Business-IT
27.07.2018
Autos und Internet
1. Teil: „Online-Dynamik im Autohandel nimmt zu“

Online-Dynamik im Autohandel nimmt zu

Opel Adam und Crossland X auf AmazonOpel Adam und Crossland X auf AmazonOpel Adam und Crossland X auf Amazon
Opel
Noch schrecken die Kunden davor zurück, den Autokauf komplett online zu erledigen. Auch wenn einschlägige Apps und Online-Dienste derzeit boomen. Den finalen Schritt des Kaufs wolle der Kunde beim Händler vor Ort machen.
Mit einem Schlag zum Milliarden-Unternehmen: Mitte Januar beteiligte sich der Technologie-Fonds Softbank Vision mit 460 Millionen Euro an der Auto1 Group. Seitdem  ist die Bewertung des Auto-Online-Händlers auf 2,9 Milliarden Euro gestiegen. Auch wenn die Endkundenmarke Wirkaufendeinauto.de deutlich bekannter ist als die dahinter­stehende Auto1 Group, sieht das auf den ersten Blick recht hoch gegriffen aus.
Doch das Unternehmen hat etwas geschafft, was bisher in der Automobilbranche einzigartig ist: Es hat einen durch­gängigen Online-Verkaufsprozess etabliert. Über Plattformen wie Wirkaufendeinauto.de kauft Auto1 jährlich mehrere Hunderttausend Fahrzeuge an, zur Abwicklung dient ein Netz von europaweit mehr als 350 Partnerhändlern. Aus einem ständigen Pool von 40.000 Automobilen verkauft das Unternehmen über die B2B-Plattform Auto1 die Gebrauchtwagen an mehr als 40.000 Händler weiter.
Der große Erfolg im Kerngeschäft hat Auto1 in den letzten Monaten dazu ermutigt, die Fühler auch in Richtung B2C-Handel auszustrecken. Mit dem Online-Autohaus Autohero will das Unternehmen Gebrauchtwagen direkt an Online-Kunden verkaufen. Und auf der Plattform Wirkaufendein­auto.de wird nach dem gleichen Prinzip die Funktion „Auto kaufen“ erprobt.
Hat Auto1 mit den neuen B2C-Angeboten Erfolg, wäre es dem Unternehmen als Erstem gelungen, Autokäufe nicht nur online anzubahnen, sondern diese vollständig über das Netz abzuwickeln – ein Modell, an das sich der Wettbewerb bisher nicht heranwagt.

Der Kampf um die letzten Meter

Marktführer beim Gebrauchtwagenhandel im Netz ist weiterhin Mobile.de. Die Ebay-Tochter weist ein Angebot von mehr als 1,5 Millionen Fahrzeugen aus, mehr als 15 Millionen Nutzer sowie über 43.000 bei der Plattform registrierte Autohändler.
„Wir sind als Marktplatz erfolgreich und das soll auch so bleiben“, stellt Sprecher Christian Maas klar. Anders als Auto1 sei Mobile.de niemals in der Händlerrolle und überlasse den Verkaufsabschluss den Vertragsparteien. „Bis auf den letzten Schritt finden sehr viele Etappen der Customer Journey beim Autokauf aber schon online statt.“ Plattformen wie Mobile.de schafften für Kaufinteressenten maximale Transparenz und ermöglichten es, den Kaufabschluss weitgehend online anzubahnen.
Mit einem soeben gestarteten Finanzierungsmodell will Mobile.de den Online-Anteil der Customer Journey weiter ausdehnen und mit  „MotorVerkauf“ bietet die Plattform inzwischen einen an Wirkaufendeinauto.de angelehnten Service an. Dennoch steht für Christian Maas außer Frage: „Den Abschluss will der Kunde weiterhin direkt mit dem Verkäufer machen.“
Ähnlich sieht das Alexander Bugge, Gründer und Geschäftsführer der Neuwagenplattform Meinauto.de: „Die letzten Meter möchte der Kunde bei einem haptischen Produkt wie dem Auto mit einem Händler vor Ort gehen.“ Das belege eindrücklich der Erfolg des von Meinauto.de vor zwei Jahren gestarteten Services „Mein Auto local“.
Der Dienst führt Kunden, die im Internet nach Neuwagenangeboten suchen, mit lokalen Autohäusern zusammen. „Die Registrierung des 4000. Händlers in zwei Jahren bestätigt, dass ,Mein auto local‘ eine gute Lösung zu einem der wichtigsten Themen für den Automobilhandel beisteuert“, erklärt Bugge.
Geschätzt 90 Prozent des Weges beim Kauf eines Neuwagens legten die Kunden heute im Netz zurück. So sei die Markentreue der Autointeressenten auf dem Rückzug und die Entscheidung für ein bestimmtes Modell falle immer häufiger erst nach ausführlicher Informationssuche im Internet. „Wir wollen das weiter fördern, indem wir unsere Plattform technologisch und mit redaktionellem Content weiter verbessern“, kündigt Bugge an. Zudem soll die Online-Community der Plattform weiter ausgebaut werden und den Kunden mit Nutzerempfehlungen zusätzliche Entscheidungshilfe geboten werden.
Auch das Geschäftsmodell von Meinauto.de wurde jüngst durch ein größeres Investment bestätigt. So beteiligte sich der Hg Capital Trust Anfang 2018 mit 6,7 Millionen Britischen Pfund an der Neuwagenplattform. „Mit den Investments bei Auto1 und bei uns kommt Bewegung in die Branche. Man merkt, dass der Markt jetzt verteilt wird und auch die Hersteller positionieren sich immer klarer in Sachen Online“, erklärt Meinauto-Chef Bugge.
2. Teil: „Kooperation mit Amazon“

Kooperation mit Amazon

Auf den Webseiten der meisten Autohersteller gehören Tools zur Online-Konfiguration von Neuwagen inzwischen zum Standard. Danach geht es allerdings weiter zum Händler, der schließlich den Abschluss mit dem Kunden macht. Mit ersten Versuchsballons in Richtung Online-Direktvertrieb sorgen einige Hersteller aber bereits für viel Aufregung in der Händlerwelt.
  • "Werden Autos  künftig im Netz gekauft?" Diese Frage bejahten 2017 nur noch 17 Prozent der Autokäufer.
    Quelle:
    Puls Marktforschung GmbH, Basis: n = 1014 (2017), n = 1010 (2016), n = 1008 (2015)
So gab es Mitte 2017 bei Amazon die Möglichkeit, einen Renault Twingo zum Leasing zu reservieren. Für die Abwicklung setzten die Franzosen aber noch auf ein angeschlossenes Autohaus. Das in der letzten Staffel von „Germany’s next Topmodel“ beworbene Leasing-Angebot zweier Opel-Modelle wurde dann aber bereits in direkter Kooperation mit dem Hersteller umgesetzt.
„Die Hersteller brauchen über kurz oder lang nur noch schlecht bezahlte Marionetten, die vor Ort die Bürokratie und Abwicklung mit den Kunden erledigen sowie sich mit Reklamationen und Garantie befassen“, erklärt dazu ein Händler, der nicht namentlich genannt werden möchte. Früher oder später werde der Online-Direktvertrieb auch in der Kfz-Branche zur Normalität.

Die Angst vor dem Direktvertrieb

Angefacht werden solche Erwartungen durch den Wandel des einst als Vermittlungsplattform für Neuwagen gestarteten Autohaus24.
  • "Autohändler bleiben unabdingbar": 2017 stimmten 62 Prozent der Autokäufer dieser Aussage zu.
    Quelle:
    Puls Marktforschung GmbH, Basis: n = 1014 (2017), n = 1010 (2016), n = 1008 (2015)
Das seit zwei Jahren zu Sixt Leasing gehörende Unternehmen will künftig keine Barkauf-Leads mehr an Autohändler weiterleiten, sondern den Fokus auf die Themen Leasing und Finanzierung legen. Die Fahrzeuge dazu kommen aus dem Bestand von Sixt Leasing. Man gelobt dort zwar, weiterhin beim Handel einzukaufen – doch warum sollte das Unternehmen mittelfristig nicht einfach auf den Zwischenhandel verzichten?
Im letzten Geschäftsbericht von Sixt Leasing zählt der Bereich „Online Retail“ jedenfalls zu den Wachstumstreibern. Der größte Erfolg war im zurückliegenden Jahr eine gemeinsam mit dem Autohersteller Peugeot und dem Internet- und Mobilfunk-Provider 1&1 angebotene Leasing-Flatrate für 99 Euro pro Monat, die vielen Vertragshändlern die Zornesröte ins Gesicht trieb.
„Im Handel ist die Angst groß, dass die Marken den Vertrieb ohne sie planen“, kommentiert Bugge von Meinauto. Die größte Hoffnung blieben die Kunden, die noch in der Mehrheit den persönlichen Kauf­abschluss wünschten.
3. Teil: „Im Gespräch mit Konrad Weßner, Geschäftsführer Puls Marktforschung“

Im Gespräch mit Konrad Weßner, Geschäftsführer Puls Marktforschung

Der stationäre Automobilhandel gewinnt wieder an Bedeutung, so das Ergebnis der letzten Trendstudie von Puls Marktforschung. Geschäftsführer Konrad Weßner erklärt die Gründe.
com! professional: Herstellerangebote bei Amazon, Millionen-Invests bei den Auto-Plattformen: Wie passt das zu der optimistischen Perspektive, die Ihre Studie den Autohäusern gibt?
Konrad Weßner: Dieser scheinbare Gegensatz lässt sich mit dem Konzept der „Moments of Truth“ erklären, das wir in unserer Studie verwenden: Einerseits hat sich die Tendenz der Autokäufer, den Kauf im Internet vorzubereiten, weiter verstärkt. Aber wenn es darum geht, den Wunschwagen physisch zu testen
  • Konrad Weßner: Geschäftsführer Puls Marktforschung
und konkrete Fragen mit einem Experten abzuklären, liegt der Kontakt mit dem Händler klar vorn. Bei den „First Moments of Truth“, beim Aufbau einer ersten Präferenz für ein Modell oder einen Händler, stehen Neuwagenportale bereits an dritter Stelle. Bei den „Zero Moments of Truth“, bei denen die endgültige Entscheidung fällt, bleibt der Handel in einer dominanten Stellung.
com! professional: Dennoch überrascht es, dass die Tendenz wieder verstärkt zum Handel geht. Wie erklären Sie das?
Weßner: Dahinter steht der Trend zum Auto 4.0. Die gesamte Ausstattung wird komplexer und Fragen wie das teilautonome Fahren, Connected Car oder Apps werden plötzlich konkret. Das sind Themen, die die Käufer noch nicht kennen. Würde es nur darum gehen, den gleichen Wagen wie vor einigen Jahren noch einmal zu kaufen, würden vermutlich viele Kunden ins Internet wechseln. Doch die Fahrzeuge sind so vollgepumpt mit Technologie, dass immer mehr Fragen auftauchen, für die der Kunde den Kontakt mit einem Verkäufer braucht.
com! professional: Aber setzt nicht der Innovationsführer Tesla darauf, dass Kunden ihr Wunschfahrzeug online konfigurieren?
Weßner: Das mag für die Selbstdarstellung des Unternehmens zutreffen. In der Realität hat Tesla dagegen ein ganz normales Filialnetz – nur wird das eben zentral betrieben. Wenn der Vertrieb rein online funktionieren würde, dann würde Tesla das sofort tun.
com! professional: Was sagen Sie zu Autohaus24, das sich gerade vom Konzept der Vermittlungsplattform trennt?
Weßner: Autohaus24 steht damit für eine komplett andere Strategie als etwa Meinauto.de, das sich aktiv und glaubwürdig darum bemüht, die Händler einzubeziehen. Sixt Leasing versucht mit Auto­haus24, aus der Vermietung eine Probe­fahrt mit angeschlossener Kaufmöglichkeit zu machen.
com! professional: Der Autohandel ist dennoch durch die Expe­rimente der Hersteller mit dem Online-Direktvertrieb aufgeschreckt. Schätzen die Hersteller die Bedürfnisse der Kunden nach physischen Touchpoints falsch ein?
Weßner: Die Hersteller denken und handeln zu wenig verkaufs- und vertriebsorientiert. Die denken, ein guter Konfigurator auf der Webseite macht den Händler nicht mehr so wichtig. Doch das ist ein Fehlschluss. Ein guter Händler, gerade wenn er sich digital transformiert, wird noch lange eine wichtige Rolle spielen. Ich glaube, dass diejenigen Hersteller online die Nase vorn haben werden, die es schaffen, ihre Händlerorganisation möglichst gut digital zu transformieren.
com! professional: Wie müssen sich Autohäuser positionieren, um die Herausforderungen der Digitalisierung zu meistern?
Weßner: Händler müssen ihren Kunden immer mehr einen Erlebnismehrwert bieten. Dazu zählen ein digital aufgeladener Point of Sale mit Flatscreens und attraktiven Inhalten, Erlebnisprobefahrten und eine gute Aufbereitung all der Themen, die für Kunden künftig kaufentscheidend werden. Solche Händler braucht der Kunde. Dann werden auch Preisargumente nicht mehr allein den Ausschlag geben.
Viele vergessen oft, dass die Kaufentscheidung für ein Auto eine hochemotionale Angelegenheit ist.

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