Business-IT
03.06.2020
Digitale Transformation
1. Teil: „Darum ist Unternehmenskultur wichtiger als Technologie“

Darum ist Unternehmenskultur wichtiger als Technologie

UnternehmenskulturUnternehmenskulturUnternehmenskultur
Gustavo Frazao / shutterstock.com
Jim Heppelmann über Hürden und Chancen der Digitalisierung in der Fertigung.
  • Jim Heppelmann: Präsident und CEO von PTC
    Quelle:
    Rick Bern Photography
Mit Produkten wie der Augmented-Reality-Lösung Vu­foria oder der IoT-Plattform Thingworx will PTC Fertigungsunternehmen bei ihrer digitalen Transformation unterstützen. Präsident und CEO Jim Heppelmann erklärt im Interview mit com! professional, warum Technologie alleine jedoch noch kein Garant für eine erfolgreiche Digitalisierung ist.
com! professional: Herr Heppelmann, wo sehen Sie die größten Herausforderungen bei der digitalen Transformation in der Fertigungsindustrie?
Jim Heppelmann: Der digitale und gesellschaftliche Wandel ist schon längst an vielen Stellen spürbar. Auf der einen Seite erodieren traditionelle Geschäftsmodelle und Ökosysteme. Demgegenüber stehen Unternehmen, die bereits neue Geschäftsfelder eröffnet haben und weiterwachsen wollen, nur suchen sie verzweifelt nach qualifiziertem Personal.
Mit den Babyboomern wird schon bald viel Wissen abwandern. Hinzu kommen unvorhergesehene Situationen wie aktuell die Ausbreitung des Corona-Virus.
com! professional: Wie reagieren die Fertigungsunternehmen auf diese Entwicklungen?
Heppelmann: Es gibt bereits eine Reihe von Unternehmen, die ein recht klares Bild davon haben, wie sie in Zukunft aufgestellt sein und welchen Mehrwert sie an ihre Kunden liefern möchten. Meist haben sie bereits das eine oder andere Digitalisierungsprojekt gestartet, wenn nicht sogar schon eine klare Strategie verfolgt wird, und sich mit strategischen Partnern innerhalb eines Ökosystems organisiert. Auf der anderen Seite stehen viele Unternehmen noch am Anfang ihrer digitalen Transformation.
com! professional: Und wo genau hapert es bei den Unternehmen am meisten?
Heppelmann: Sehr oft fehlt es noch an Grundüberlegungen und Analysen, die ein jedes Unternehmen für sich selbst anstellen sollte.
Mit welchen Produkten und mit welchen Leistungen kann ich auf die sich wandelnden Kundenanforderungen antworten? Sollte ich mein Angebot erweitern oder gar mein Geschäftsmodell ändern? Bin ich für diese Herausforderungen organisationsstrategisch und technologisch entsprechend aufgestellt oder brauche ich für diese Veränderungen Hilfe von außen?
2. Teil: „Technologie und Transformation“

Technologie und Transformation

com! professional: Wie können Technologien diese Transformation unterstützen?
Heppelmann: Bereits heute gibt es eine Reihe von Technologien, die keine bloße Zukunftsmusik mehr sind, sondern ihren Einsatzzweck mehr als unter Beweis gestellt haben. Dazu gehören zum Beispiel die Technologien für das industrielle Internet der Dinge (IIoT), die dabei helfen, Maschinen, Fertigungsanlagen und Arbeitsprozesse zu vernetzen und zu überwachen. Mithilfe von Mixed-Reality-Anwendungen lassen sich diese IIoT-Daten in den Arbeitsalltag der Mitarbeiter visuell und in Echtzeit einbinden, sodass Arbeitsprozesse effizienter und sicherer ablaufen. Die Künstliche Intelligenz eröffnet vollkommen neue Wege der Datenanalyse und -verarbeitung und hilft da, wo das menschliche Gehirn an seine Grenzen stößt.
Doch selbst „ältere“ Technologien sind enorm wichtig. Keine IIoT- oder Augmented-Reality-Anwendung läuft beispielsweise, ohne auf eine ganze Reihe von Daten aus den unterschiedlichsten Quellen zugreifen zu können. Ein PLM-System (Product Lifecycle Management) etwa kann diese One Single Source of Truth für die darauf aufbauenden Anwendungen sein.
com! professional: Wie verändern sich Prozesse und Produkte durch die neuen Möglichkeiten?
Heppelmann: Die Auswirkungen sind enorm und vielfältig. Die Prozesse und auch die Produkte selbst werden zum Beispiel vernetzter und damit einsehbarer. Dadurch wird ein durchgängiges Product Lifecycle Management überhaupt erst möglich. Während die Verfügbarkeit von bereichsrelevanten Informationen im Unternehmen selbst schon zunimmt und damit die Möglichkeit, Analysequalität und Optimierungspotenziale zu erhöhen, liefern Felddaten erstmals Einblick in die Nutzungsmuster und Zustände der Produkte, nachdem sie verkauft wurden. Diese Erkenntnisse fließen in die Entwicklung und Optimierung der nächsten Produktgenerationen ein.
com! professional: Können mittelständische Fertiger in diesem Prozess überhaupt mithalten?
Heppelmann: Definitiv! Gedanken über die Zukunft machen sollte sich mittlerweile jedes Unternehmen, egal welcher Größe. Das gilt auch für die Überlegungen, ob bestimmte Kompetenzen intern entwickelt werden sollen oder über Partner in einem Ökosystem gewonnen werden. Hier geht es um Flexibilität und Innovationsgeist, der vor allem im Mittelstand sogar öfters zu finden ist als woanders.
3. Teil: „Veränderung der Unternehmenskultur“

Veränderung der Unternehmenskultur

com! professional: Wie muss sich die Unternehmenskultur verändern, um mit der Digitalisierung Schritt zu halten?
Heppelmann: Die Unternehmenskultur ist wichtiger als jede Technologie, wenn die Digitalisierung zum Erfolg führen soll. Viele Unternehmen schaffen einfach neue Technologie an, wundern sich aber anschließend, dass diese abgelehnt wird oder keine spürbaren Effekte mit sich bringt.
Vor allem der CEO sollte hier der Vorreiter sein und zunächst eine Vision und Struktur für die Zukunft entwickeln. So wie bei allen neuen Pfaden des Lebens lässt es sich vorher schwer voraussagen, ob der Weg komplett richtig ist oder korrigiert werden sollte. Hierbei sollten auch Fehler zugelassen werden.
com! professional: Welcher Bereich der Fertigung lässt sich am schnellsten und einfachsten digitalisieren?
Heppelmann: Sensoren an Maschinen anzubringen und komplette, selbst heterogene Fertigungsstraßen zu vernetzen, das ist heutzutage beinahe überall möglich. Ebenfalls liegen bereits zahlreiche Datentypen, seien es Produktdaten, ERP- oder CRM-Daten, oft schon digital vor. Hier fehlt es vielfach nur an der Möglichkeit, sie aus ihrem Silo zu befreien und zusammenzuführen.
com! professional: Wie verändert sich die Rolle der Mitarbeiter? Werden Menschen in der smarten Fabrik weitgehend überflüssig?
Heppelmann: Überflüssig werden sie auf keinen Fall, nur werden sich ihre Rollen samt Anforderungen ändern. Klar, es werden weniger Mitarbeiter an einem Fließband stehen, dafür werden mehr Kräfte im Software-Bereich, beispielsweise der Anwendungsentwicklung oder der Programmierung von vernetzten und intelligenten Produkten benötigt.
In vielen Bereichen wird der Mensch aber definitiv die letzte In­stanz bleiben, etwa in Design- und Anwendungsfragen.

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