Blockchain
25.09.2018
Infrastruktur-Revolution
1. Teil: „Alle Transaktionen werden auf Blockchains laufen “

Alle Transaktionen werden auf Blockchains laufen

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Sashkin / Shutterstock.com
Professor Philipp Sandner von der Frankfurt School of Finance & Management (FSFM) erklärt im Gespräch mit com! professional, warum die Blockchain-Technologie viel mehr ist als nur ein Hype.
Alle Welt redet von der Blockchain und ihrem revolutionären Potenzial. com! professional spricht mit Professor Philipp Sandner, Leiter des Blockchain Centers der Frankfurt School of Finance & Management (FSFM), was an den Vorschlusslorbeeren dran ist und wie viel davon schon Realität ist.
com! professional: Als erste deutsche Business School hat die FSFM 2017 ein Blockchain Center ins Leben gerufen. Warum gerade so ein Center?
Philipp Sandner: Wir sind eine Universität im Bereich BWL und Wirtschaftsinformatik und haben festgestellt, dass sich die ganze BWL so wie wir sie heute kennen, etwa Bereiche wie Besteuerung und Controlling, aufgrund der Digitalisierung stark verändern wird. Das heißt, auch eine Universität muss sich mit der digitalen Transformation beschäftigen.
  • Professor Philipp Sandner ist Leiter des Blockchain Centers der Frankfurt School of Finance & Management (FSFM).
Und wenn man sich die Digitalisierung näher anschaut, dann landet man bei Bereichen wie Data Analytics, Künstliche Intelligenz und eben Blockchain. Dazu gibt es bei uns an der FSFM verschiedene Initiativen, unter anderem das Blockchain Center.
com! professional: Wo liegt denn der Schwerpunkt Ihrer Arbeit – auf Unternehmen und Management allgemein oder speziell auf dem Bereich Finance?
Sandner: Wir haben keinen speziellen Finance-Schwerpunkt, wir machen im Bereich Kryptowährungen und Blockchain wirklich alles, was uns einfällt und interessant erscheint – wobei man generell zur Blockchain schon sagen kann, dass jeder zweite Use-Case in irgendeiner Weise Finance-relevant ist.
com! professional: Sie stellen Anfang November im Rahmen der TechWeek in Frankfurt in einem Vortrag die Frage, ob Blockchain, Bitcoin und Crypto Assets zu einem „New Financial Ecoystem“ führen. Wie lautet Ihre Antwort?
Sandner: Was hier im Entstehen begriffen ist, ist die Infrastruktur, die übermorgen das Thema Finanzen und Asset Management auf komplett neue Beine stellen wird. Die Blockchain wird den Finanzsektor revolutionieren, und wenn man das technisch zerlegt, dann werden auch Kryptowährungen eine gewisse Bedeutung erlangen. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, darüber zu berichten, dass momentan gerade begonnen wird, diese Infrastruktur aufzubauen – teils von großen Konsortien, die sehr langsam sind, aber auch von Kryptowährungen, die sehr schnell und unkompliziert agieren.
com! professional: Derzeit scheinen ja auch Staaten aus eher zweifelhaften Motiven die Kryptowährungen für sich zu entdecken. Venezuela hat den „Petro“ eingeführt, und der Iran will mit einer Kryptowährung die US-Sanktionen umgehen. Was halten Sie von dieser Entwicklung?
Sandner: Da muss man nichts stigmatisieren. Mit Blockchain und Kryptowährungen entsteht gerade eine neue Technologie, um Vermögensgegenstände zu transferieren. Damit beschäftigen sich alle – aus ganz unterschiedlichen Motiven.
com! professional: Was macht denn den besonderen Charme der Blockchain für den Finance-Sektor aus?
Sandner: Ganz klar die schlankeren Strukturen. Ich kann alle Arten von Wert international verschieben bei null Euro Transaktionskosten und mehr oder weniger in Echtzeit. All das kann das Finanzsystem heute nicht leisten.
TechWeek Frankfurt
Am 7. und 8. November bündelt die von CloserStill Media veranstaltete TECHWEEK sieben Events rund um die digitale Transformation, darunter Cloud Expo Europe, Big Data World und Blockchain Tech World. Professor Dr. Philipp Sandner hält eine der Keynotes. Ihr Titel lautet: „Blockchain, Bitcoin and Crypto Assets: Emergence of a New Financial Ecosystem?
Im Rahmen der von com! professional und GP Bullhound präsentierten FinTechWorld Conference erfahren Unternehmen zudem mehr darüber, wie diese Technologien die Bankenwelt verändern werden.
2. Teil: „Smart Contracts als Schlüssel­innovation“

Smart Contracts als Schlüssel­innovation

com! professional: Wenn es um Anwendungen für die Blockchain geht, werden oft auch Smart Contracts genannt. Sind diese automatisierten Verträge wirklich eine der zukunftsträchtigen Innovationen der Blockchain?
Sandner: Ja, Smart Contracts sind sicher eine der Schlüssel­innovationen in dem gesamten Bereich, weil man damit Geldflüsse programmieren kann, und das auf eine sehr, sehr unkomplizierte Weise. Smart Contracts werden ein integraler Bestandteil des Finanzsystems von übermorgen sein.
com! professional: Sie sprechen von Unkompliziertheit. Dabei gilt die Blockchain-Technik gemeinhin eher als komplexe Angelegenheit. Macht die Blockchain die Vertragsabwicklung tatsächlich einfacher?
Sandner: Auf alle Fälle. Die Blockchain-Technik wird zwar nur zugänglich sein für Leute, die programmieren können, Leute ohne technisches Verständnis werden das nicht begreifen. Aber das ist heute schon so, leider. Wenn ich Bankenschnittstellen anschließen möchte, brauche ich auch tiefes Programmierwissen, aber ich habe bei den IT-Systemen eine wesentlich höhere Komplexität als bei Smart Contracts. Die ermöglichen das Gleiche, nur mit weniger Komplexität. Aber das ist relativ. Programmiererfahrung braucht man trotzdem.
com! professional: Für welche Branchen ist die Blockchain denn besonders relevant?
Sandner: Die Blockchain wird alle Firmen in allen Branchen betreffen, die eine größere Finanzabteilung haben. Das ist wirklich faszinierend, denn es betrifft Daimler ebenso wie Siemens oder TUI. Im Prinzip wird die Blockchain überall, wo ich Finanzprozesse habe, Infrastrukturen bereitstellen. Darüber hinaus geht es auch noch darum, Güter oder Objekte zu verwalten. Hotelbetten bei TUI sind ein tolles Beispiel dafür, oder das Tracking von Containern, von Medikamenten – kurz Logistik. Überall, wo ich ein Tracking brauche, wo ich Zugriffsrechte auf Objekte verwalten muss, da ist die Blockchain in Zukunft mutmaßlich mit die beste Technologie.
com! professional: Gibt es schon konkrete Blockchain-Anwendungen im Alltag von Firmen oder Branchen?
Sandner: So gut wie überhaupt nicht. Es gibt viele Pressemitteilungen und viele Experimente, und es ist auch wichtig, dass man sich damit befasst, aber eigentlich sind wir noch in einem ganz, ganz frühen Stadium. Es gibt noch keine nennenswerten Systeme, die auf einer Blockchain-Basis laufen.
Zur Person
Professor Dr. Philipp Sandner leitet das Blockchain Center an der Frankfurt School of Finance & Management. Das Center wurde im Februar 2017 ins Leben gerufen und analysiert die Implikationen der Blockchain-Technologie für Unternehmen und Geschäftsmodelle. Es bietet Entscheidungsträgern, Start-ups, Technologie- und Industrieexperten eine Plattform zum Wissensaustausch und ein Forum für Zu­kunfts­­visionen.
Philipp Sandner ist Mitglied im FinTechRat beim Bundes­finanzministerium und Gründungsmitglied des Bundesverbandes Blockchain.
com! professional: Kennen Sie denn gescheiterte Projekte?
Sandner: Dazu ist es noch zu früh. Alles, was man momentan sieht, sind Projekte, bei denen Programmier-Frameworks aufgestellt werden, oder dass kleinere Industriezusammenschlüsse existieren.
com! professional: Welchen Rat würden Sie Unternehmen geben, die sich dem Thema Blockchain nähern wollen?
Sandner: Erstens brauche ich eine gewisse Offenheit gegenüber neuen Dingen. Das ist oft nicht gegeben. Und ich brauche Technikverständnis, und zwar Programmier-Know-how. Das einzukaufen durch Beratungsfirmen wird nicht ausreichen. Und am Ende des Tages brauche ich Budgets. Was momentan in der deutschen Industrie an Geldern bereitgestellt wird, ist wirklich noch marginal.
com! professional: Nehmen die Unternehmensführungen das Thema ernst? Oder ist es schwer, ihnen zu vermitteln, worum es da geht und was daran so besonders wichtig sein soll?
Sandner: Man darf natürlich nicht alle über einen Kamm scheren. Es gibt durchaus ein paar positive Ausnahmen wie zum Beispiel LBBW, Daimler, Börse Stuttgart, Commerzbank oder Bosch. Aber wenn man die mal außer Acht lässt, dann hat man das Thema in der Breite noch nicht verstanden. Ich würde sagen, im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der Blockchain ein bis zwei Jahre hinter der Schweiz und vielleicht zwei bis drei Jahre hinter Asien.
com! professional: Als Leiter eines Blockchain Centers ist die Blockchain für Sie sicher keiner der üblichen IT-Hypes. Aber ist die Technik wirklich so revolutionär, wie viele sagen?
Sandner: Unbedingt. Die Blockchain-Technik wird den Finanzsektor revolutionieren. Mindestens. Sie müssen sich das so vorstellen: Alle Transaktionen heute, egal ob Sie Grundstücke haben, Aktien, Anleihen, Währungen, Überweisungen und so weiter, all diese Transaktionen werden in zehn oder fünfzehn Jahren, also quasi übermorgen, auf Blockchain-Systemen laufen, wirklich alle. Das ist eine ganz neue Infrastruktur für alle Arten von Finanzprozessen und Werteübertragungen. Man kann die Blockchain also nicht überschätzen – und man darf sie nicht unterschätzen.
com! professional: Derzeit wird sehr viel über die Blockchain berichtet: Welche Aspekte kommen aus Ihrer Sicht zu kurz?
Sandner: Was man meist unterschätzt, ist die Dynamik im Ausland und insbesondere bei Start-ups, gerade auch bei den Kryptowährungen. Da haben Sie wirklich Zehntausende Leute, die sich mit dem Thema beschäftigen, die ihre Projekte vorantreiben – und das meist ohne große öffentliche Beachtung.

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