Business-IT
19.01.2021
Special Schweiz I
1. Teil: „Tops und Flops in der Schweizer ICT-Branche“

Tops und Flops in der Schweizer ICT-Branche

Autor:
Winners and LoosersWinners and LoosersWinners and Loosers
Waldemarus / shutterstock.com
Die Schweizer ICT-Industrie hat trotz Schwierigkeiten ein gutes Jahr hinter sich. Wir stellen die Tops und Flops aus unserem eidgenössischen Nachbarland vor.
Zwar war es ein durchwachsenes und doch noch anständiges Jahr für die Schweizer Informations- und Kommunikations-Technologie-Branche (ICT), dieses 2019. Zumindest suggerieren das die Umsätze der Firmen in der Top-500-Erhebung von Computerworld, der Schwesterzeitschrift von com! professional. Dem Branchensegment gelang es nicht ganz, das Wachstum des Vorjahres an den Tag zu legen. So legte der Gesamterlös der Firmen um nur 2,2 Prozent zu und damit weniger stark als 2018 (Zuwachs 4,3 Prozent). Daher kann die 80-Milliarden-Franken-Marke knapp nicht gerissen werden, sondern die Branchenvertreter gehen mit 79,9 Milliarden Franken Gesamtumsatz ins Ziel.
Etwas besser sieht die Situation aus, wenn der Median betrachtet wird, bei dem das durchschnittliche Wachstum der Firmen ermittelt wird. Hier kommen die Unternehmen 2019 auf ein Plus von 2,5 Prozent, wobei auch das unter dem Vorjahresniveau von 3,3 Prozent zu liegen kommt.

Durchmischt, aber positiv

Die Einschätzung des Jahres 2019 durch die von Computerworld angefragten ICT-Firmenvertreter ist ebenfalls durchmischt, wobei die beflügelnden die eher bremsenden Elemente ausstechen. „An der Oberfläche war 2019 ein Jahr der Kontinuität“, beurteilt etwa Jens Brandes, Geschäftsführer von Hewlett Packard Enterprise (HPE) Schweiz, das abgelaufene Jahr. „Viele Schweizer Firmen trieben ihre digitale Transformation weiter voran - ausgehend von einem im internationalen Vergleich bereits hohen Niveau. Das tat unserem Geschäft und dem unserer Partner gut“, berichtet er. „Negative Einflüsse wie die internationalen Handelskonflikte oder manche Komponenten-Lieferengpässe konnten diesem positiven Verlauf kaum etwas anhaben“, ist Brandes überzeugt.
Profitiert haben die ICT-Firmen generell von der durchweg noch guten Konjunktur im letzten Jahr. „Die gute Wirtschaftslage beeinflusste das Verhalten bei Investitionen im positiven Sinn“, sagt etwa Gabriele Meinhard, Managing Director von Tech Data Schweiz. Der Distributor sah daher letztes Jahr „ein sehr solides Business“, unter anderem bei Infrastruktur- und vor allem auch bei Software-Projekten. „Überproportionales Wachstum sahen wir in den Bereichen Cloud, IoT (Internet of Things) und Security“, spezifiziert er. Sogar von einer „boomenden Wirtschaft vor Corona“ spricht Arnold Marty, Managing Director Lenovo PCSD (PC and Smart Devices) Schweiz. Diese habe „einen positiven Investitionsschub nach Infrastruktur und Client-Lösungen hervorgerufen“, berichtet er. Aber nicht nur die all­gemeine Konjunktur ist für die Nachfragesteigerung verantwortlich. „Sparmaßnahmen in den Unternehmen treiben die Digitalisierung und dies ruft nach IT-Infrastruktur“, unterstreicht er, meint aber auch, dass die gesteigerte Nachfrage und der Innovationsschub zu einer Komponentenverknappung geführt hätten.
Der Kostendruck hat dabei Auswirkungen auf die Preise. „Der Preisverfall im Schweizer ICT-Markt ist weiter erkennbar und bringt die Margen der Branche unter Druck“, berichtet denn auch Markus Messerer, der bis Ende 2020 bei der Competec-Gruppe Leiter des Bereichs B2B und CEO von Alltron ist. Die Marktteilnehmer seien daher gefordert, sich umzuorientieren oder ihre Strategien anzupassen, ergänzt er.
Doch die Schwierigkeiten waren nicht nur hausgemacht. Messerer führt den Handelskrieg zwischen den USA und China an, der als globales Ereignis auch die Schweizer ICT-Branche getroffen habe. Hinzu kamen die ersten Auswirkungen der Corona-Pandemie in China. „Schnell haben wir begonnen, uns Gedanken über Lieferengpässe zu machen, und haben nötige Vorkehrungen getroffen und Pläne gemacht, um uns möglichst gut auf den Ernstfall vorzubereiten“, berichtet er. Trotzdem seien „bereits Ende 2019 Engpässe für gewisse Sortimente“ nicht zu verhindern gewesen.
Tabelle:

2. Teil: „Stimmungstief mit Erholung“

Stimmungstief mit Erholung

  • ICT-Umsätze – gebremstes Wachstum: Das durchschnittliche Wachstum der 500 umsatzstärksten ICT-Unternehmen der Schweiz ist gegenüber Vorjahr nochmals zurückgegangen.
    Quelle:
    Computerworld Top 500
Die Corona-Pandemie sorgt folglich auch für Zukunftsängste in der Branche - zumindest temporär. In der Zusatzbefragung von Computerworld unter den Top-500-ICT-Firmen, die von Ende März bis Mitte Juli erhoben wurde, beurteilen gerade einmal 40,4 Prozent der Befragten die Branchenkonjunktur der nächsten 12 Monate positiv und erwarten einen leichten oder kräftigen Aufschwung. 24,8 Prozent beurteilen dagegen die Schweizer ICT-Konjunktur rückläufig oder stark rückläufig. 30 Prozent sind der Überzeugung, dass eine Stagnationsphase ins Haus steht.
Daneben zeigt sich in der diesjährigen Umfrage, dass hauptsächlich mittelgroße Unternehmen mit 100 bis 249 Mitarbeitern mit größerer Skepsis in die Zukunft sehen als kleinere Unternehmen mit bis zu 99 Mitarbeitern oder ganz große Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitern. So rechnen 32,6 Prozent der mittelgroßen Unternehmen mit einer rückläufigen oder stark rückläufigen ICT-Konjunktur, während doch 24,1 Prozent der kleinen Firmen und 20,0 Prozent der Großunternehmen negative Zukunftsaussichten zu Protokoll geben.
Insgesamt gesehen sind dies um einiges trübere Erwartungen als vor einem Jahr. Damals beurteilten 76,6 Prozent die nächsten 12 Monate positiv, 17,1 Prozent neutral und nur 1,9 Prozent negativ. Noch schlimmer war das Stimmungstief in der Geschichte der Top-500-Zusatzbefragung nur 2009 nach der Finanzkrise. Damals sah die Branche noch schwärzer mit 33,6 Prozent Pessimisten und nur 11,6 Prozent Optimisten.
Allerdings ist das diesjährige Stimmungstief teils der großen Verunsicherung geschuldet, die in den ersten beiden Monaten der Pandemie herrschten. Schlüsselt man nämlich die Antworten nach den Monaten auf, in denen unser Online-Fragebogen ausgefüllt wurde, so zeigt sich, dass vor allem in den Monaten April und Mai die Zukunftsaussichten negativ gesehen wurden. In dieser Zeit gingen gar fast 30 Prozent der Befragten von einer schrumpfenden ICT-Konjunktur hierzulande aus. Im Juni änderte sich dann die Einstellung beträchtlich. In diesem Monat sehen nur noch gut 12 Prozent negativ in die Zukunft und 56,5 Prozent gehen davon aus, dass trotz Corona die Zukunft rosig sein wird.
Einen Corona-bedingten Stimmungsknick hat derweil auch der Branchenverband Swico beobachtet. Dessen Stimmungsbarometer ICT-Index, dem die Indikatoren „erwartete Umsatzveränderung“, „erwartete Veränderung des Auftragseingangs“ sowie „erwartete Veränderung der Rentabilität“ als Grundlage dienen, stürzte im April 2020 regelrecht ab. Stand das Barometer Anfang des Jahres noch auf 117,6 Punkten, tauchte es im April um 44 Prozent auf 66,2 Punkte und damit deutlich unter die Wachstumsgrenze, die bei 100 Punkten liegt. In den Folgemonaten stieg der Swico-ICT-Index aber wieder sukzessive an und erreichte im Juli immerhin wieder 92,0 Punkte, sodass auch Swico-Geschäftsführerin Judith Bellaiche wieder vorsich­tigen Optimismus verbreitet. „Es ist sehr erfreulich, dass die Stimmung nun zum dritten Mal in Folge positiv ist. Ich werte dies als deutlichen Hinweis auf die Fitness und das große Engagement unserer Branche“, gab Bellaiche anlässlich der Veröffentlichung des Juli-Indexes zu Protokoll. „Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass alle ICT-Teilsegmente den Sprung in die Wachstumszone noch nicht geschafft haben. Und dass die Angst vor einer zweiten Covid-19-Welle offenbar den Markt verunsichert, müssen wir unbedingt im Auge behalten“, ergänzte sie.
Zusammengefasst kann kon­statiert werden, dass die Branche gemerkt hat, dass die Auswirkungen der Krise auch Wasser auf die Mühlen der Digitalisierung sein könnten und sie damit der ICT-Industrie zumindest längerfristig mehr nützen als schaden wird.
Tabelle:

3. Teil: „Mehr Chancen als Risiken“

Mehr Chancen als Risiken

  • Konjunkturprognose – Stimmungstief: Die nächsten 12 Monate beurteilt die ICT-Branche ­Corona-bedingt zurückhaltend. Nur 2009 war die Stimmung ­pessimistischer.
    Quelle:
    Computerworld  Schweiz Top 500
Auch die von Computerworld befragten Vertreter der ICT-Industrie machen sich Sorgen um die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Schließlich fallen zahlungsunfähige Firmen als Kunden weg. Sie reiben sich aber auch die Hände, zeigt doch die Krise, wie wichtig die Digitalisierung ist. „Die Corona-Krise ist etwas dermaßen Umwälzendes, dass sich ihre Folgen noch gar nicht abschätzen lassen“, spricht Peter Lenz, Managing Director Region Alpine von T-Systems, für viele. „Sorgen bereitet vor allem die durch sie verursachte Wirtschaftslage“, gibt er zu bedenken. „Wir erwarten Zurückhaltung bei größeren Investitionsvorhaben, obwohl sich gerade jetzt in der Krise die Vorteile einer fortgeschrittenen Digi­talisierung von Infrastrukturen und Prozessen ­gezeigt haben“, folgert der T-Systems-Manager.
Lenz sieht denn auch in der Pandemie und deren Bewältigung mehr Chancen als Risiken. „Die Corona-Krise hat die Bedeutung von digitaler Vernetzung radikal akzentuiert“, ist er überzeugt. Auch der abrupte Wechsel vieler Firmenmitarbeitenden ins Homeoffice wird längerfristige Aus­wirkungen haben. „Viele Unternehmen prüfen nun ihre Arbeitsplatz­modelle und Homeoffice wird künftig mehr gefördert“, ist etwa Thomas Wettstein überzeugt, bis Ende 2020 CEO von Avectris. „Entsprechend wird unserer Meinung nach der Bedarf nach Cybersecurity, Cloud-Migration und Collaboration-Werkzeuge steigen“, folgert er. Damit aber nicht genug: „Wir werden in Zukunft nicht nur anders arbeiten, sondern auch einen massiven Digitalisierungsschub in allen Lebensbereichen erfahren“, meint Wettstein. Globalisierungsstrategien würden zudem hinterfragt und Backsourcing thematisiert. Schließlich habe Business Conti­nuity Management massiv an Bedeutung gewonnen, unterstreicht der Avectris-CEO.
Doch welche Auswirkungen wird die Krise konkret auf die ICT-Industrie haben? „Die zu erwartenden wirtschaftlichen Verwerfungen und deren mittel- und langfristige Wirkung auf die Konjunktur werden sich voraussichtlich auch auf unsere Auftragslage auswirken“, kommentiert Abraxas-CEO Reto Gutmann. Dennoch ist er überzeugt, „dass der ICT-Markt auch weiterhin ein Motor der konjunkturellen Entwicklung in der Schweiz bleiben wird“. Zu Umwälzungen wird es aber kommen. „Es ist nicht auszuschließen, dass sich die IT-Landschaft in der Schweiz etwas konsolidieren wird und tendenziell eher weniger ganz kleine Firmen existieren werden“, schätzt Gutmann.

Schwierige Auftragslage

Die doch etwas trübe Stimmung der Branche zeigt sich auch bei der Beurteilung der aktuellen Auftragslage. So beurteilen 18,7 Prozent der Befragten der Top-500-Zusatzuntersuchung die aktuelle Auftragslage schlechter als im letzten Jahr. 31,9 Prozent sehen dagegen eine verbesserte Auftragslage und 46,8 Prozent sehen diese auf ähnlichem Niveau wie im letzten Jahr zur gleichen Zeit. Dies sind um einiges schlechtere Ergebnisse als 2019. Damals beurteilten nur 5,4 Prozent die Auftragslage schlechter, dafür 50,3 Prozent besser und 40,8 Prozent auf gleichem Level. Allgemein kann 2020 von einer geringeren Investitionsbereitschaft ausgegangen werden. Dies zeigt auch eine Analyse von Forrester. Die Marktforscher gehen davon aus, dass das Wachstum der Technologie­ausgaben in der Schweiz auf 1,2 Prozent im Jahr 2020 gegenüber 2,3 Prozent im Jahr 2019 zurückgehen wird. Der Schweizer Technologiemarkt werde sich mit der Schweizer Wirtschaft verlangsamen, heißt es.
4. Teil: „Top 10 ohne SIX“

Top 10 ohne SIX

Die Veränderungen auf den ersten zehn Plätzen im Top-500-Ranking von Computerworld sind vor allem auf den Abgang von SIX zurückzuführen. Durch den Verkauf der Sparte SIX Payment Services an den französischen Finanzdienstleister Worldline im Mai 2018 wurde der Umsatz der Börsenbetreiberin faktisch halbiert.  Die Folge: SIX fällt aus den Top Ten und belegt statt Rang vier in diesem Jahr Platz 13. Dies ist auch der Grund, warum SIX die diesjährige Rangliste der Top-Verlierer anführt, und zwar mit einem Minus von 809 Millionen Franken oder 41,7 Prozent. Vom SIX-Abgang profitieren hauptsächlich Sunrise und Coop, die je einen Platz gut­machen. Microsoft gelingt es sogar, zwei Plätze in den Top Ten vorzurücken. Nicht zuletzt dank der Eröffnung des helvetischen Cloud-Standorts Ende August 2019 hat die Schweizer Niederlassung des Software-Riesen überdurchschnittlich performt und landet mit einem Umsatzplus von über 15 Prozent auf Platz 6. Mit dem Umsatzplus von 210 Millionen Franken gelingt es Microsoft auch, den guten zweiten Platz in den Top Ten der Gewinner nach absoluten Zahlen zu ergattern. Hier werden die Redmonder nur von Google geschlagen. Der Suchmaschinenprofi hievt sich mit einem Plus von 440 Millionen Franken auf Platz eins der entsprechenden Auswertung.
Bei den prozentualen Top-Gewinnern sind auch dieses Jahr hauptsächlich Firmenübernahmen für das teils exorbitante Wachstum verantwortlich. So hat die topplatzierte Computacenter 2019 die Firma PathWorks übernommen, die jetzt als Computacenter TS firmiert. Boss Info hat sich derweil mit ProFinance, Daneco und pmc Informatik gleich drei Firmen einverleibt und Prime Vison komplett übernommen. Bei Execure kam es dagegen zu einer Verschmelzung mit MIT Cloud Innovation und MIT Engineering.
Aber auch größere Aufträge können zu einem hohen prozentualen Wachstum führen. So hat SNP nach eigenen An­gaben unter anderem den Auftrag für die Aufspaltung der SAP-Systemlandschaft eines „bedeutenden Schweizer Energie- und Hightech-Unternehmens gewonnen“. Und bei Ironforge ist das Gewinnen diverser WTO-Ausschreibungen einer der Gründe für das hohe prozentuale Plus, so jene des Staatssekretariats für Migration (SEM), für Wirtschaft (SECO) und des UVEK (Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation).

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