Digitalisierung
20.12.2018
Smarte Devices
1. Teil: „Sprache oder Display - Neue Wege fürs Marketing“

Sprache oder Display - Neue Wege fürs Marketing

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Das Next Big Thing nach dem Smartphone kommt ohne Bildschirm aus. Egal, ob es sich dabei um einen Wearable-Projektor oder um ein Headset handelt, das die Hirnströme misst.
  • Quelle: Strategy Analytics
Nahezu lautlos gleitet die Limousine über die Autobahn. Patrick Schröder (der Name ist frei erfunden) sitzt im Fond des selbstfahrenden Wagens. Gerade hat er sich über die Ergebnisse des letzten Team-Meetings informiert. Plötzlich ertönt eine Stimme: „Patrick, in fünf Minuten erreichen wir das Japan-Restaurant Hokkaido. Es hat hervorragende Bewertungen im Netz. Soll ich einen Tisch reservieren?“ Etwas essen, warum nicht? Patrick bejaht.
Nichts daran passiert zufällig. Der Fitness-Tracker in Schröders Armbanduhr hat einen sinkenden Blutzuckerspiegel gemessen. Dass Schröder lieber japanisch als griechisch isst, geht aus seinem bisherigen Konsumverhalten hervor. Und dass noch Zeit für eine Essenspause sein würde, hat die digitale Assistentin aus den Navi-Daten des Autos geschlossen. Als Schröder den Vorschlag der Stimme mit „Ja“ quittiert, wird nicht nur automatisch ein Tisch für ihn reserviert - es wird auch die Provision für eine erfolgreiche Conversion fällig.
Glaubt man Thomas Zant, so könnte ein solches Szenario Werbung, wie wir sie heute kennen, durchaus ablösen. „Die Inhalte werden sich von den Devices emanzipieren“, glaubt der CEO der Adtech-Beratungsfirma Adverserve. Gemeinsam mit der Österreichischen Post, die Ende 2017 knapp die Hälfte der Adverserve-Anteile übernahm, forscht das Wiener Unternehmen an einer Werbezukunft, die „aus den Bildschirmen heraustritt“.

Smartphone-Ära zu Ende?

Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, dass die Nachricht die Werbewelt aufrüttelte: Die mobile Internetnutzung hat den Desktop überholt. Die Marketing-Verantwortlichen weltweit haben auf diese Entwicklung längst reagiert. Nach einer Studie des Beratungsunternehmens Magna entfielen 2017 bereits 54 Prozent der Online-Werbespendings in den USA auf mobile Kampagnen.
Derweil mehren sich die Anzeichen, dass die Tage des Smartphone-Booms - die bislang augenfälligste Begleit­erscheinung der Mobile-Revolution - ihrem Ende entgegengehen. Über zehn Jahre hatten sich die Verkaufszahlen für die mobilen Alleskönner Jahr für Jahr um 20 bis 30 Prozent gesteigert. Seit 2015 lässt das Wachstum spürbar nach, 2016 wurden weltweit erstmals weniger Smartphones verkauft als im Jahr zuvor.
2. Teil: „Amazon Alexa und Google Home“

Amazon Alexa und Google Home

  • Amazon und Google bleiben die beiden Marktführer: Bis 2022 sollen weltweit rund 320 Millionen sprachgesteuerte Lautsprecher im Einsatz sein.
    Quelle:
    Canalys
Das Smartphone hat in den vergangenen Jahren zweifellos disruptive Kraft entfaltet und in der digitalen Wirtschaft kaum einen Stein auf dem anderen gelassen. Was wird das nächste „Big Thing“? Und wird es überhaupt noch ein Display haben? Smarte Assistenten, die per Stimme gesteuert werden, gelten bei vielen Marktbeobachtern als heiße Anwärter auf diesen Ehrentitel.
In der Tat lesen sich die Zahlen beeindruckend: So wurden nach Experten-Schätzungen von Amazons smarter Lautsprecherserie Echo mit dem Sprachassistenten Alexa an Bord in den ersten zwei Jahren nach Markteinführung mehr Stück verkauft als vom iPhone in den ersten zwei Jahren nach seiner Weltpremiere im Januar 2007. Auch Google kann sich vor Anfragen kaum retten: Nachdem der smarte Lautsprecher Google Home im Oktober 2017 in den Verkauf ging, wurden allein bis Jahresende schätzungsweise 6,5 Millionen Stück ausgeliefert – mehr als einer pro Sekunde.
Dazu kommt, dass die Sprachassistenten sich nicht nur in den entsprechenden Lautsprechern finden. Hi-Fi-Hersteller Bose hat seinen besonders bei Business-Reisenden beliebten Lärmschutzkopfhörer Quiet Comfort 35 bereits vor einiger Zeit mit dem Google Assistant kompatibel gemacht, und Autobauer BMW hat angekündigt, ab 2019 alle neuen Fahrzeuge mit Amazons Alexa-Sprachsteuerung auszustatten.
Das sind nur einige Beispiele. Es gehört wenig Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass jedes Gerät mit einem Lautsprecher im Gehäuse irgendwann einmal einen Nachfolger bekommen wird, der per Sprache mit seinem Besitzer kommunizieren kann. Entsprechend schwindelerregend muten die prognostizierten Nutzerzahlen an. Das Marktforschungsinstitut Tractica machte in einer Statistik zur Nutzung von virtuellen Sprachassistenten von 2015 bis 2017 fast eine Verdoppelung von 390 auf 710 Millionen Menschen weltweit aus. Noch 2018 soll die erste Milliarde gerissen werden, bis 2021 könnten es über 1,8 Milliarden sein - jeder vierte Mensch auf Erden.
Allerdings ist damit das Ende des Smartphones noch keine ausgemachte Sache. Denn die meisten virtuellen Sprachassistenten, die es heute gibt, sind in Smartphones eingebaut, hören auf den Namen Siri oder lassen sich mit einem forschen „Okay Google“ aktivieren. Die Zahl der ausgelieferten smarten Lautsprecher wächst in rasantem Tempo, der 2017 ermittelte weltweite Bestand von 50 Millionen soll sich schon in diesem Jahr auf 100 Millionen verdoppeln. Bis 2022 sollen gar über 300 Millionen schlaue Lautsprecher weltweit im privaten Einsatz sein. Doch angesichts der Tatsache, dass jährlich über 1,4 Milliarden Smartphones neu verkauft werden, spielen Amazon Echo & Co. wohl noch einige Jahre in einer anderen Liga.
3. Teil: „Chinesen haben es schwer“

Chinesen haben es schwer

  • 2017 gingen die weltweiten Verkäufe erstmals zurück: Nach einem starken Anstieg stagniert der Markt bei knapp 1,5 Milliarden Stück pro Jahr.
    Quelle:
    IDC, Statista 2018
Dennoch gibt es gute Gründe für die Annahme, dass gesprochene Sprache als Input gegenüber geschriebenem Text deutlich an Wichtigkeit gewinnen wird. Um dies zu ver­stehen, reicht ein Treffen mit einem Chinesen, der einem auf seinem Smartphone einmal zeigt, wie er in „Simplified Cantonese“ Text auf dem Display eingibt. Ein Wort Buchstabe für Buchstabe zu tippen, dafür reicht der vergleichsweise simple ASCII-Zeichensatz, auf dem die IT heute weltweit basiert und der in Amerika standardisiert wurde. Chinesische, arabische oder indische Schriftzeichen sind dagegen für jedes Display-basierte Eingabesystem eine echte Hürde, Voice geht einfacher. Und Eltern machen die gleichen Erfahrungen, wenn sie zu Hause eine Amazon-Echo-Box aufstellen: Ihre Kinder sprechen wie selbstverständlich mit der Maschine - und erwarten selbstverständlich eine gesprochene Antwort.
In dieser Erwartungshaltung steckt aber auch eine große Herausforderung für das Online-Marketing und den E-Commerce der Zukunft. Bislang basiert beispielsweise das Geschäftsmodell von Google zu großen Teilen darauf, den Nutzern praktische Dienste zur Verfügung zu stellen, über deren Verwendung mehr über die Vorlieben der Nutzer zu erfahren – und das Ganze durch kontextbasierte Werbung zu refinanzieren, die dem Nutzer auf seinem Bildschirm eingeblendet wird. Doch was, wenn es keinen Bildschirm mehr gibt?

Kein Hinweis auf die Quelle

  • Denken statt klicken: Dieses Headset soll Hirnströme lesen.
Das Problem wird deutlich, wenn man die Performance eines älteren Sprachassistenten wie Siri auf einem Tablet mit der eines aktuellen Amazon Echo vergleicht: Wer etwa wissen möchte, wie das Wetter in München heute wird, der muss auf seinem iPad die Home-Taste drücken, dann startet Siri und hört zu. Auf die Frage „Wie wird das Wetter in München?“ zeigt das Tablet eine Tabelle mit erwarteten Temperaturen und dem Bewölkungsgrad an. Vor fünf Jahren war das ganz nett. Wer aber heute in seiner mit Amazon-Hardware bestückten Küche den Satz ruft „Alexa, wie wird das Wetter in München heute?“, der erhält, wie aus der Pistole geschossen, einen Wetterbericht, wie ihn ARD-Wetterfee Claudia Kleinert kaum besser liefern könnte. Gemeinsamkeit in beiden Fällen: Auf eine Frage gibt es jeweils exakt ein Ergebnis. Bei Apple grafisch dargestellt, bei Alexa in Worten gesprochen.
Entscheidend sind jedoch zwei Dinge: In beiden Fällen bleibt kein Raum für ein zweites Suchergebnis, man erhält genau eine Wettervorhersage. Und während auf dem Tablet-Bildschirm noch Platz für einen (im Zweifel anklickbaren) Hinweis auf die Quelle bleibt, kommt die gesprochene Variante ohne aus. Für einen SEO-Experten keine schönen Aussichten. Denn was hat man davon, wenn man seinen Online-Content zwar so optimiert hat, dass er das Bedürfnis des Nutzers besser erfüllt als Wettbewerber, dieser Nutzer aber einfach nur die Infos nimmt und der Rest einer möglichen Customer Journey mangels Informationen nicht stattfinden kann?
Google bereitet die Website-Betreiber und die Nutzer bereits auf die Zeit vor, wenn aus der Suchmaschine eine Antwortmaschine wird. Das neue Suchergebnisformat „Featured Snippet“ bildet auf dem Computer-Display quasi das ab, was passieren würde, wenn der Nutzer den Such-String nicht tippen, sondern sprechen würde. Auf die Frage „Wie groß ist Angela Merkel?“ erscheint als erster Eintrag im Index nicht ein Link zu einer Seite, die diese Info liefert, sondern die Antwort selbst: 1,65 m. Woher Google dieses Wissen hat, erfährt der Nutzer nicht, der Eintrag ist nicht klickbar.
Dass der Sprachassistent der Zukunft kein Display haben wird, ist auch aus anderen Gründen alles andere als eine ausgemachte Sache. Denn längst nicht jedes Suchergebnis lässt sich akustisch überhaupt sinnvoll darstellen. Nach einer Umfrage, die das US-Portal Business Insider 2016 unter Alexa-Nutzern durchführte, steht das Abspielen von Musik mit über 80 Prozent weit vorn in der Beliebtheit. Das Abspielen von Videos kommt dagegen nicht vor - wie auch, so ganz ohne Bildschirm? Und wer eine Pizza Funghi am Telefon bestellen kann, der schafft das sicherlich auch via Alexa. Doch wie sieht es aus, wenn eine beige Lederjacke geordert werden soll?
4. Teil: „Display ist nicht wegzudenken“

Display ist nicht wegzudenken

  • Noch in der Crowdfunding-Phase: Dieses Armband projiziert den Smartphone-Screen auf den Oberarm des Nutzers - bei Bedarf auch unter der Dusche.
Die Anbieter sprachgesteuerter Hardware sind deshalb bereits dabei, den Pfad des „Voice only“ wieder zu verlassen. Längst hat Amazon mit Echo Spot und Echo Show zwei Geräte mit Display im Sortiment. Google hat seine Home-Technik an Hersteller wie Lenovo, LG und JBL lizenziert, die jetzt sogenannte Smart Displays auf den Markt bringen. Etwas anderes wäre für den Mutterkonzern von Youtube auch nicht besonders clever.
Derweil wird in Forschungsunternehmen rund um die Welt an völlig neuen Ein- und Ausgabetechniken gearbeitet. So könnte in Zukunft ein unauffälliger Ring am Finger des Nutzers alle möglichen Daten über ihn sammeln und damit auf ihn zugeschnittene Services möglich machen. Im abgespeckter Form gibt es so etwas schon längst zu kaufen: Ringe mit eingelassenen RFID-Chips können ihrem Träger als Schlüssel dienen.
Einen deutlichen Schritt weiter geht das Team von Basis Neuro. Es entwickelt eine Software-Plattform, mit der der Nutzer mit seinen Hirnströmen Computersysteme steuern kann. Dazu gehört ein Headset, das die Impulse an der Kopfhaut abnimmt. Frühe Prototypen sahen aus wie medizinische Forschungsgeräte, inzwischen gibt es Entwürfe, die Menschen mit längeren Haaren vermutlich ganz unbemerkt tragen könnten. Das Endprodukt ist dann nicht viel mehr als eine Haarspange - mit Sensoren an den Schläfenknochen.
  • Schlüssel am Finger: Ring mit eingebautem RFID-Chip.
Auf der Ausgabeseite arbeiten die Forscher an etwas, was interessierten Zuschauern spätestens seit der Premiere von Star Wars vor 41 Jahren geläufig ist: holografische Darstellungen, die vor dem Nutzer in der Luft schweben. Einige bisher bereits verfügbare Systeme arbeiten mit Wasserdampf, der einen Nebel erzeugt, in den Laser das Bild hineinprojizieren - für den Massenmarkt sicherlich ungeeignet.
Einen völlig anderen Weg geht das Crowdfunding-Projekt Cicret. Es besteht aus einem Armband, das dem Nutzer den Bildschirminhalt seines Smartphones auf seinen Oberarm projiziert - bei Bedarf auch unter der Dusche.
Was bleibt, ist die Frage, wie sich die Innovationen refinanzieren lassen. Der Erfolg des iPhones basiert nicht nur auf dem Kaufpreis des Geräts, sondern auf den Geschäftsmodellen, die es ermöglicht. Das weiß Amazon auch. Der Preis, den der Online-Riese für einen Echo-Lautsprecher verlangt, ist kaum mehr als kostendeckend. Dafür verleitet der Kauf den Kunden dazu, ein Prime-Abo abzuschließen - und das ist viel mehr wert.
5. Teil: „Interview mit Carsten Rauh von Microsoft Deutschland“

Interview mit Carsten Rauh von Microsoft Deutschland

  • Carsten Rauh: Director Search Advertising für Bing und Bing Ads bei Microsoft Deutschland
Auch Microsoft arbeitet an sprachgesteuerten Assistenten. Fragen dazu an den Search-Experten Carsten Rauh von Microsoft.
com! professional: Statt einer Seite mit Ergebnissen nur noch eine gesprochene Antwort: Da kommen harte Zeiten auf die SEOs zu.
Carsten Rauh: Ich glaube, Voice ist tatsächlich eine neue Herausforderung für die Werbeindustrie, sowohl was das Thema SEO als auch das Thema Paid Search angeht. Einerseits wird es eine Vermischung generischer und bezahlter Suchergebnisse geben. Andererseits wird der Nutzer immer weniger Resultate betrachten.
com! professional: Also auf dem Weg von einer Suchmaschine zu einer Antwortmaschine?
Rauh: Im Idealfall ist das ja heute schon der Weg, den wir gehen. Suchmaschinennutzer klicken in der Mehrheit - und wir reden hier von über 80 Prozent - auf das erste oder zweite generische Suchergebnis beziehungsweise die erste oder zweite bezahlte Anzeige. Die mobile Nutzung verstärkt diesen Trend noch.
com! professional: Voice-Assistenten, mit denen man sich richtig unterhalten kann - noch weit weg oder schon um die Ecke?
Rauh: Ich würde sagen, schon um die Ecke. Technologisch können wir das Thema bereits abbilden.
Bei Smart Speakern kommen bei Dialogen meist nur drei bis vier „Conversational Turns“ zustande, also Fragen und Antworten. Unser Social Bot Xiaoice, der vor allem in Asien auf WeChat läuft, hat Konversationen mit 23 bis 25 Turns, die 20 Minuten und länger laufen. Und er ruft bei Bedarf auf dem Handy zurück.

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