Open Source
01.02.2019
Analyse
1. Teil: „Open Source treibt die Digitalisierung voran“

Open Source treibt die Digitalisierung voran

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Lucky Team Studio / shutterstock.com
Lizenzfreie Software ist für die digitale Transformation unverzichtbar geworden. Ein offener Quellcode kann die Entwicklung entscheidend beschleunigen.
  • Quelle:
    Crisp Research "Open Stack als Basis für offene Cloud-Architekturen" (2016), n =380
Im Jahr 2009 wurde die bisher einzige umfangreiche, deutschlandweite Studie mit 1312 validen Datensätzen zum Thema Open Source durchgeführt. Seither hat sich in diesem Bereich zweifellos viel getan und dennoch gibt es keine klare Übersicht zum derzeitigen Stand von Open Source in Deutschland. Zwar will der Digitalverband Bitkom mit dem gerade gestarteten „Open Source Monitor 2019“ diese Lücke schließen, dessen Ergebnisse sind jedoch erst für September zu erwarten.
Dabei ist das Thema Open Source heute aktueller denn je. Um herauszufinden, wo Deutschland auf diesem Feld steht und was noch getan werden sollte, hat com! professional eine Reihe von Open-Source-Experten befragt.

Open Souce ist Alltag

Schon vor mehr als zehn Jahren wurde es in manchen Medien immer mal wieder so dargestellt, als sei Open-Source-Software von Unternehmen schon zu einem großen Teil akzeptiert. Doch Andreas Nemeth, VP Channel Development & Technology bei der Deutschen Telekom, weiß aus eigener Erfahrung, dass diese Sicht nicht ganz der Wirklichkeit entsprach.
Damals war er nämlich noch beim Open-Source-Vorreiter Suse Linux beschäftigt und erlebte in den Unternehmen oftmals Vorbehalte gegenüber dieser Form von Software. Heutzutage gehört der Einsatz von Open-Source-Programmen in der deutschen Privatwirtschaft zum Alltag - insbesondere in Großunternehmen, aber zunehmend auch im Mittelstand. Von Betriebs- und Content-Management-Systemen bis hin zu Business Analytics und CAD-Programmen - nahezu für jeden Bereich gibt es inzwischen ausgereifte Open-Source-Lösungen.
„In einer unserer letzten Studien, bei der wir Unternehmen unter anderem auch zu ihren IT-Strategien befragt haben, fanden wir heraus, dass nur ein kleiner Teil heute noch komplett auf Open-Source-Software verzichten kann“, berichtet Björn Böttcher, Senior Analyst beim IT-Beratungsunternehmen Crisp Research.
Besonders gut ist diese Entwicklung bei den aktuellen Hybrid- und Multi-Cloud-Strategien zu beobachten, denn in solchen Szenarien kommt meistens eine Container- oder eine Plattform-Lösung zum Einsatz, die nahezu immer Open Source ist.
Neben der direkten Nutzung wird Open Source zunehmend auch als Komponente in unternehmenseigenen Software-Produkten eingesetzt.
Seinen Grund hat dies auf der einen Seite im sich verschärfenden Mangel an qualifizierten IT-Fachkräften, auf der anderen Seite müssen Unternehmen angesichts des hohen Wettbewerbsdrucks nach Wegen suchen, ihre Produkte und Dienstleistungen schneller auf den Markt zu bringen und innovativ zu bleiben. „Die ganze Entwicklungsarbeit ist mit eigenen Ressourcen einfach nicht mehr zu bewältigen“, unterstreicht Frank Termer, Bereichsleiter Software beim Digitalverband Bitkom.
  • Quelle:
    PwC "Open-Source-Software-Studie 2017"
Im europäischen Vergleich steht Deutschland in Sachen Open Source nach Einschätzung der von uns befragten Experten gar nicht so schlecht da. Zwar wird einigen EU-Länder immer mal wieder ein deutlicher Vorsprung attestiert, doch gibt es keine aktuellen Studien oder Untersuchungen, die eindeutige Zahlen liefern und solche Darstellungen belegen würden, erklären unisono Frank Termer und Dirk Riehle. Letzterer erforscht als Deutschlands erster Open-Source-Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg die Software-Entwicklung mit Hilfe von Open Source.
Eine pauschale Aussage zur Situation in Deutschland lässt sich zwar auch für dieses Gebiet nicht treffen, doch bemerkt Jürgen Schüssler, Leiter des Open-Source-Konsortialprojekts Open Integration Hub, dass es bei Open Source meist gar nicht um nationale, sondern vielmehr um internationale Projekte gehe, die über offene Plattformen wie GitHub oder GitLab vorangetrieben werden. Und gerade bei solchen Projekten, so der Experte, sei die Beteiligung deutscher Unternehmen ziemlich hoch.
Was allerdings rein deutsche Open-Source-Lösungen angehe, so gebe es davon nur eine Handvoll, etwa Open-Xchange, Nextcloud oder seit Jüngstem das Open-Integra­tion-Hub-Projekt. Björn Böttcher von Crisp Research fasst die Situation so zusammen: „Was Entwickeln mit Open Source betrifft, gibt es meiner Meinung nach noch viel mehr Potenzial.“
2. Teil: „Neue Herausforderungen“

Neue Herausforderungen

  • Quelle:
    Crisp Research "Open Stack als Basis für offene Cloud-Architekturen" (2016 ), n = 380
Abgesehen vom Bereich Entwickeln zeigt der mittlerweile umfassende Einsatz von Open Source, dass die Berührungsängste der Unternehmen mit quelloffener Software im Großen und Ganzen verschwunden sind. Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten bergen jedoch neue Herausforderungen.
So kann das Lizenz-Management zu einem ernsthaften Problem werden, insbesondere dann, wenn es sich um die Nutzung von Open-Source- Komponenten in unternehmenseigenen Produkten handelt. Zwar räumen die meisten Open-Source-Lizenzen weitgehende Nutzungsrechte ein, enthalten aber auch konkrete Bedingungen und Vorgaben, die bei dem Einsatz der jeweiligen Lösung streng eingehalten werden müssen. „So muss beispielsweise der Quellcode einer Software, in der eine Open-Source-Komponente mit dem sogenannten Copyleft-Effekt verbaut wird, zur freien Weitergabe offengelegt werden“, erläutert Jürgen Schüssler. Als Copyleft bezeichnet man eine Klausel in Nutzungslizenzen, die den Lizenznehmer verpflichtet, jede Bearbeitung des Werks unter die Lizenz des ursprünglichen Werks zu stellen.
Viele Unternehmen, insbesondere im B2B-Bereich, halten sich jedoch nicht an solche Pflichten, wie Dirk Riehle beobachtet. Dafür fehlten ihnen häufig schlicht Kompetenz und Governance-Prozesse: „Das ist eine Lernkurve und viele Unternehmen haben das Lernen einfach noch nicht begonnen“, erklärt sich das der Experte.
Seine Beobachtung deckt sich mit den Ergebnissen einiger jüngster Studien. So hat zum Beispiel das Beratungsunternehmen PwC 2017 den Reifegrad des Open-Source-Software-Managements in Unternehmen untersucht und festgestellt, dass 84 Prozent der befragten Unternehmen keine Richtlinien und Regeln für Open Source vorweisen konnten.
Problematisch ist auch, dass das Fachwissen, wie Open Source rechtlich korrekt einzusetzen ist, nicht einfach irgendwo nachzulesen ist. Selbst die Unternehmen, die über das Wissen verfügen und dazu teilweise eigene interne Handbücher verfasst haben, geben es nicht weiter, wie Riehle feststellen musste: „Zu groß ist die Angst davor, dass sie selbst für die Fehler, die die externen Nutzer ihres Handbuchs machen können, zur Verantwortung gezogen werden.“
Ein weites Feld ist auch die Frage nach dem Schutz des geistigen Eigentums. Vielfach bleibt offen, wie weit weiterentwickelter Quellcode zurückgespielt werden kann, ohne dass jemand von außen Rückschlüsse daraus ziehen kann, wie das eigentliche Produkt funktioniert, stellt Björn Böttcher von Crisp Research fest. „Im deutschen Markt ist diese Angst jedoch merklich größer als anderswo, insbesondere im Maschinenbau, wo es um viele Patente geht, die dem internationalen Wettbewerb nicht in die Hände kommen dürfen“, so der Senior-Analyst weiter.
3. Teil: „Öffentlicher Sektor“

Öffentlicher Sektor

  • Quelle:
    PwC "Open-Source-Software-Studie 2017"
Auch wenn die Nutzung quelloffener Lösungen in der Privatwirtschaft inzwischen doch zum Standard geworden ist, so sieht es in der öffentlichen Verwaltung immer noch ganz anders aus. Hier wird Open-Source-Software lediglich punktuell, nicht aber strategisch und daher in nicht nennenswertem Umfang eingesetzt, wie Peter Ganten berichtet, Vorstandsvorsitzender der Open Source Business Alliance und Geschäftsführer des Open-Source-Spezialisten Univention.
In der Tat haben mehrere EU-Staaten - da­runter Bulgarien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden und Spanien, um nur einige Beispiele zu nennen -, schon längst Bestimmungen erlassen, um die Einführung und die Nutzung von Open-Source-Software in öffentlichen Einrichtungen zu erleichtern. In Deutschland dagegen gab es bisher nur vereinzelte Initiativen und die sind oft auch noch gescheitert. Man denke nur an die einst beispielgebende Umstellung der IT der Stadt München auf Linux, die nach rund einem Jahrzehnt nun gerade wieder rückgängig gemacht wird.
„Sowohl im Vergleich mit den Wirtschaftsunternehmen in Deutschland, aber auch mit der öffentlichen Verwaltung in anderen EU-Ländern oder den USA hinkt die deutsche Verwaltung beim Einsatz von Open-Source-Software und allgemein in der Digitalisierung sehr hinterher“, resümiert Peter Ganten von der Open Source Business Software Alliance.

Fachwissen fehlt immer noch

Hinter dem Scheitern vieler Open-Source-Projekte im öffentlichen Bereich steckt oft eine falsche Erwartungshaltung. Open-Source-Software mag an sich kostenlos sein, dies bedeutet jedoch nicht, dass deren Einführung ebenfalls ohne nennenswerte Kosten erfolgen könnte. „Man muss beispielsweise viel auf der Integrationsebene machen, alle nötigen Vorlagen anpassen und dazu noch die ganze Verwaltung darauf umstellen“, erläutert Björn Böttcher. „Dieser Aufwand wird häufig unterschätzt.“
Das allein ist allerdings noch keine hinreichende Erklärung dafür, warum die öffentliche Verwaltung beim Einsatz von Open Source so deutlich hinter der Privatwirtschaft oder dem öffentlichen Bereich anderer EU-Länder zurückbleibt. Das liegt vielmehr daran, so die Beobachtung von Peter Ganten, dass die immanenten Vorteile von Open-Source-Software - Transparenz, Anpassungsfähigkeit und Herstellerunabhängigkeit – bei den Ausschreibungen keine Berücksichtigung finden.
Außerdem haben viele Entscheider in den Ministerien und Behörden immer noch ein falsches Bild von Open Source. „Es herrscht dort die weit verbreitete Vorstellung von einer kostenlosen Community-Software ohne Serviceleistungen, die externe Entwickler in ihrer Freizeit zusammenstellen“, stellt Frank Termer von Bitkom fest. Darum komme für viele Open Source grundsätzlich nicht infrage.
Die meisten Hindernisse in der öffentlichen Verwaltung lassen sich auf das immer noch mangelnde oder sogar fehlende Fachwissen im Umgang mit Open Source zurückführen. In diesem Zusammenhang könnte der Staat wesentlich mehr Unterstützung bieten. Vor allem in den Behörden und in Schulen, so sieht es Andreas Nemeth von der Deutschen Telekom, müssten Open-Source-Lösungen gefördert werden, um eine Monopolisierung durch kommerzielle Software-Anbieter zu vermeiden.
Außerdem ist es aus seiner Sicht auch aus Sicherheitsgründen sinnvoll, gerade im öffentlichen Bereich auf Open Source zu setzen. Denn quelloffene Software böte hier den entscheidenden Vorteil, dass mögliche Sicherheitslücken und sogenannte Backdoors von der Community schnell entdeckt und beseitigt würden. „So kann der Staat sicherstellen, dass die sicherheitskritischen Systeme wirklich sicher sind“, betont Andreas Nemeth. 
Auch aus diesem Grund muss die Beschaffung von Software für öffentliche Stellen erleichtert werden. So fordert Peter Ganten, dass das Kriterium „Open Source“ genauso wie Preis und Funktionsfähigkeit von Software in die Bewertungskriterien der Beschaffung eingehen sollte.
Der Digitalverband Bitkom setzt sich ebenfalls dafür ein, Open-Source-Software und pro­prietäre Software auf Augenhöhe zu behandeln und Rahmen- und Beschaffungsverträge so zu gestalten, dass sie die Beschaffung von Open Source in Behörden und Ministerien erleichtern.
Tabelle:

4. Teil: „Aufklärung für Unternehmen“

Aufklärung für Unternehmen

  • Quelle:
    PwC "Open-Source-Software-Studie 2017"
Mehr Aufklärung und Sensibilisierung bedarf es nach Meinung der von uns befragten Experten aber auch immer noch in der Privatwirtschaft. Im Grunde genommen stehen Unternehmen nämlich vor den gleichen Hindernissen, denn auch ihnen fehlt es immer noch an Fachwissen, wenngleich der Fokus dabei auf den rechtlichen Aspekten liegt.
Selbstverständlich bieten eine Reihe gemeinnütziger Organisationen wie die Apache Foundation oder die Open Source Business Alliance Unterstützung bei diesem Thema. Das darf aber nicht dazu führen, dass die Rolle, die der Staat dabei spielen könnte, unterschätzt wird. Hinter Open Source stehen nämlich keine großen Firmen, erklärt Andreas Nemeth die Problematik: „Es gibt lediglich die Communities und die haben nicht die Mittel zur Verfügung, die Entscheider aufzuklären und sie entsprechend mit einzubeziehen.“
Genau an dieser Stelle kann der Staat das Bewusstsein für das Potenzial von Open Source schärfen und die Sensibilisierung oder auch die Rahmenbedingungen für die Ausbildung in puncto Open Source verbessern.
Des Weiteren müsste der Bund vor allem mehr Projekte fördern, um die Entwicklung von Open-Source-Alternativen zu breit eingesetzten proprietären Software-Komponenten zu unterstützen. „Das hat nichts mit Kommunismus, sondern rein mit einer Geschäftsstrategie zu tun, sodass die Nutzer einer bestimmten Komponente eine Alternative hätten und die Preise so gedämpft werden können“, betont dazu Dirk Riehle.
Solche Initiativen entstehen ohnehin immer wieder, jedoch überwiegend von Unternehmen selbst angestoßen. Vom Staat gibt es derzeit nur kleine Förderprogramme für selbstständige, private oder unabhängige Entwickler, keine großen Entwicklungsprojekte.
Jürgen Schüssler vom Open Integration Hub kann das aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Das Projekt Open Integration Hub erhält derzeit eine staatliche Förderung, um ein herstellerübergreifendes Framework für die Datenintegration zwischen beliebigen Software-Anwendungen zu entwickeln. Doch wurde es Schüssler zufolge zu Beginn nicht als Open-Source-Projekt wahrgenommen, weil es so etwas in dieser Form noch nicht gegeben hatte.

Fazit & Ausblick

Während früher als Gründe für den Einsatz von Open Source häufig Kosteneinsparungen und größere Unabhängigkeit von den Software-Herstellern genannt wurden, so wird Open Source heutzutage zunehmend als der Treibstoff für Digitalisierung und innovative Technologien erkannt. Einen Quellcode offenzulegen, ist für sich genommen noch nicht innovativ. Aber Open-Source-Software fördert Innovationen, weil sie vor allem eins bewirkt, nämlich die Entwicklung massiv zu beschleunigen.
„Wenn man sich im Bereich Big Data Hadoop oder bei den Container-Technologien Docker und Kubernetes anschaut, dann sind das die Open-Source-Tools, ohne die solche Trends nicht funktionieren oder zumindest nicht so schnell an Bedeutung gewinnen würden“, weiß Bitkom-Experte Frank Termer.
Dieser Geschwindigkeitsvorteil ist in erster Linie den vielen frei verfügbaren Komponenten und Frameworks zu verdanken, die den Anteil nötiger Eigenentwicklungen signifikant verringern. Auch bei Augmented Reality und Künstlicher Intelligenz steht den Unternehmen eine Vielzahl an Open-Source-Tools und -Bibliotheken zur Verfügung, was es ermöglicht, diese Technologien bei relativ geringen Kosten recht schnell auszuprobieren.
Auf Bundesebene bewirken Themen wie IT-Konsolidierung, Interoperabilität und landes- und bundesweite Harmonisierung der Rechenzentren ebenfalls langsam ein Umdenken, wie Frank Termer beobachtet. Das Thema Open Source komme in Gesprächen spürbar häufiger auf, berichtet der Bitkom-Experte: „Man sieht, dass es gute Open-Source-Alternativen zu kommerziellen Produkten in diesem Umfeld gibt.“
So wurde beispielsweise im April vergangenen Jahres bekannt gegeben, dass die Bundesverwaltung künftig die deutsche Open-Source-Software Nextcloud für das Speichern der Daten in der Bundescloud einsetzen wird, einer Private-Cloud-Plattform für 300.000 Mitarbeiter in Ministerien und anderen Einrichtungen der öffentlichen Hand. Auch die Bundesländer Schleswig-Holstein und Thüringen haben angekündigt, verstärkt auf Open-Source-Software zu setzen. Sie wollen deren Einführung allerdings strategisch und strukturiert angehen, um die Fehler ihrer Vorgänger zu vermeiden.
Open Source ist zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Digitalisierung geworden, auch in Deutschland. Ausruhen dürfen wir uns aber nicht, warnt Peter Ganten: „Wenn wir international weiter vorne mitspielen wollen, müssen wir diese Basis nutzen, weiter ausbauen und in Open Source (re-)investieren.“

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