Business-IT
05.07.2019
 Digitalisierung der Lieferkette
1. Teil: „Supply Chain Management (SCM)“

Supply Chain Management (SCM)

Supply Chain ManagementSupply Chain ManagementSupply Chain Management
KAMONRAT / shutterstock.com
IoT, Blockchain & KI: Digitale Technologien verändern das Supply Chain Management. Smarte Lösungen verkürzen Lieferzeiten, ermöglichen eine vorausschauende Lagerhaltung und vieles mehr.
  • Quelle:
    Gartner
Die Lieferketten sind in vielen Branchen eng getaktet, insbesondere aber in der Automobilindustrie. Kommt es zu Nachschubproblemen, stehen die Bänder still. Das passierte beispielsweise Ende 2018 bei Volkswagen Sachsen, das wegen fehlender Motorkomponenten in Zwickau die Golf-Produktion zeitweise einstellte. Oder im Mai 2017 bei BMW. Das Unternehmen musste die Produktion für viele BMW-Modelle stoppen. Der Grund: Der große Automobilzulieferer Bosch konnte keine Lenkgetriebe liefern, weil dessen italienischer Partner Lieferprobleme mit den dafür benötigten Gussgehäusen hatte.
Die Just-in-time-Strategie hat ihre Tücken. Da Hersteller und Zulieferer Lagerkosten sparen wollen, muss jedes Bauteil pünktlich zur Montage am Band sein, um die Produktion aufrechtzuerhalten. Das klappt nur über eine gute Zusammenarbeit aller Lieferanten und Supply-Chain-Verantwortlichen. Doch die Lieferketten und damit auch das Supply Chain Management (SCM) sind durch die Digitalisierung und zunehmende Vernetzung in den letzten Jahren komplexer geworden. Die Supply Chains bestehen nicht mehr nur aus linearen Lieferketten zwischen Original Equipment Manufacturer (OEM) und Lieferant, sondern haben sich zu großen Ökosystemen mit vielen möglichen Produktvarianten und untereinander vernetzten Zulieferern entwickelt - und das alles im globalen Maßstab.
Zudem wurden Supply Chains und die Märkte durch die Digitalisierung immer dynamischer. Neue Produkte gelangen in immer kürzeren Zyklen in immer mehr Varianten auf den Markt. Kein Unternehmen kann sich angesichts des rasanten technischen Fortschritts auf vergangenen Lorbeeren ausruhen. Geschwindigkeit und Flexibilität werden zum Gebot der Stunde. Es gilt, Daten aus verschiedenen Systemen möglichst in Echtzeit zu analysieren, um Supply Chain und Produktion zu optimieren - Stichwort Industrie 4.0. Technologien wie IoT, Blockchain oder Data Analytics mit maschinellem Lernen und KI bieten hier für Unternehmen großes Potenzial. Doch werden diese digitalen Techniken in Supply Chains auch genutzt?

Digitaler Nachholbedarf

Ein ernüchterndes Bild zeichnet die Umfrage „Digitalisierung in Supply Chains“ des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME) vom März dieses Jahres, die der Verband zusammen mit der Hoch­schule Fulda durchgeführt hat. „Wir mussten feststellen, dass es bei der Anwendung und der Nutzung von Digitalisierungstechnologien in der Supply Chain einen immensen Nachholbedarf gibt. Häufig fehlt es an der Kenntnis der Technologien und damit auch an Ideen für den Einsatz“, resümiert Carsten Knauer, Leiter Sektion Logistik beim BME. Und: „Große Unternehmen setzen die neuen Technologien eher ein als kleinere und mittlere Unternehmen.“
Die meistgenutzten digitalen Anwendungen für Supply Chains sind derzeit Cloud-Computing (52 Prozent), Big Data Analytics (47 Prozent) und Roboter beziehungsweise Automatisierung (34 Prozent). Auf den weiteren Plätzen folgen Internet of Things (IoT) und 3D-Druck mit jeweils 17 Prozent sowie der digitale Zwilling mit 16 Prozent. Ein digitaler Zwilling repräsentiert ein reales Objekt oder einen realen Prozess in der digitalen Welt. Er ist aus Daten und Algorithmen aufgebaut und beschreibt die Eigenschaften sowie das Verhalten der realen Objekte unter bestimmten Bedingungen. Digitale Zwillinge können außerdem
über Sensoren in Echtzeit mit der realen Welt in Verbindung stehen.
Vorreiter beim Einsatz digitaler Technologien sind laut BME die Automobil- und Automobilzuliefer-Industrie mit 3D-Druck, Big Data Analytics, IoT und Low-cost Sensor Technology sowie die Pharma- und Chemiebranche. Letztere setzt vor allem auf Cloud-Computing, KI sowie Roboter und Automatisierung. Eher zurückhaltend sind Unternehmen aus dem Lager- und Transportsektor.
Das sollte sich ändern. „Für Firmen öffnen sich durch die Digitalisierung viele Möglichkeiten, sich zu verknüpfen. Die Vernetzung nimmt zu, auch in der Supply Chain. Wir sehen eine grundsätzliche Veränderung. Firmen werden Teil eines Ökosystems, neue Partner kommen hinzu“, erklärt Lynn-Kristin Thorenz, Associate Vice President Research & Consulting bei IDC. Als Beispiel nennt sie Start-ups, die mit ihrer Lösung die Abrechnung der Reisekosten der Lkw-Fahrer mit der Lieferkette verknüpfen. Sie schaffen eine Schnittstelle zwischen der Telematik-Lösung, die genau zeigt, welcher Fahrer wie lange unterwegs war und wo er Pausen eingelegt hat, und der Payroll. „Wenn Firmen zudem in der Logistik andere Technologien wie KI oder maschinelles Lernen nutzen, bietet die Integra­tion der Supply Chain einen großen Mehrwert. Sie können beispielsweise vorausschauender planen“, so Thorenz weiter.
2. Teil: „KI in der Supply Chain“

KI in der Supply Chain

  • Strategen voran: In den meisten Unternehmen sind die eigenen Fachabteilungen Treiber der Digitalisierung.
    Quelle:
    BME "Digitalisierung in Supply Chains", n = 251
Intelligente Prognosesysteme, die eine inte­grierte Planung und Steuerung der gesamten Supply Chain ermöglichen, gehören zum Me­tier von Inform. Das Unternehmen entwickelt Software zur Optimierung von Geschäftsprozessen mittels Digital Decision Making auf Basis von Künstlicher Intelligenz.
Laut Peter Frerichs, Leiter des Geschäftsbereichs Inventory & Supply Chain bei Inform, beantwortet sein Unternehmen die wichtigsten Fragestellungen der internen und externen Logistik, etwa zur Absatzplanung (Welchen Bedarf haben die Kunden? Welche Budgets?), zur Lagerhaltung, zu den Formen der Distribution sowie zur Produktions- und Einkaufsplanung, um die verschiedenen Prozesse ganzheitlich aufeinander abzustimmen.
Inform nutzt Algorithmen und mathematische Verfahren wie Machine Learing und Deep Learning schon sehr lange für Prognosen, um die Supply Chain von Unternehmen zu optimieren. „Lieferketten werden komplexer. Die wachsende Datenmenge lässt sich nur noch mit intelligenter Software sinnvoll nutzen, um bessere Kenntnis über Kunden oder Branchenentwicklungen zu erlangen“, betont Peter Frerichs. „KI-gestützte Systeme haben im Gegensatz zum Menschen eine praktisch unbegrenzte Aufnahmefähigkeit. Für Berechnungen, die heute sekundenschnell passieren, waren vor einigen Jahren noch Monate nötig. Außerdem sind diese Systeme lernfähig und können teilweise selbstständig auf unerwartete Störungen reagieren und Gegenmaßnahmen veranlassen.“
Eine Herausforderung sei dabei immer die Heterogenität der vorliegenden Informationen, Datentöpfe und IT-Systeme. „Wir haben daher eine Middleware gebaut, um die Daten aus den unterschiedlichen Datenquellen zusammenzufassen und eine einheitliche Datenbasis zu schaffen“, erklärt Frerichs.

Verfügbarkeit prognostizieren

Ein wichtiges Anwendungsgebiet für maschinelles Lernen sieht Peter Frerichs bei Problemen mit der Verfügbarkeit von Bauteilen. Wenn die Rohwaren oder Zukaufteile für die Produkte nicht rechtzeitig zum geplanten Termin angeliefert werden, müssen Firmen schnell reagieren und entscheiden, um einen Stillstand in der Fertigung zu vermeiden. Gibt es Ersatzlieferanten? Kann ein anderes Produktionslos vorgezogen werden, bis Nachschub angeliefert wird? „Die nötigen Analysen für Alternativen und ihre Konsequenzen können Stunden und Tage dauern. Wenn Firmen unter solchem Druck umplanen müssen, sollten sie auf selbstlernende und mit Algorithmen arbeitende Systeme setzen“, rät Frerichs. „Damit lassen sich innerhalb kürzester Zeit die Auswirkungen von Störungen auf die Prozesse der Supply Chain berechnen. Planer können dann auch bei unerwarteten Vorkommnissen souverän agieren und die bestmögliche Entscheidung treffen.“
So lässt sich mit Hilfe von maschinellem Lernen beispielsweise berechnen, wie sich Phasen der Hochkonjunktur mit einem hohen Auftrags- und Transportaufkommen auf Liefer- oder Versandzeiten auswirken. Ähnliche Situationen ergeben sich auch in saisonal geprägten Verkaufsspitzen, etwa vor Weihnachten. Firmen können Algorithmen zudem einsetzen, um Änderungen in letzter Minute zu verwalten. Dazu gehören die Auswahl eines alternativen Hafens, wenn der ursprünglich geplante Hafen nicht erreichbar oder blockiert ist, oder die Vorhersage der Ankunftszeit. Ein weiteres Szenario für KI: Algorithmen stellen sicher, dass Firmen ihre Lieferanten nach qualitativen sowie quantitativen Leistungskennzahlen auswählen. Durch neue Entscheidungsmodelle können sie ihren Einkauf dadurch strategischer ausrichten.
Beim Feststellen der Bestellmenge werden Absatzprognosen zukünftig eine noch höhere Bedeutung erhalten, um die Lieferkette zu optimieren. Ein Beispiel für Big Data und KI ist das von Amazon als Patent eingereichte Prinzip „Anticipatory Shipping“, über das der Konzern Warenströme zeitlich und räumlich genau vorhersagen kann. Das Unternehmen analysiert dazu das Surf- und Bestellverhalten sowie die Wunschlisten und Persönlichkeitsmerkmale seiner Kunden und prognostiziert, an welchem Ort welche Produkte zu welchem Zeitpunkt bestellt werden. Die vermutlich bald bestellten Waren werden dann an das entsprechende Verteilzentrum geschickt, um die Lieferzeiten bei der tatsächlichen Bestellung zu verkürzen. Optimierung der Supply Chain at its best.
3. Teil: „Blockchain - Kette des Vertrauens“

Blockchain - Kette des Vertrauens

Eine dritte wichtige Technologie für die Lieferkette ist die Blockchain. Sie steht für sichere, direkte Transaktionen im Internet. Über die Technologie lassen sich Prozesse in der Supply Chain digitalisieren, automatisieren und absichern. „Durch die Globalisierung hat sich die Komplexität der Lieferketten erhöht, Materialien lassen sich nur schwer rückverfolgen. Über die Blockchain teilen Unternehmen und Zulieferer wichtige Informationen und sorgen für Transparenz. Damit lassen sich auch Produktfälschungen erheblich einschränken“, erklärt IDC-Analystin Lynn-Kristin Thorenz.
Mittlerweile gibt es für den Einsatz der Blockchain im internationalen Handel und in der Logistik viele Prototypen von Anwendungen, aber noch sehr wenige Use-Cases, die voll umgesetzt sind. „Der Grund ist, dass viele nicht die technologische Reife besitzen. Auch fehlen Standards und das Verständnis davon, wie die Blockchain Lieferketten tatsächlich verbessern könnte - oder sollte“, erklärt Alex Pradhan, Senior Principal Research Analyst beim Beratungshaus Gartner. „Dazu ist der Projektumfang oft zu ehrgeizig bemessen. Das alles führt dazu, dass der Markt unter ‚Blockchain-Müdigkeit‘ leidet.“ Laut Gartner werden bis 2023 rund 90 Prozent der Initiativen für blockchainbasierte Lieferketten aufgrund fehlender oder schwacher Anwendungsfälle ermüden.

Transparenz in der Lieferkette

Doch trotz dieser pessimistischen Prognose zeichnet sich das Potenzial der Blockchain in der Supply Chain bereits ab. Beispiel Handel mit Lebensmitteln wie Fleisch: Da Fleisch verderblich ist, müssen Firmen ihre Lieferkette genauestens überwachen, um Qualitätsmängel oder durch das Fleisch verursachte Krankheiten zu identifizieren. Entstand das Problem beim Landwirt, bei einem Hersteller von Fertiggerichten, beim Transport durch einen Spediteur oder haben die Mitarbeiter im Supermarkt die Kühlkette zu lange unterbrochen? Das herauszufinden, ist vor allem bei weltweiten Lieferketten schwierig und kostet Zeit, da Informationen über Waren und Transaktionen meist verteilt bei den Lieferanten liegen.
Abhilfe schafft hier die Blockchain. Das zeigt ein Projekt, das IBM gemeinsam mit Walmart zur Verfolgung von Schweinefleischlieferungen in China umgesetzt hat. Dort waren die Informationen zu den Gliedern der Lieferkette binnen Sekunden verfügbar. Produktinformationen wie Herkunftsbetrieb, Chargennummer, Verarbeitungsdaten oder auch die Einhaltung der Kühlkette werden digital in der Blockchain gespeichert und lassen sich zuverlässig rückverfolgen. So kann auch die Quelle von verunreinigten Produkten rasch ausfindig gemacht werden. Verspätungen im Materialfluss, das Verschwinden von Gütern und das Ausbleiben von Zahlungen lassen sich ebenfalls verlässlich klären.

Das Prinzip Blockchain

Eine Blockchain schafft damit Transparenz und Vertrauen. Man kann sich die Blockchain wie ein Kassenbuch vorstellen, in das alle Transaktionen eingetragen werden. Dieses Kassenbuch ist aber nicht zentral auf einem einzigen Server gespeichert, sondern als dezentrale Datenbank auf Computern weltweit verteilt und verschlüsselt. Auf jedem Computer befindet sich eine identische Kopie aller Transaktionen. Die Transaktionen werden in Blöcken zusammengefasst, die eine Kette bilden. Ist ein Block vollständig, wird der nächste erzeugt. Jede neue Transaktion wird vermerkt und dann von den Rechnern authentifiziert, auf denen die Kassenbücher gespeichert sind. Erst dann ist die Transaktion gültig. In unserem Beispiel „Lieferkette Schweinefleisch“ würde ein Block beispielsweise die Bestellung des Schweins mit Lieferdatum anzeigen, ein anderer die Annahme im Schlachthaus, die Weiterverarbeitung beim Hersteller von Fertiggerichten et cetera. Die Informationen sind unveränderlich und für jeden Berechtigten sichtbar gespeichert. Alles ist transparent, Manipulationen sind im Prinzip unmöglich.
Für Carsten Knauer, Leiter Sektion Logistik beim BME, wird es richtig interessant bei der verknüpften Nutzung von Blockchain, IoT und KI. „Also zum Beispiel wenn Daten über den Zustand und Ort einer Lieferung mittels Sensoren erfasst werden, diese Daten über das IoT mit Daten anderer Geräte verknüpft und ausgewertet werden, eine KI die nächsten Entscheidungen trifft und das in einer Blockchain sicher und unveränderbar gespeichert wird.“

Digitale Herausforderungen

Doch noch ist nicht alles Gold, was glänzt. Als Hemmnisse für die Digitalisierung der Lieferkette nennt Knauer vor allem fehlendes Fachpersonal, die komplexe Integration in die bestehende Systemlandschaft der Supply Chain, oft hohe Investitionskosten und eine fehlende Digitalisierungsstrategie. Lynn-Kristin Thorenz sieht die Hürden ähnlich, legt aber den Fokus auf die Integration in andere Systeme. „Der richtige Mehrwert entsteht erst dann, wenn die Lieferkette vom Einkauf über Produktion bis hin zum Verkauf durchgängig erfasst wird und es keine Lücken zwischen den verschiedenen Systemen gibt, in denen Daten vorgehalten werden und in Echtzeit zur Verfügung stehen. Ein wichtiges Thema bleibt hier auch die Datenqualität. Firmen müssen zudem ihre internen Prozesse überdenken, wenn sie ihre Supply Chain verbessern wollen.“
Peter Frerichs von Inform zufolge spielen auch die Kultur und die Haltung eines Unternehmens und seiner Mitarbeiter zu Kooperation und Innovation in der Lieferkette eine entscheidende Rolle. „Neuerungen sind auch eine Frage der Offenheit, Fehlerkultur und des Umgangs mit Problemen. Man kann Probleme auch als Chance sehen. Gefragt ist das Lean-Start-up-Prinzip mit schnellem Ausprobieren und Verwerfen von Projekten in der Supply Chain. In Deutschland herrscht das Sicherheitsdenken vor, es gibt keine Kultur des Scheiterns.“
4. Teil: „Thema Sicherheit “

Thema Sicherheit

  • Hürden: Fehlendes Fachpersonal, zu hohe Investitionskosten und Probleme bei der Integration bremsen die Digitalisierung der Lieferkette aus.
    Quelle:
    BME "Digitalisierung in Supply Chains", n = 251
Natürlich stellen auch die Themen Datenschutz und Cyber-Security große Herausforderungen für die Unternehmen dar. Das gilt insbesondere in der Supply Chain mit der Vernetzung von Maschinen, Systemen und Menschen. „In der heutigen vernetzten Welt sind die Schwachstellen anderer leider auch die eigenen. Unternehmen, die ihre Systeme vor Hackern schützen wollen, müssen daher zuerst an allen wahrscheinlichen Stellen nach Schwachstellen suchen. Das schließt auch ihre Lieferanten mit ein“ sagt Patrick Steinmetz, Sales Manager Deutschland bei BitSight, einem Anbieter von
IT-Sicherheits-Ratings. Gartner schätzt, dass im Jahr 2020 75 Prozent der Fortune Global 500 das Risikomanagement des Lieferanten-Cyberrisikos als so wichtig erachten werden, dass sie es auf Vorstandsebene behandeln.
Da Unternehmen üblicherweise mehrere Zulieferer und Partner haben, kann der Angreifer sich aus dieser Auswahl ein Unternehmen heraussuchen, das das Thema IT-Sicherheit weniger stringent verfolgt und ein leichteres Ziel darstellt. „Dadurch wird eine starke Hebelwirkung erzeugt, da zum einen der Angriff vereinfacht wird, aber auch weil damit Kanäle, die einem zuliefernden Betrieb auf ein Netzwerk vorbehalten sind, oftmals weniger abgesichert sind beziehungsweise durch klassisches Monitoring überwacht werden“, erklärt Christian Funk, Head of Global Research & Analysis Team DACH beim Security-Spezialisten Kaspersky Lab. Je nach Art und Absicht eines Angriffs können auf diese Weise betriebs­interne Daten ausspioniert oder Unternehmen sabotiert werden.
Wie können sich Firmen gegen diese Gefahren wappnen? Security-Experten empfehlen dazu mehrere Maßnahmen, etwa den Einsatz aktueller und effektiver IT-Sicherheits-Software, das zeitnahe Einspielen von Updates und IT-Sicherheits-Ratings, um die Vertrauenswürdigkeit der Lieferanten zu prüfen. Zusätzlich kommt es auf das Sicherheitsbewusstsein der eigenen Mitarbeiter an.

Fazit: Zukunft des SCM

Der Trend im Supply Chain Management geht klar in Richtung digitale Lieferkette mit intelligenten IT-Systemen und die Verknüpfung von IoT und Big Data. KI-Systeme werden Planungsprozesse verbessern, Prognosen über das Verkaufsverhalten werden die Lieferzeiten verkürzen und die vorausschauende Lagerhaltung in der Nähe des Kunden ermöglichen. IoT-Sensoren und möglicherweise die Blockchain werden dazu beitragen, jeden Schritt entlang der Supply Chain transparenter abzubilden.
„Je mehr Firmen ihre Supply Chain digitalisieren und automatisieren, desto mehr Daten in Echtzeit sind vorhanden. Wenn die Daten gut mit den internen Systemen etwa zur Personalplanung oder Lagerhaltung verknüpft und integriert sind, können die Unternehmen durch intelligente Analysen bei Problemen schnell reagieren und ihre Lieferkette optimieren“, resümiert Lynn-Kristin Thorenz von IDC. Datenanalyse also als Weg, um die Lieferketten produktiver und effizienter zu gestalten sowie dadurch Kosten zu sparen. Letztlich profitieren auch die Kunden: Firmen, die ihre Supply Chain optimieren, können ihre Kunden schneller bedienen und auch die Preise senken.
IT-Sicherheits-Ratings zum Schutz der Lieferkette
Hackerangriffe auf Lieferanten in der Supply Chain haben sich zu einem globalen Phänomen entwickelt. Unternehmen brauchen deswegen Strategien, um die Cybersicherheit jedes Lieferanten zu bewerten, bevor sie die Geschäftsbeziehung mit ihm beginnen.
Laut BitSight eignen sich IT-Sicherheits-Ratings gut, um die IT-Sicherheit von (potenziellen) Lieferanten zu überprüfen. Sie bieten einen messbaren und vergleichbaren Blick von außen auf die IT-Sicherheit beliebiger Organisationen - eine datenbasierte und kontinuierliche Messung der IT-Sicherheit.
Diese Informationen umfassen Daten zu Risiken, die BitSight in vier breit gefasste Kategorien einteilt: kompromittierte Sys­teme, IT-Sicherheitssorgfalt, Nutzerverhalten und allgemeine Veröffentlichungen. Die Ratings werden täglich aktualisiert und Risikomanager können damit schnell feststellen, wie gut die
gesamte Lieferkette eines Unternehmens auf Cyberangriffe vorbereitet ist.
BitSight hat vier Best Practices identifiziert, wie Unternehmen die Cyberrisken ihrer Lieferkette in den Griff bekommen:
  1. Integration und Standardisierung des Risikomanagements für Lieferanten-Cyberrisiken.
  2. Kontinuierliches Monitoring: Firmen müssen die IT-Sicherheit von Lieferanten mit Hilfe von Monitoring-Lösungen fortlaufend und genau erfassen, um objektive, belastbare Daten und Metriken zu erhalten. Damit können Unternehmen die IT-Sicherheit ihrer Lieferanten verifizieren und festlegen, welches Level an Vertrauen sie welchem Lieferanten einräumen.
  3. Konsistentes Reporting an den Vorstand.
  4. Risikomanagement für erweiterte Lieferkette: Auch Lieferanten von Lieferanten können eine Bedrohung für die eigene IT-Sicherheit darstellen, wenn sie gehackt werden. Firmen sollten daher das Risikomanagement für Cyberrisiken auch für die tieferen Teile ihrer Lieferkette angehen.
5. Teil: „Im Gespräch mit Dr. Stefan Penthin von BearingPoint“

Im Gespräch mit Dr. Stefan Penthin von BearingPoint

  • Dr. Stefan Penthin: Globaler Leiter Operations bei BearingPoint
    Quelle:
    BearingPoint
Stefan Penthin ist globaler Leiter Operations beim Beratungsunternehmen BearingPoint und berät Firmen bei der Optimierung ihres Supply Chain Managements. Im Interview mit com! profes­sional beschreibt er Use-Cases für digitale Technologien in der Lieferkette und zeigt, welche Herausforderungen Firmen auf dem Weg zu einer vernetzten Supply Chain noch meistern müssen.
com! professional: Herr Penthin, wo steht SCM heute? Wie stark nutzen Unternehmen in ihren Lieferketten bereits Digitalisierungstechnologien?
Stefan Penthin: Digitalisierung ist das Thema schlechthin in der Supply Chain. In der Logistik gibt es hier eine unglaubliche Bandbreite. Manche Firmen haben noch nicht alle Geschäftsprozesse digitalisiert und miteinander verknüpft, andere Unternehmen sind schon viel weiter. Die Automotive-OEMs sind mit ihrer Just-in-time-Strategie bei der Anlieferung der Bauteile in ihre Fabriken die Vorreiter. Sie haben oft sogar einen digitalen Zwilling für ihre komplette Supply Chain erstellt, um mit Hilfe von Simulationen den Beschaffungsprozess und das Lieferantenmanagement zu verbessern.
com! professional: Der digitale Zwilling soll ja in Form von Daten und Algorithmen die Eigenschaften und das Verhalten realer Objekte und Prozesse unter bestimmten Bedingungen beschreiben.
Penthin: Es geht um ein möglichst reales Abbild der Lieferkette mit Echtzeitdaten in einer Simulationsumgebung. Welche Bauteile oder Materialien kommen in welchem Zustand in richtiger Qualität zur richtigen Zeit am richtigen Ort an? Ein Automobil-Hersteller beispielsweise bekommt jeden Tag sehr viele Bauteile just in time geliefert, um seine Lagerbestände zu minimieren und Geld zu sparen. Er will natürlich genau wissen, wo auf dem Transportweg sich die Bauteile gerade befinden. In Verbindung mit den Wetterdaten und maschinellem Lernen lässt sich dann die Realtime-ETA (Estimated Time of Arrival) prognostizieren, sprich die Zeit, wann die Lieferung ankommt.
com! professional: Was bringen diese Daten und Prognosen?
Penthin: Durch die Transparenz können die Hersteller bei Problemen rechtzeitig reagieren und die Bauteile etwa bei einem anderen Zulieferer bestellen, damit die Bänder in der Fabrik weiterlaufen. Die Anlieferungszeiten sind ja teilweise minutengenau abgestimmt. Früher flogen die Automotive-OEMs das Material relativ häufig mit Hubschraubern ein, um einen Stillstand der Produktion zu verhindern. Durch die Datenanalyse und Prognosen lassen sich diese Kosten drastisch reduzieren. Mit Hilfe von IoT-Sensoren lässt sich auch tracken, ob Elektronik-Bauteile während des Transports feucht wurden oder etwa durch Werfen der Kartons beschädigt sind. Durch dieses Condition Monitoring können Firmen rechtzeitig reagieren und für Ersatz sorgen, wenn sich diese Teile nicht mehr verbauen lassen. Die Daten laufen in einem zentralen Cockpit zusammen, das bei Ausnahmen Alarm schlägt.
com! professional:  Welche weiteren Use-Cases gibt es für Technologien wie KI oder Blockchain in der Supply Chain?
Penthin: Ein wichtiger Trend beim SCM ist das Thema Nachhaltigkeit. Immer mehr Firmen wollen ihren CO2-Footprint messen und reduzieren. BearingPoint hat dafür das Tool LogEC entwickelt, den Logistic Emission Calculator. Damit können Firmen den CO2-Verbrauch jedes Produkts auf dem Frachtweg simulieren, vom Verlassen des Werks über das zentrale Depot und den Transport bis in den Point-of-Sale im Laden. Wir analysieren dafür mit Hilfe von lernenden Algorithmen sehr große Datenmengen und prognostizieren beispielsweise die Auslastung von Lkw auf bestimmten Strecken. Firmen erhalten detaillierte Emissionsberechnungen für Sendungen, Transportrouten und Einzelprodukte sowie integrierte Track-&-Trace-Funktionalität. Durch das Scannen von Barcodes mit einem mobilen Gerät lassen sich alle produktbezogenen Informationen wie Herkunft, Transportfluss und CO2-Emissionen anzeigen.
com! professional:  Und wie sieht es mit der Blockchain aus?
Penthin: Bei der Blockchain gibt es im Bereich Supply Chain Management viele Prototypen und Insellösungen, aber noch sehr wenige Use-Cases, die vollständig end-to-end umgesetzt sind. Wir befinden uns noch in der Lernphase. Das große Potenzial für den Einsatz der Blockchain im internationalen Handel und der Logistik ist aber bereits ersichtlich. Mit ihr lassen sich Prozesse in der Lieferkette digitalisieren, automatisieren und absichern.
com! professional: Welche Herausforderungen müssen Firmen bei der Digitalisierung ihrer Lieferketten meistern?
Penthin: Das größte Thema ist die Harmonisierung von Prozessen und Systemen. Unternehmensintern existieren vielfältige Datenquellen, Schnittstellen und IT-Systeme, die aufwendig miteinander verbunden sind. Durch Übernahmen oder Fusionen kommen stetig neue IT-Systeme und Datenquellen hinzu, oft mit anderen Datenformaten. Auch die Geschäftsprozesse unterscheiden sich dann häufig. Viele Firmen räumen gerade ihren Datenmüll auf, sie standardisieren oder harmonisieren ihre Daten, Geschäftsprozesse und ihre IT. Ziel ist eine komplett verknüpfte Supply Chain auf Basis von Digital Twins.

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