17.07.2019
Mehr Vorreiter, weniger Nachzügler
1. Teil: „Der Mut zur digitalen Transformation wächst“
Der Mut zur digitalen Transformation wächst
Autor: Volker Richert
Andamati / shutterstock.com
Wo steht die Schweiz bei der Digitalisierung? Welche Pläne verfolgen die Führungskräfte dort? Welche Probleme müssen die Unternehmen noch bewältigen?
Digitalisierung: Kürzlich gelangte Dell im „Digital Transformation Index“ für das Jahr 2018 zu ernüchternden Erkenntnissen. Gerade einmal 5 Prozent der zur digitalen Reife ihrer Unternehmen befragten 4.600 Entscheider aus 12 Branchen in 42 Ländern gaben an, die höchste Stufe, den „Digital Leader“, erreicht zu haben.
In der Schweiz sagten das sogar nur 2 Prozent der Manager von ihrer Firma. Demnach stecken dort neben den digitalen Vorreitern und den 18 Prozent der Unternehmen, die schon über einen ausgereiften Transformationsplan verfügen, mehr als zwei Drittel in den schlechtesten drei Kategorien. Sie sind auf dem Weg (Evaluators, 32 Prozent), Mitläufer (Followers, 37 Prozent) oder Nachzügler (Laggards, 11 Prozent). 78 Prozent der Manager wünschen sicht laut der Umfrage, die digitale Transformation in ihrem Unternehmen wäre schon weiter fortgeschritten.
Auffällig ist, wie stark die Dell-Studie von den Resultaten der CIO-Studie „Swiss IT 2019“ der „Computerworld“ abweicht. Fragt man nach der Herausforderung, die Digitalisierung zu meistern, gibt für letztes Jahr kaum noch ein Schweizer Unternehmen (weniger als 2 Prozent) an, unfähig zu sein, die digitale Transformation in den Griff zu bekommen. Und dieser Wert ist auch noch rückläufig. Im Jahr zuvor hatten noch 3 Prozent angegeben, einem digitalen Umbau nicht gewachsen zu sein. Dagegen hat um 5 auf 15 Prozent die Anzahl der Firmen zugenommen, die sich voll und ganz in der Lage sehen, die Transformation zu stemmen, knapp 40 Prozent sehen sich auf gutem Weg. Damit geben fast 55 Prozent der Schweizer Unternehmen an, gut bis bestens auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorbereitet zu sein.
Ähnlich sieht es aus, wenn der Umsetzungsgrad der Transformationsprojekte in den Blick genommen wird. Nur noch rund 23 Prozent befinden sich in der Evaluationsphase, knapp 7 Prozent weniger als noch 2018. Hingegen gaben zusammengerechnet knapp zwei Drittel der Unternehmen an, bereits Transformationspilotprojekte zu planen (10,3 Prozent), gestartet (17,1 Prozent) oder umgesetzt (31,6 Prozent) zu haben. Fast 6 Prozent glauben, die digitale Transformation schon umfassend umgesetzt zu haben.
Von wegen Pflichtübung
Dass diese Zahlen nicht im luftleeren Raum hängen, ergibt die Spurensuche in konkreten Unternehmen: Die mehr oder weniger zufälligen Gesprächspartner geben sich unisono zuversichtlich und nutzen die technischen Möglichkeiten für ihr Business. Dimitris Di Sandro, Head Digital Transformation & Information Technology beim Ventilhersteller Eugen Seitz in Wetzikon, interpretiert die digitale Transformation als „Bereitschaft, sich stetig weiterentwickeln zu wollen“. Und diesbezüglich begegne man im Zürcher Oberland bis hinein in die Belegschaft den digitalen Vorhaben im Großen und Ganzen optimistisch. Dabei geht er durchaus davon aus, dass die Transformation mit „äußerst schwerwiegenden“ Auswirkungen einhergeht. „Damit wir in weiten Bereichen der Ventiltechnik führend bleiben können, müssen wir uns täglich mit Optimierungen auseinandersetzen. Die digitale Transformation hilft uns, Innovationsfähigkeit und Produktivitätssteigerung zu erzielen, damit der Standort Schweiz gehalten werden kann.“
Bei Eugen Seitz werde der Wandlungsbedarf denn auch trotz einzelner Verunsicherungen „prinzipiell befürwortet, auch wenn ein detailliertes Verständnis dafür teils noch fehlt“. Man lege „großen Wert darauf, die Belegschaft immer möglichst früh in diese Initiativen einzubinden“. Und wenn Di Sandro von sich selbst spricht, sagt er: „Ich liebe dieses Thema! Dies schon, seit ich vor über 20 Jahren meinen ersten Kontakt damit hatte.“
2. Teil: „Fakt ist Fakt“
Fakt ist Fakt
Und am Zürichsee weiß man, worum es geht, hat Sensirion doch vor rund einem Jahr mit der Einführung von SAP S/4 HANA die Basis für weitere Digitalisierungsprojekte gelegt. Köhler gesteht durchaus ein, dass die Industrie aufgrund der steigenden Komplexität der Systeme gefordert ist und Ängste vor den Herausforderungen des Datenschutzes bestehen. Doch habe die Digitalisierung „für Gesellschaft, Bürger und Unternehmen die gleiche Bedeutung wie einst die Globalisierung“. Es sei die falsche Frage, sich zu überlegen, ob man da mitmachen möchte.
Die Digitalisierung ist ein Fakt, stellt er klar und fügt an, sie „bietet Chancen, sich weiterzuentwickeln, oder man verschwindet vom Markt“. Anzumerken ist, dass laut Swiss-IT-Studie die Angst vor Komplexität drastisch von über 40 auf nunmehr rund 28 Prozent gesunken ist. Dagegen etablierten sich die Herausforderungen bei der Verarbeitung der Daten, also Fragen zur Datenqualität und der Compliance, mit knapp 39 Prozent gleichauf zum Dauerbrenner Datensicherheit.
Mit Optimismus voran
Kein Anflug von Ernüchterung auch beim Konzern Swisscom. Christoph Aeschlimann, CTO und CIO, betont ebenfalls die Rolle seines Unternehmens als Wegbereiter in der digitalen Transformation. Neugierig gehe man voraus, sagt er. Da man im Kerngeschäft der Gesellschaft und Wirtschaft den Mehrwert digitaler Services aufzeigen und auch verkaufen wolle, sei man gleichsam dazu verpflichtet, „mit der eigenen Digitalisierung voranzuschreiten und damit eine Pionierrolle einzunehmen“. Dabei gehe es „im Kern darum, flexibler und rascher auf Bedürfnisse im Markt reagieren zu können, sprich, unsere eigene Effizienz zu steigern“. Aber nicht nur: Digitalisierung sei für Swisscom auch der Schlüssel für Kundenerlebnisse in bester Qualität. Deshalb nutze man vermehrt Konzepte aus den Bereichen Künstliche Intelligenz, Automatisierung und Datenanalyse.
Beim Bonbonhersteller Ricola verweist CIO Rolf Kohler darauf, dass man als Schweizer Produzent mit einem Exportanteil von über 90 Prozent auch im Herstellungsprozess bereits seit Jahren in die Digitalisierung investiere. Soeben erst hat Ricola seine SAP-basierte Geschäfts-Software auf eine neue Basis gestellt. Kohler spricht also aus Erfahrung, wenn er seine Einstellung so umschreibt: „Die digitale Transformation darf für keinen IT-Verantwortlichen einfach eine Pflichtübung sein. Im Gegenteil, wir treiben - gemeinsam mit den Business Units - Neuerungen im Unternehmen sowohl in den Prozessen als auch in der Technologie voran.“
Zuletzt noch ein Beispiel aus der öffentlichen Verwaltung. Für Vincenza Trivigno, Staatsschreiberin des Kantons Aargau (Vorsteherin der Staatskanzlei), umfasst die digitale Transformation weit mehr als nur IT-unterstützte Dienstleistungen. „Sie ist ein stetiger Veränderungsprozess und führt zu neuen Abläufen, neuen Formen der Zusammenarbeit und neuen Ansätzen der staatlichen Aufgabenerfüllung.“ Damit werde die Modernisierung der Verwaltungs- und Kundenprozesse ermöglicht sowie eine durchgängige Neugestaltung der föderalen Zusammenarbeit zwischen dem Kanton, seinen Gemeinden und dem Bund Realität.
3. Teil: „Digitalisierung ist Alltag“
Digitalisierung ist Alltag
Software-Hersteller und ICT-Dienstleister, Lebensmittelproduzent oder öffentliche Verwaltung: Offensichtlich trifft man in der Schweiz auf Unternehmen und Organisationen, bei denen die digitale Transformation im Alltag gelebt und nicht als Barriere verstanden wird. Überall sollen Aktivitäten die Transformationen unumgänglich machen - von digitalen Produkt- und Prozessinnovationen bis zu Bestrebungen, einen Kulturwandel zu erreichen. Exemplarisch nennt Swisscom vier Schritte, die das Unternehmen letztes Jahr gegangen sei: Für eine smarte Zusammenarbeitskultur wurde etwa eine hybride und smarte Arbeitsplatzumgebung eingeführt, die die ortsunabhängige Zusammenarbeit einfacher, effizienter und direkter gemacht habe. Kurz gesagt werden „die Unternehmensgrenzen durchlässiger, Wissens- und Wertschöpfungsnetzwerke, vernetzte Organisationsformen und Marktplätze für Fachpersonen entstehen“.
Ob Ventil- oder Sensorik-Industrie, Als zweiten Punkt nennt Christoph Aeschlimann agile Zusammenarbeitsmodelle und die cloudbasierte Produktion, mit denen die Innovationszyklen für Services erhöht worden seien, um Marktbedürfnisse rasch und effizient adressieren zu können. Drittens habe man Produktionsprozesse automatisiert und könne sie dank Künstlicher Intelligenz (KI) kostengünstig betreiben, fügt er an. So sei etwa im Kundendienst der Einsatz von KI weiter ausgebaut worden. Lernfähige Algorithmen unterstützen die Kundenbetreuer, indem sie automatisch E-Mails analysieren und klassifizieren.
Schließlich nennt Aeschlimann als vierten Schritt noch die Nutzung von Daten und KI für bessere Geschäftsentscheidungen und bessere Kundenerlebnisse, etwa „personalisierte Angebote oder die einfachere Nutzung unserer Produkte und Services“. Die Staatsschreiberin verweist auf die im September 2018 gestartete interne Informations-, Partizipations- und Collaboration-Plattform Smart Aargau. Hier tauschen sich Mitarbeitende und Kader über Departements-, Abteilungs- oder Sektionsgrenzen hinaus über Digitalisierungsthemen aus. Zudem würden Anregungen eingebracht, von denen einige als Quick-Wins bereits umgesetzt wurden. „Der Einbezug der Mitarbeiter und die schnelle Umsetzung der Vorschläge schaffen ein motivierendes Arbeitsklima und erleichtern die tägliche Arbeit.“ Auch habe der Regierungsrat des Kantons die Erarbeitung und Umsetzung der Strategie Digitale Transformation (SDT) als Schwerpunkt im Aufgaben- und Finanzplan 2019-2022 verankert, um die „Modernisierung der Verwaltungs- und Kundenprozesse voranzutreiben“.
Dimitris Di Sandro vom Ventilhersteller Eugen Seitz spricht in Sachen digitale Transformation - wie jeder dritte Befragte in der CIO-Studie - von einem andauernden Wandel (jeder Vierte gab an, sie werde in drei bis sechs Jahren abgeschlossen sein). Aufseiten Operations habe man in dem seit 2005 laufenden digitalen Wandel etwa Lean Management eingeführt und so Prozesse verschlankt. Man adressiere „insbesondere Themen rund um Industrie 4.0, die darauf ausgerichtet sind, entlang der kompletten Wertschöpfungskette durchgehende Optimierungen zu erreichen“.
Inzwischen habe man erste Projekte lanciert und Ventilprototypen entwickelt, die intelligenter Natur seien. Dank der digitalen Technologie werde man mit datenbasierten Analysen umfängliches Condition-Monitoring und Predictive Maintenance betreiben können. Ausstehend sind laut Di Sandro aber noch die Verschlankung und Optimierung der IT-Standardprozesse, die Einführung neuer, agiler Projektvorgehensweisen und die Umsetzung einer Service-orientierten Integrationsarchitektur. „Wir wollen also noch effizienter in der Ausführung bestehender Services und schneller in der Umsetzung neuer digitaler Initiativen werden.“
4. Teil: „Handlungsdruck ist da“
Handlungsdruck ist da
Diese Einstellung ist laut CIO-Studie 2019 allgemein in den Unternehmen angekommen. Jedenfalls sind jene Verantwortlichen weniger geworden, die extrem schwerwiegende Auswirkungen von der Transformation erwarten. Statt 11,4 Prozent sind es nur noch 7,7 Prozent. Die zuversichtlicher gewordenen Unternehmen gehören heute meist der um 5 auf 37 Prozent gewachsenen Gruppe an, bei der deutliche Skepsis vorherrscht. Wobei man zur Kenntnis nehmen muss, dass sich der kleine Kreis von Unternehmen, die keinerlei Einflüsse vom digitalen Wandel erwarten, sich auf 2,1 Prozent nahezu verdreifacht hat. In der Mitte herrscht nüchterner Realismus. Wie im Vorjahr erwarten 42 Prozent der Befragten nur wenige Veränderungen.
Es ist also wenig überraschend, dass fast 80 Prozent der Schweizer Unternehmen von mehr oder weniger schweren Auswirkungen aufgrund der Digitalisierung ausgehen. Martin Staib, Leiter Technik und Entwicklung bei der Axians IT&T AG, räumt ein, dass die digitale Transformation erheblichen Handlungsdruck im Unternehmen erzeugt, betont aber, dass es strategisch wichtig sei, „dass wir die digitale Transformation bei uns und bei unseren Kunden vorantreiben“. Deshalb müssten sich alle Mitarbeiter mit dem Thema früher oder später in unterschiedlichen Ausprägungen befassen, schiebt er nach. Es bedürfe eines Umdenkens auf verschiedenen Ebenen. Die Nutzer müssten sich auf digitale Abläufe einstellen, aber es brauche auch gesetzliche Anpassungen, etwa beim Datenschutz und der Möglichkeit, beispielsweise via digitaler Signatur Vertraulichkeit zu gewährleisten.
Bei Swisscom ist bereits erreicht, dass „das Thema Digitalisierung ernsthaft über alle Unternehmensstufen hinweg thematisiert wird, zu echten Handlungen führt und quantitativ wie auch qualitativ eine Wirkung nachgewiesen werden kann“. Zu berücksichtigen habe man zudem die Tatsache, „dass Veränderungszyklen in der Gesellschaft und Wirtschaft immer kürzer werden“. Dieses Tempo führe bei den Mitarbeitenden teils zu Unsicherheit. Deshalb gehe es auch darum, ihnen die Chancen der Digitalisierung konsequent aufzuzeigen, fügt Christoph Aeschlimann an.
Laut Egon-Seitz-Führungskraft Dimitris Di Sandro verlangt die digitale Transformation nicht zuletzt einen aktiven Informations- und Wissensaustausch, insbesondere mit externen Stellen. Unternehmensverantwortliche, die solche Kontakte scheuen, hätten verlernt, von anderen Unternehmen zu lernen, und würden heute unter Betriebsblindheit und manchmal auch unter Betriebsverliebtheit leiden. Die Konsequenzen seien dann träge oder gar lahme Prozesse und Arbeitsweisen - „organisatorisches Gift in unserer schnelllebigen digitalen Welt. In dieser ist falscher Stolz oder das klassische Not-invented-here-Syndrom völlig fehl am Platz.“ Vielmehr sei es essenziell, eine Kultur im Unternehmen aufzubauen, die gern und offen von anderen lerne.
Fazit
In Wirtschaft und Verwaltung der Schweiz herrscht alles in allem eine positive Einstellung gegenüber der Digitalisierung. Sie gilt als nicht mehr wegzudenken und wird als Tatsache gesehen und trotz der sich daraus ergebenden neuen Problemstellungen akzeptiert. Es dominieren Neugier und Mut.
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