportüberschuss gegenüber Europa von mindestens 68 Milliarden Dollar pro Jahr entstanden sei.
Der EU-Binnenmarkt mit seinen mehr als 400 Millionen Konsumenten steht Anbietern wie Facebook und Google völlig ohne Einschränkungen offen, moniert zum Beispiel Ex-Staatssekretär Friedbert Pflüger, heute Vorsitzender des Thinktanks Internet Economy Foundation in Berlin. In ­einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“ empfahl Pflüger unlängst der deutschen Politik, diesen Umstand nicht aus den ­Augen zu verlieren, wenn das nächste Mal über US-Strafzölle verhandelt werde.   

Digitale Dienstleistung

  • Top 10 Marken weltweit: Neun der zehn wertvollsten Marken kommen aus den USA.
    Quelle:
    WTO / Statista
Wie hoch der aktuelle Exportüberschuss der US-Digitalwirtschaft tatsächlich ist, lässt sich schwer beziffern, denn vielfach ist kaum festzustellen, wo genau eine bestimmte Leistung überhaupt erbracht wird. Nur ein Beispiel: Ein deutscher Nutzer besucht eine italienische Website, die bei Amazon gehostet wird. Die Seite ­benutzt Fotos von Shutterstock, bei ihrer Erstellung wurde die Adobe Creative Cloud eingesetzt, beim Marketing die ­Adobe Marketing Cloud. Der Nutzer ­bekommt Adsense-Anzeigen von Google eingeblendet, das Leaderboard am Seitenkopf wurde über die Group M vermarktet, welche sich auf Targeting-Infos von Criteo stützt. Schließlich bestellt der Nutzer – und bezahlt via Paypal …
Mit dieser Situation ist nicht nur das DIW überfordert, sondern auch unser Steuersystem. Das ist auf Unternehmen zugeschnitten, die ihren Sitz an einem ­bestimmten Ort haben, dort ihre ­Produkte herstellen – und dort dann auch Steuern bezahlen. Doch wo genau erbringt Google die Leistung, eine Adsense-Anzeige passend zu einem Website-Aufruf auszuliefern? In der Hamburger Deutschland­niederlassung, in der Europazentrale in Dublin, am Konzernsitz in Mountain View – oder in einem seiner zahllosen Rechenzentren in aller Welt?
Diese Situation nutzen Internetunternehmen für ausgefeilte Steuervermeidungsstrategien, in denen Erlöse so lange rund um den Globus verschoben werden, bis sie in einem Land ankommen, in dem die Steuerlast für sie fast bei null liegt.
3. Teil: „Steuerschlupflöcher“

Steuerschlupflöcher

  • Top 5: China führt die Exportprofiteure an. Gemessen am Handelsvolumen hat Deutschland den höheren Überschuss.
    Quelle:
    WTO / Statista
Natürlich ist die Steuervermeidung kein Privileg amerikanischer IT-Unternehmen. So entschloss sich etwa der italienisch-amerikanische Autokonzern Fiat Chrysler Automobiles (FCA) 2014, seinen Firmensitz in die Niederlande und seine opera­tive Firmenzentrale nach Großbritannien zu verlegen. FCA unterhält zwar rund um den Globus über 100 Produktionsstätten, keine davon befindet sich jedoch in den Niederlanden oder gar in der City of London. Dort werden auch keine Autos entwickelt, das findet nach wie vor in Turin oder in Detroit statt. Dem Vernehmen nach spricht Firmenchef Sergio Marchionne noch nicht einmal Holländisch.
Dass sich der in Kanada aufgewachsene Manager und sein Hauptaktionär Gianni Agnelli dennoch für die Niederlande als Firmensitz entschieden, hat steuerliche Gründe. Schlupflöcher in der niederländischen Finanzgesetzgebung erlauben es Konzernen, ihre Gewinne über das Land der Polder an ausländische Gesellschaften zu verschieben – weitgehend unversteuert.
An der Ausarbeitung dieses Systems – gelegentlich als „Dutch Sandwich“ bezeichnet –war pikanterweise der ehemalige niederländische Finanzminister und Ex-Chef der Euro-Gruppe in der EU, Jeroen Dijssel­bloem, beteiligt. In den „Para­dise ­Papers“, jenen spektakulären Dokumenten, die 2017 die Steuervermeidungstricks internationaler Konzerne öffentlich machten, werden die Niederlande deshalb als ­eines der führenden Steuerschlupflöcher innerhalb der EU bezeichnet.

Enorme Summen geparkt

  • Top 5: Die USA haben ein gewaltiges Handelsdefizit. 2016 war es doppelt so hoch wie der deutsche Bundeshaushalt.
    Quelle:
    WTO / Statista
Hat das Unternehmen seinen Sitz außerhalb der EU, geht „Dutch Sandwich“ auch noch einen Zacken schärfer. „Double Irish with a Dutch Sandwich“ tauften Finanzexperten das Modell, mit dem Google in den vergangenen Jahren seine europäischen Profite kleingerechnet hat.
Und das geht so: Googles Werbekunden innerhalb der EU bezahlen ihre Rechnung an die irische Google-Niederlassung in Dublin. Von dort fließen Lizenzgebühren an die ­Google Netherlands Holdings BV, ein ­kleiner Rest wird in Irland mit vergleichsweise mageren 12,5 Prozent besteuert. Die Lizenz­gebühren wandern von Holland ­zurück nach Irland an eine Holding, deren Eigner Google-Tochtergesellschaften auf den Bermudas sind: Sie unterliegen deshalb nicht dem irischen Steuerrecht.
Diese Bermuda-Gesellschaften wurden von Google USA bevollmächtigt, die Technologien des Konzerns außerhalb der USA zu vermarkten. Deshalb fließen die Gewinne aus ­Europa nicht in die USA zurück, sondern landen auf den Bermudas. Die „Zeit“ rechnete 2013 vor, dass Google auf diese ­Weise bereits 2011 knapp 10 Milliarden Dollar steuerfrei auf die Bermudas verfrachtet hatte – gut 80 Prozent des weltweiten Konzerngewinns. 
Google ist weder der erste noch der einzige Digitalkonzern, der dieses Modell nutzt. Auch Facebook, Apple, Adobe und Oracle parken gewaltige Geldmengen in Steueroasen, wo sie liegen und auf bessere Zeiten warten. Denn die US-amerikanischen Gewinnsteuern von 35 Prozent werden erst fällig, wenn das Geld tatsächlich in die Vereinigten Staaten transferiert wird. 
Wie schnell diese besseren Zeiten anbrechen können, zeigte sich Anfang des Jahres. Apple-Chef Tim Cook kündigte überraschend an, in den nächsten fünf Jahren 20.000 Jobs in den USA schaffen und dafür 30 Milliarden Dollar investieren zu wollen. Der in Steueroasen geparkte ­Gewinn von 250 Milliarden Dollar solle in die USA transferiert werden – zu einem Steuersatz von 15 statt 35 Prozent.
Der EU, die Apple durch aberwitzige Steuerkonstruktionen dabei geholfen hatte, so viel Geld fast steuerfrei zu erwirtschaften, bleibt nur das Nachsehen. Anfang 2017 hatte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager die irische Praxis, ausländische Firmenzentralen von der Besteuerung auszunehmen, als ­illegale Subvention eingestuft und die Iren dazu verdonnert, von Apple 13 Milliarden Euro Steuern nachzufordern.
Ob dieses Geld ­jemals gezahlt wird, ist nach den jüngsten Entwicklungen völlig offen. Deshalb planen die EU-Finanzminister jetzt eine standortbezogene Umsatzsteuer für Internetunternehmen, die Steuern dort fällig werden lässt, wo die Umsätze anfallen.
Doch dagegen regt sich bereits Widerstand seitens der europäischen Internetindustrie. Sie befürchtet eine Doppel­belas­tung und abermals Nachteile gegenüber den US-Konzernen.
Für Star-Investor Klaus Hommels ist der zögerliche Umgang Europas mit den ­immensen Gewinnen der US-Konzerne nur eine Seite der Medaille. Hommels, der zu den frühen Investoren bei Skype, Spotify und Auto 1 zählt, findet sogar die Milliardenstrafe, die EU-Kommissarin Vestager 2017 gegen Google verhängte, viel zu lasch. Dem „Tagesspiegel“ rechnet er vor, dass die geforderten 2,4 Milliarden Euro nur 0,3 Prozent des Google-Firmenwerts seien und dem Reingewinn von 31 Tagen entsprächen. Hingegen sei die deutsche Bank während der Finanzkrise mit einer Strafe in ­Höhe von 30 Prozent des Firmenwerts ­belegt worden – während sie Verluste schrieb. Hommels fordert ganz klar eine mehr an europäischen Interessen ausgerichtete Industriepolitik.
Auf der anderen Seite müsse der Staat stärker als Auftraggeber auftreten. Unter Insidern ist es ein offenes Geheimnis, dass das Silicon Valley erst mit massiven Aufträgen der US-Regierung zu seiner heutigen Größe wachsen konnte.
Außerdem vermisst der Investor bei der heimischen Industrie Mut zum Gasgeben. Beispiel: General Motors war 2009 pleite und investierte zwei Jahre später 500 Millionen Dollar in den Uber-Konkurrenten Lyft. Daimler verdiente 2010 mehr als 7 Milliarden Euro – und ließ sich den Einstieg in die Mobilitätsplattform Mytaxi gerade einmal 10 Millionen Euro kosten.

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