Digitalisierung
11.09.2018
E-Procurement
1. Teil: „Procurement-Prozesse in der Cloud“

Procurement-Prozesse in der Cloud

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Bakhtiar Zein / Shutterstock.com
Einkauf und Lieferanten-Management lassen sich an vielen Stellen optimieren. Im Procurement kann die Cloud dazu beitragen, Prozesse schnell, transparent und ressourcenschonend zu gestalten.
  • Coud-Nutzung beim E-Procurement: Je nach Einsatzgebiet liegt der Anteil zwischen 33 und 45 Prozent.
    Quelle:
    Prof. Dr. Ronald Bogaschewsky, Prof. Dr. Holger Müller: BME Barometer "Elektronische Beschaffung", März 2018
Schnell mal im Online-Shop Druckerpapier bestellen, über das Extranet den Warenbestand beim Zulieferer überprüfen oder auf dem Marktplatz im Internet Preise vergleichen – die Digitalisierung hat längst auch den Einkauf und das Beschaffungsmanagement erreicht.
Klassischerweise sind die Wege und Werkzeuge für diese, auch als E-Procurement bezeichneten Prozesse jedoch wenig komfortabel und flexibel. Häufig kommen für verschiedene Lieferanten- und Kundengruppen unterschiedliche Systeme zum Einsatz, Medienbrüche sind an der Tagesordnung, weil Rechnungen und Lieferscheine am Ende doch ausgedruckt oder per Fax übersandt werden.
Wie in vielen anderen Bereichen bietet auch bei der Beschaffung Cloud-Computing mittlerweile Alternativen zur aufwendigen E-Procurement-Verwaltung mit eigener Soft- und Hardware, die IT-Personal für die Einrichtung, Wartung und Absicherung bindet. „Beschaffungs-Software hat sich durch die Cloud zu einem Full-Service für den Einkauf gewandelt“, erklärt Frank Schmidt, CEO der Onventis GmbH, die mit dem Onventis Cloud Procurement Network eine cloudbasierte Lösung für Beschaffungsprozesse im B2B-Bereich bietet. „Cloud-Lösungen schaffen die Basis für eine gemeinsame Collaboration und Kommunikation von Einkauf und Lieferanten in einer einheitlichen Plattform, welche mit abgeschotteten internen Systemen nur schwer realisierbar ist“, ergänzt Carsten Blaha, Leiter Vertrieb & Marketing bei der Veenion GmbH, die ihre Lösungen für E-Procurement und Supplier Relationship Management (SRM) auch als Software as a Service (SaaS) vertreibt.
Laut dem von Onventis mit dem Bundesverband für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) und der Hochschule Niederrhein erhobenen „Trendbarometer 2018“ wollen 83 Prozent der Befragten in digitale Beschaffungsnetzwerke investieren, fast die Hälfte hat dafür auch schon Budget eingeplant. Diese Entwicklung wird von anderen Anbietern cloudbasierter E-Procurement-Lösungen bestätigt. „Wir sehen seit etwas mehr als zwei Jahren einen starken Anstieg bei den Anfragen“, berichtet Veenion-Manager Blaha, „der Trend geht ganz klar zu Cloud-Lösungen.“ Laut Markus Hornburg, VP Global Product Compliance bei der Coupa Deutschland GmbH, ist die Nachfrage in den vergangenen drei bis fünf Jahren exponentiell gestiegen – nicht zuletzt dank einer zunehmenden Zahl von Referenzkunden: „Dadurch gibt es mittlerweile sehr positive Erfahrungsberichte, die helfen, auch eher zögernde Unternehmen von den Vorteilen zu überzeugen.“
Anwendungsfelder von E-Procurement
Tools für das E-Procurement lassen sich in die folgenden sieben Kategorien einteilen:
Planung und Strategie (Plan-to-Strategy): In diesen Bereich gehören das Bedarfsmanagement, die Beschaffungsmarkt­analyse und die Materialplanung. Digitale Tools können beispielsweise bei der Bedarfsermittlung, dem Forecasting, der Trend- und Risikoanalyse sowie der Simulation verschiedener Beschaffungsszenarien helfen.
Beschaffung und Vertragsabwicklung (Source-to-Contract): Dieser Bereich umfasst sämtliche Prozesse von der Bedarfs­spezifika­tion über Ausschreibung und Verhandlung bis hin zur Vertragserstellung und -verwaltung.
Auf digitalem Weg lassen sich beispielsweise Genehmigungs-Workflows automatisieren, Ausschreibungen vorbereiten und durchführen, Termine nachverfolgen sowie Vertragsdokumente revisionssicher speichern.
Bestellung und Bezahlung (Requisition-to-Pay): Dieser Prozess umfasst die operative Beschaffungsabwicklung von der Bedarfserfassung über die Freigabe/Genehmigung und Be­stellung bis hin zu Wareneingang und Rechnung. Dabei können elektronische Kataloge und Beschaffungsplattformen sowie automatisierte Genehmigungs-, Bestell- und Abrechnungsprozesse helfen.
Besondere Warengruppen/Dienstleistungen (Category-
spezifische Tools):
In diesem Feld werden Vorgänge zusammengefasst, die besondere Anforderungen an das Beschaffungsmanagement stellen. Dazu zählen die Beschaffung von Li­teratur, Dienstreisen, der Fuhrpark, Veranstaltungen, Bauleistungen und Dienstleistungen wie Consulting oder Übersetzungen. Hier kommen meist Tools zur Anwendung, die speziell für den jeweiligen Einsatzbereich konzipiert sind.
Lieferantenmanagement: Alle Vorgänge des Lieferanten­managements gehören in diese Gruppe, von der Akquise über die Risikoanalyse bis hin zur Verwaltung und Bewertung. Elek­tronische Systeme können beispielsweise die Aufnahme neuer Lieferanten automatisieren, Leistungen registrieren und bewerten oder Alarm geben, wenn bestimmte Risikoschwellwerte überschritten werden.
Qualitätsmanagement: Von der Testplanung über Prüfberichte bis hin zur Reklamationsbearbeitung und zum Management von Audits können elektronische Tools das Qualitätsmanagement unterstützen.
Ausgabenanalyse (Spend Analysis)/Controlling: Hier können Tools bei der Preis-Leistungs-Analyse helfen, Abweichungen von Planzahlen identifizieren oder zu erwartende Probleme durch prädiktive Analysen prognostizieren.
2. Teil: „Besserer Durchblick“

Besserer Durchblick

  • Relevant: Auf Schnittstellen zu anderen Abteilungen und den wichtigsten Lieferanten kommt es bei einer E-Procurement-Lösung besonders an.
    Quelle:
    Oventis
Zu den Vorzeigekunden von Coupa gehört NEC Europe, die europäische Division des japanischen Technologiekonzerns NEC, der unter anderem Netzwerktechnologie für Telekommunikationsunternehmen, Telefonanlagen und Sicherheitssysteme für die öffentliche Hand anbietet. Nach einer Evaluierungsphase gelang es NEC Europe, Coupa Procurement in nur drei Monaten einzuführen und in die bestehenden SAP-Systeme zu integrieren. Gavin Johnston, Vice President Finance and Procurement bei NEC EMEA, sieht neben der Beschleunigung von Bestellprozessen vor allem die Transparenz als großen Vorteil der Cloud-Plattform: „Über die Dashboards von Coupa können wir das Ausgabeverhalten zentral analysieren und verstehen.“ Auch die Einhaltung von Compliance-Richtlinien habe sich wesentlich verbessert: „Die Mitarbeiter wissen, dass sie sich an das System halten müssen, um schnell eine Freigabe für eine Bestellung zu bekommen.“
Onventis zählt beispielsweise den Glashersteller Schott, den TÜV-Konkurrenten Dekra und den Abrechnungsdienstleister Techem zu seinen Kunden. Letzterer hatte 2015 eine Ausschreibung gestartet, um seine Beschaffungsprozesse durchgehend zu digitalisieren. „Zielsetzung war für uns ganz klar: eine Plattform für alles“, sagt Klaus Linderich, Head of Procurement bei der Techem Energy Services GmbH. Die Bestellprozesse konnten durch die Einführung der Onventis-Plattform deutlich gestrafft werden. Der Anteil der Katalogbestellungen stieg auf rund 76 Prozent. Statt wie bisher nur die Hälfte sind nun über 95 Prozent der Rechnungen mit einer PO-Nummer (Purchase Order) versehen und können so vom System ordnungsgemäß verbucht werden. „Ziel war natürlich immer die Standardisierung von Prozessen“, betont der Techem-Manager.

Nicht alle ziehen mit

Auch wenn die Referenzliste der Anbieter von Cloud-Lösungen recht beeindruckend ist, so ist das Thema E-Procurement as a Service noch längst nicht überall angekommen. Dies zeigt der aktuelle „BME Barometer Elektronische Beschaffung“, der jährlich von den Professoren Ronald Bogaschewsky (Universität Würzburg) und Holger Müller (Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, HTWK) in Zusammenarbeit mit dem BME und anderen Organisationen erhoben wird. Für die Ausgabe 2018 haben die Studienleiter über 300 Unternehmen nach dem aktuellen und geplanten Einsatz elektronischer Tools in sieben Kategorien des E-Procurements befragt.
Je nach Kategorie und Branche fielen die Antworten sehr unterschiedlich aus. So nutzen beispielsweise im Dienstleistungsbereich bereits über 80 Prozent der Befragten Tools für die strategische Beschaffungsplanung als Miet-Lösung aus der Cloud, aber nur 27 Prozent der Industrieunternehmen. Über alle Branchen hinweg wird Software as a Service (SaaS) je nach Kategorie bei einem Drittel bis knapp der Hälfte der Befragten für Beschaffungsaufgaben eingesetzt. Spitzenreiter sind dabei die sogenannten Category-spezifischen Tools, mit denen sich Dienstreisen, Fuhrparks, Veranstaltungen und andere Bereiche mit besonderen Anforderungen an das Beschaffungsmanagement verwalten lassen. Hier setzen bereits über 45 Prozent der Befragten auf Cloud-Lösungen. Sehr gering ist der Einsatz dagegen bei Ausgabenkontrolle und Controlling. Fast zwei Drittel verlassen sich hier lieber auf On-Premise-Lösungen.
Die Zurückhaltung gerade in traditionellen Branchen wie der Industrie mag auch damit zusammenhängen, dass mit dem Umstieg auf eine Cloud-Plattform für das Beschaffungsmanagement die komplette Unternehmenskultur auf den Prüfstand kommt. Klassische E-Procurement-Angebote sind oft kleinteilig und decken nur bestimmte Aspekte der Beschaffungskette ab. Sie lassen sich zudem – wenn auch häufig zu sehr hohen Kosten – in bestehende Workflows und Prozesse integrieren. Mit dem Gang in die Cloud ändert sich dies grundlegend, erläutert Coupa-VP Hornburg: „Cloud-Lösungen brechen oftmals mit lieb gewonnenen traditionellen Prozessen im Unternehmen, anstatt zu versuchen, diese zu erhalten und zu verbessern.“ Er rät daher, sich für die notwendigen Veränderungen Hilfe von außen zu holen: „Change-Management ist nie einfach.“
Cloud-Lösungen für E-Procurement (Auswahl)
3. Teil: „Die richtige Cloud-Lösung“

Die richtige Cloud-Lösung

  • Mobil: Mit Apps für Smartphones und Tablets können Bestellprozesse auch von unterwegs ausgeführt oder überprüft werden.
    Quelle:
    Onventis
Ist die prinzipielle Entscheidung für eine Cloud-Plattform gefallen und konnten alle Beteiligten von den Vorteilen einer einheitlichen E-Procurement-Lösung überzeugt werden, dann können eine Reihe von Kriterien bei der konkreten Auswahl eines Anbieters helfen:
Datenschutz und Datensicherheit: Bei der Beschaffung und in der Kommunikation mit Lieferanten werden häufig Finanztransaktionen durchgeführt und sensible Informationen übertragen. Datenschutz und Datensicherheit sollten daher bei der Wahl des Pro­viders eine wichtige Rolle spielen, zumal wenn per­sonenbezogene Daten ausgetauscht werden, die durch die Europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) besonders streng geschützt sind. „Der Provider sollte in Deutschland hosten oder zumindest innerhalb der EU“, rät Veenion-Manager Blaha.
Benutzerfreundlichkeit: Kataloge, Bestellsysteme und Abrechnungsformulare werden von Mitarbeitern mit unterschiedlichsten Vorkenntnissen und IT-Fähigkeiten genutzt. Bis auf wenige spezialisierte Abteilungen kommen die Be­teiligten außerdem nur in mehr oder weniger großen Abständen in Kontakt mit den Beschaffungssystemen. Es ist deshalb sehr wichtig, dass die Bedienoberfläche einfach zu handhaben ist. Vorgegebene Workflows, Plausibilitätskontrollen und transparente Abzeichnungsprozesse minimieren Fehler, sorgen für einen reibungslosen Ablauf und erhöhen so die Akzeptanz.
Schnittstellen: Eine Cloud-Plattform, die mehr als eine Insellösung sein soll, muss eine Vielzahl von Schnittstellen mitbringen. Zum einen ist eine Anbindung an bestehende Warenwirtschaft-, Enterprise-Resource-Planning- (ERP) oder Supply-Chain-Management-Lösungen (SCM) Voraussetzung, um die Cloud-Plattform sinnvoll in die bestehende IT-Umgebung einbinden zu können. Auf der anderen Seite sind aber auch Schnittstellen zu Partnern, Katalogbetreibern oder Plattformanbietern vonnöten, um die Lösung in ein umfassendes Beschaffungs-Ökosystem integrieren zu können. „Bei ganzheitlichen E-Procurement Lösungen gibt es keine Inte­grationsprojekte oder Medienbrüche“, betont Frank Schmidt von Onventis.
Vollständigkeit: Die Plattform sollte nicht nur die logistischen Aspekte der Beschaffungskette abdecken, sondern auch bei Aufgaben wie dem Risikomanagement, dem Vertragsmanagement und der Rechnungsverwaltung unterstützen. „Was nützt es letztendlich, einen Anbieter zu wählen, der nur die Hälfte des End-to-End-Prozesses bedient?“, fragt Markus Hornburg von Coupa.
Modularer Aufbau: Auch wenn das Ziel der Migration eine durchgängige Beschaffungsplattform sein sollte, sind die Anforderungen der Unternehmen unterschiedlich. Eine Lösung, die den verschiedenen Gegebenheiten nicht Rechnung tragen kann, wird entweder falsch oder überdimensioniert sein. „Skalierbare, modular aufgebaute Systeme sind wichtig, damit die Lösung mit dem Unternehmen wachsen kann“, erklärt Carsten Blaha von Veenion. Funktionen, die keiner braucht, sollten auch nicht zwangsweise mitgeliefert werden. Das ist teuer, erhöht unnötig die Komplexität und kostet IT-Ressourcen, ohne echten Mehrwert zu bieten.
Skalierbarkeit: Die Plattform sollte sich nahtlos und trans­parent erweitern lassen, um Lastspitzen abzufangen. Genauso sollte aber auch eine Leistungsreduktion problemlos möglich sein, um zu Zeiten geringer Nachfrage Kosten sparen zu können.
Verfügbarkeit: Die Beschaffung gehört in der Regel nicht zu den unternehmenskritischen Prozessen. Daher sind an die Service Level Agreements nicht dieselben Maßstäbe anzulegen wie etwa bei einem Shop- oder Produktivsystem. Dennoch sollte der Anbieter mindestens eine Verfügbarkeit von 98 Prozent garantieren, eine redundante Datenhaltung vorweisen und innerhalb weniger Stunden auf Ausfälle reagieren. „Vorhandene Zertifizierungen einer Lösung und deren Rechenzentren bieten eine gute Orientierung bei der Anbieterauswahl“, sagt Onventis-Chef Schmidt.
Zukunftsfähigkeit: Die Plattform sollte sich bereits in der Vergangenheit als innovationsstark bewiesen haben. Neue Funktionen und Verbesserungen sollten regelmäßig allen Nutzern zur Verfügung stehen. Die Einbindung mobiler Endgeräte sollte ebenso möglich sein wie die Integration neuer Beschaffungsplattformen oder -modelle.

Fazit

Durchgängige digitale Beschaffungsprozesse bieten viele Vorteile. Sie sind schnell, sparen Ressourcen, machen Ausgaben transparent und senken die Kosten.
Die Cloud wird wie in vielen anderen Unternehmensbereichen in Zukunft auch im E-Procurement eine wesentliche Rolle spielen. Dabei sind typische Vorteile wie gesparte Investitionskosten, nutzenbasierte Abrechnung, weltweite Zugriffsmöglichkeiten und regelmäßige Aktualisierungen nur einige der Gründe, die für die Cloud sprechen – und noch gar nicht einmal die wichtigsten.
Viel entscheidender ist nämlich, dass das Beschaffungswesen massiv von anderen IT-Entwicklungen profitieren kann, die ganz überwiegend oder sogar ausschließlich aus der Cloud angeboten werden. Big Data, Machine Learning, So­cial-Media-Monitoring oder die Überwachung von Logistikprozessen über das Internet der Dinge ermöglichen es, Lieferanten auf eine völlig neue Art und Weise zu finden, zu bewerten und zu monitoren. Hinzu kommt die steigende Macht der Beschaffungsplattformen und Marktplätze, die ebenfalls aus der Cloud angeboten werden. Auf all diese Ressour­-
cen mit On-Premise-Software zuzugreifen, ist ähnlich sinnvoll wie eine Rechnung auszudrucken und per Fax zu versenden. 
4. Teil: „Im Gespräch mit Prof. Dr. Roland Bogaschewsky“

Im Gespräch mit Prof. Dr. Roland Bogaschewsky

  • Prof. Dr. Roland Bogaschewsky: Lehrstuhl für BWL und Industriebetriebslehre, wissenschaftliche Fakultät der Universität Würzburg
    Quelle:
    Universität Würzburg
Die durchgehende Automatisierung operativer Prozesse und die KI-gestützte Lieferantensuche sind zwei der Trends, die das Beschaffungswesen revolutionieren.
Ronald Bogaschewsky, Wirtschaftwissenschaftler und wissenschaftlicher Beirat im Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME), erklärt, was sich im Beschaffungsmanagement alles automatisieren lässt – und welche Rolle Technologien wie die Blockchain spielen werden.
com! professional: Herr Professor Bogaschewsky, Sie untersuchen im jährlich erscheinenden BME Barometer, wie sich die Nutzung elektronischer Beschaffungsmöglichkeiten in den Unternehmen verändert. Welche Rolle spielt dabei der Trend zu Cloud-Computing?
Ronald Bogaschewsky: Grundsätzlich verliert die eigene Datenhaltung auf selbst betriebenen Servern im E-Procurement zunehmend an Relevanz. Von den ganz großen Unternehmen abgesehen, setzen immer weniger Firmen komplett auf eigene Inhouse-Systeme. Operative Beschaffungsprozesse sind zudem keine Kernkompetenz und es bringt auch keine Wettbewerbsvorteile, wenn man diese im eigenen Unternehmen organisiert. Das können Dienstleister häufig professioneller und kostengünstiger.
com! professional: Viele Unternehmen haben nach wie vor Bedenken, dass dabei Datenschutz und Datensicherheit nicht gewährleistet sind. Spielen diese Vorbehalte keine Rolle mehr?
Bogaschewsky: Die meisten Betriebe haben erkannt, dass man viele der scheinbar sicherheitskritischen Daten durchaus nach außen geben kann, wenn hierfür klare Regeln mit hohen Datenschutz- und Vertraulichkeitsstandards mit dem Dienstleister vereinbart werden.
Die Datensicherheit ist bei einem professionellen Anbieter nicht selten deutlich höher als im eigenen Rechenzentrum. Kaum ein Mittelständler kann oder will sich eine vergleichbare IT-Sicherheitsinfrastruktur leisten. Man darf auch nicht vergessen, dass Angriffe auf die IT sehr häufig aus dem eigenen Unternehmen heraus erfolgen. Diesbezüglich sind die Daten in einer professionell gemanagten Cloud beziehungsweise bei einem seriösen Dienstleister oftmals besser geschützt als in internen Strukturen.
com! professional: Das heißt, Unternehmen lagern ihre Beschaffungsprozesse nahezu flächendeckend aus?
Bogaschewsky: Nein, zumindest nicht im Sinne eines klassischen Outsourcings. Niemand baut heute mehr Transaktionszentren in Osteuropa oder Indien auf, das ist Schnee von gestern.
Der Trend geht vielmehr zur vollständigen Automatisierung des operativen E-Procurements, von der Ausschreibung über die Beauftragung bis hin zur Bezahlung. Prozesse werden, wo immer es möglich ist, standardisiert. Wo eine solche Vereinheitlichung nicht oder noch nicht realisierbar ist, behilft man sich mit Bestellrobotern, um möglichst nicht mehr von Hand eingreifen zu müssen.
com! professional: Sind die Unternehmen denn tatsächlich schon so weit?
Bogaschewsky: In kleineren mittelständischen Unternehmen ist das sicher noch nicht flächendeckend angekommen. Ich sehe das aber nicht als die Herausforderung. Viel wichtiger ist die Frage,
wie sich Big Data Analytics, Social-Media-Monitoring, Künstliche Intelligenz oder Blockchain zur strategischen Optimierung von Beschaffungsprozessen verwenden lassen.
com! professional: Was können diese Technologien zu einem besseren E-Procurement beitragen?
Bogaschewsky: Mit ihrer Hilfe lassen sich weltweit Lieferanten finden und vergleichen. Sie können analysieren, mit welchen Unternehmen diese Anbieter bereits Lieferbeziehungen unterhalten und wie hoch das Ausfallrisiko ist. Allein durch die Transparenz darüber, wer mit wem Geschäfte macht und wo der Mitbewerber einkauft, können Sie Ihre Beschaffungsstrategie ganz anders aufstellen. Dieser Trend ist nicht aufzuhalten. In fünf bis zehn Jahren werden Beschaffungsmarktforschung und Lieferantensuche mit Hilfe von Big Data Analytics und KI zum Standard gehören. Es wird sogar so weit gehen, dass Ausschreibung und Vergabe zumindest kleinerer Lose komplett automatisiert von Verhandlungsagenten erledigt werden.
com! professional: Welche Rolle spielen Beschaffungsplattformen in dieser Entwicklung?
Bogaschewsky: Eine ganz entscheidende. Plattformen für Standardgüter wie Amazon Business oder Mercateo Unite werden sich sehr schnell durchsetzen, weil sie die Beschaffung von Büroartikeln und Verbrauchsmaterialien massiv vereinfachen. Auch bedarfsspezifische Plattformen profitieren von diesem Trend.
com! professional: Das heißt, Beschaffung wird zukünftig weitgehend automatisiert ablaufen?
Bogaschewsky: Ja, wobei man zwischen den operativen und den strategischen Prozessen unterscheiden muss. Operativ wird tatsächlich automatisiert in dem Sinn, dass quasi keine manuellen Eingriffe mehr nötig sind. Im strategischen Bereich geht es mehr um die Vorbereitung von Entscheidungen, um Datenbeschaffung, -strukturierung und -voranalyse.
com! professional: Sie haben das Thema Blockchain erwähnt. Welche Rolle spielt diese Technologie im E-Procurement?
Bogaschewsky: Von den genannten Trends hat Blockchain meiner Ansicht nach insgesamt in naher Zukunft den geringsten Effekt auf Einkauf und Supply Chain, auch wenn das Thema derzeit sehr gehypt wird.
com! professional: Haben nicht Smart Contracts, die ja auf Blockchain basieren, ein großes Potenzial, das Supply Chain Management zu revolutionieren?
Bogaschewsky: Es gibt sicher Bereiche, wo das passieren wird. Wenn Sie jeden Tag Tausende von Kleinverträgen über Standarddienstleistungen oder -produkte abschließen, etwa in der Logistik, sind Smart Contracts natürlich ausgesprochen hilfreich.

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