20.12.2018
Smarte Devices
1. Teil: „Sprache oder Display - Neue Wege fürs Marketing“
Sprache oder Display - Neue Wege fürs Marketing
Autor: Frank Kemper
Das Next Big Thing nach dem Smartphone kommt ohne Bildschirm aus. Egal, ob es sich dabei um einen Wearable-Projektor oder um ein Headset handelt, das die Hirnströme misst.
Nichts daran passiert zufällig. Der Fitness-Tracker in Schröders Armbanduhr hat einen sinkenden Blutzuckerspiegel gemessen. Dass Schröder lieber japanisch als griechisch isst, geht aus seinem bisherigen Konsumverhalten hervor. Und dass noch Zeit für eine Essenspause sein würde, hat die digitale Assistentin aus den Navi-Daten des Autos geschlossen. Als Schröder den Vorschlag der Stimme mit „Ja“ quittiert, wird nicht nur automatisch ein Tisch für ihn reserviert - es wird auch die Provision für eine erfolgreiche Conversion fällig.
Glaubt man Thomas Zant, so könnte ein solches Szenario Werbung, wie wir sie heute kennen, durchaus ablösen. „Die Inhalte werden sich von den Devices emanzipieren“, glaubt der CEO der Adtech-Beratungsfirma Adverserve. Gemeinsam mit der Österreichischen Post, die Ende 2017 knapp die Hälfte der Adverserve-Anteile übernahm, forscht das Wiener Unternehmen an einer Werbezukunft, die „aus den Bildschirmen heraustritt“.
Smartphone-Ära zu Ende?
Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, dass die Nachricht die Werbewelt aufrüttelte: Die mobile Internetnutzung hat den Desktop überholt. Die Marketing-Verantwortlichen weltweit haben auf diese Entwicklung längst reagiert. Nach einer Studie des Beratungsunternehmens Magna entfielen 2017 bereits 54 Prozent der Online-Werbespendings in den USA auf mobile Kampagnen.
Derweil mehren sich die Anzeichen, dass die Tage des Smartphone-Booms - die bislang augenfälligste Begleiterscheinung der Mobile-Revolution - ihrem Ende entgegengehen. Über zehn Jahre hatten sich die Verkaufszahlen für die mobilen Alleskönner Jahr für Jahr um 20 bis 30 Prozent gesteigert. Seit 2015 lässt das Wachstum spürbar nach, 2016 wurden weltweit erstmals weniger Smartphones verkauft als im Jahr zuvor.
2. Teil: „Amazon Alexa und Google Home“
Amazon Alexa und Google Home
In der Tat lesen sich die Zahlen beeindruckend: So wurden nach Experten-Schätzungen von Amazons smarter Lautsprecherserie Echo mit dem Sprachassistenten Alexa an Bord in den ersten zwei Jahren nach Markteinführung mehr Stück verkauft als vom iPhone in den ersten zwei Jahren nach seiner Weltpremiere im Januar 2007. Auch Google kann sich vor Anfragen kaum retten: Nachdem der smarte Lautsprecher Google Home im Oktober 2017 in den Verkauf ging, wurden allein bis Jahresende schätzungsweise 6,5 Millionen Stück ausgeliefert – mehr als einer pro Sekunde.
Dazu kommt, dass die Sprachassistenten sich nicht nur in den entsprechenden Lautsprechern finden. Hi-Fi-Hersteller Bose hat seinen besonders bei Business-Reisenden beliebten Lärmschutzkopfhörer Quiet Comfort 35 bereits vor einiger Zeit mit dem Google Assistant kompatibel gemacht, und Autobauer BMW hat angekündigt, ab 2019 alle neuen Fahrzeuge mit Amazons Alexa-Sprachsteuerung auszustatten.
Das sind nur einige Beispiele. Es gehört wenig Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass jedes Gerät mit einem Lautsprecher im Gehäuse irgendwann einmal einen Nachfolger bekommen wird, der per Sprache mit seinem Besitzer kommunizieren kann. Entsprechend schwindelerregend muten die prognostizierten Nutzerzahlen an. Das Marktforschungsinstitut Tractica machte in einer Statistik zur Nutzung von virtuellen Sprachassistenten von 2015 bis 2017 fast eine Verdoppelung von 390 auf 710 Millionen Menschen weltweit aus. Noch 2018 soll die erste Milliarde gerissen werden, bis 2021 könnten es über 1,8 Milliarden sein - jeder vierte Mensch auf Erden.
Allerdings ist damit das Ende des Smartphones noch keine ausgemachte Sache. Denn die meisten virtuellen Sprachassistenten, die es heute gibt, sind in Smartphones eingebaut, hören auf den Namen Siri oder lassen sich mit einem forschen „Okay Google“ aktivieren. Die Zahl der ausgelieferten smarten Lautsprecher wächst in rasantem Tempo, der 2017 ermittelte weltweite Bestand von 50 Millionen soll sich schon in diesem Jahr auf 100 Millionen verdoppeln. Bis 2022 sollen gar über 300 Millionen schlaue Lautsprecher weltweit im privaten Einsatz sein. Doch angesichts der Tatsache, dass jährlich über 1,4 Milliarden Smartphones neu verkauft werden, spielen Amazon Echo & Co. wohl noch einige Jahre in einer anderen Liga.
3. Teil: „Chinesen haben es schwer“
Chinesen haben es schwer
In dieser Erwartungshaltung steckt aber auch eine große Herausforderung für das Online-Marketing und den E-Commerce der Zukunft. Bislang basiert beispielsweise das Geschäftsmodell von Google zu großen Teilen darauf, den Nutzern praktische Dienste zur Verfügung zu stellen, über deren Verwendung mehr über die Vorlieben der Nutzer zu erfahren – und das Ganze durch kontextbasierte Werbung zu refinanzieren, die dem Nutzer auf seinem Bildschirm eingeblendet wird. Doch was, wenn es keinen Bildschirm mehr gibt?
Kein Hinweis auf die Quelle
Entscheidend sind jedoch zwei Dinge: In beiden Fällen bleibt kein Raum für ein zweites Suchergebnis, man erhält genau eine Wettervorhersage. Und während auf dem Tablet-Bildschirm noch Platz für einen (im Zweifel anklickbaren) Hinweis auf die Quelle bleibt, kommt die gesprochene Variante ohne aus. Für einen SEO-Experten keine schönen Aussichten. Denn was hat man davon, wenn man seinen Online-Content zwar so optimiert hat, dass er das Bedürfnis des Nutzers besser erfüllt als Wettbewerber, dieser Nutzer aber einfach nur die Infos nimmt und der Rest einer möglichen Customer Journey mangels Informationen nicht stattfinden kann?
Google bereitet die Website-Betreiber und die Nutzer bereits auf die Zeit vor, wenn aus der Suchmaschine eine Antwortmaschine wird. Das neue Suchergebnisformat „Featured Snippet“ bildet auf dem Computer-Display quasi das ab, was passieren würde, wenn der Nutzer den Such-String nicht tippen, sondern sprechen würde. Auf die Frage „Wie groß ist Angela Merkel?“ erscheint als erster Eintrag im Index nicht ein Link zu einer Seite, die diese Info liefert, sondern die Antwort selbst: 1,65 m. Woher Google dieses Wissen hat, erfährt der Nutzer nicht, der Eintrag ist nicht klickbar.
Dass der Sprachassistent der Zukunft kein Display haben wird, ist auch aus anderen Gründen alles andere als eine ausgemachte Sache. Denn längst nicht jedes Suchergebnis lässt sich akustisch überhaupt sinnvoll darstellen. Nach einer Umfrage, die das US-Portal Business Insider 2016 unter Alexa-Nutzern durchführte, steht das Abspielen von Musik mit über 80 Prozent weit vorn in der Beliebtheit. Das Abspielen von Videos kommt dagegen nicht vor - wie auch, so ganz ohne Bildschirm? Und wer eine Pizza Funghi am Telefon bestellen kann, der schafft das sicherlich auch via Alexa. Doch wie sieht es aus, wenn eine beige Lederjacke geordert werden soll?
4. Teil: „Display ist nicht wegzudenken“
Display ist nicht wegzudenken
Amazon mit Echo Spot und Echo Show zwei Geräte mit Display im Sortiment. Google hat seine Home-Technik an Hersteller wie Lenovo, LG und JBL lizenziert, die jetzt sogenannte Smart Displays auf den Markt bringen. Etwas anderes wäre für den Mutterkonzern von Youtube auch nicht besonders clever.
Die Anbieter sprachgesteuerter Hardware sind deshalb bereits dabei, den Pfad des „Voice only“ wieder zu verlassen. Längst hat Derweil wird in Forschungsunternehmen rund um die Welt an völlig neuen Ein- und Ausgabetechniken gearbeitet. So könnte in Zukunft ein unauffälliger Ring am Finger des Nutzers alle möglichen Daten über ihn sammeln und damit auf ihn zugeschnittene Services möglich machen. Im abgespeckter Form gibt es so etwas schon längst zu kaufen: Ringe mit eingelassenen RFID-Chips können ihrem Träger als Schlüssel dienen.
Einen deutlichen Schritt weiter geht das Team von Basis Neuro. Es entwickelt eine Software-Plattform, mit der der Nutzer mit seinen Hirnströmen Computersysteme steuern kann. Dazu gehört ein Headset, das die Impulse an der Kopfhaut abnimmt. Frühe Prototypen sahen aus wie medizinische Forschungsgeräte, inzwischen gibt es Entwürfe, die Menschen mit längeren Haaren vermutlich ganz unbemerkt tragen könnten. Das Endprodukt ist dann nicht viel mehr als eine Haarspange - mit Sensoren an den Schläfenknochen.
Einen völlig anderen Weg geht das Crowdfunding-Projekt Cicret. Es besteht aus einem Armband, das dem Nutzer den Bildschirminhalt seines Smartphones auf seinen Oberarm projiziert - bei Bedarf auch unter der Dusche.
Was bleibt, ist die Frage, wie sich die Innovationen refinanzieren lassen. Der Erfolg des iPhones basiert nicht nur auf dem Kaufpreis des Geräts, sondern auf den Geschäftsmodellen, die es ermöglicht. Das weiß Amazon auch. Der Preis, den der Online-Riese für einen Echo-Lautsprecher verlangt, ist kaum mehr als kostendeckend. Dafür verleitet der Kauf den Kunden dazu, ein Prime-Abo abzuschließen - und das ist viel mehr wert.
5. Teil: „Interview mit Carsten Rauh von Microsoft Deutschland“
Interview mit Carsten Rauh von Microsoft Deutschland
Microsoft arbeitet an sprachgesteuerten Assistenten. Fragen dazu an den Search-Experten Carsten Rauh von Microsoft.
Auch com! professional: Statt einer Seite mit Ergebnissen nur noch eine gesprochene Antwort: Da kommen harte Zeiten auf die SEOs zu.
Carsten Rauh: Ich glaube, Voice ist tatsächlich eine neue Herausforderung für die Werbeindustrie, sowohl was das Thema SEO als auch das Thema Paid Search angeht. Einerseits wird es eine Vermischung generischer und bezahlter Suchergebnisse geben. Andererseits wird der Nutzer immer weniger Resultate betrachten.
com! professional: Also auf dem Weg von einer Suchmaschine zu einer Antwortmaschine?
Rauh: Im Idealfall ist das ja heute schon der Weg, den wir gehen. Suchmaschinennutzer klicken in der Mehrheit - und wir reden hier von über 80 Prozent - auf das erste oder zweite generische Suchergebnis beziehungsweise die erste oder zweite bezahlte Anzeige. Die mobile Nutzung verstärkt diesen Trend noch.
com! professional: Voice-Assistenten, mit denen man sich richtig unterhalten kann - noch weit weg oder schon um die Ecke?
Rauh: Ich würde sagen, schon um die Ecke. Technologisch können wir das Thema bereits abbilden.
Bei Smart Speakern kommen bei Dialogen meist nur drei bis vier „Conversational Turns“ zustande, also Fragen und Antworten. Unser Social Bot Xiaoice, der vor allem in Asien auf WeChat läuft, hat Konversationen mit 23 bis 25 Turns, die 20 Minuten und länger laufen. Und er ruft bei Bedarf auf dem Handy zurück.
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