Business-IT
08.09.2020
Gemeinsam stark
1. Teil: „Partnerschaften für digitale Ökosysteme“

Partnerschaften für digitale Ökosysteme

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anttoniart / shutterstock.com
Partnerschaften in Ökosystemen bieten Unternehmen viele neue Möglichkeiten für Wertschöpfungen und Innovationen.
Das Silicon Valley in der südlichen San Francisco Bay Area in Kalifornien gilt als der bedeutendste IT- und Tech-Standort weltweit. Es ist die Heimat zahlreicher, weltweit führender Technologiefirmen, die dort als kleines Start-up ihre ersten Schritte unternahmen. Zu den bekanntesten gehören Apple, Intel, Google, Adobe, Ebay, Hewlett-Packard, Oracle, Cisco, Facebook und Tesla. Hier befinden sich auch auf Technologie spezialisierte Institutionen rund um die Stanford University in Palo Alto, die eine Art Keimzelle für die wirtschaftliche Entwicklung der Region bildet.
„Das Silicon Valley ist ein ideales Ökosystem mit seiner Mischung aus starker Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung, weltweit tätigen großen Firmen, Start-ups, einer guten Mischung aus Anbieter- und Anwenderunternehmen sowie dem erforderlichen Kapital, sei es in Form von Venture Capital oder auch staatlichen Investitionen“, erklärt Christopher Meinecke, Leiter Digitale Transformation beim Digitalverband Bitkom.

Ökosystem Digital Hubs Germany

Das Silicon Valley ist auch Vorbild für die Initiative Digital Hubs Germany, die das Bundeswirtschaftsministerium und der Bitkom 2017 ins Leben gerufen haben. Dabei handelt es sich um zwölf offene Zentren, die Digital Hubs, in denen Start-ups, Mittelständler, international agierende Konzerne und Forschungseinrichtungen in enger Verbindung gemeinsam an digitalen Innovationen arbeiten.
Ziel ist es, die deutschen Leitindustrien wie Automobilbau, chemische Industrie, Maschinenbau oder den Versicherungssektor digital auszurichten und Deutschland zum weltweiten Vorreiter der digitalen Transformation zu machen. Dies soll in Digital Hubs etwa zum Internet of Things (IoT) in Berlin, zu Fintechs in Frankfurt, zu Künstlicher Intelligenz in Karlsruhe oder zu Mobility und Insurtech in München gelingen.
„Damit diese Ideen auch schnell umgesetzt werden können, braucht es vernetzte Ökosysteme mit optimalen Voraussetzungen, eben die Digital Hubs. Dort geht es nicht nur um Wissensaustausch, sondern auch um konkrete Lösungen und den Bau von Prototypen für konkrete Herausforderungen der entsprechenden Branchen“, so Christopher Meinecke. Die einzelnen Hubs setzen auf bestehende Strukturen vor Ort auf, etwa am Finanzplatz Frankfurt mit Fintechs, und nutzen die Nähe zu Universitäten und Forschungsinstituten wie der Fraunhofer-Gesellschaft oder den Max-Planck-Instituten.
Das Vancouver-Modell
Die Region Vancouver gilt als Vorbild für lokale Ökosysteme, da dort in engem Zusammenspiel von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinschaftlich-kooperativ erfolgreich Innovationen in vielerlei Bereichen entwickelt wurden.
Vancouver hat seit Jahren ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum in Kanada, gilt als nachhaltige Stadt und als eines der führenden Ökosysteme für Start-ups, insbesondere im Bereich der Umwelttechnologien (Green Economy). So gehört der Raum Vancouver zu den Top-Ten-Cleantech-Clustern weltweit und zu den weltweit führenden Clustern für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie. Hier einige wichtige Faktoren für den Erfolg des Vancouver-Modells:
  • Gemeinwohlorientierung (Ziel ist die Balance zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt)
  • Integration der Zukunftstrends Smart City, Digitalisierung und Green Economy
  • Langjährige Einbindung aller wesentlichen Stakeholder (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Bürger) in die Strategieentwicklung, dadurch hohe Akzeptanz in Wirtschaft und Gesellschaft
  • Campus-City Collaborative (C3): Erfolgreiche Kooperation von Stadt, Wirtschaft und Hochschulen im Living-Lab-Format als Innovationstreiber
  • Abbau bürokratischer Hindernisse und Unterstützung für lokale Unternehmen
  • Zielgerichtete Einbindung der Finanzwirtschaft
  • Aufbau von Innovations-, Gründer- und Wagniskultur (Förderung von Start-ups); das Green and Digital Demonstration Program (GDDP) zum Beispiel unterstützt Unternehmen, um die Demonstration von innovativen grünen und/oder digitalen Technologien zu ermöglichen
2. Teil: „Merkmale von Ökosystemen“

Merkmale von Ökosystemen

Digitale Ökosysteme gelten als Treiber der digitalen Transformation. Doch was macht derartige Ökosysteme eigentlich aus? Der Begriff Ökosystem wurde aus der Natur entlehnt. „Dort ist es ja so, dass in einem Ökosystem, etwa einem Teich sowie dessen Umgebung, mehrere Pflanzen und Tiere interagieren. Falls ein Akteur zu viel aus dem Ökosystem entnimmt, also falls es zum Beispiel zu viele Algen im Teich gibt, kippt das Ökosystem. Das Prinzip hat man nun auf die BWL übertragen“, erläutert Patrick Ulrich, Professor für Unternehmensführung an der Hochschule Aalen und Privatdozent an der Universität Bamberg. Für ihn hat jedes Unternehmen ein Ökosystem in Form eines Netzwerks der Stakeholder, sprich auch Kunden und Lieferanten.
Ein digitales Ökosystem setze stärker auf Vernetzung durch Informations- und Kommunikationstechnologien. Das passiert laut Patrick Ulrich häufig durch eine Plattform wie bei den großen Digitalkonzernen. „Man könnte sagen: Ökosysteme können prinzipiell auch ohne Plattform leben, eine technologische Plattform ist aber ohne den Content wertlos, der erst durch die Stakeholder im Ökosystem entsteht“, so Ulrich.
Markus S. Seiz, Director Deloitte Private, ergänzt: „Früher haben wir in Wertschöpfungsketten gedacht. Wer ist Kunde, Lieferant und so weiter. Aber stets nur in einer Richtung. Das Ökosystem zeichnet sich im Gegensatz zu einer reinen Wertschöpfungskette durch eine stärkere Vernetzung der Akteure aus. Zudem ist nicht immer der größte Fisch der stärkste. Im Ökosystem gibt es natürlich auch bessere und schlechtere Positionen, aber auch kleine Spezialisten können hier erfolgreich sein.“

Kooperation im Netzwerk

Zentral für Ökosysteme sind der Netzwerkgedanke und die Kooperation. Angesichts des hohen Tempos der Digitalisierung, der kurzen Innovationszyklen und knapper finanzieller und personeller Ressourcen wächst auch der Druck auf eta­blierte Firmen, Optionen für Kooperationen auszuloten, um in ihrem Geschäftsmodell erfolgreich zu bleiben oder auch neue Services zu entwickeln. Ein Beispiel dafür ist die Automobilindustrie, in der langjährige Konkurrenten etwa bei Karten- und Navigationsdiensten, beim autonomen Fahren oder bei der Forschung an Batteriezellen zusammenarbeiten. Früher war das undenkbar.
„Ökosysteme bieten den Vorteil, dass Firmen ihre eigene Blase verlassen, Impulse von außen erhalten und sich über den eigenen Tellerrand hinweg austauschen, und das meist sehr nah am Problem ihrer Nutzer“, sagt Maximilian Hille, Head of Consulting beim IT-Dienstleister Cloudflight Ger­many. „Firmen können so ihr Kreativitätslimit abbauen, ihre Kernkompetenzen ausweiten und gemeinsam mit ihren Partnern wachsen. Auch Innovationen werden gefördert.“
Als Beispiel nennt er Maschinenbauer aus dem Mittelstand, die über eine Öffnung für Ökosysteme ihr eigenes Geschäftsmodell erweitern könnten, indem sie über das IoT ihre Maschinen vernetzen, datenbasierte Geschäftsmodelle aufbauen oder moderne Formen der vorausschauenden Wartung (Predictive Maintenance) ermöglichen. Dazu Maximilian Hille: „Berater müssen dem Mittelstand hier deutlich machen, dass ihm durch die Impulse von außen nichts weggenommen wird, sondern dass hier eine große Chance besteht. Welche Ressourcen sind dafür notwendig? Welche Technologien sind bereits vorhanden? Es wird schnell klar, dass Firmen hier Hilfe durch Partner von außen brauchen. Im Normalfall profitieren dann alle Beteiligten von der Kooperation.“
3. Teil: „Beispiel: UnternehmerTUM“

Beispiel: UnternehmerTUM

  • Digital Hub Initiative: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie fördert gemeinsam mit dem Digitalverband Bitkom digitale Innovationen in Deutschland.
    Quelle:
    de-hub.de
Das zeigt beispielhaft UnternehmerTUM in München. Das Institut der TU München ist auch der Digital Hub Mobility der eingangs beschriebenen Initiative und eigenen Angaben zufolge das größte Zentrum für Gründung und Innovation in Europa. Gegründet 2002 von der Unternehmerin Susanne Klatten bringt UnternehmerTUM Talente, Start-ups, Investoren und etablierte Unternehmen wie Allianz, BMW, Facebook, Google, Intel oder SAP zusammen, um gemeinsame Projekte auf den Weg zu bringen. Im Digital Hub Mobility etwa wollen die Partner des Ökosystems gemeinsam ein weltweit führendes Experimentier- und Testumfeld für urbane Mobilitätskonzepte aufbauen und Rahmenbedingungen für automatisiertes und vernetztes Fahren sowie Services für die vernetzte Mobilität entwickeln. Weitere Fokusthemen von UnternehmerTUM sind neben Mobilität die Stadt der Zukunft (Smart City), die Anwendung Künstlicher Intelligenz, die Digitalisierung in der Medizin und Entrepreneurship, also die Förderung einer Gründerkultur.
„Wir qualifizieren und unterstützen Start-ups beim Geschäftsaufbau und der Finanzierung, fördern den branchenübergreifenden Austausch und sehen uns als Moderator für die Zusammenarbeit der Start-ups mit etablierten Unternehmen“, erklärt Thomas Zeller, Chief Digital Officer (CDO) und Geschäftsführer von UnternehmerTUM. „Wir bringen in unserem Ökosystem verschiedene Partner zusammen: Talente, Wissenschaftler, Gründer, Start-ups, größere und mittlere Unternehmen, staatliche Institutionen sowie Geld über Kontakte zu Investoren und unseren eigenen VC-Fonds.“
Das Erfolgskonzept von UnternehmerTUM basiert auf mehreren Säulen. Neben der Funktion als Gründerzentrum und VC-Kapitalgeber unterstützt das Unternehmen auch etablierte und mittelständische Firmen: mit der Digital Product School bei der Umsetzung digitaler Services und Geschäftsmodelle oder mit der Initiative applied ai bei der Anwendung Künstlicher Intelligenz. Und das Team aus erfahrenen Beratern von UnternehmerTUM Business Creators begleitet bei der Entwicklung von Innovationsstrategien bis zur Umsetzung und Ausgründung technologiegetriebener Geschäftsideen.

Offenheit für Experimente

Keimzelle und immer noch zentrales Standbein von UnternehmerTUM ist die Förderung und Begleitung von Gründungen und Start-ups in allen Phasen - von der praxisnahen  Qualifizierung von Gründerpersönlichkeiten über die Inkubationsphase mit ersten Projekten und die Acceleration bis hin zum Börsengang. Die Sparte UnternehmerTUM Projekt GmbH betreibt etwa das Accelerator-Programm TechFoun­ders. Es bereitet Start-ups auf eine erste Risikokapitalrunde vor und bahnt strategische Kooperationen mit etablierten Unternehmen an. Ergänzend stellt die Unternehmertum Venture Capital Partners GmbH Kapital für junge Technologieunternehmen mit internationalem Marktpotenzial zur Verfügung. Beispiele für erfolgreiche Gründungen sind Firmen wie Celonis oder Lilium.
Doch UnternehmerTUM fördert nicht nur Start-ups, sondern unterstützt auch etablierte mittelständische Unternehmen bei der digitalen Transformation. In der Digital Product School beispielsweise erarbeiten Studierende, Wissenschaftler und Mitarbeiter aus den Partnerunternehmen innerhalb weniger Monate digitale Services und Prototypen zu konkreten Herausforderungen aus der Praxis, etwa rund um flexi­ble und vernetzte Mobilitätskonzepte.
„In den letzten Jahren zeigten sich immer mehr Unternehmen aufgeschlossen für eine Zusammenarbeit mit Start-ups. Davon profitieren beide Seiten, wenn sie offen und bereit zum Experimentieren sind. Unser Ziel ist es, die notwendigen Schnittstellen zu schaffen und die passenden Akteure zusammenzubringen, um Innovationen zu fördern“, so Thomas Zeller.
UnternehmerTUM will noch besser werden, um auch international erfolgreiche Unternehmen zu schaffen. „Unser Maßstab ist das Silicon Valley. Hier sind in der Vergangenheit einige der erfolgreichsten Digitalunternehmen der Welt entstanden. Wir wünschen uns, dass unsere Start-ups schnell skalieren und international relevante Plattformen schaffen“, resümiert Zeller.
4. Teil: „Herausforderungen und Risiken“

Herausforderungen und Risiken

Bei digitalen Technologien wie Künstliche Intelligenz, 5G oder Blockchain liegt Deutschland international eher im Mittelfeld. Daher sind hier auch die Digital Hubs als Ökosysteme für Innovationen gefragt. „Es ist elementar, dort jetzt die erfolgreichen Hidden Champions aus dem Mittelstand einzubinden und bei der digitalen Transformation zu begleiten. Das funktioniert am besten über Kooperationen. Die Firmen müssen dazu offen sein, ihr Wissen teilen und auch den Mut zu neuen Wegen haben“, fordert Christopher Meinecke vom Bitkom. Es gilt, folgende Fragen zu beantworten: Was bringt mir eine Kooperation? Welcher Aufwand ist notwendig? Was kann ich anbieten, wie will ich konkret profitieren?
Cloudflight-Berater Maximilian Hille sieht das ähnlich, zumal sich Ökosysteme durch ihre Eigendynamik immer weiter entwickeln: „Firmen müssen klären, wie weit sie sich öffnen und welches Risiko sie eingehen wollen. In manchen Fällen kann es sogar sein, dass das eigene Geschäftsmodell durch das Ökosystem bedroht wird. Transparenz im Ökosystem ist daher wichtig.“

Ökosystem - ja oder nein?

Vielen Unternehmen fällt es daher nicht so leicht, zu entscheiden, welche Strategie sie wählen. Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten: der Welt der Ökosysteme fernbleiben - eher die schlechte Alternative -, sich einem bestehenden Ökosystem anschließen oder ein eigenes Ökosystem begründen. „Die Integration in ein bestehendes System bedeutet natürlich, dass man die strategische Vorherrschaft aufgibt und sich automatisch einem ‚Platzhirsch‘ unterwirft. Für viele Mittelständler wird dies aber wahrscheinlich nötig sein“, vermutet Deloitte-Private-Director Markus S. Seiz.
Ökosysteme erschließen sich laut Seiz oft entweder durch persönliche Kontakte, weil die eigene Lösung gut in das bestehende Ökosystem passt oder durch Zufall. Unternehmen könnten aber auch den Weg gehen, eigene technische Lösungen gezielt auf die Teilnahme an bestimmten Ökosystemen vorzubereiten. Der Rest der Unternehmen versuche dann, eigene Ökosysteme und Plattformen aufzubauen. Markus S. Seiz gibt zu bedenken, dass im Bereich der Ökosysteme häufig eine „Winner takes it all“-Mentalität entstehe: „Am Anfang gibt es noch mehrere Ökosysteme parallel, am Ende setzt sich jedoch meist eine Lösung durch, wie das bei den großen internationalen Tech-Konzernen passiert ist. Es entsteht also ein Dilemma: Man muss mitmachen, es gibt aber ein hohes Risiko für irreversible Kosten.“
Patrick Ulrich nennt als weitere große Gefahr zumindest aus Unternehmenssicht noch Datenschutz, Datensicherheit sowie Cyberkriminalität. „Je mehr vom Unternehmen im Internet und mit anderen Unternehmen vernetzt ist, desto mehr Angriffsfläche bietet man. Hier kann man sich natürlich absichern, aber vielen Unternehmen fehlt das IT-Know-how. Deshalb werden manchmal Potenziale der Digitalisierung aus Angst vor den Negativfolgen verschenkt.“
5. Teil: „Die Rolle digitaler Plattformen“

Die Rolle digitaler Plattformen

  • Quelle:
    Cloudflight
Eine wichtige Rolle in Ökosystemen spielen digitale Plattformen als technische Enabler. Sie sind eine Art Marktplatz, auf denen Anbieter von Produkten, Dienstleistungen oder auch Informationen mit Interessenten zusammenkommen. Im Gegensatz zu Unternehmen mit klassischen linearen Wertschöpfungsketten stellen digitale Plattformen in der Regel keine Produkte oder Dienstleistungen her, sondern bieten eine digitale Infrastruktur für den Austausch zwischen Produzenten und Konsumenten. Google verbindet Informations­suchende mit Informationsanbietern, Amazon bringt Anbieter von Produkten mit Verbrauchern zusammen, während Uber Fahrer mit Passagieren verbindet. Skalen- und Netzwerkeffekte sind ein großer Vorteil von Plattformen. Je mehr Teilnehmer die Plattform nutzen, desto mehr weitere Teilnehmer zieht sie an und desto größer ist der Nutzen für jeden Einzelnen. Und je größer Angebot und Nachfrage, umso attraktiver wird die Plattform - und damit auch das Ökosystem.
„Die digitalen Plattformen bilden die Austauschbasis, die Interaktionen im Ökosystem ermöglichen und damit auch helfen, dass Potenzial des Ökosystems vollständig auszuschöpfen. Sie sind im Prinzip der sichtbare Teil des Ökosystems“, erläutert Maximilian Hille. Er hat mit Cloudflight die Studie „Digital Platforms - Reifegrad und Designkriterien für erfolgreiche digitale Geschäftsmodelle“ durchgeführt. Sie zeigt, dass Unternehmen, die in den Aufbau digitaler Plattformen investieren, langfristig strategische Wettbewerbsvorteile schaffen können. „Voraussetzung dafür ist, dass sie auf die Vernetzung innerhalb eines digitalen Ökosystems setzen. Business-Ökosysteme sind ein zentrales Design- und Erfolgskriterium digitaler Plattformen. So werden Kooperationen sowie der direkte Zugang zu solchen Ökosystemen immer wichtiger“, betont Hille. Mehr als die Hälfte der im Rahmen der Studie befragten IT-Entscheider beabsichtigen, über die Beteiligung an einem digitalen Ökosystem gemeinsam mit Partnern digitale Lösungen und neue Produkte zu entwickeln. 90 Prozent attestieren dem Ökosystem eine Bedeutung für das eigene Geschäftsmodell.

Fazit & Ausblick

Digitalen Ökosystemen gehört die Zukunft. Sie vernetzen Unternehmen, Start-ups, Wissenschaft und Politik branchenübergreifend und zeichnen sich durch Vielfalt und eine hohe Interdisziplinarität aus. Die Kooperation der beteiligten Akteure fördert Innovationen und gibt Hoffnung, gesamtgesellschaftliche Herausforderungen in Bereichen wie Umwelt, Bildung, Nachhaltigkeit, Gesundheit oder Mobilität gemeinschaftlich zu lösen. 
Die Ökosysteme können lokalen Charakter haben, aber auch international vernetzt sein. Beispiele für erfolgreiche Ökosysteme sind das Silicon Valley, die Region Vancouver, Digital Hubs wie UnternehmerTUM oder lokale genossenschaftliche Initiativen.
Verschiedene Rollen im Ökosystem
Entscheidend für den Nutzen, den Unternehmen aus der Kooperation in Ökosystemen ziehen können, ist die Rolle, die sie innerhalb des Netzwerks spielen. Laut Deloitte lassen sich in einem funktionierenden Ökosystem folgende vier Rollen unterscheiden:
  • Der Integrator beherrscht die Wertschöpfungskette und führt (fast) alle Aktivitäten entlang der Wertschöpfungskette in Eigenregie durch. Viele klassische Mittelständler wenden dieses Modell an, so Deloitte.
  • Der Layer Player ist ein Spezialist, der eine spezifische Dienstleistung (zum Beispiel Logistik) in mehreren Wertschöpfungsketten oder Ökosystemen bereitstellt.
  • Der Market Maker fügt bestehenden Wertschöpfungsketten mit dem „Marktplatz“ eine weitere Stufe hinzu und macht so neue Kombinationen von Wertschöpfungsaktivitäten möglich. Dies ist im engeren Sinn das Plattformmodell etwa von Amazon, Uber oder Airbnb.
  • Der Orchestrator wählt anhand der Wertschöpfungskette die Aktivitäten aus, die wertschöpfend sind und die den Kernkompetenzen des eigenen Unternehmens entsprechen. Sonstige Aktivitäten werden durch andere Teilnehmer des Ökosystems ausgeführt. Beispiele für die Rolle eines Orchestrators wären hier Adidas sowie Apple (im Bereich der Produktion von Smartphones).
6. Teil: „Im Gespräch mit Dr. Tobias Popović und Dr. Thomas Baumgärtler (Teil 1)“

Im Gespräch mit Dr. Tobias Popović und Dr. Thomas Baumgärtler (Teil 1)

  • Dr. Tobias Popović: Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT)
    Quelle:
    Büro für Gestaltung Baden-Baden
Tobias Popović ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT), Thomas Baumgärtler ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Offenburg. Im Interview mit com! professional erklären sie, wie genossenschaftliche Werte und Ökosysteme Innovationen fördern.
com! professional: Herr Popović, Herr Baumgärtler, Sie haben gemeinsam ein Whitepaper zum Thema „Genossenschaftliche Innovationsökosysteme - Transformation aus der Kraft der Gemeinschaft“ verfasst. Welche Funktionen und Merkmale kennzeichnen genossenschaftliche Ökosysteme?
Tobias Popović: Betrachten wir zunächst den Begriff Ökosystem. Er wird gebildet aus den griechischen Wörtern Oikos (Haus) und Systema (miteinander verbunden). Ein Ökosystem besteht also grundsätzlich aus einzelnen Elementen, die vernetzt sind und miteinander in Verbindung stehen. Zudem entwickelt sich im Rahmen von Ökosystemen in der Natur in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen neues Leben. Übertragen auf die Welt der Unternehmen fördert ein Ökosystem Innovationen im Sinn von „Neues kommt in die Welt“. Daher kann man auch von Innovationsökosystemen sprechen.
Diese Ökosysteme sind offen, dynamisch, verändern sich permanent, sind komplex, vernetzt und steuern sich selbst. Zudem sind sie vielfältig und divers als Quelle für Kreativität und zeichnen sich durch eine hohe Interdisziplinarität aus. Das bekannteste Beispiel für ein derartiges Innovationsökosystem ist natürlich das Silicon Valley.
Thomas Baumgärtler: Genossenschaftliche Ökosysteme wiederum sind durch drei wesentliche Prinzipien geprägt: Selbsthilfe, Selbstverantwortung, Selbstverwaltung. Die Mitglieder einer Genossenschaft sind zum einen selbst Kunde, gleichzeitig aber auch Eigentümer, die sich selbst verwalten und bei wichtigen Entscheidungen mitbestimmen. Wenn beispielsweise Volks- oder Raiffeisenbanken einer bestimmten Region fusionieren wollen, müssen die Mitglieder zustimmen. Im Endeffekt läuft das basisdemokratisch und subsidiär ab mit gleichberechtigten Akteuren, die sich gegenseitig unterstützen.
Genossenschaften sind meist regional geprägt und wollen Lösungen für lokale Herausforderungen und Mangelsituationen schaffen. Denken Sie etwa an die neuen Wohnungsbau-Genossenschaften in München, die günstigen Wohnraum schaffen, um Mietexplosionen zu verhindern. Weitere wichtige Merkmale von genossenschaftlichen Ökosystemen sind Solidarität und Fairness.
com! professional: Genossenschaftliche Ökosysteme sind also sehr stark an Werten orientiert …
Popović: Ja. Sie basieren auf einer Zielvision und verschiedenen sozialen und „grünen“ Werten als Fundament. Dazu gehört auch Nachhaltigkeit. Urvater der genossenschaftlichen Idee ist Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der als „Prototyp“ eines Sustaina­ble Entrepreneurs versuchte, Lösungen für reale gesellschaftliche und ökonomische Herausforderungen zu entwickeln. Seine konkrete Innovation damals war die Gründung einer Genossenschaft, um die Verarmung der Landbevölkerung zu stoppen.
Im Konzept von Raiffeisen war die Kraft der Gemeinschaft zentral. Er war überzeugt, dass viele schaffen können, was einer allein nicht schafft. Genossenschaftliche Innovationsökosysteme nutzen die Kreativität und das Innovationspotenzial der Gemeinschaft. Sie übertragen damit den Kerngedanken Raiffeisens auf die heutige Zeit.
7. Teil: „Im Gespräch mit Dr. Tobias Popović und Dr. Thomas Baumgärtner (Teil 2)“

Im Gespräch mit Dr. Tobias Popović und Dr. Thomas Baumgärtner (Teil 2)

Baumgärtler: Dieses Ökonomieverständnis basiert auf einem speziellen Menschenbild. Der Mensch wird nicht nur als „Homo oeconomicus“ gesehen, der nur zweckrational agiert und seinen Eigennutz maximieren will, sondern vor allem als „Homo cooperativus“, der ein starkes Bedürfnis
  • Dr. Thomas Baumgärtler: Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Offenburg
    Quelle:
    Hochschule Offenburg
nach Gemeinschaft hat und die Fähigkeit zur Kooperation mitbringt. Hier lässt sich mit methodischen Ansätzen wie Open Innovation gut das Kreativitätspotenzial einer Gemeinschaft mobilisieren.
Beispiele dafür sind Dorfläden, Bürgergenossenschaften oder auch der Trend zur Sharing Economy. Zu Letzteren zählen etwa genossenschaftlich organisierte Mobilitätsinitiativen zur E-Mobi­lität oder zum Car-/Bike-Sharing in Städten.
com! professional: Gibt es ein bekanntes Beispiel für ein blühendes genossenschaftliches Innovationsökosystem?
Popović: Hier würde ich an erster Stelle die kanadische Metropolregion Vancouver nennen, die sich in den letzten 20 Jahren zu einem führenden Zentrum für Nachhaltigkeitsinnovationen entwickelt hat. Vancouver hat seit Jahren ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum in Kanada, verzeichnet ein starkes Wachstum an „Green Jobs“ und gilt derzeit als lebenswerte und nachhaltige Stadt, die in Kombination mit florierender Wirtschaft für die Start-up-Szene hochattraktiv ist.
In Vancouver wurden gemeinschaftlich-kooperativ erfolgreich Innovationen in vielfältigen Bereichen entwickelt. Treiber und Koordinator war hier die Stadtregierung, die alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen so gleichberechtigt wie möglich mit einbezogen hat, darunter auch die Genossenschaftsbank VanCity.
com! professional: Welche Faktoren waren für den Erfolg des Ökosystems in Vancouver ausschlaggebend?
Popović: Dazu gehören zunächst einmal das am Erbe der Ureinwohner der Region (First Nations) orientierte Wertefundament in Bezug auf Nachhaltigkeit und die langjährige Einbindung der wesentlichen Stakeholder wie Behörden, Bürger, Wirtschaft oder Wissenschaft in die Strategieentwicklung.
Dadurch entstand eine hohe Akzeptanz in Wirtschaft und Gesellschaft. Hinzu kommen die Integration und das proaktive Aufgreifen von Zukunftstrends wie Smart Citys, Digitalisierung und Green Economy sowie die gezielte Einbindung der Finanzwirtschaft.
Weitere wichtige Punkte sind die Campus-City Collaborative (C3) als erfolgreiche Kooperation von Stadt, Wirtschaft und Hochschulen im Living-Lab-Format als Innovationstreiber sowie die konsequente Anwendung moderner Innovationsprinzipien, -formate und -methoden wie Design Thinking, Hackathons, Inkubatoren zur Förderung von Start-ups oder Business Model Canvas zur Entwicklung oder Überarbeitung von Geschäftsmodellen.
com! professional: Was sind Living Labs und inwiefern tragen sie zu Innovationen bei?
Popović: Living Labs sind transdisziplinäre Reallabore, in denen viele unterschiedliche Akteure im interaktiven Austausch gemeinsam nach real implementierbaren Lösungen für eine konkrete Herausforderung suchen. Wichtige Prinzipien von Living Labs sind Co-Definition, Collaboration, Co-Creation und Co-Production.
Die Beteiligten aus Wissenschaft und Praxis definieren gemeinsam das Problem, entwickeln in iterativen Feedback-Schleifen Prototypen, testen sie, implementieren die Lösung und entwickeln sie weiter. Auf diese Weise entstehen neue Services, auch in digitaler Form, oder neue Geschäftsmodelle.
Auch das „MakerCamp Genossenschaften“, das im Januar 2020 in seiner Erstauflage stattfand und in den nächsten Jahren die Neugründung von Genossenschaften in Bereichen wie Daseinsvorsorge, nachhaltige Mobilität, erneuerbare Energien, Smart Citys oder Digitalisierung vorantreiben soll, orientiert sich am Living-Lab-Design.
com! professional: Welche Rolle können Genossenschaften in diesen lokalen Ökosystemen spielen?
Baumgärtler: Nehmen wir die Genossenschaftsbanken als Beispiel. Sie sind bereits Teil von lokalen Innovationsökosystemen, haben Netzwerkkompetenz und verfügen über ein Beziehungsnetzwerk aus unterschiedlichen Stakeholdern wie Bürgern, die zugleich Mitglieder oder Kunden der Bank sein können, Politik und Verwaltung, Handwerk, KMUs oder Wissenschaft. Genossenschaftsbanken können in Ökosystemen als Innovation Hubs fungieren, ein Netzwerk aus unterschiedlichen Partnern starten und koordinieren und dadurch gemeinschaftlich innovative sowie zukunftsorientierte Lösungen für lokale Herausforderungen ent­wickeln.
Im Idealfall entstehen aus dem kreativen Zusammenspiel der involvierten Stakeholder neue Produkte und Dienstleistungen, innovative Geschäftsmodelle oder Start-ups.
com! professional: Wo liegen die Grenzen beziehungsweise die Herausforderungen von (genossenschaftlichen) Ökosystemen?
Popović: Grundvoraussetzung ist ein Minimum an unternehmerischem Mindset. Die lokalen Akteure inklusive Bevölkerung müssen mitmachen und Initiative zeigen. Insbesondere der Living-Lab-Ansatz erfordert unglaublich viel Kommunikation, um Reibungspunkte aufzulösen. So müssen Banker, Handwerker, IT-Fachleute und so weiter eine gemeinsame Sprache finden oder offen für Anregungen von außen und andere Perspektiven sein.
Und es braucht verbindliche Regeln, eine Governance, um die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse und Erträge fair aufteilen zu können. Gefragt sind eine Innovations- und Wagniskultur zum Experimentieren und Lernen aus Erfahrungen, die auch Fehler verzeiht, sowie Transparenz und offene Kommunikation.
Baumgärtler: Die vielfältigen Herausforderungen in der Daseinsvorsorge verlangen nach innovativen Ansätzen, die in offenen, übergreifenden Ökosystemen entstehen. Genossenschaften können hier den Knotenpunkt im Netzwerk bilden, der die richtigen Partner für das passende Problemfeld oder Thema wie Gesundheit, Pflege, Wohnen, Mobilität, Bildung oder sonstige Bereiche der Daseinsvorsorge findet und zusammenbringt.
Ökosysteme leben, sie können wachsen oder auch schrumpfen, innerhalb eines Systems können neue Subsysteme entstehen. Wichtig dabei ist, bürokratische Hindernisse abzubauen und die Partizipation zu fördern. Die Basis dafür bilden digitale Plattformen, über die Bürger und andere Akteure ihre Ideen einbringen, Feedback geben oder auch über bestimmte Vorhaben abstimmen können.

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