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19.03.2019
Anruf vom Browser
1. Teil: „UCC mit dem WebRTC-Standard“

UCC mit dem WebRTC-Standard

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G-stockstudio / shutterstock.com
Immer mehr Kommunikations-Plattformen integrieren Browser-Kommunikation via WebRTC. Die Nutzung ist meist einfach, aber die Lösungen können nicht den Leistungsumfang professioneller Konferenzsysteme bieten.
Lange hat es gedauert, bis WebRTC (Web Real-Time Communication) sich als Standard wirklich etablieren konnte. Ein wesentlicher Schritt erfolgte im Mai 2010, als Google Inc. die Firma Global IP Solutions (GIPS) kaufte und damit die Eigentumsrechte an der zugrunde liegenden Technik erwarb. Ab Anfang 2011 bemühten sich dann zwei renommierte Gremien um eine Standardisierung: Im Frühjahr nahm eine Arbeitsgruppe des W3C (World Wide Web Consortium) die Arbeit auf, ab Mai in ihren Bemühungen unterstützt von einer Arbeitsgruppe bei der Internet Engineering Task Force (IETF).
Sechs Jahre später war es dann endlich so weit: Das W3C konnte mit WebRTC 1.0 eine erste Version des neuen oder eigentlich schon alten Standards veröffentlichen.
„Damit bestätigt das W3C, dass die geplanten Funktionen in der aktuellen Ver­sion enthalten sind. Der Standard ist stabil und einsatzfähig“, erklärt David Welzmiller, Head of Product beim Anbieter von UCC-Lösungen Estos.

Der lange Weg zum Standard

Abgeschlossen ist die Entwicklung von WebRTC allerdings noch lange nicht - und wird es letztlich auch nie sein. „Die Technologie wird der Definition nach nie fertig entwickelt sein, dafür ändern sich Nutzeranforderungen und die technologischen Möglichkeiten viel zu schnell“, betont Philipp Bohn, VP Circuit beim UCC-Anbieter Unify.
Es gibt indes vielfältige Gründe, warum sich der Standardisierungsprozess so in die Länge gezogen hat. Dazu gehören unter anderem die unterschiedlichen Interessen der Browser-Anbieter Google, Micro­soft, Apple und Firefox. Microsoft beispielsweise hatte lange Zeit versucht, den eigenen CU-RTC-Standard zu etablieren. Gleichzeitig änderte die WebRTC-Arbeitsgruppe innerhalb des W3C einige Male den Kurs.
Und schließlich hatte WebRTC laut Phi­lipp Bohn großes Interesse innerhalb der riesigen Webentwickler-Community geweckt - was Vor- und Nachteile mit sich brachte. „Die Berücksichtigung aller unterschiedlichen Interessen und Anforderungen nimmt entsprechend Zeit in Anspruch und verzögert teilweise das Erreichen verschiedener Meilensteine“, sagt er. Und der Circuit-Chef betont: „Eine möglichst weitreichende Standardisierung ist allerdings wichtiger als die reine Geschwindigkeit.“
Mittlerweile aber unterstützen alle gängigen Browser WebRTC, auch wenn es im Detail noch Unterschiede im Funktionsumfang und der Konformität einzelner Substandards wie beispielsweise dem Videocode VP8/9 gibt. Das macht es wieder­um für die Hersteller schwer, Applikationen für WebRTC zu entwickeln.
Easybell zum Beispiel bringt aktuell seinen ersten Web­RTC-Client auf den Markt, der in ­seiner ersten Version nur im Browser Chrome funktioniert. „Das hängt aber auch wesentlich mit den nicht konformen Implementationen in einigen Browsern zusammen“, erklärt Marketingleiter Steffen Hensche.
Jahrelange Standard-Suche
Im März 2011 stellte Google erstmals ein Framework vor, das die Kommunikation über den Browser in Echtzeit ermöglichen sollte.
Eine Arbeitsgruppe im World Wide Web Consortium (W3C) sollte in Zusammenarbeit mit der Internet Engineering Task Force (IETF) einen Standard für WebRTC (Web Real-Time Communication) erarbeiten.
Die ­Zusammenarbeit mit den großen Browser-Anbietern Google, Microsoft, Ap­ple und Firefox gestaltete sich allerdings schwierig. Microsoft beispielsweise hatte selbst eine Initiative angestoßen, um den eigenen Standard CU-RTC zu etablieren. Erst im November 2017 wurde WebRTC 1.0 schließlich als Candidate Recommendation veröffentlicht.
2. Teil: „Unterstützung der großen Fünf“

Unterstützung der großen Fünf

Beim UCC-Anbieter C4B sieht man dagegen keine Hindernisse. „Es gibt zwar Einschränkungen, aber die spielen praktisch keine Rolle“, sagt Produktmanager Thomas Pecher-Wagner. Seit Microsoft und Apple 2017 nachgezogen haben, wird WebRTC von allen fünf großen Browsern unterstützt. Mit Chrome, Edge, Firefox, Safari und Opera dürfte die Abdeckung seiner Meinung nach bei nahezu 100 Prozent liegen. „Da fallen die kleinen Hersteller nicht ins Gewicht“, unterstreicht er.
Insbe­sondere mit der Unterstützung durch Apple sei die Bandbreite an kompatiblen Endgeräten noch einmal deutlich in die Höhe geschnellt.
Philipp Truckenmüller, Head of Channel Marketing & Strategic Alliances bei Innovaphone, ist sich zudem sicher: „Gesetzt ist WebRTC unserer Einschätzung nach auf alle Fälle. Daher kommt man im Business-Umfeld beim Thema ,flexi­ble und mobile Kommunikation‘ an diesem Thema auch nicht mehr vorbei.“
Die Einsatzszenarien für die Kommunikation über den Browser sind vielfältig. Bei Innovaphone steht vor allem das ­Mobilitätskonzept für die Integration im Vordergrund. Mitarbeiter können sich an jedem Internetanschluss via PC oder Mobilgerät mit einem WebRTC-unterstützenden Browser einloggen und damit einen Arbeitsplatz mit der gewohnten Oberfläche herstellen.
Ein weiterer Vorteil von WebRTC ist die einfache Einbindung von externen Teilnehmern in die Kommunikations­infrastruktur. So können Audio- und Videokonferenzen mit nur einem Klick initiiert werden - auch über die Unternehmensgrenzen hinweg. Screen-Sharing wird damit ebenfalls deutlich einfacher, denn die Installation von Plug-ins oder sonstigen Komponenten ist bei WebRTC überflüssig.
3. Teil: „WebRTC vs. klassische Telefonie“

WebRTC vs. klassische Telefonie

David Welzmiller von Estos sieht Beratungsgespräche über Video als ein zentrales Element bei der Einführung der Kommunikation über den Browser. Er hebt vor allem die Bereiche Vertrieb, Finanzen, Personalwesen, Behörden und auch die Telemedizin als wichtigste Kundengruppen hervor. „Die Authentifizierung, die durch das Gespräch per Video möglich wird, ist für die unterschiedlichen Branchen von großem Vorteil“, sagt er.
Chat, Audio- und Videokonferenzen, Desktop-Sharing, Team-Messaging - das sind die Applikationen, die mittlerweile eine ganze Reihe von UC-Anbietern mit Hilfe von WebRTC realisieren. Einige haben auch Widgets entwickelt, die auf Unternehmenswebseiten eingebunden werden können. Kunden können direkt über diese Widgets mit den Mitarbeitern in Kontakt treten - ebenfalls per Audio- oder Videokonferenz oder Chat (siehe Tabelle auf Seite 80). Weitere Einsatzszenarien werden sicherlich folgen, der Fantasie sind letztlich kaum Grenzen gesetzt.
Doch ist WebRTC damit auf dem besten Weg, die traditionellen Telefon- und Unified-Communications-Systeme überflüssig zu machen? Frédéric Oster, Country Manager DACH bei Wildix, ist davon überzeugt: „Das gute alte Telefon hat ausgedient, die klassische Telefonie wird langfristig verschwinden.“ WebRTC führe zu einem gewaltigen Qualitätssprung in der Kommunikation. Bisher werde der Innovationsschub lediglich durch teilweise noch fehlende Infrastrukturmaßnahmen eingebremst. „Es ist allerdings nur eine Frage der Zeit, bis mittelfristig im Infrastrukturbereich nachgebessert und erneuert wird“, sagt er.
Christoph Wichmann, Geschäftsführer von Voiceworks, teilt diese Meinung nur bedingt. „WebRTC kann weder professionelle Konferenzplattformen noch traditionelle Telefonie vollständig ersetzen, da es nicht den Funktionsumfang dieser Systeme abbildet.“ Im Mittelstandssektor aber könne es auch als kompletter Ersatz dienen, da hier die spezifischen Merkmale hochprofessioneller Systeme meist nicht gefordert würden, erklärt er. Auch Philipp Truckenmüller von Innovaphone geht davon aus, dass WebRTC zum Teil andere Systeme substituieren könnte - etwa bei Videokonferenzen. „Kein teures Equipment, einfache Einbindung interner und externer Teilnehmer und Zuschaltung per Mausklick“, zählt er die Vorteile auf.
Aber auch er schränkt ein, dass die Kommunikation über den Browser nicht den kompletten Leistungsumfang „professioneller“ Konferenzsysteme bieten könne. Thomas Weiß, Geschäftsführer von Teamfon, gibt indes zu bedenken, dass eine dauerhafte Erreichbarkeit, auch bei geschlossenem Browser, nicht immer möglich sei. „Vor allem der immer stärkere Markt der Apps auf dem Smartphone bietet keine gute Hintergrunderreichbarkeit“, erklärt er. Und er berichtet auch über mangelnde Akzeptanz der Anwender. „Derzeit gibt es unserer Erfahrung nach noch viele Vorbehalte gegenüber der Kommunikation über den Browser, wenn auch ­Interesse für neue Anwendungen wie Videokonferenzen und Web-Collaboration besteht.“
Christoph Wichmann von Voiceworks widerspricht in diesem Punkt: „Unsere WebRTC-basierten Services werden von unseren Wholesale-Partnern und deren Endkunden sehr gut angenommen und genutzt“, sagt er. Sie schätzten in erster Linie die einfache Nutzung.
Frédéric Oster sieht durchaus Vorbehalte gegenüber der Kommunikation über den Browser, er führt diese aber vor allem auf Unwissenheit oder Halbwissen zurück, „insbeson­dere wenn es sich um grundsätzlich legitime Befürchtungen im Bereich Sicherheit und Datenschutz handelt“. Er sieht daher die Hersteller in der Pflicht, Partner und Kunden aufzuklären.

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