E-Commerce
21.06.2019
E-Commerce
1. Teil: „Der Trend zur Plattformökonomie ist ungebrochen“

Der Trend zur Plattformökonomie ist ungebrochen

E-CommerceE-CommerceE-Commerce
Macrovector/ Shutterstock.com
Viele Händler wollen Plattformbetreiber werden und nur ein kleiner Kreis hat das Potenzial dazu. Was verbirgt sich hinter dem Plattform-Boom im E-Commerce?
Bei der Präsentation seines Jahres­ergebnisses für 2018 ließ Zalando vor allem mit einer Zahl aufhorchen: Bis 2023/24 will der Online-Händler gemeinsam mit seinen Marktplatzanbietern ein Handelsvolumen von 20 Milliarden Euro erreichen. Aktuell liegt dieser Wert bei 6,6 Milliarden Euro – Zalando plant also einen massiven Ausbau seiner 2011 begonnenen Plattformstrategie. Damit zeigt der deutsche E-Commerce-Vorreiter, dass der Trend zur Plattformökonomie im Online-Handel weiterhin ungebrochen ist.
  • Deutlicher Vorsprung: Bei Konsumenten in Deutschland liegen E-Commerce-Plattformen ganz weit vorn.
    Quelle:
    com! professional 7/19
Das belegt auch die Zahl der Plattform­neueinsteiger: Der Supermarktbetreiber ­Rewe, die Elektronikkette Conrad und der Shopping-Club Limango sind nur einige Beispiele für Händler, die in den letzten zwei Jahren mit einem Online-Marktplatz ins Plattform-Business starteten. Doch während es sich bei ­Zalando um ein Milliarden­unternehmen handelt, bewegen sich die Online-Umsätze der drei gerade ins Plattformgeschäft eingetretenen Händler unterhalb der Schwelle von 500 Millionen Euro.
Skepsis ist deshalb angebracht: Welche Potenziale können die neuen Plattformbetreiber interessierten Händlern bieten? Und lohnt es sich für kleine und mittelgroße Online-Shops überhaupt, in den Aufbau eigener Plattformstrukturen zu investieren?
Ein gutes Beispiel für einen Händler mittlerer Größe, der auf eine Plattformstrategie setzt, ist Sport Scheck. Der zur Otto-Gruppe gehörende Sportfachhändler hat 2014 einen Online-Marktplatz aufgesetzt. Nach einigen Jahren mit rückläufigen Umsätzen konnte Sport Scheck im ­Geschäftsjahr 2017/18 erstmals wieder ­zulegen – um 1 Prozent auf 300 Millionen Euro.
„Ausschlaggebend dafür war die Steigerung der Verkäufe im Online-Handel um 12,6 Prozent und das überproportional wachsende Plattformgeschäft“, erklärt Geschäftsführer Markus Rech. Das klingt gut, doch fällt auf, dass Sport Scheck keine absoluten Zahlen für das Online-Geschäft kommuniziert.
Innovatives Shopkonzept: Der Store des Sportartikelhändlers Keller Sports am Isar-Ufer in München.
Keller Sports
Erfolgreiche Plattform – ganz ohne Marktplatz
„Eine Plattform muss nicht zwangsläufig ein Marktplatz sein“, meint Felix Kühl, Deutschlandchef des E-Commerce-Software-Herstelles Channel­advisor. Vor allem in der Sportartikelbranche bemühten sich Hersteller und Händler darum, den Kontakt zum Kunden mittels Plattformen und Communitys auszubauen. Das Paradebeispiel: Keller Sports.
Der Online-Händler für trendige Sport­artikel setzt statt auf einen Marktplatz auf eine Reihe von komplementären Services: So bietet das Unternehmen seinen Kunden eine Premium-Mitgliedschaft an. Mitglieder erhalten auf ihre Einkäufe einen Nachlass in Höhe von 10 Prozent sowie ­Zugriff auf limitierte Produkte, auf die es allerdings keinen Preisnachlass gibt.
Seit Anfang 2018 bietet der Online-Händler mit Keller Studios ein Zusatz­angebot, das es den Mitgliedern ermöglicht, mehrmals im Monat bundesweit in Premium-Sportstudios zu trainieren. Und einige Monate später startete Keller Sports die App Keller Smiles, mit der Nutzer beim Training Punkte sammeln, die sie beim Shoppen einlösen können.
In seiner Heimatstadt München betreibt Keller Sports seit 2016 auch ein eigenes Ladengeschäft. Ziel des innovativen Shop-Konzepts ist es, die Marke des Unter­nehmens speziell im Münchner Raum zu stärken sowie mittels gemeinsam mit Lieferanten des Unternehmens durchgeführten Kunden-Events den persönlichen und direkten Kontakt zu den Kunden zu fördern und die Kunden damit enger an das Unternehmen zu binden.
Auch hinter den Kulissen verfolgt Keller Sports eine vom Plattformdenken gesteuerte Strategie. So ist das Unternehmen seit Januar 2017 Mitglied des Einkaufsverbands Sport2000 und profitiert von den ­daraus resultierenden Vorteilen.
Lagerhaltung, Verpackung und Versand der ­Waren erfolgen seit mehreren Jahren über ein externes Logistik-/Fulfillment-Unternehmen in Baden-Württemberg. Keller Sports, das nach eigener Aussage umsatzseitig noch im „zweistelligen Millionen-Euro-Bereich“ liegt, zeigt damit, dass auch kleinere Händler Plattformeffekte für sich nutzen können.
„Der größte Hebel für Umsatzwachstum ist es, die Kunden noch besser zu verstehen. Andere Kanäle wie SEO und SEA sind irgendwann ausgereizt und werden sehr teuer“, erklärt dazu Mitgründer Moritz Keller. Die Grundlage der serviceorientierten Strategie von Keller Sports sei die Überzeugung, dass in den bestehenden Kunden ein riesiges Potenzial stecke.
2. Teil: „Beispiel Sport Scheck“

Beispiel Sport Scheck

Im Ranking der Top-100-Shops des Kölner EHI Retail Institutes wird Sport Scheck auf eine Online-Umsatzgröße von 84,4 Millionen Euro taxiert. Für Marktplatzhändler würde das ein eher beschränktes Poten­zial bedeuten. Das mutmaßt auch Jan Griesel, CEO des auf Online-Marktplätze spezialisierten E-Commerce-Dienstleisters Plenty­markets.
Über 40 Marktplätze hat das ­Unternehmen in seine Verkaufs-Software integriert – Sport Scheck gehört nicht ­dazu. „Damit wir einen Marktplatz anbinden, muss dafür zuerst eine entsprechende Nachfrage aufseiten unserer Händler existieren“, erklärt Griesel.
Das mangelnde Händlerinteresse könne aber auch daran liegen, dass Sport Scheck ähnlich wie ­andere Shops der Otto-Gruppe auf eine exklusive Marktplatzstrategie setze und für bestimmte Sortimentsbereiche jeweils nur sorgfältig ausgewählte Drittanbieter zulasse. Ein Vorteil der Plattformstrategie von Sport Scheck ist, dass sich das Unternehmen nicht auf das Thema Marktplatz beschränkt.
Der Sport-Shop versteht sich heute auch als Serviceplattform und ­ermöglicht es seinen Kunden unter anderem, über die 2018 übernommene Sport­erlebnisplattform Fitfox in mehr als 700 Partnerstudios zu trainieren oder an einer Laufserie mit deutschlandweit 17 Stationen teilzunehmen.
Auch in die stationären Geschäfte von Sport Scheck hat das Plattformdenken mittlerweile Einzug gehalten, wie Ende 2018 ein erster Pop-up-Store von BMW Motorrad in einer Filiale in München zeigte. Jenseits purer Umsatzzahlen hat die Plattformstrategie des Unternehmens damit den positiven Effekt, dass der Händler seine Kundenbeziehungen in den Mittelpunkt stellt und weiter stärkt.
3. Teil: „Beispiel Real“

Beispiel Real

Die Plattformstrategie der Metro-Tochter Real ist dagegen ganz auf das Thema Marktplatz fokussiert. Die Handelskette hatte sich 2016 durch die Übernahme der Plattform Hitmeister.de Zugang zum Marktplatzgeschäft verschafft. Heute bieten auf Real.de mehr als 5000 Händler rund 12 Millionen Produkte aus über 5000 Kategorien an. ­
„Einen Marktplatz zu übernehmen, der bereits existiert, war von Real ein sehr ­guter Move“, findet Plentymarkets-Chef Griesel. Mehr als 400 Plentymarkets-Händler seien inzwischen auf dem Marktplatz von Real aktiv und hätten ihre dort erzielten Umsatzanteile im vergangenen Jahr auf mehr als 3 Prozent vervierfacht. „Auch der Traffic und die Conver­sion steigen weiter an. Ich glaube deshalb, dass Real weiter an Relevanz zulegen wird“, erklärt Griesel.
Das unterstreichen auch die Geschäftszahlen der Metro AG, die für 2017/18 bei Real eine Online-Umsatzsteigerung von 35 Prozent ausweisen – allerdings auf einem eher niedrigem Niveau: Der Online-Anteil bei der Handelskette liegt erst bei 2 Prozent und damit gerade einmal bei rund 140 Millionen Euro.

Wer taugt als Plattformbetreiber?

Das Umsatzpotenzial für Marktplatzanbieter ist somit schon bei (Online-)Händlern der Größenordnung wie Sport Scheck oder Real recht überschaubar. Dennoch führt der Trend zur Plattformökonomie dazu, dass sich auch noch kleinere Händler für Drittanbieter öffnen. Beispiele ­dafür aus jüngerer Zeit sind die Buchhandelskette Weltbild, die 2016 einen eigenen Marktplatz startete, Karstadt, das 2017 den Online-Marktplatz Hood.de aufkaufte, ­sowie der Restpostenhändler Outlet46, der sich auf der Suche nach günstigen Sourcing-Möglichkeiten ebenfalls für Dritthändler öffnete.
Alle drei Marktplatzbetreiber liegen im Internet noch unter der Umsatzschwelle von 100 Millionen Euro, zum Teil sogar deutlich. „Bei den kleineren Marktplätzen stellt sich die ­Frage, ob die Anbindungskosten noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den ­erwartbaren Umsätzen stehen“, meint ­dazu Deltatecc-Geschäftsführer Andreas Müller. Der Elektronikhändler mit mehr als 15 Jahren Ebay-Erfahrung ist heute auf rund zehn Online-Marktplätzen aktiv.
Amazon und Ebay machten dabei für sein Unternehmen rund 80 Prozent des Marktplatzumsatzes aus. Dennoch sei die Präsenz bei Otto, Real oder Klingel unter dem Strich attraktiv: „Auch kleinere Marktplätze bringen zusätzliche Rentabilität und können helfen, mögliche Schwankungen bei Amazon und Ebay auszubalancieren.“ Trotzdem sollte sich nicht jeder Online-Händler zum Plattformbetreiber wandeln: „Wenn zum Beispiel wir selbst einen Marktplatz eröffnen würden, dann hätte das für den einzelnen Händler sicher kein wahnsinnig großes Umsatzpotenzial. Und auch für uns wäre es schwierig, die Schnittstellenkosten zu rechtfertigen.“
  • Nachzügler: Ebay will mit einer verstärkten Plattformstrategie aus der Defensive gegen Amazon und Zalando kommen.
    Quelle:
    com! professional / Screenshot
Die Relevanz der Plattformbetreiber betrachtet auch Marcel Brindöpke als fundamental. „Man muss sich fragen, ob man wirklich ein Wal sein will oder seine Rolle nicht doch eher als Putzerfisch sieht“, meint der Geschäftsführer des Marktplatzdienstleisters Heyconnect. Viele kleinere Händler, die derzeit selbst Marktplatzstrategien verfolgen, ­wären eigentlich als Verkäufer auf größeren Plattformen besser aufgehoben.
„Wenn man zum Beispiel den Modebereich nimmt, dann wird heute bereits jeder ­Fashion-Käufer durch Otto, Zalando, About You und vielleicht noch Mytoys und Klingel adressiert. Jede neue Plattform muss sich da die Frage stellen: Was kann ich besser? Wo bin ich günstiger?“
Zudem kämen auf die Plattform-Newcomer ­beträchtliche Investments für Technologie und Marketing zu. Mit Heyconnect will Brindöpke dagegen kleineren Händlern und Markenherstellern den Weg auf die großen Online-Plattformen ebnen: „Wir verfügen über Anbindungen an die wichtigsten Plattformen und haben damit eine Zwischenschicht geschaffen, die Händler und Marken, die beim Andocken an die großen Marktplätze Schwierigkeiten ­haben, als Service mieten können.“
Brindöpke ist überzeugt, mit dem Geschäftsmodell von Heyconnect den Trend der kommenden Jahre vorwegzunehmen. „Plattformen werden immer wichtiger. In Zukunft wird jede Marke über Plattformen verkaufen. Da wird es für die Plattform­betreiber immer entscheidender, wie viele Marken sie mit welcher Verfügbarkeit und welchen Preisen im Angebot haben.“
4. Teil: „Plattform-Benchmark Amazon“

Plattform-Benchmark Amazon

Den Wettbewerb der großen E-Commerce-Plattformen machen in Deutschland heute vor allem Amazon, Ebay, Otto und vielleicht noch About You unter sich aus. Amazon liegt dabei mit seinem 2018 hierzulande erzielten Umsatz von 16,8 Milliarden Euro klar an erster Stelle – inklusive Marketplace-Händlern dürfte das Handelsvolumen sogar rund doppelt so hoch ausfallen.
Doch nicht nur die ­Umsatzgröße lässt Amazon unter den E-Commerce-Plattformen herausstechen, sondern auch die Konsequenz, mit der das Unternehmen seine Strategie verfolgt: Neben dem Handelsgeschäft hat der Online-Gigant auch seine Logistik (Fulfillment by Amazon), IT-In­frastruktur (Amazon Web Services) und seinen Bestand an Premiumkunden (Prime Now, Prime Video et cetera) für Partner geöffnet.
  • Sport Scheck: Weil der Online-Umsatz von geschätzt 85 Millionen Euro zu klein ist, muss sich die Otto-Tochter für ihre Plattformstrategie etwas einfallen lassen.
    Quelle:
    com! professional / Screenshot
Eine ähnlich breit angelegte Plattformstrategie verfolgt in Deutschland nur ­Zalando, das neben einem Online-Marktplatz auch Fulfillment-Dienste, Marketinglösungen und Technologie­kapazitäten für Dritte anbietet und zudem ­stationäre Stores an seinen Online-Shop anbindet.
Um die Transparenz bei der Entwicklung der Zalando-Plattform zu ­erhöhen, gibt das Unternehmen seit ­Anfang dieses Jahres vierteljährlich über die Entwicklung des inklusive Marktplatzangeboten erzielten Gross Merchandise Volume (GMV) Auskunft. Zum 2018 ­erzielten GMV von 6,6 Milliarden Euro trugen die Zalando-Partner bereits rund 10 Prozent bei. Bis 2023/24 soll dieser Anteil auf bis zu 40 Prozent steigen, erklärt Co-CEO David Schneider: „Wir unterstützen Marken dabei, digital erfolgreich zu sein, indem wir ihnen Zugang zu Kunden in ganz Europa verschaffen. Marken profitieren von unserer Expertise und können so in ihr eigenes Wachstum investieren.“

Ebay und Otto greifen an

Die starke Entwicklung des Plattformgeschäfts von Amazon und Zalando hat den Marktplatzpionier Ebay zuletzt in die Defensive gedrängt, doch wie Plentymarkets-CEO Griesel meint, hat das ­Unternehmen die Zeichen der Zeit wahrgenommen: „Mit dem Ende 2018 gestarteten Ebay Fulfillment hat Ebay endlich erkannt, dass Logistikservices ein wichtiger Treiber sind.“ Ähnlich wie Amazon beginne der Konzern, den Plattformgedanken über das reine Marktplatzgeschäft hi­naus zu denken, und habe gute Chancen, bei Händlern und Kunden verlorenen Boden gutzumachen.
  • Pro & Contra: Trotz Bedenken sehen Online-Händler klar die Vorteile einer Marktpräsenz.
    Quelle:
    com! professional 7/19
Auch der deutsche Versandhandelsvorreiter Otto setzt auf eine breit aufgestellte Plattformstrategie. „Letztendlich geht es um mehr als ein großes Angebot: Als Plattform bieten wir Kunden und Partnern einfache und schnelle Lösungen, Services und Verlässlichkeit sowie Orientierung im Angebots­dschungel“, erklärt Tim Buchholz, Principal Platform Business bei Otto.
Zu den Plattformservices, die Otto bereits aufgebaut habe, gehörten neben dem 2017 gestarteten Online-Marktplatz auch der Mietservice Otto Now, das Premiumprogramm Otto Up und die Logistikservices der Konzerntochter Hermes. „Anhand der bisherigen Reaktionen im Markt sehen wir, dass eine Alternative zu bestehenden Plattform­anbietern gerade sehr gefragt ist“, berichtet Buchholz. Otto habe bereits 400 neue Partner angebunden. Bis zum Jahr 2020 soll diese Zahl noch um 3000 Partner wachsen. Im laufenden Geschäftsjahr will Otto ­deshalb zusätzlich 100 Millionen ­Euro in die Weiterentwicklung zur Plattform ­investieren.

Chancen: Nischen und B2B

Man sieht: Die Großen werden Plattform-New­comern den Einstieg nicht leicht ­machen. Diese Einschätzung teilt auch ­Felix Kühl, Country Manager beim Marktplatz-Dienstleister Channeladvisor: „Die Konsumenten sind durch die großen ­Player wie Amazon, Ebay und Otto verwöhnt. Die gleiche operative Exzellenz und Auswahl mit einem General-Interest-Angebot im B2C-Bereich zu erreichen, wird schwer.“ Für alle, die dennoch im ­exklusiven Kreis der Plattformbetreiber mitspielen wollen, hat Kühl zwei Tipps: „Die Erfolgsaussichten sind gut, wenn sich Anbieter spitz auf ein Segment oder eine Branche spezialisieren. Daneben gibt es im Bereich B2B noch extrem viel ungenutztes Potenzial.“
5. Teil: „Im Gespräch mit E-Commerce-Experte Jochen Krisch“

Im Gespräch mit E-Commerce-Experte Jochen Krisch

  • Jochen Krisch betreibt den Blog Exciting Commerce.
    Quelle:
    Exciting Commerce
Jochen Krisch ist mit seinem Blog Exciting Commerce einer der profiliertesten E-Commerce-Experten Deutschlands. Er ist ein Fan von Plattformstrategien, doch fehlt es ihm hierzu­lande oft noch an passenden Beispielen für eine gelungene Umsetzung.
com! professional: Um das Thema Plattform herrscht ein großer Hype. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, jeder Händler sollte sich zur Plattform wandeln. Für wen ist eine Plattformstrategie wirklich geeignet?
Jochen Krisch: Ich halte so manche Plattform für übertrieben, weil Plattformen nur für wirklich starke Händler Sinn ergeben. Aus meiner Sicht sind Plattformen in zwei Fällen sinnvoll: bei wachstumsstarken ­Online-Händlern ab einem Jahresumsatz von 500 Millionen Euro und wenn über die Plattform komplementäre oder ergänzende Sortimente eingebunden werden sollen, also zum Beispiel ein Möbelsortiment bei einem Modehändler und so weiter.
Spannend ist ja die Grundfrage, warum man eine Plattform machen sollte: nicht weil es gerade im Trend liegt, sondern beispielsweise um Skaleneffekte zu erzielen oder um sich neue Erlösquellen zu erschließen. Das übersehen viele.
com! professional: Wer hat Ihrer Ansicht nach in Deutschland neben Amazon, Otto und Zalando das Thema Plattform besonders gut adaptiert?
Krisch: About You wäre hervorzuheben, das das Thema ja hierzulande in der Breite ins Rollen gebracht hat, weil es – als Händler – von Beginn an auf einen Plattformansatz gesetzt hat. Zudem finde ich wie angesprochen Händler interessant, die auf Komplementärstrategien setzen. Klingel ist dafür ein gutes Beispiel.
Ansonsten täte ich mich mit internationalen Beispielen deutlich leichter. Ich finde zum Beispiel die Plattformstrategie von Digi­tec/Galaxus spannend. Wirklich gute Ansätze findet man vor allem bei Unternehmen mit mehr als einer Milliarde Euro Umsatz.
com! professional: Bei vielen selbst erklärten Plattformen handelt es sich im Kern um eine Marktplatzstrategie. Sind Marktplätze leichter umsetzbar?
Krisch: Marktplätze sind aus meiner Sicht die Voraussetzung dafür, um entspre­chende Plattformservices anbieten zu können. In ein paar Jahren dürfte man mehr davon sehen.
com! professional: Es gibt Beispiele, bei denen sich Händler an bereits bestehenden Vermittlungsportalen beteiligen – zum Beispiel Ikea an der Handwerkerplattform Task-Rabbit oder Burda/Cyberport an dem Fernwartungsportal Expertiger. Lässt sich eine Plattformstrategie auch so denken?
Krisch: Ich würde unterscheiden zwischen Handelsplattformen und der Einbindung von Serviceplattformen, Communitys und Ähnlichem. Beides sind aus meiner Sicht voneinander unabhängige Themen. Ob und wann die Einbindung von Services Sinn ergibt, hängt von der jeweiligen Strategie ab, ist aber meines Erachtens aus Handelssicht kein Plattformthema. An sich sollte es ja andersrum laufen, dass Händler ihre Plattform­services anderen anbieten.
com! professional: Das Paradebeispiel dafür ist Amazon, das mit seinen Logistik- und Web-Services vorexerziert, wie sich die eigene Infrastruktur für Dritte öffnen lässt. Wo gibt es dafür in Deutschland gute Ansätze und entsprechendes Potenzial?
Krisch: Hier rächt sich ein bisschen, dass viele Online-Händler austauschbar sind und sich keine wirklich starken Kompetenzen erworben haben, die sie anderen zur Verfügung stellen können. About You macht das mit der About You Cloud. Zalando treibt Fulfillment, Brand, Media und Payment Solutions voran. Im Prinzip böte sich eine Öffnung und Bereitstellung der eigenen Infrastruktur auf allen Ebenen an.

mehr zum Thema