New Work
21.01.2020
Workplace im Wandel
1. Teil: „Nachholbedarf beim Arbeitsplatz 4.0“

Nachholbedarf beim Arbeitsplatz 4.0

Moderne ArbeitsweltenModerne ArbeitsweltenModerne Arbeitswelten
Jacob Lund / shutterstock.com
Die Arbeitswelt entwickelt sich rasant. Viele Beschäftigte haben noch immer einen fest zugeteilten Arbeitsplatz. Experten sagen jedoch: Firmen, die ihre Arbeitsplätze nicht aktiv gestalten, verpassen eine riesige Chance.
Fluide Teams, flache Hierarchien, flexible Personal­planung. Der fortschreitende digitale Wandel hat die Geschäftswelt umgekrempelt. So stark, dass sich neue Begriffe etabliert haben, um die Auswirkungen der Digitalisierung auf unseren Arbeitsalltag zu umschreiben: "New Work" und "Arbeitswelt 4.0". Das haben beispielsweise die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und das Expertennetzwerk Future Work Group erkannt.
Gemeinsam veröffentlichten sie Ende Oktober 2019 eine der schweizweit größten Studien zum Thema Arbeitsplatz der Zukunft. "Offene Räume lösen Einzelbüros ab und dienen der gegenseitigen Sichtbarkeit der Mitarbeitenden und Transparenz", heißt es unter anderem in der Studie. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls von einem "strategischen Workplace-Design" die Rede.

Nachholbedarf bei KMUs

Der Untersuchung zufolge haben gerade KMUs noch erheblichen Nachholbedarf und würden den positiven Einfluss einer aktiven Arbeitsplatzgestaltung auf ihre Wettbewerbsfähigkeit stark unterschätzen. Das konstatiert auch Lukas Windlinger Inversini, der an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) die Kompetenzgruppe Betriebsökonomie und Human Resources leitet. Die Digitalisierung habe den Umfang und die Geschwindigkeit der Herausforderungen im Geschäftsfeld vieler Unternehmen verändert. "Die Arbeitsorganisationen müssen Räume für Zusammenarbeit und Projekte zur Verfügung stellen", sagt Windlinger Inversini. Dabei gebe es auch neue Chancen für die Angestellten in Unternehmen, etwa bei der Einteilung und Wahl des Arbeitsorts und der Arbeitszeit.
Auf die Frage, ob Firmen genug über die Gestaltung ihrer Arbeitsplätze nachdenken, antwortet Windlinger Inversini: "Nein, in der Regel tun sie das nicht." Viele Unternehmen würden nicht verstehen, dass die Arbeitsumgebung ein wichtiges Instrument zur Erreichung organisatorischer Ziele sei. "Die Gestaltung von Arbeitswelten beeinflusst die Zufriedenheit, die Arbeitsleistung und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden." Wer sich um attraktive Arbeitsplätze bemühe, könne zudem die gewünschte Arbeitsweise nach außen kommunizieren, was den Kampf um Talente erleichtere und die Arbeitgeberattraktivität erhöhe. Firmen könnten so bewusst Werte vermitteln und die Zusammenarbeit von Teams verbessern. Windlinger Inversini empfiehlt Unternehmen, ihre Arbeitsumgebungen aktiv zu gestalten und in ihre Geschäftsstrategie einzubetten.
2. Teil: „Neues Büro = neue Kultur? “

Neues Büro = neue Kultur?

"Die gesellschaftlichen, technologischen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verändern sich rasch", sagt Andreas Wieser von Gesundheitsförderung Schweiz. Er berät Organisationen auf dem Weg in neue Arbeitswelten und ist Mitautor des Leitfadens "Gesundheitsförderliche Büroräume und Workplace Change Management". Es schade Unternehmen sicher nicht, wenn sie in der Organisation bezüglich Strategie, Struktur und Kultur möglichst flexibel seien, erklärt Wieser. Er betrachtet das Büro als Teil der strukturellen Rahmenbedingungen. Es diene in erster Linie den Arbeitsabläufen und sei ein Ins­trument, um unternehmerische Ziele zu erreichen. Eine aktive Gestaltung der Bürowelt könne für Unternehmen eine große Chance sein. Vor allem dann, wenn sie unter dem Aspekt der psychischen Gesundheit und des Arbeitsengagements betrachtet werde. Wieser betont allerdings, dass eine Veränderung der Firmenkultur nicht bloß mit einer Um­gestaltung der Büroräumlichkeiten zu erreichen sei.
Zum gleichen Schluss kommt auch die Future Work Group in ihrer Arbeitsplatzstudie. Wesentlich für das Gelingen sei, dass man die Mitarbeitenden auch mit neuen Arbeitsmethoden und der genutzten Technik vertraut mache, betonen die Experten. "In der Gestaltung der Arbeits­umgebung manifestiert sich das Selbstverständnis einer Firma", bringt es Windlinger Inversini auf den Punkt. Wenn sich die Arbeitswelt, die Unternehmenskultur oder die -strategie ändere, könne es für Firmen sinnvoll sein, auch die Arbeitsumgebung neu zu gestalten. "Denn die Mitarbei­tenden verbringen nach wie vor viel Zeit im Büro."

Es braucht klare Spielregeln

Bei der Neugestaltung von Büroräumen sind laut Arbeitsgesundheitsexperte Wieser folgende drei Dimensionen zentral: eine gesundheitsförderliche Bürogestaltung, der mitarbeiterorientierte Wandel sowie die Entwicklung der Kompetenzen von Mitarbeitenden und Führungskräften. Wieser weist darauf hin, dass es in den neuen Arbeitswelten noch wichtiger sei, auf die individuellen Stärken und Schwächen der Mitarbeitenden einzugehen. Um das zu erreichen, brauche es eine klare Strategie und Aufgabenverteilung. Auch die organisatorischen Rahmenbedingungen - etwa bezüglich Home Office und Arbeitszeitenregelung - seien zentral. Es gilt, ein Regelwerk aufzustellen, das klar nachvollziehbar ist, aber dennoch Flexibilität bei der Umsetzung bietet.
Was das bedeutet, konkretisiert ZHAW-Wissenschaftler Windlinger Inversini. Die Motivation für die Veränderung von Arbeitsumgebungen liegt meist im Business, also in den Hauptaktivitäten und Geschäftsstrategien der Unternehmen. Die Gestaltung der Arbeitsumgebung sollte daher die Anforderungen an die Zusammenarbeit im Unternehmen abbilden, welche die Geschäftsstrategie vorgibt. Der Wissenschaftler rät Unternehmen, sich nicht bloß auf eine Arbeitsweise festzulegen, sondern Wahlmöglichkeiten zu bieten. Etwa einen Mix aus Büroarbeit, Home Office, Co-Working und mobil-flexiblem Arbeiten. So sei es möglich, unterschiedlichste Bedürfnisse innerhalb des geschäftsstrategischen Rahmens abzudecken.
3. Teil: „Das Team in den Prozess einbinden “

Das Team in den Prozess einbinden

Laut den Insights aus der Untersuchung  der Future Work Group und der FHNW sollte sich die Gestaltung des Arbeitsplatzes immer nach den zweck- und mitarbeiterorientierten Bedürfnissen richten. Diese sind naturgemäß in jedem Unternehmen unterschiedlich. "Mitarbeiter sollten bei der Gestaltung ihrer Arbeitsmittel deshalb immer eingebunden werden", fordert die Future Work Group. Auf diese Weise könne ein Unternehmen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Mitarbeitenden verschiedene Bedürfnisse akzeptieren und in Folge ein gemeinsames Verständnis für eine tragfähige Kollaboration erarbeiten.

Kultur berücksichtigen

Matthias Thalmann ist Partner im Bereich Human Capital Consulting bei Deloitte in Zürich und begleitet Unternehmen bei der Transformation ihrer Arbeitswelten. Er ist der Meinung, dass Unternehmen, die ihre Arbeitsplätze nicht aktiv gestalten, eine große Chance vergeben. Organisationen, welche die nötigen Schritte gehen, würden bei der Transformation jedoch oft vergessen, auch ihre Arbeitskultur und -struktur anzupassen. Es sei zwar gut und richtig, dass Firmen die Neugestaltung der Arbeitsräume auch ohne unmittelbare Veränderung der Arbeitsmodelle anpacken. Der volle Nutzen werde aber nur in der Kombination erreicht.
Thalmann empfiehlt, als Lösung aktivitätenbasierte statt starre Arbeitsplatzkonzepte zu entwickeln. Diese würden den Wandel der Arbeitswelt wesentlich erfolgreicher unterstützen. Am Anfang jeder Reise zur Umgestaltung brauche es eine übergeordnete und kohärente Strategie. "Future of Work heißt, dass vier oder mehr Generationen gemeinsam die Zukunft gestalten." Ein gesamtheitliches Konzept helfe, diese zusammenzubringen. Firmen sollten das Voneinanderlernen in den Vordergrund stellen und diesbezüglich die Stärken jeder Generation betonen, sagt Thalmann.

Fixe Arbeitsplätze - ein Auslaufmodell?

Feste Arbeitsplatz sind längst nicht mehr zeitgemäß, sagt ZHAW-Forscher Windlinger Inversini. Denn fixe Arbeitsplätze seien nur teilweise belegt. An einem durchschnittlichen Arbeitstag bleibe rund die Hälfte unbenutzt. Dafür gebe es viele Gründe. Etwa Teilzeitarbeit, Arbeit außer Haus oder bei Kunden, Krankheiten, Urlaub und dergleichen. Unternehmen benötigten bei einer Arbeitsplatz­strategie mit fixen Arbeitsplätzen mehr Fläche als notwendig - und hätten trotzdem Platzprobleme. Wenn Teams wachsen, müssten oft mehrere Mitarbeitende umziehen, damit die neuen Teammitglieder einen Arbeitsplatz in der Nähe des Teams erhalten. "Flexible Arbeitsplatzmodelle mit nicht persönlichen zugeordneten Arbeitsplätzen bieten hier deutliche Vorteile", rät Windlinger Inversini.
"Fixe Arbeitsplätz spiegeln in den meisten Fällen die starren Strukturen und Silos im Unternehmen wider", stellt dagegen die Future Workplace Group fest. Da zukünftige Formen der Zusammenarbeit zunehmend projekt- und nicht mehr organisationsbezogen seien, würden fixe Arbeitsplätze an Bedeutung verlieren. Sie widersprächen zudem dem Wunsch nach mehr Unabhängigkeit von Ort und Zeit. Dass sich Millionen von Menschen täglich durch den dichten Berufsverkehr zu ihren Arbeitsplätzen quälen, belaste überdies die Umwelt und sei ein Verschleiß wertvoller Ressourcen in Form von Zeit und Energie. "Wichtig ist, wie das Arbeiten gelebt wird", sagt Wieser. Eine bestmögliche Unterstützung sei dann gewährleistet, wenn eine Vielfalt an Arbeitszonen - je nach Tätigkeit, persönlichen Vorlieben und Tagesplanung - zur Verfügung stehe.
4. Teil: „Management muss vorangehen “

Management muss vorangehen

Auf die Frage, ob neue Arbeitsplatzkonzepte nur funktionieren, wenn Sie das Management selbst anwendet, antworteten alle Befragten mit einem klaren "Ja!". Thalmann beispielsweise fordert von Führungskräften, flexibles Arbeiten nicht nur zu unterstützen, sondern auch vor­- zu­leben. "Ich wünsche mir, dass die Vorgesetzten den Mut und die Offenheit finden, sich mit einer Modernisierung des Arbeitsplatzes auseinandersetzen."
Das Top-Management müsse sich hierfür von seinem Verständnis der Zusammenarbeit lösen, sagt die Future Workplace Group. "Vorleben ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor." Entscheidend sei jedoch, inwieweit es den Führungskräften gelinge, ihren Mitarbeitenden mehr Entscheidungs- und Gestaltungsräume zu überlassen. "Das fordert von den Führungskräften sehr viel Energie", sagt Wieser. Sie müssten sich außer den neuen Führungsprinzipien - zum Beispiel Führung auf Distanz oder Vertrauen statt Kontrolle - auch neue Kompetenzen aneignen. "Führungskräfte müssen ausprobieren, lernen, erklären, coachen und vor allem auch Platz schaffen, um die Erfahrungen im Team auszutauschen."
Wichtige Faktoren seien der Arbeitsumfang, Störungen und Unterbrechungen, Zeitdruck oder Über- und Unterforderung. Aber auch soziale Faktoren wie das Team oder die Art und Weise der Führung hätten einen wesent­lichen Einfluss auf die Gesundheit. Die Rahmenbedingungen wie Büro, Arbeitsmodell und IT-Infrastruktur seien ebenfalls wesentlich für die Gesundheit und die Motivation der Mitarbeitenden, schließt Wieser.

Fazit

Die Resultate wissenschaftlicher Forschung zeigen unterm Strich auf, dass die Arbeitsumgebung die Arbeitsleistung beeinflusst. Wichtige Faktoren sind dabei die Qualität der Arbeitsumgebung, mögliche Störungen und Ablenkungen sowie die Möglichkeit, für verschiedene Arbeitsaktivitäten unter verschiedenen Arbeitssettings wählen zu können.
Wenn die Arbeitsmodelle und -räume optimal aufeinander abgestimmt seien, würde die Produktivität langfristig steigen, prophezeit die Future Workplace Group. Lediglich während der Neuausrichtung könne die Produktivität kurzfristig zurückgehen. Ist diese Phase überwunden, steigere sich das Wohlbefinden der Mitarbeitenden und damit auch die Arbeitsfreude und -leistung.

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