Business-IT
29.07.2020
Plattform-Ökonomie
1. Teil: „Der Netzwerkeffekt bringt den Erfolg“

Der Netzwerkeffekt bringt den Erfolg

NetzwerkNetzwerkNetzwerk
PopTika / shutterstock.com
Digitale Plattformen als das Geschäftsmodell der digitalen Ökonomie gewinnen auch im B2B an Bedeutung.
Amazon, Apple, Alibaba, Facebook oder Google - die Technologie-Riesen dominieren mit ihren digitalen Plattformen ihre Branche. Streaming-Plattformen wie Netflix, Fahrdienstleister wie Uber oder Unterkunftsvermittler wie Airbnb fordern das traditionelle Geschäftsmodell von TV-Anstalten, Taxiunternehmen und Hotels heraus - mit großem Erfolg.
Die Bedeutung der Plattform-Ökonomie spiegelt sich auch an der Börse wider. Sieben der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt arbeiten inzwischen mit dem Plattform-Modell. Auch der von Holger Schmidt erfundene Plattform-Index.com erreichte Anfang Mai ein neues Allzeithoch von 2.682 Punkten. Damit erweisen sich diese Aktien auch in der Corona-Krise als Zugpferde. Der Index umfasst die 15 besten Plattformen weltweit und hat seit seiner Einführung im Jahr 2016 mehr als 160 Prozent an Wert zugelegt.
Digitale Plattformen entstehen in allen Märkten und Branchen. Neben den genannten B2C-Plattformen für Endkunden entwickeln sich auch im B2B-Segement der Geschäftskunden bestehende Strukturen hin zu einer Plattform-Ökonomie. Beispiele dafür sind Mercateo, Conrad, die Industrie 4.0-Plattform AXOOM, IoT-Plattformen etwa von Bosch oder Siemens sowie die Angebote von ERP-Anbietern wie SAP oder Microsoft.  Was aber sind digitale Plattformen genau?

Mittler mit Netzwerkeffekt

Gleichgültig, ob Handel, Social Media oder Streaming  - Plattformen funktionieren auf den ersten Blick alle nach demselben Prinzip: Sie sind eine Art Marktplatz, auf denen Anbieter von Produkten, Dienstleistungen oder Informationen mit Interessenten zusammenkommen. Dennoch ist laut Marie Anne Nietan, Referentin für Medienpolitik beim Branchenverband Bitkom schwierig, „eine allgemeingültige Definition für Plattformen herauszuarbeiten, die nichts außen vor lässt." Der Begriff umfasse eine große Bandbreite an verschiedensten Geschäftsmodellen, die im öffentlichen Diskurs häufig nicht differenziert wahrgenommen werden“, erklärt Nietan.
Zu den konstitutiven Merkmalen digitaler Plattformen gehören ihrzufolge zwei oder mehr Akteure/Parteien, die Bereitstellung der digitalen Infrastruktur, ein Intermediär, die Fähigkeit zur Interaktion sowie Netzwerkeffekte. Digitale Plattformen fungieren dabei laut Nietan als Schnittstellen in allen Märkten und Branchen. Digitale Produkte, Dienstleistungen und (indust­rielle) Produktion wachsen zusammen und werden über Intermediäre (technisch durch Plattformen) zugänglich gemacht. „Diese Intermediäre, zum Beispiel Marktplätze, gab es in verschie­denen Formen auch in der Vergangenheit. Doch seit einigen Jahren entstehen neue, ortsungebundene Marktformen mit enormen Skalierungspotentialen und großen Mehrwerten für ihre Teilnehmer“, so Maie Anne Nietan weiter.
Skalen- und Netzwerkeffekte sind ein zentraler Vorteil von Plattformen. Je mehr Teilnehmer die Plattform nutzen, desto mehr weitere Teilnehmer zieht sie an, desto größer ist der Nutzen für jeden Einzelnen. Und je größer das Angebot und die Nachfrage, umso attraktiver wird die Plattform.
„Der Betreiber selbst erzielt Skaleneffekte, da er die Kernkomponenten der digitalen Plattform mehrfach verwendet. Je mehr Nutzer, desto mehr profitiert auch der Plattformbetreiber“, ergänzt Nietan. Bei B2B-Handels-Plattformen beispielsweise fallen Grundgebühren und Transaktionsgebühren von etwa 15 Prozent an, abhängig vom angebotenen Warenkorb.
Tipps zum Aufbau einer Plattform
Aus unseren Gesprächen mit Experten kristallisierten sich folgende Ratschläge an Firmen heraus, die den Aufbau einer Plattform überlegen oder planen:
  • Kern-Zweck: Jede Plattform braucht zunächst einen Kern-Zweck, zum Beispiel Mobility, Einkauf, Entertainment, Finanzen und Versicherung. Im Laufe der Zeit lässt sich das Geschäftsmodell um weitere Business-Segmente erweitern.
  • Klare Nutzergruppe: An wen richtet sich das Angebot? Für wen lohnt sich das? Gibt es genügend Transaktionen auf dem Markt? Je mehr Player und Interaktionspartner, desto besser.
  • Gute Vorbereitung: Es empfiehlt sich im Vorfeld ein Dialog und eine Vorakquise mit potenziellen Anbietern/Verkäufern und potenziellen Einkäufern/Kunden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass kleinere Unternehmen keine eigene Einkaufsabteilung haben.    
  • Schrittweise weiterentwickeln: Anbieter von Plattformen brauchen nicht gleich zu Beginn alle geplanten Funktionen vorzuhalten, sondern sollten schrittweise neue Funktionen ergänzen, testen und diejenigen Funktionen weiterentwickeln, die stark nachgefragt werden. Features, die nur selten genutzt werden, können wegfallen.   
  • Aktuelle Standards: Beim Aufbau der Plattform ist auf Interoperabilität sowie offene Schnittstellen (APIs) zu achten
  • Zusatzdienste: Die Betreiber sollten ihre (datengetriebenen) Services bündeln, um für Kunden der Plattform einen zusätzlichen Mehrwert zu schaffen.
  • Langer Atem: Die Betreiber von Plattformen müssen damit rechnen, dass ihr Geschäftsmodell erst nach drei bis vier Jahren Anlaufzeit Gewinne abwirft. Sie können eventuell nach weiteren Partnern suchen, um die nächste Stufe zu zünden.
2. Teil: „Mehrwert für alle Beteiligten“

Mehrwert für alle Beteiligten

  • Europa liegt zurück: Bei den 100 weltweit wertvollsten Plattformen dominieren amerikanische und asiatische Firmen
    Quelle:
    Dr. Holger Schmidt)
Zudem können die Betreiber neben der Marktplatzfunktion, die zwischen zwei Parteien (zum Beispiel Verkäufer und Einkäufer) vermittelt, weitere Services anbieten. Amazon hat seine Wertschöpfungskette längst it Dienstleistungen in den Bereichen Logistik, Finanzierung und Cloud erweitert.
Ein weiterer Vorteil sind die Interaktionsdaten, die bei der Nutzung der Plattformen anfallen. Die Betreiber können damit die Funktionen ihrer Plattform verbessern und ihre Services um neue, datenbasierte Produkte und Dienstleistungen ausbauen, beispielsweise zur Prognose von Verkaufszahlen.
Auch für die Anbieter und Einkäufer von B2B-Produkten und -Dienstleistungen lohnt sich die Präsenz auf Plattformen. „Handels-Plattformen bieten vielschichtige Vorteile für Verkäufer. Wegen der vielen Nutzer erhalten sie auch ohne großes Marketing-Budget schneller und einfacher Zugang zu (neuen) Kunden. Zudem sparen sie Kosten, wenn sie die technische Infrastruktur der Plattform nutzen können, etwa zur Registrierung der Kunden, Präsentation der Produkte, zum Payment und auch die Logistik zum Versand der Ware“, erläutert Dr. Georg Wittmann, Geschäftsführer bei ibi research an der Universität Regensburg. Das Institut forscht zur Digitalisierung des Handels.
Die Einkäufer erhalten auf den Plattformen zudem ein breiteres Angebot und bessere Auswahlmöglichkeiten. „Sie bekommen alles an einem Platz, die Prozesse für Anmeldung und Bezahlung funktionieren reibungslos und sind komfortabel. Ein breites Angebot ist nicht nur im B2C-Bereich ein wichtiger Punkt, sondern zunehmend auch in B2B“, so Georg Wittmann. Als Herausforderungen sieht er Themen wie Konkurrenzdruck, Preiskampf oder die Abhängigkeit vom Anbieter der Plattform. „Wenn dieser seine Gebührenstruktur erhöht, sollten Verkäufer durchaus abwägen, ob sich für sie der Aufbau eines eigenen Webshops mehr lohnt.“
B2C-Marktplätze aus aller Welt (Auswahl)
Die Welt der B2C-Plattformen ist groß und bunt. Hier eine subjektive Auswahl wichtiger Player:
  • Mobilität: Uber, FreeNow, Lyft, Flixbus, Hansecom
  • Reisen: Airbnb, HRS, Booking.com, Hotel.de, Tripadvisor
  • Kommunikation/Social Media: Facebook, Twitter, WhatsApp, Pinterest, Snapchat, Reddit
  • Handel: Amazon, Ebay, Alibaba, Zalando, Otto, Conrad, moebel.de, App-Stores von Apple, Google, Microsoft oder Samsung
  • Food: Hello Fresh, Deliveroo
  • Vergleichsportale: Check 24, HolidayCheck, Verivox
  • Finanzen: PayPal, Square, Solaris Bank, Smava, Transferwise
  • Informationen/Suchmaschinen: Google, Bing
  • Entertainment/Film/Musik: Netflix, Amazon Prime, YouTube, Spotify, Google Play, Joyn, Apple TV+
3. Teil: „Deutsche Unternehmen zögern“

Deutsche Unternehmen zögern

  • Riskante Zurückhaltung: Vier von zehn deutschen Unternehmen lassen Plattformen noch links liegen.
    Quelle:
    Bitkom Research (n = 502), Mehrfachnennungen möglich
Doch trotz aller Vorteile stehen viele Unternehmen in Deutschland digitalen Plattformen skeptisch gegenüber. Das zeigte eine Umfrage des Bitkom von Ende Oktober 2019 unter mehr als 500 Firmen in Deutschland mit 20 oder mehr Mitarbeitern. Zwar geben vier von zehn Unternehmen (45 Prozent) an, dass sie digitale Plattformen eher als Chance für das eigene Unternehmen sehen, zugleich halten sie aber drei von zehn (30 Prozent) für ein Risiko. Jede fünfte Firma (22 Prozent) misst digitalen Plattformen keine Bedeutung für das eigene Geschäft zu.
Insgesamt zeigen sich die Unternehmen mit Blick auf Plattformen gespalten. Rund zwei Drittel (63 Prozent) nehmen an, dass die Nutzung digitaler Plattformen insgesamt mehr Vorteile als Nachteile für sie bringt, aber jedes vierte (27 Prozent) sagt: Digitale Plattformen gefährden unsere Existenz. Als wichtigste Vorteile digitaler Plattformen gelten in der deutschen Wirtschaft die Schaffung eines breiteren Angebots (74 Prozent), die Erschließung neuer Kundengruppen (72 Prozent) und die Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens (68 Prozent). Dahinter folgen die Steigerung der Bekanntheit (63 Prozent) und die Förderung von Innovationen (62 Prozent).
Sorgen machen den Unternehmen demgegenüber der einfache Marktzutritt für neue Wettbewerber (65 Prozent), ein erhöhter Preisdruck sowie der Verlust der direkten Kundenbeziehung (je 55 Prozent).
Dahinter folgen schrumpfende Margen durch Gebühren (48 Prozent). 42 Prozent befürchten, dass sie in Abhängigkeit vom Plattformbetreiber geraten. Jedes Vierte (23 Prozent) beklagt darüber hinaus einen unklaren Rechtsrahmen, etwa bei Kooperationen für den Aufbau von Plattformen.
Zu letzterem hat Marie Anne Nietan vom Bitkom eine klare Meinung: „Angesichts der sich rapide verändernden Marktstrukturen, schnellen technologischen Entwicklungen und Produkterneuerungen sind Teile der bisher angemessenen Regulierung nicht mehr zeitgemäß. Sie sind von statischen Betrachtungen, Miniaturvergleichen von Einzeldiensten und Produktsegmenten geprägt. Oft scheinen sich regula­torische Vorgaben gegenseitig zu blockieren oder gar zu widersprechen.“ Aus ihrer Sicht reflektiert die Gesetzgebung noch nicht ausreichend die Besonderheiten der Plattformökonomie und bremst Innovation in Geschäftsmodellen.
Einigkeit herrscht bei den befragten Unternehmen aber, dass die Bedeutung von digitalen Plattformen künftig weiter zunehmen wird. So sind jeweils 90 Prozent der Firmen überzeugt, dass in zehn Jahren digitale Plattformen für die weltweite wie auch für die deutsche Wirtschaft sehr wichtig oder eher wichtig sein werden. 83 Prozent stimmen der Aussage für die eigene Branche zu und immerhin 75 Prozent für das eigene Unternehmen.
B2B-Marktplätze in Deutschland (Auswahl)
Digitale Plattformen werden auch im B2B-Bereich immer wichtiger. Hier eine subjektive Auswahl wichtiger B2B-Plattformen/-Marktplätze aus Deutschland:
  • Mercateo: Mit mehr als 24 Millionen Artikeln in Deutschland gilt Mercateo (www.mercateo.com) als eine der größten Beschaffungsplattformen für Geschäftskunden in Europa. Hinzu kommt das B2B-Netzwerk Unite (www.unite.eu) zur Digitalisierung von direkten Kundenbeziehungen.
  • Conrad: Der Elektronikhändler Conrad bietet auf seinem digitalen Marktplatz (www.conrad.de) nicht nur sein eigenes Sortiment an, sondern B2B-Kunden können auf der Conrad Sourcing-Plattform auch die rund fünf Millionen zusätzlichen Artikel von ausgewählten und geprüften Anbietern erwerben. Hinzu kommen passgenaue Produkt-, Liefer- und Bestellservices.
  • Metro Markets: Die Metro AG betreibt mit Metro Markets (www.metro.de/marktplatz/) einen B2B-Marktplatz mit dem klassischen Food-Sortiment sowie Produkten für Hotels, Restaurants und Catering. Dazu gehören Großküchenausstattungen, Gastronomiezubehör, Reinigungsutensilien und ­Arbeitskleidung.
  • Visable: Das Unternehmen bündelt die Marktplätze „Wer liefert was“ und „Europages“ unter der neuen Dachmarke Visable (www.visable.de). Ziel ist es, kleine und mittelständische Unternehmen in Europa in die Lage zu versetzen, digitale Vertriebswege für sich zu nutzen und international sichtbar zu sein. Neben den B2B-Marktplätzen bietet Visable eine Reihe von Dienstleistungen im Online-Marketing an.
  • IoT-Plattformen: Plattformen spielen eine zentrale Rolle beim Internet of Things (IoT). Sie stellen die Verbindung zwischen den vernetzten Geräten/Sensoren und den Systemen her, die IoT-Daten speichern, verarbeiten und auswerten. Hinzu kommen Funktionen für das Management von IoT-Anwendungen, Daten und für das Reporting. Deutsche Anbieter von IoT-Plattformen sind zum Beispiel SAP, Bosch, Siemens, die Software AG, T-Systems oder Axoom (Speziell Industrie 4.0).
4. Teil: „B2B-Plattformen im Kommen“

B2B-Plattformen im Kommen

  • B2B-Marktplätze: Die Unternehmen erwarten, dass datengetriebene Prozesse und der Einfluss des B2C-Einkaufverhaltens künftig den Erfolg bestimmen.
    Quelle:
    ibis research (n = 56)
Nicht zuletzt für B2B-Plattformen wird künftig eine bedeutendere Rolle prognostiziert. In einer Studie von ibi research sagten 81 Prozent der Befragten den B2B-Marktplätzen ein sehr hohes und hohes Potenzial in den nächsten fünf Jahren voraus. „Der B2B-Markt war bisher noch nicht so reif wie der B2C-Markt. Wenn Firmen online einkaufen, dann am häufigsten in Onlineshops ihrer bisherigen Lieferanten. Plattformen waren daher noch nicht so wichtig wie in B2C. Das ändert sich aber gerade“, betont ibi-research-Geschäftsführer Georg Wittmann. Als Beispiel für interessante deutsche B2B-Plattformen nennt er Mercateo, Conrad.biz, Visable (Wer liefert was), Metro Markets oder Wucato, das von der Würth Gruppe betrieben wird.
Laut Wittmann sind B2B-Plattformen viel komplexer als B2C-Plattformen: „Es gibt keine spontanen Impulskäufe, dafür aber individuelle Preislisten, ein beschränktes Produktangebot mit hohen Qualitätsvorgaben und Zertifizierungen sowie viele Rabattstufen. Häufig sind Rollenmodelle hinterlegt mit den berechtigten Einkäufern in Firmen.“ Auch individuelle Rechnungen oder Vertriebskanäle wie Click and Collect, bei denen der Kunde die online bestellte Ware selbst beim Anbieter abholt, seien eine große Herausforderung.
Beispiel Mercateo: Diese Herausforderungen kennt auch die 2000 gegründete Mercateo Gruppe, ein Vorreiter unter den B2B-Plattformen und mittlerweile eigenen Angaben zufolge Europas führende Beschaffungsplattform für Geschäftskunden. Das Angebot reicht von Bürobedarf, Hardware, Software über Werkzeugtechnik und Elektronik bis Medizinbedarf, Gebäudetechnik, Verpackung sowie Hotel und Gastronomie.
Die Zahlen sind in der Tat beeindruckend: Mehr als 700 Lieferanten bieten Waren von über 16.400 Herstellern bei Mercateo an. So kommt ein Angebot von mehr als 24 Millionen Artikeln in Deutschland zustande. Über 1,5 Millionen Geschäftskunden haben sich bei Mercateo registriert, rund 3300 Neukunden kommen jeden Monat hinzu. An einem Tag gibt es durchschnittlich über 8.000 Bestellungen. 2019 verzeichnete Mercateo einen Umsatz von 316 Millionen Euro.
Das Unternehmen hat sich auf die Beschaffung von C-Teilen spezialisiert. Das sind Artikel, die nur selten oder einmalig bestellt werden, wie zum Beispiel eine Parkplatzabsperrung für den Vorstand.
Primäre Zielgruppe ist der Mittelstand, der damit sein Einkaufsmanagement professionalisieren kann. Es ist beispielsweise möglich, beim digitalen Freigabeprozess die firmenspezifische Einkaufshierarchie abzubilden, auf die gesamte Bestellhistorie zuzugreifen und diese für Auswertungen zu nutzen. Bedarfsanforderungen lassen sich per Klick freigeben, an Budgets koppeln sowie Kostenstellen und -arten zuordnen.
Mercateo ist zunächst als einfacher Marktplatz gestartet, bei dem Angebot und Nachfrage zusammenkommen, und hat seine Beschaffungsplattform mittlerweile durch das 2017 gestartete B2B-Netzwerk Unite ergänzt. Aber der Reihe nach. Als Marktplatzbetreiber prüft das Unternehmen die Anbieter, um den Kunden eine hohe Qualität zu gewährleisten. Seine eigenen Prozesse hat Mercateo standardisiert und optimiert, auch mit Hilfe von Algorithmen.
„Zu unseren Kunden gehören oft kleine Lieferanten, für die wir Prozesse wie die Bezahlung im B2B-Bereich oder Genehmigungs-Workflows übernehmen, die sie selbst nur mit hohem Aufwand digital umsetzen könnten. Auch Beschwerden laufen über uns. Wir leiten sie automatisiert an den Lieferanten weiter“, berichtet Mercateo-Vorstand Bernd Schönwälder.
Um seinen Kunden zusätzliche Services zu bieten, betreibt Mercateo das B2B-Netzwerk Unite. „Der Marktplatz ist relativ anonym. Im B2B-Bereich genießt aber die persönliche Beziehung noch einen hohen Stellenwert, das heißt ein großer Teil der Kundenbetreuung läuft in der analogen Welt ab. Unite ist darauf ausgelegt, diese direkte Kundenbeziehung zu digitalisieren und Lieferanten sowie Einkäufer ohne großen IT-Aufwand miteinander zu verbinden“, erläutert Bernd Schönwälder das Konzept hinter Unite. Häufig bringen B2B-Anbieter ihmzufolge ihre Kunden aktiv zu Unite mit, oder die Kunden laden ihre Lieferanten zu Unite ein.
Die Plattform bietet die Infrastruktur für die digitale Handelsbeziehung und positioniert sich als neutraler Partner zwischen beiden Seiten. Sowohl Einkäufer als auch Lieferanten profitieren von standardisierten Prozessen. Dazu Bernd Schönwälder: „Die Administration der Bestellungen, das Vertragsmanagement und die Bestellungen laufen über Unite. Anbieter stellen ihre Sortimente auf Unite bereit und laden ihre Kunden aktiv auf unsere Plattform ein. So bleibt der persönliche Kontakt erhalten.“
Die Anbieter können Einkäufern über die Plattform auch Zusatzservices mit neuer Wertschöpfung anbieten, etwa die Belieferung in der Region am gleichen Tag, den Einbau des bestellten Produkts oder die Wartung. „Die Wertschöpfung in der Wirtschaft ergibt sich nicht nur aus Standardisierung, sondern vor allem aus Kooperation. B2B-Plattformen müssen in ihrem Kern die Kooperation stärken und Menschen miteinander in Kontakt bringen“, resümiert Schönwälder.
Beispiel MachineHero: Seit dem 11. Mai 2020 frisch auf dem Markt ist die Plattform MachineHero der Deutschen Leasing, ein Marktplatz für gebrauchte, rollende Baumaschinen wie Bagger oder Raupen. Eine Erweiterung auf Agrarmaschinen wie Mähdrescher ist angedacht. Bisher vermarktete das Unternehmen die Maschinen als Rückläufer aus Leasingverträgen ausschließlich in seinen eigenen, exklusiven Kanälen. Mit MachineHero öffnet sich das Unternehmen jetzt dem Gesamtmarkt und weiteren Partnern.
Sven Siering, Leiter der Digital Innovation Unit (DIU) der Deutschen Leasing, hat die Plattform mit seinem Team entwickelt. „MachineHero ist als Vermittler zwischen Verkäufer und Käufer eine typische digitale Plattform, aber mit einigen Besonderheiten und Zusatzservices. Wir bieten in diesem stark von Barzahlung geprägten Geschäft eine elektronische Zahlungsmöglichkeit sowie Finanzierungslösungen an. Jede Maschine wird auf Wunsch von einem TÜV-Gutachter bewertet. Mit einer Bonitätsprüfung der Interessenten geben wir den Verkäufern Sicherheit. Außerdem stellen wir auch die Logistik vom Verkäufer zum Käufer bereit.“
Bislang stehen auf der Plattform etwas mehr als 800 Maschinen zur Verfügung, Tendenz steigend. Für Sven Siering ist es jetzt wichtig, schnell eine kritische Masse und viele Transaktionen zu erreichen, um den Netzwerkeffekt zu erzielen und die Plattform für Verkäufer und Interessenten attraktiver zu machen. „Die Deutsche Leasing hat bereits viele Kunden, die solche Maschinen besitzen. Und wir haben die Rückläufer aus den Leasingverträgen, mit denen wir die Plattform selbst füllen können. Und natürlich sind wir offen für alle Anbieter und Interessenten, um Wachstum zu erreichen.“
Was die Deutsche Leasing künftig alles auf MachineHero bieten wird, hängt von Erfahrungen und dem Feedback der Kunden ab. „Unser Ziel ist es, einen Mehrwert für die Kunden zu erreichen. Wir lernen mit den Erfahrungen unserer Zielgruppe dazu. Das Schöne an einer eigenen Plattform ist, dass man mit einem Kernangebot starten und später weitere Leistungen ergänzen kann“, betont Siering.
5. Teil: „Trend zu lokalen Netzwerken?“

Trend zu lokalen Netzwerken?

  • Bremsfaktoren: Anforderungen an Datenschutz und IT-Sicherheit sehen deutsche Unternehmen als größte Hemmnisse für den Plattform-Einsatz in ihren Organisationen an.
    Quelle:
    Bitkom Research (n = 502), Mehrfachnennungen möglich
Im Kontext der Corona-Krise sprießen viele lokale Plattformen aus dem Boden, um lokale und regionale Händler zu stärken und mit ihren Kunden zu vernetzen. Ein Beispiel ist „München bringt’s“ mit einer Übersicht über Lokale und Restaurants, die einen Abhol- oder Liefer-Service anbieten. Sven Siering sieht durchaus Chancen dafür, dass die Wertschöpfungsketten im Zuge der Corona-Krise nicht mehr so weit dezentral verteilt sein werden wie zuvor. „Möglicherweise wird die Globalisierung etwas zurückgenommen, wenn die Konsumenten mehr auf Regionalität achten. Dann werden eventuell auch kleinere, regionale Netzwerke relevant und erfolgreich, weil sie stärker genutzt werden.“
Häufig unterstützen Städte oder regionale Wirtschaftsförderer die Netzwerke für lokale oder regionale Händler. Doch auch hier ist für den erfolgreichen Aufbau ein langer Atem notwendig. „Wir haben es mit dem Henne-Ei-Problem zu tun. Händler kommen nur, wenn die Kunden da sind, Kunden kommen nur, wenn das Angebot passt. Ein Betreiber muss am Anfang häufig zumindest einen Bereich subventionieren, damit die Plattform anläuft und dann skalieren kann“, betont Georg Wittmann von ibi research.
Im Laufe der Zeit sind mehrere Plattformen gescheitert, beispielsweise Dawanda, ein deutsches Online-Portal, auf dem selbstgefertigte Produkte zum Kauf angeboten wurden, oder der B2B-Marktplatz Procato, der Werkzeuge und Materialien für Handwerker anbot. Potenzielle Betreiber neuer Plattformen sollten sich daher immer die Frage stellen: Ist in meinem Markt genug Platz für eine weitere Plattform da? Georg Wittmann sieht beispielsweise den Elektronik-Bereich als gesättigt an, aber durchaus Potenzial für Plattformen zu Agrarprodukten oder für die Getränkeindustrie. „Unabhängig davon gibt es einen Zyklus in allen Branchen. Irgendwann wird man abgelöst durch einen besseren, schnelleren Akteur, falls man sich nicht selber weiterentwickelt.“

Fazit & Ausblick

Plattformen werden wegen der großen Skalen- und Netzwerkeffekte künftig die digitale Ökonomie bestimmen, auch im B2B-Bereich. Sie bieten für alle Beteiligten einfach zu große Vorteile: Die Plattformbetreiber können auf Basis der Interaktionsdaten weitere Services schaffen, B2B-Anbieter erhalten ohne viel Marketing-Aufwand schneller und einfacher Zugang zu (neuen) Kunden und sparen Kosten, wenn sie die technische Infrastruktur der Plattform nutzen können. Einkäufer wiederum profitieren von dem breiteren Angebot und bessere Auswahlmöglichkeiten. Doch damit Plattformen auch hierzulande zum Erfolgsmodell werden, muss die Gesetzgebung die Besonderheiten dieses Geschäftsmodelle besser berücksichtigen, damit Innovationen nicht ausgebremst werden.
6. Teil: „Im Gespräch mit Dr. Holger Schmidt, Experte für Plattform Ökonomie“

Im Gespräch mit Dr. Holger Schmidt, Experte für Plattform Ökonomie

  • Dr. Holger Schmidt: Digital Economist und Experte für Plattform Ökonomie
    Quelle:
    Holger Schmidt
Dr. Holger Schmidt ist Digital Economist und Experte für die Plattform-Ökonomie. Im Interview mit com! professional erklärt er, warum Plattformen für die digitale Ökonomie so wichtig sind.
com! professional: Plattformen gelten als zentrales Geschäftsmodell der digitalen Ökonomie. Was hat man sich konkret darunter vorzustellen?
Holger Schmidt: Digitale Plattformen basieren in der Regel auf zweiseitigen Märkten und Interaktionen zwischen externen Anbietern, Nachfragern und Ökosystempartnern. Im Gegensatz zu Unternehmen mit klassischen linearen Wertschöpfungsketten stellen digitale Plattformen in der Regel keine Produkte oder Dienstleistungen her, sondern bieten eine digitale Infrastruktur für den Austausch zwischen Produzenten und Konsumenten. Google verbindet Informationssuchende mit Informationsanbietern, Amazon bringt Anbieter von Produkten mit Verbrauchern zusammen, während Uber Fahrer mit Passagieren verbindet.
com! professional: Wo ist der Unterschied zu einem Marktplatz?
Holger Schmidt: In der viel stärkeren Vernetzung zwischen den Partnern. Plattformen ziehen ihre Stärke aus den Interaktionsdaten. Plattformmodelle verändern die Märkte, indem sie Allianzen in dynamischen Ökosystemen etablieren. Oft schaffen gerade diese Allianzen die entscheidenden Wettbewerbsvorteile der Plattformen gegenüber klassischen Anbietern, da sie neue Werteströme und Netzwerkeffekte zwischen den Anbietern erzeugen. Obwohl klassische Produzenten weiter gebraucht werden, verlagert sich ein nicht zu unterschätzender Teil der Wertschöpfung von der Produktion auf die Interaktion.
com! professional: Spielen hier die Interaktionsdaten die entscheidende Rolle?
Holger Schmidt: Ja. Plattformen verfügen durch die vielen Interaktionen über eine hervorragende Datenbasis. Im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen ist das ein großer Vorteil, da der Betreiber der Plattform dadurch zusätzliche Services mit Mehrwert liefern kann. Die chinesisches B2B-Plattform Alibaba etwa stellt ihren Händlern Prognosetools zur Verfügung, mit der sich auf Basis der Transaktionsdaten Vorhersagen zur künftigen Nachfrage für Produkte treffen lassen. Das geht sogar so weit, dass Firmen aus der Modebranche bestimmte Kleidungsstücke bereits im Voraus produzieren, weil eine Datenanalyse eine hohe Wahrscheinlichkeit für gute Verkaufszahlen ergab.
com! professional: Welche Vorteile bieten Plattformen für Unternehmen neben dem Mehrwert aus der Analyse von Interaktionsdaten?
Holger Schmidt: Sie bieten viele ökonomische Vorteile. Firmen können aufgrund der Einbindung von Partnern und deren Ressourcen stärker wachsen. Wenn AirBnb neue Betten braucht, geht das schneller und mit wenig Kapitaleinsatz, da das Unternehmen dafür keine neuen Hotels zu bauen braucht. Firmen können über eine Plattform zudem mit geringer Kapitalbindung schneller in neue Märkte expandieren oder diese wieder verlassen. Das spiegelt sich auch an der Börse wider. Sieben der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt arbeiten inzwischen mit dem Plattform-Modell.
Amazon, Facebook & Co. werden wegen ihres datenbasierten Geschäftsmodells an der Börse viel höher bewertet. Plattform-Aktien sind auch während der Corona-Krise die Zugpferde. Dabei gibt es allerdings auch Auswüchse, da materielle Güter und Fabriken entwertet werden. So war der Kochbox-Anbieter HelloFresh an der Börse zeitweise mehr wert als die Lufthansa. Weil die Plattformen viele Wettbewerbsvorteile gegenüber klassischen linearen Unternehmen besitzen, setzen sie sich auch in B2B-Märkten immer stärker durch. Inzwischen wurde schon ein Zehntel des Welt-Bruttoinlandsproduktes in die Plattform-Welt verlagert.
com! professional: Wo liegen die Grenzen von Plattformen? Welche Herausforderungen gibt es?
Holger Schmidt: Viele Plattformen scheitern, weil sie zu Beginn keine Traktion bekommen, sprich zu wenige Anbieter und Nachfrager für die Interaktionen zusammenbringen und später den Ausbau ihres Ökosystems nicht schaffen.
Plattformen benötigen oft eine lange Anlaufphase von drei bis vier Jahren, die viele Betreiber nicht durchstehen. Bei Amazon waren es sogar zehn Jahre. Amazon hat in den ersten Jahren nur investiert, um seinen Marktanteil nach oben zu treiben und die Nachfrage zu stimulieren. Auch Uber subventioniert die Preise. Man braucht dafür einen langen Atem und viel Kapital.
com! professional: Wie sieht es hier in Deutschland aus?
Holger Schmidt: In Deutschland bekommen junge Plattformen diese Zeit oft nicht. Das wird sich in der Krise verschärfen. Auch im B2B-Markt ist eine Anlaufphase notwendig. Zudem wachsen Firmen nicht schnell genug oder beschränken sich nur auf einen Markt oder ein zu kleines Ökosystem. Den Erfolg bringt oft erst die Ausdehnung über den ursprünglichen Kernmarkt hinaus in neue Märkte.
Amazon zum Beispiel war ursprünglich ein Online-Buchhändler, bietet jetzt aber eine Vielzahl von Produkten bis hin zu Versicherungen an, ist ein großer Cloud-Provider und betreibt große Teile der Logistik selbst. Auch Uber wächst über das klassische Taxigeschäft hinaus, liefert Essen aus oder bringt als Gesundheitsfahrdienst Patienten in Arztpraxen oder Krankenhäuser.
com! professional: Plattformen haben durch diese Ausdehnung auf neue Märkte aber eine Tendenz zum Monopol.
Holger Schmidt: Tatsächlich sehen wir bei Plattform-Märkten häufig einen Player in einer dominanten Position. Google hat bei den Suchmaschinen einen Anteil von rund 90 Prozent, Amazon beherrscht im E-Commerce rund 50 Prozent, Alibaba in China 60 Prozent. Allerdings gibt es starke Konkurrenz etwa mit WalMart in Amerika oder Pinduoduo in China. Die Konzentration ist nicht kritisch, solange die Konsumenten nicht darunter leiden, sprich Waren günstig und schnell verfügbar sind. Die Kartellwächter schreiten erst ein, wenn Plattformen ihre Marktposition missbrauchen.
com! professional: Welche Trends sehen Sie? Sie sprechen ja von Plattformen der dritten und vierten Generation.
Holger Schmidt: Die erste Generation bestand aus klassischen Marktplätzen als Treffpunkt von Anbietern und Nachfragern, die nicht groß verknüpft oder vernetzt waren. Die zweite Generation ist die Sharing Economy zum Tausch von Dingen. Dazu gehörte ursprünglich auch Airbnb mit dem Tausch von Wohnungen. Mittlerweile hat sich das Unternehmen zu einem professionellen Vermieter entwickelt. Plattformen der dritten Generation sind Kern eines umfassenden Ökosystems mit datenbasierten Zusatzservices wie Amazon oder Alibaba. Diese beiden befinden sich gerade an der Schwelle zur vierten Generation, da sie sehr stark KI und maschinelles Lernen einsetzen, um aus den Interaktionsdaten Prognosen abzuleiten.
com! professional: Welche Rolle spielen bisher B2B-Plattformen?
Holger Schmidt: Das Plattform-Geschäftsmodell hat seinen Ursprung im B2C-Bereich, kommt aber immer häufiger auch in B2B-Märkten zum Einsatz. Ich sehe B2B als nächste große Welle. Hierzulande wären beispielsweise Mercateo oder Visable (Wer liefert was?) zu nennen. Es gibt mittlerweile in vielen Branchen Plattformen, etwa Chemie oder Automobilindustrie. Deutschland hat durch seine traditionell starke Industrie eine große Chance, den Rückstand aus der Zeit der B2C-Plattformen aufzuholen. Hier müssen wir aber noch ein paar Jahre abwarten, um klarer zu sehen, denn die Plattformen aus Asien sind schon weiter als wir.
com! professional: Wie können Unternehmen an der Plattform-Ökonomie partizipieren?
Holger Schmidt: Firmen können selbst eine Plattform bauen oder sich dort als Anbieter und Nachfrager engagieren. Plattformen zu ignorieren, wäre fatal. Es ergibt sich schnell ein  Wettbewerbsnachteil, wenn man dort nicht präsent ist. In Asien braucht man beispielsweise eine Strategie für die Alibaba-Plattform, wenn man Industrieprodukte verkaufen will. Unternehmen, die selbst eine Plattform betreiben wollen, brauchen eine kritische Masse an Interaktionspartnern und einen langen Atem, bis sich eine Plattform finanziell lohnt. Unabhängig davon, ob Firmen selbst eine Plattform betreiben, ihre Produkte dort anbieten oder auf Plattformen einkaufen, gilt: Plattformen sind und bleiben das dominante Geschäftsmodell der digitalen Welt. Nach Corona werden sie noch wichtiger.

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