Business-IT
10.05.2019
Hohe Nachfrage
1. Teil: „Software-Entwickler dringend gesucht!“

Software-Entwickler dringend gesucht!

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Business-Software ist in allen Branchen gefragt wie nie. Die besten Chancen auf eine Einstellung haben Hochschulabsolventen mit Abschluss in Informatik.
Neue Geschäftsprozesse und Trends wie Cloud, IoT oder KI erfordern Software. Die Software-Branche boomt, doch der Fachkräftemarkt ist angespannt. Und das wird auf längere Sicht so bleiben. Auch die Löhne dürften steigen, da sich Coder ihre Arbeitsplätze derzeit aussuchen können. Das wiederum könnte die Margen für Software schmälern.
George Sarpong, Chefredakteur der „Computerworld“, der Schweizer Schwesterzeitschrift von com! professional, beschreibt, wie die eidgenössischen Unternehmen auf diese Herausforderung reagieren. Sein Bericht ist weitgehend, wenn auch nicht in jedem Detail, auf die Verhältnisse hierzulande zu übertragen. In jedem Fall liefert er einen interessanten Einblick in das Problem des Fachkräftemangels in der IT und wie man ihm im Zusammenspiel von Unternehmen und Hochschulen begegnen kann.

Mehr Aufträge als Entwickler

Ärgerlicher als steigende Löhne dürften entgangene Umsätze sein, da Hersteller zum Teil kein Personal mehr für zusätzliche Aufträge zur Verfügung haben. Ein Beispiel: Der IT-Dienstleister T-Systems bietet seinen Kunden in der Schweiz unter anderem Lösungen in den Bereichen Blockchain, IoT und Individualentwicklung an. „Hier haben wir die meisten offenen Stellen, denn erfahrene Software-Entwickler sind am Markt schwer zu finden. Zurzeit sind in diesem Bereich 80 Personen tätig. Wir haben aber genügend Aufträge, um deutlich mehr Mitarbeiter zu beschäftigen“, beschreibt Stefano Camuso, Managing Director bei T-Systems, die Situation.
Welche Unternehmen man auch fragt: Gesucht werden vor allem Fachleute mit DevOps-Hintergrund, mit Wissen in den Bereichen Data Analytics beziehungsweise Data Science und Künstliche Intelligenz, um Informationen aus großen Datenmengen zu gewinnen. Immer gefragter wird aber auch das Know-how bei der Entwicklung mobiler Apps.
Das Schweizer Unternehmen Zühlke, ein Dienstleister für Innovationsprojekte, setzt deshalb auf weltweit verteilte Standorte -  auch, weil es aufgrund der Auflagen schwierig ist, ausländische Fachkräfte ins Land zu holen. Zühlke beschäftigt Mitarbeiter in Serbien und Bulgarien, dem Vereinigten Königreich, Deutschland und Österreich, aber auch in Singapur und Hongkong. Sie können je nach Projekt länderübergreifend hinzugezogen werden.
Eine Entwicklung, die Ueli Kleeb, Managing Director Competence Center und Partner von Zühlke, mit gemischten Gefühlen betrachtet: „Wenn wir Expats ins Land holen, bleiben die Stellen hier. Auch nachdem die ausländischen Fachkräfte wieder gegangen sind. Wenn die Stelle ins Ausland geht, ist sie weg.“
2. Teil: „Lokale Ansprechpartner“

Lokale Ansprechpartner

Nicht alle Firmen setzen auf Near- oder Offshoring. So etwa Thomas Wüst von ti&m, Anbieter von Digitalisierungs- und Security-Produkten. Er verzichtet bewusst darauf und sieht zudem organisatorische Hürden: „Zu unseren Mehrwerten zählen eine kurze Time-to-Market und die Agilität. Das lässt sich aber nur vor Ort realisieren. Wer remote, also über Near- und Offshoring, agil arbeiten will, hat meiner Meinung nach agiles Arbeiten nicht verstanden.“
Stefano Camuso von T-Systems verweist darauf, dass die Sprache in der digitalen Arbeitswelt wichtiger werde. Früher sei es in Wasserfall-Projekten einfach gewesen, die Entwickler zu briefen. Ihnen wurde einmal der Auftrag erteilt und dann konnten sie loslegen. In agilen Projekten werde hingegen permanent diskutiert. Sprache und geografische Nähe seien daher Faktoren, die bei manchen Kunden eine Rolle spielten. „Wir haben noch viele Kunden, die deutschsprachige Ansprechpartner bevorzugen“, konstatiert Camuso.
Bei Zühlke organisiert man die Projektarbeiten dem Wunsch der Kunden entsprechend. Man weise diese darauf hin, dass man verteilt entwickele, erklärt Ueli Kleeb. Zudem betreuten auch Schweizer Ansprechpartner die Abläufe. Der Ansatz sei aber nicht vergleichbar mit dem klassischer Offshoring-Anbieter. „Unsere Value Proposition ist, dass wir die Verantwortung übernehmen. Wir betreiben kein Bodyleasing. Wenn etwa bei einem Kundenprojekt Kollegen aus Belgrad und Zürich involviert sind und die Mitarbeiter in Belgrad kein Deutsch sprechen, dann übernehmen die Kollegen von hier den Kundenkontakt“, stellt Kleeb klar.

Begehrte Uni-Absolventen

Fragt man IT-Unternehmen, wo sie ihre Fachkräfte finden, lautet die erste Antwort meist, dass man Fachkräfte von den Hochschulen rekrutiere. So schlossen zum Beispiel an der ETH Zürich vergangenes Jahr 317 IT-Fachkräfte ab, vom Bachelor bis zum promovierten Wissenschaftler.
Allerdings hängten die meisten Bachelorabsolventen der ETH Zürich noch ihren Master an, und ein kleinerer Teil der Masterstudierenden strebt einen Abschluss mit Doktortitel an. Es bleiben also von diesem Jahrgang nicht so viele Fachkräfte für den Arbeitsmarkt, wie sich das manche in der IT-Branche wünschen würden.
3. Teil: „Hürden für Quereinsteiger“

Hürden für Quereinsteiger

Früher galt die IT als interessantes Berufsfeld für Quereinsteiger. Doch die Zeiten haben sich geändert. Software-Projekte werden vielschichtiger, weshalb auch die Ansprüche an das Rüstzeug heutiger Bewerber steigt.
Aufgrund der hohen Anforderungen an die Software-Projekte beschäftigt beispielsweise der Schweizer IT-Dienstleister Ergon Informatik im Bereich Software-Entwicklung keine Quereinsteiger. „Wir bauen anspruchsvolle Software für komplexe Geschäftsprozesse und benötigen dafür gut ausgebildete Engineers“, erklärt Gabriela Keller, CEO des Software-Herstellers.
Aus diesem Grund sucht man vorrangig nach Hochschul­ab­gängern mit Abschluss in Informatik. Für Security Engineers seien zudem Zertifikate von Vorteil wie das Certified Information Systems Security Professional (CISSP), ein international anerkannter Weiterbildungsstandard auf dem Gebiet Informationssicherheit.
„Neben der fachlichen Kompetenz ist für uns auch das persönliche Engagement sehr wichtig. Soft Skills, auf die wir Wert legen und die zu unserer Firmenkultur gehören, sind unter anderem proaktives Vorgehen, Team-Player-Verhalten, Bodenständigkeit und Hilfsbereitschaft“, betont Keller.
Ihr Unternehmen setzt neben klassischen Inseraten auf der firmeneigenen Webseite auf Jobbörsen und Karrieremessen sowie Kontaktmöglichkeiten an den Hochschulen. Bei Spezialprofilen greife man bei Bedarf auf externe Personalvermittler zurück. Hinzu komme die klassische Mund-zu-Ohr-Propaganda. „Oft vermitteln uns unsere Mitarbeiter Experten aus ihrem Bekanntenkreis“, ergänzt Keller.
Bei Zühlke wiederum können sich Quereinsteiger durchaus mit Hoffnung auf Erfolg bewerben - sofern sie Erfahrung in dem vom Unternehmen gewünschten Profil mitbringen. So arbeiten etwa Physiker bei Zühlke, wobei diese bereits viel mathematisches, statistisches und informationstechnisches Verständnis für die Software-Entwicklung mitbringen, wie Ueli Kleeb einräumt.
Kleeb setzt zudem auf die nächste Generation von Spezialisten: Lernende, die in den ITK-Berufen ihre Zukunft sehen. Der Zühlke-Manager betont die Wichtigkeit eines dualen Ausbildungssystems, denn dieses fördere die akademische und praktische Art der Ingenieurskunst. „Lösungen entstehen schneller durch Diversität“, sagt Kleeb. Die Lehre brauche daher wieder mehr Wertschätzung. „Das Wissen, dass unser duales System sehr viele Karrierewege ermöglicht, ist etwas ver­loren gegangen.“
4. Teil: „FH statt Hochschule“

FH statt Hochschule

Gemäß der Studie „ICT-Fachkräftesituation Bedarfsprognose 2026“ des Berufsverbands ICT-Berufsbildung Schweiz hat praktisch jeder zweite Beschäftigte in der ITK-Branche einen Hochschulabschluss. Schließlich erwarten insbesondere in der Applikationsentwicklung viele Unternehmen höhere Abschlüsse - weshalb einige Firmen ihre Auszubildenden nach der Lehre an Fachhochschulen oder in die höhere Berufsbildung schicken, wo sich die Berufsanfänger ergänzendes Rüstzeug aneignen.
Das wirft die Frage auf, inwieweit es sich dann grundsätzlich lohnt, eine Lehre zu absolvieren, anstatt direkt an die Hochschule zu gehen. Serge Frech, Geschäftsführer beim Verband ICT-Berufsbildung Schweiz, bestätigt, dass die Mehrheit der Hochschulabsolventen den ursprünglichen Weg der Berufsausbildung mit anschließender Prüfung zur Hochschulreife respektive via höhere Berufsbildung an die Hochschule gewählt hat. Gerade deshalb lohne sich die Lehre zum Applikationsentwickler. „Der wohl größte Trumpf der Auszubildenden ist, dass sie sehr früh in die Praxis, also in die echte Arbeitswelt integriert werden und nach Abschluss ihrer Lehre voll arbeitsfähig und höchst gesuchte Fachkräfte sind.“ In Kombination mit einem Abschluss in der höheren Berufsbildung stehe dieser Entwicklungsweg dem der Hochschule in keinster Weise nach. Es sei sogar das Gegenteil der Fall: „Die Arbeitsmarktbefähigung ist höher und wird bedeutend schneller erreicht. Das Lohnniveau ist ebenfalls sehr attraktiv“, unterstreicht der Verbandsgeschäfts­führer.

Das beste beider Welten

Die Fachhochschulen bilden eine wichtige Säule zwischen der praktisch orientierten Berufsbildung und den akademisch ausgerichteten (technischen) Hochschulen. Gut drei Viertel der Studierenden verfügten über eine Berufslehre mit Fachhochschulreife, sagt René Hüsler, Direktor des Departements Informatik der Hochschule Luzern.
Studierende mit einer gymnasialen Hochschulreife müssen vor dem Studium ein einjähriges Praktikum in der Informatik absolvieren, bei ausländischen Studierenden wird deren Vorbildung individuell beurteilt.
„Die Fachhochschulen bilden den direkten Anschluss an die Lehre und bieten so die Möglichkeit, die darin erworbenen Kompetenzen weiter auszubauen und zu vertiefen“, konstatiert René Hüsler. Die Fachhochschulen spielen damit neben den spezialisierten Ausbildungen im Bereich Software-Entwicklung eine wichtige Rolle.
Ein Großteil der Fachhochschulabsolventen ist nach dem Studium in der Software-Entwicklung tätig. Grundsätzlich seien alle Informatikerinnen und Informatiker aller Ausbildungsstufen sehr gefragt. Aufgrund der vorangegangenen Berufsausbildung beziehungsweise des obli­gatorischen Praxisjahrs für Abiturienten verfügten die FH-Abgänger allerdings bereits über Berufs- oder Praxiserfahrung, die sie im Rahmen des Studiums neben der theoretischen Vertiefung weiter ausgebaut haben, führt Hüsler aus.
5. Teil: „Lebenslanges Lernen“

Lebenslanges Lernen

Und nach Lehre, Studium oder Berufsumstieg? Wie bleiben Fachkräfte fit? Serge Frech vom Verband ICT-Berufsbildung betont in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit innerbetrieblicher und berufsfeldweiter Maßnahmen, um die Abwanderung in andere Berufsfelder zu verringern. Hierzu zählten flexible Arbeitszeitmodelle oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch geeignete Weiterbildungsmöglichkeiten. Der technische Wandel in der Informatik schreitet rasant voran.
Viele IT-Dienstleister legen bereits Wert auf regelmäßige Fortbildungen. Bei Ergon Informatik etwa verfügt jeder Mitarbeiter über ein Weiterbildungsbudget von zehn Tagen pro Jahr, das er in eigener Verantwortung für Konferenzen, interne oder externe Kurse oder für das Selbststudium nutzen kann, erklärt Ergon-CEO Gabriela Keller.
Bei Zühlke selektiert man schon im Recruiting-Prozess die Bewerber nach dem Faktor Lernbereitschaft. „Wir glauben, dass es wichtig ist, sich als Ingenieur weiterzubilden in Methoden, Technik, aber auch im Bereich der Social Skills. Wir suchen also auch Leute, die sich weiterbilden wollen“, begründet das Ueli Kleeb.
Man fördere anschließend den Austausch und die gegenseitige Herausforderung. Hierzu treffen sich die Mitarbeiter etwa in Fokusgruppen, die sich mit einem Thema auseinandersetzen. „Das macht Spaß und bringt alle gemeinsam vorwärts“, stellt Kleeb fest.
Eine intensivere IT-Grundbildung in der Schule, mehr Ausbildungsplätze, attraktivere Arbeitsumgebungen, aber auch länderübergreifende Projektarbeiten: Die ITK-Branche zeigt sich flexibel, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Ein Rezept, wie sich die Lücke am Arbeitsmarkt im Bereich Software-Entwicklung schließen lässt, kann zwar auch René Hüsler von der Hochschule Luzern nicht bieten. Doch er sieht einen Hebel in der zunehmenden Medienpräsenz von Digitalisierungsthemen. Das schaffe zunehmend ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Informatik in Wirtschaft und Gesellschaft.

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