Business-IT
12.03.2018
Maschinen als Kollegen
1. Teil: „Das sind die Robotik-Trends 2018“

Das sind die Robotik-Trends 2018

Roboter und Mensch schütteln sich die HandRoboter und Mensch schütteln sich die HandRoboter und Mensch schütteln sich die Hand
Willyam Bradberry / shutterstock.com
Roboter werden intelligenter und beweglicher – mit enormen Auswirkungen auf die Arbeitswelt. com! professional zeigt, welche Entwicklungen uns bald schon erwarten.
Paul ist ein freundlicher und zuvorkommender Mitarbeiter. Er begrüßt die Kunden bereits an der Eingangstür und beantwortet geduldig ihre Fragen. Wenn sie ein bestimmtes Produkt suchen, führt sie Paul zielsicher zu dem Regal. Nur wenn sich das Gesuchte in einem anderen Stockwerk des Ladengeschäfts befindet, muss Paul passen, denn eines kann er nicht: Treppen steigen. Paul ist nämlich ein Roboter, der sich auf Rollen vorwärtsbewegt.
  • Zusammenarbeit: Die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) ist eines der wichtigsten Entwicklungsfelder in der Robotik.
    Quelle:
    Volkswagen AG
Roboter wie Paul sind Teil einer neuen Generation, die mit Menschen in natürlicher Sprache interagieren können. Das Modell basiert auf dem Care-O-bot 4, einem vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) und dem Start-up Unity Robotics für die Pflege entwickelten System. Anders als der Pflegeroboter muss Paul aber ohne Arme und Greifhände auskommen. Seinen Dienst verrichtet der rollende Blechkamerad bei MediaMarktSaturn. Nach einer einjährigen Testphase im Saturn-Markt Ingolstadt können Kunden sich nun auch in Berlin, Hamburg und Zürich von ihm bedienen lassen. „Es hat sich gezeigt, dass Paul bei unseren Kunden sehr gut ankommt“, sagt Martin Wild, Chief Digital Officer (CDO) der MediaMarktSaturn Retail Group, „viele unserer Kunden hatten noch nie Kontakt mit einem Roboter, daher ist diese Technologie eine ganz neue Erfahrung für sie.“

Service- und Industrieroboter

Paul und seine Kollegen liegen im Trend – laut der aktuellen World-Robotics-Studie der International Federation of Robotics (IFR) sollen zwischen 2018 und 2020 im professionellen Umfeld fast 400.000 Serviceroboter verkauft werden und der Gesamtumsatz von rund 5 Milliarden Dollar 2017 soll im selben Zeitraum auf nahezu 19 Milliarden Dollar steigen. Hinzu kommen noch mehr als 32 Millionen Einheiten, die als Saug­roboter oder intelligente Rasenmäher in Haushalten ihren Dienst verrichten. Auch wenn dies beeindruckende Zahlen sind, so steht der Einsatz von Servicerobotern im professionellen Sektor doch erst am Anfang.
Deutlich weiter ist bereits das Segment der Industrierobotik – schließlich sind Roboter aus der Fertigung schon lange nicht mehr wegzudenken. Bis 2020 sollen laut der IFR weltweit mehr als 1,7 Millionen neue Industrieroboter in Fabriken zum Einsatz kommen. Die Analysten von Markets and Markets prognostizieren, dass der Umsatz mit Industrierobotern bis 2023 auf 71 Milliarden Dollar steigen wird, Transparency Market Research geht von einem Gesamtmarkt für Robotik bis 2025 von fast 150 Milliarden Dollar aus. Auch das Analystenhaus IDC sagt den Robotern eine steile Karriere voraus. Bis 2019 soll demnach die Akzeptanz von Robotern um ein Drittel steigen, 60 Prozent der 2.000 größten börsennotierten Unternehmen der Welt werden dann Industrieroboter in der Fertigung einsetzen.

Mehr Qualität, weniger Kosten

Ein wesentlicher Grund für die steigende Nachfrage ist laut Patrick Schwarzkopf, Geschäftsführer Robotik + Automation im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), dass sich mit dem Einsatz von Robotern hohe Qualität bei geringeren Kosten erzielen lässt. Selbst Länder mit eher niedrigem Lohnniveau gehörten daher zu den Abnehmern. „Der weltweit größte Robotermarkt ist China, und auch Vietnam hat gerade massiv in Robotik investiert.“ Hinzu komme, dass viele Produkte ohne Robotik und Automation nicht in der geforderten Miniaturisierung, Reinheit oder Präzision hergestellt werden können, so Schwarzkopf weiter. „Es sind viele Faktoren, die hier zusammenkommen.“
Neben Kostendruck und Wettbewerb ist auch die demografische Entwicklung dafür verantwortlich, dass der Robotereinsatz immer attraktiver wird. „Ein Mangel an Fachkräften in den Industrienationen fördert den Trend zur fortschreitenden Automatisierung“, sagt Hans Schumacher, President & CEO Dürr Systems AG, einem der weltweit führenden Herstellern von Industrierobotern.
Laut VDMA-Geschäftsführer Schwarzkopf wird allein in Deutschland das Arbeitskräftepotenzial um zehn Millionen schrumpfen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er-Jahre in den Ruhestand gehen. „Eine verstärkte Automatisierung kann zumindest einen signifikanten Beitrag zur Bewältigung dieses Problems leisten.“
2. Teil: „Aktuelle Trends in der Robotik“

Aktuelle Trends in der Robotik

Eine rasante technische Weiterentwicklung und zahlreiche Innovationen kennzeichnen die aktuelle Entwicklung. Folgende Trends erlauben es, Roboter in immer mehr Aufgabenbereichen einzusetzen:
Roboter werden kooperativer: „Die Robotik schlägt derzeit ein ganz neues Kapitel auf – die direkte Zusammenarbeit von Mensch und Roboter“, so Patrick Schwarzkopf vom VDMA, „der Roboter wird zum ‚Kollegen‘, der dem Menschen assistiert, indem er zum Beispiel ein schweres Werkstück hält, während der Werker die Verschraubung übernimmt.“ Auch Gudrun Litzenberger, General Secretary der IFR, hält die „Mensch-Roboter-Kollaboration“ (MRK) für einen der wichtigsten Trends in den kommenden Jahren: „Eine Zusammenarbeit von Menschen und Robotern an gemeinsamen Arbeitsplätzen eröffnet neue Möglichkeiten und Konzepte für Industrie und Produktion.“
Die barrierefreie Zusammenarbeit zwischen den mächtigen Maschinen und ihren menschlichen Kollegen birgt allerdings auch Gefahren. Masse und Kraft der Roboter sind enorm, und so kann eine unerwartete Bewegung des Roboterarms oder eine Unachtsamkeit auf der menschlichen Seite schnell zu erheblichen Verletzungen führen. Entscheidend für die gefahrlose Zusammenarbeit ist es daher laut Michael Ehrenstraßer, Leiter Automatisierungstechnik Komponenten bei der Audi AG, dass ein kooperierender Roboter die Anwesenheit eines Menschen sicher registrieren und rechtzeitig abbremsen oder anhalten kann, um eine Gefährdung auszuschließen. „Audi arbeitet zurzeit intensiv an Methoden, um die Komplexität solcher Anwendungen beherrschbarer zu machen und einen wirtschaftlichen Einsatz zu ermöglichen.“
Roboter werden leichter bedienbar: Herkömmliche Robotersysteme sind nicht nur teuer, sie erfordern auch umfangreiches Fachwissen, um sie installieren und betreiben zu können. Der Bedarf an leicht zu programmierenden und zu bedienenden Robotern steigt daher. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen zögern noch, wenn es um den Einsatz von Robotern geht. „Die Umstellung der Produktion auf Teil- oder Vollautomatisierung bringt einen hohen Investitionsbedarf mit sich“, sagt Hans Schumacher von der Dürr Systems AG, „oftmals ist in den KMUs aber auch das notwendige Know-how für die automatisierten Prozesse und Serviceaufgaben noch nicht vorhanden.“ Vorkonfektionierte und automatisierte Lösungen, wie sie etwa Dürr mit „ready2spray“-Lackier­robotern und „ready2integrate“-Sets anbietet, sollen die Hürden senken. „Nicht jede Branche hat wie die Automobilindustrie eine große Zahl von erfahrenen Fertigungsingenieuren zur Verfügung“, gibt IFR-Generalsekretärin Litzenberger dem Dürr-Systems-CEO recht, „daher ist es wichtig, einfach zu nutzende Roboter zu entwickeln, die leicht in den Produktionsprozess integriert und betrieben werden können.“
Roboter werden beweglicher: Massige Roboter benötigen viel Platz und lassen sich nur mit großem Maschinenaufwand installieren. Einmal montiert können sie kaum mehr versetzt werden, ohne dass die komplette Fertigungsstraße zerlegt oder zumindest stillgelegt werden muss. Der Trend geht daher zu kleineren beweglichen Einheiten, die sich schnell an verschiedenen Arbeitsplätzen einsetzen lassen. Zusätzliche Roboterarme und Bewegungsachsen sowie eine verbesserte räumliche Orientierung erweitern laut IFR-Generalsekretärin Litzenberger zudem den Einsatzbereich und erleichtern den Transfer von einer Fertigungsstation zur anderen: „Diese Modelle können menschenähnliche Bewegungen mit der für Roboter typischen Schnelligkeit, Präzision und Reproduzierbarkeit ausführen.“
Roboter werden mobiler: Die Reduktion der Robotergröße macht auch mobile Einheiten möglich, die sich selbstständig von einem Arbeitsplatz zum anderen bewegen können. „Die Kombination von Mobilität mit Industrierobotik ist eine wichtige Komponente in der Smart Factory des Industrie-4.0-Zeitalters“, erklärt Litzenberger.
Roboter werden billiger: Vor allem in der Elektronikindus­trie steigt nach einer Prognose der IFR die Nachfrage nach simplen, preiswerten Robotern, die einfache Aufgaben erfüllen können, bei denen es nicht auf höchste Präzision ankommt. „Diese ‚Low-Cost-Roboter‘ werden vor allem in der Produktion von preisgünstigen elektronischen Produkten eingesetzt, die einen kurzen Lebenszyklus haben“, so Litzenberger.
Roboter werden intelligenter: Roboter der neuen Generation können ihr Verhalten selbstständig durch Lernen an veränderte Situationen anpassen, statt immer dieselben starren Bewegungsprogramme auszuführen. „Der Roboter kann durch ständige Verbesserung seiner Bewegungsabläufe selbst den besten Weg zu einem vorgegebenen Ziel finden, indem er zum Beispiel durch Erfahrung lernt, wie ein Gegenstand zu greifen ist“, erklärt Litzenberger die Vorteile. „Nachdem in den vergangenen Jahren vor allem die Motorik im Vordergrund stand, werden nun die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz maßgeblich die Roboterentwicklung prägen“, findet auch MediaMarktSaturn-CDO Wild.
Roboter werden vernetzter: Cloud-Computing erlaubt es Robotiksystemen, weltweit Informationen oder Programme auszutauschen. Diese häufig als „Cloud Robotics“ bezeichnete Vernetzung kann zudem dazu genutzt werden, den Robotern mehr Rechenressourcen zur Verfügung zu stellen, als dies lokal möglich ist. Davon profitieren rechenintensive Vorgänge wie maschinelles Lernen oder auch Big Data. „Der Betreiber einer Anlage gewinnt dadurch wichtige Erkenntnisse, um seine Produktion lokal oder auch weltweit zu optimieren“, sagt Dürr-Systems-CEO Schumacher, „bessere Planung und weniger Produktionsausfälle sind das Ziel.“
3. Teil: „Vorreiter Automobilindustrie“

Vorreiter Automobilindustrie

  • Roboter bauen hauptsächlich Autos: In Deutschland kauft die Automobilindustrie pro Jahr mehr Roboter als alle anderen Branchen zusammen.
    Quelle:
    IFR "World Robotics" 2017
Nach einem Auftragseinbruch 2009 investiert die Automobilindustrie seit 2010 wieder kräftig in den Ausbau ihrer Robotik­infrastruktur. Laut Angaben der von der IFR herausgegebenen World-Robotics-Studie ist sie in Deutschland und den USA der Hauptabnehmer und kauft mehr Roboter als alle anderen Branchen zusammen. Der Absatz schwankt jedoch auch deutlich stärker als über den Gesamtmarkt betrachtet. Hauptgründe für die Investitionen sind die zunehmende Individualisierung der Fahrzeuge, striktere Emmissionsanforderungen und die technologischen Entwicklungen hin zu Elektroautos, vernetzten Fahrzeugen und schließlich dem autonomen Fahren. „Die wichtigsten Einsatzgebiete für Robotik liegen dort, wo Roboter signifikant zur Verbesserung der Ergonomie, der Prozess- und Produktqualität sowie zur Steigerung der Produktivität beitragen“, erklärt Martin Gallinger, Leiter Technologieentwicklung Roboter in der Produktion bei Volkswagen.
Autokonzerne sind aber nicht nur Hauptabnehmer für Roboter, sondern auch Vorreiter, wenn es um den Einsatz neuer Roboterkonzepte geht. „Automatisierte Prozessketten werden zunehmend Alltag, in denen Roboter beispielsweise sensorgesteuert das Modell und die Konfiguration eines Fahrzeugs erkennen und selbstständig die richtigen Bauteile montieren können“, erläutert Gudrun Litzenberger von der IFR. Die parallele Produktion von kraftstoffgetriebenen und elektrischen Fahrzeugen erfordere zudem den Einsatz flexibler, modularer Robotiksysteme. „Es wird zunehmend einfacher, Roboter neu zu programmieren. Das hilft den Fahrzeugherstellern, ihre Modellpalette zu diversifizieren und dennoch produktiv zu bleiben“, so Litzenberger weiter.
Noch kommen laut Michael Ehrenstraßer von der Audi AG mehr als 90 Prozent der Roboteranwendungen in der Automobilindustrie im klassischen Karosseriebau zum Einsatz: „Die enge Verzahnung zwischen Robotersteuerung und Sensorik des Prozessgeräts ermöglicht dabei qualitativ hochwertige und präzise Verbindungen und gleichzeitig hohe Prozessgeschwindigkeiten.“ Der Automatisierungsgrad in der Endmontage sei dagegen noch gering und liege bei unter
10 Prozent: „Der Einsatz von Robotern in der Fließfertigung erfordert neue Roboterfunktionen und Sensoren sowie kurze, schnelle Regelkreise, um auch anspruchsvolle Montageaufgaben prozesssicher automatisieren zu können.“
Auch die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter (MRK) ist in der modernen Automobilfabrik bereits Realität. Laut der IFR können auf diese Weise Wartezeiten der menschlichen Mitarbeiter um bis zu 85 Prozent reduziert werden. „Durch innovative MRK-Konzepte verspricht sich die Automobilindustrie einen Schub bei der Automatisierung der Endmontage und damit eine höhere Produktivität“, weiß Hans Schumacher von Dürr Systems.
Bei Audi werden mittlerweile auch relativ kostengünstige Standard-Industrieroboter in Mensch-Roboter-Kooperationsanwendungen eingesetzt. „Ein Beispiel dafür ist KLARA (Klebstoffapplikation mit Roboter-Assistenz), eine Mensch-Roboter-Kooperation in der Endmontage, die beim Einbau von großen CFK-Dächern (CFK, Carbonfaserverstärkter Kunststoff) in das Audi RS 5 Coupé zum Einsatz kommt“, erklärt Ehrenstraßer.
4. Teil: „Andere Branchen“

Andere Branchen

  • Care-O-bot 4: Serviceroboter wie dieser könnten hilfsbedürftige Menschen im Haushalt oder in Pflegeeinrichtungen bei der Bewältigung von Alltagsaufgaben unterstützen.
    Quelle:
    Phoenix Design
VDMA-Geschäftsführer Patrick Schwarzkopf geht davon aus, dass sich Industrieroboter auch außerhalb des Automobilsektors immer stärker durchsetzen werden und andere Branchen nachziehen: „Auch die Metallverarbeitung und der Maschinenbau sind große Roboterkunden. In Asien boomen die Anwendungen in der Elektronikfertigung.“ Serviceroboter sind vor allem in der Logistik stark im Kommen. So hat die MediaMarktSaturn Group beispielsweise bereits Roboter für Expresslieferungen an Endkunden getestet. „Eine weitere Einsatzmöglichkeit, die wir derzeit erproben, ist der unternehmensinterne Einsatz in der automatisierten Logistik, bei der wir ebenfalls ein großes Potenzial sehen“, erklärt CDO Wild.
Weitere Felder, in denen die Robotik bereits eine wesentliche Rolle spielt, sind laut VDMA-Geschäftsführer Schwarzkopf der Agrar- und der Gesundheitsbereich: „In der Landwirtschaft sind Melkroboter schon weit verbreitet, im OP sind bei bestimmten Eingriffen chirurgische Robotikassistenten kaum noch wegzudenken.“ Künftig könnten Roboter auch die Feldarbeit übernehmen, in Fernsehstudios Kameras bedienen oder in der Pflege unterstützen. „Die Anbieter von professioneller Servicerobotik arbeiten an Lösungen für alle Bereiche.“

Fazit

Der Industrieroboter als tumber Blechkoloss, der, einmal programmiert, stur immer dieselben Bewegungen ausführt – von dieser Vorstellung werden wir uns wohl verabschieden müssen. Zwar wird es solche Maschinen weiterhin geben, ihre kleineren, agileren, sensibleren und intelligenteren Kollegen werden aber eine Vielzahl neuer Arbeitsfelder besetzen. Für Unternehmen aller Branchen gilt es, diese Entwicklung aufmerksam zu beobachten und Einsatzpotenziale möglichst früh zu evaluieren. Wie das funktionieren kann, zeigt das Beispiel des Serviceroboters Paul in den Saturn-Märkten. Welche Auswirkungen diese Entwicklung auf den Arbeitsmarkt haben wird, lässt sich derzeit kaum abschätzen. „Letztendlich hängt die Akzeptanz von Robotern bei den Mitarbeitern davon ab, wie sehr der Mitarbeiter den Roboter unterstützend wahrnimmt“, prognostiziert VW-Manager Martin Gallinger.
Projekt ASARob: Der aufmerksame Roboter
Wir Menschen erkennen Aufmerksamkeit intuitiv. Wir können leicht unterscheiden, ob jemand Blickkontakt mit uns aufnehmen und uns ansprechen will oder nur gedanken­verloren zufällig in unsere Richtung schaut. Roboter müssen bei dieser Aufgabe oft noch passen.
„Hier gibt es Verbesserungspotenzial“, sagt Michael Voit, Gruppenleiter Perceptional User Interfaces, Abteilung IAD (Interak­tive Analyse und Diagnose) am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB), „insbesondere in Alltagssituationen, in denen sich der Nutzer nicht explizit vor den Roboter stellt und ihn direkt anspricht, fällt die Aufmerksamkeitserkennung häufig noch schwer.“
Im Projekt „Aufmerksamkeitssensitiver Assistenzroboter“ (ASARob) wollen Voit und seine Kollegen diese Fähigkeiten verbessern. Roboter sollen „interaktive Grundfertigkeiten“ erlernen, das heißt, Aufmerksamkeit fehlerfrei erkennen und lenken können. Unter der Koordination des Fraunhofer IOSB arbeiten das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), das Fraunhofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie (IMW), die Universität Bremen sowie die Unternehmen Unity Robotics und SemVox GmbH gemeinsam an dem Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit knapp zwei Millionen Euro gefördert wird.
Im Projekt soll es nicht um die Entwicklung neuer Hardware gehen, sondern darum, die Daten, die aktuell verfügbare Sensoren erfassen können, so zu integrieren und auszuwerten, dass der Roboter daraus Schlüsse auf die Aufmerksamkeit des menschlichen Gegenübers ziehen kann. „Wir beobachten, wie sich Menschen in bestimmten Situationen verhalten, um die ko­g­nitiven Grundlagen zu verstehen, auf deren Basis der Mensch Aufmerksamkeit erkennt und nutzt“, sagt Voit, „mit Hilfe dieser Erkenntnisse wollen wir dann ein mathematisches Modell und die entsprechenden Algorithmen entwickeln, welche diese Art der Interaktion nachbilden.“ Die Forscher legen besonderen Wert darauf, Datenschutzvorschriften einzuhalten und die Privatsphäre der Nutzer zu schützen. „Wir entwickeln unsere Systeme gemeinsam mit dem Anwender und setzen so früh wie möglich Pseudonymisierung oder Anonymisierung der Daten ein“, betont Voit.
Die Forscher arbeiten mit Geriatriezentren in Leipzig und Karlsruhe zusammen, in denen sie jeweils spezifische Anwendungsszenarien untersuchen. Im einen Fall soll der Roboter Care-O-bot 4, der als Hardware-Basis für das Projekt dient, Menschen bei der Orientierung unterstützen, im Dialog ihr gewünschtes Ziel oder Anliegen erfragen und sie an die entsprechende Stelle führen, ihnen dort weiter assistieren und etwa bei der Anmeldung am Empfang helfen. „Das ist ein Szenario, das sich auf viele Anwendungsfälle übertragen lässt“, sagt Sebastian Robert, Gruppenleiter Decision Support Systems, IAD am Fraunhofer IOSB, der für die Gesamtleitung des Projekts verantwortlich ist. Wichtig sei, dass man den Roboter nicht direkt ansprechen müsse, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. „Der Care-O-bot soll merken, wenn jemand unsicher ist und suchend in der Gegend umherschaut, und dann aktiv seine Hilfe anbieten.“
Im zweiten Anwendungsfall soll der Roboter in einem Gruppenraum Aufmerksamkeit erkennen, aktiv auf die Person, die mit ihm interagieren möchte, zugehen und sich mit ihr beschäftigen. „Das ist ein sehr herausfordernder Use-Case“, sagt Voit, „weil der Roboter sehr viele verschiedene Personen wahrnehmen muss“.
Die Möglichkeiten, aufmerksamkeitssensitive Roboter einzusetzen, gehen laut Sebastian Robert weit über den Einsatz in der Pflege oder im Haushalt hinaus. „Wenn Roboter erkennen können, was ein Mensch gerade macht und warum er das tut, hat das in vielen Bereichen Einsatzpotenzial, sei es in der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine in der Produktion, in der Qualitätssicherung, in der Fahrzeugsteuerung oder auch in der Interaktion mit Computern.“
5. Teil: „Wafa Mousavi-Amin, Analyst und Geschäftsführer bei IDC  im Interview“

Wafa Mousavi-Amin, Analyst und Geschäftsführer bei IDC  im Interview

Die Fortschritte in der Robotik werden nicht nur unsere Art zu arbeiten grundlegend verändern. Wafa Moussavi-Amin, Analyst und Geschäftsführer bei IDC, erklärt, was auf uns zukommt und wie Unternehmen und Gesellschaft darauf reagieren sollten.
com! professional: Herr Moussavi-Amin, IDC sagt für die kommenden Jahre eine stark wachsende Nachfrage nach Robotik voraus. Was sind die Hauptgründe dafür?
Wafa Moussavi-Amin: Die rasante technische Entwicklung erlaubt es, Robotik in immer mehr Aufgabengebieten einzusetzen. Roboter werden nicht nur kleiner, mobiler und günstiger in der
  • Wafa Moussavi-Amin: Analyst und Geschäftsführer bei IDC
    Quelle:
    IDC
Anschaffung, sie werden auch intelligenter. Die Vernetzung von Robotiksystemen über die Cloud wird den Maschinen in Zukunft eine wesentlich höhere Rechenleistung zur Verfügung stellen als dies bei Standalone-Produkten der Fall ist.
com! professional: Verändert sich durch zunehmende Intelligenz und Beweglichkeit der Roboter auch die Art und Weise, wie Menschen mit ihnen interagieren?
Moussavi-Amin: Auf jeden Fall. Mensch und Maschine werden sehr eng zusammenarbeiten, was bisher allein aus Sicherheitsgründen so nicht möglich war. Der klassische Industrieroboter kann seine Kraft nicht dosieren oder flexibel auf Hindernisse reagieren. Daher gibt es um Robotikstationen regelrechte Bannmeilen, in denen sich während des Betriebs kein Mensch aufhalten darf. Neue Robotergenerationen sind mit so vielen Sensoren ausgestattet, dass sie ihre Umwelt wahrnehmen und darauf flexibel reagieren können. Die Feinmotorik ist außerdem weiterentwickelt worden, sodass Roboter heute auch für Aufgaben eingesetzt werden können, die weniger auf Kraft als auf Präzision ausgerichtet sind.
com! professional: Werden diese Möglichkeiten schon genutzt oder sehen Sie noch Nachholbedarf?
Moussavi-Amin: Technologisch sehe ich keinen Nachholbedarf, im Gegenteil: Vieles, was heute technisch möglich ist, wird nicht umgesetzt, weil die rechtlichen Rahmenbedingungen fehlen. Das gilt auch für Bereiche wie das autonome Fahren.
com! professional: Wer sind zukünftig die größten Abnehmer für Robotiksysteme?
Moussavi-Amin: Der größte Markt dafür ist schon seit jeher die Fertigungsindustrie. Das wird auch in den kommenden Jahren so bleiben.
com! professional: Wie sieht es im Mittelstand aus? Setzen auch kleinere und mittlere Unternehmen verstärkt Roboter ein?
Moussavi-Amin: Mittelständler zögern häufig noch, auch wenn Roboter günstiger geworden sind und sich leichter betreiben lassen. Mit der Investition und der Installation ist es ja nicht getan, wer Roboter einsetzt, muss womöglich seine sämtlichen Arbeitsprozesse auf den Kopf stellen. Da sind Mittelständler noch sehr skeptisch. Die Situation lässt sich mit der Akzeptanz von Cloud- Computing vor vier bis fünf Jahren vergleichen.
com! professional: Sehen Sie bei der Robotik bereits eine ähnliche Entwicklung wie bei der Cloud?
Moussavi-Amin: Die Robotik ist ein weites Feld. In der Fertigung ist Robotik sicher auch schon im Mittelstand angekommen. Andere Branchen wie Transport und Logistik oder der Handel haben sich bis jetzt noch nicht wirklich mit dem Thema befasst.
com! professional: Neben rechtlichen Aspekten wirft die enorme technologische Entwicklung in der Robotik auch gesellschaftliche Fragen auf. Wie wird sich zum Beispiel der Arbeitsmarkt verändern?
Moussavi-Amin: Das ist ein entscheidendes Thema. Wir stehen am Anfang einer neuen Epoche, die ganz klar von diesen technologischen Fortschritten geprägt sein wird. Wenn man die Entwicklung weiterdenkt, kann im Prinzip 90 Prozent der menschlichen Arbeit von Maschinen übernommen werden. Selbst ein Bäcker wird sich durch einen Roboter ersetzen lassen.
com! professional: Auch im Gesundheitsbereich wird viel über den Einsatz von Robotern diskutiert. Welche Entwicklungen beobachten Sie in diesem Segment?
Moussavi-Amin: Es gibt sehr viele Ansätze, Ideen und Prototypen. Von einem echten Einsatz sind wir aber noch weit entfernt. Auch in diesem Bereich spielen gesellschaftlich-politische und ethisch-moralische Aspekte eine Rolle. Wollen wir wirklich Roboter in der  Pflege oder sogar im Operationssaal einsetzen?
com! professional: Droht uns also eine Massenarbeitslosigkeit nie gekannten Ausmaßes, die anders als bisher auch hochqualifizierte Fachkräfte erfassen wird?
Moussavi-Amin: So pessimistisch bin ich nicht, auch wenn ich natürlich sehe, dass wir hier vor einer großen gesellschaftlichen Herausforderung stehen. Die Fertigungsindustrie ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Einsatz von Robotern nicht zum massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen führen muss. Dort sind solche Anlagen ja schon seit Jahrzehnten im Einsatz und sie haben nicht nur Arbeitsplätze ersetzt, sondern auch neue Geschäftsmöglichkeiten und Dienstleistungen geschaffen.

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