Business-IT
19.02.2020
E-Commerce
1. Teil: „Der Miet-Commerce nach dem Hype“

Der Miet-Commerce nach dem Hype

Werkezug zum MietenWerkezug zum MietenWerkezug zum Mieten
Werkzeug Weber
Ein Trend der vergangenen Jahre war der Miet-Commerce. Für wenig Geld konnte man fast alles leihen. Die Pilotprojekte der großen Player kämpfen nun jedoch um die Wirtschaftlichkeit.
  • Mieten statt kaufen: E-Scooter gehen gut bei Media Markt, auch wenn das dreimonatige Mieten 70 Euro pro Monat kostet.
    Quelle:
    com! professional / Screenshot
Vor etwa zwei Jahren stellte ein Mobilkran einen begehbaren Container auf das Gelände des Aschaffenburger Werkzeughändlers Werkzeug Weber. „Mietbox24“ stand darauf.In dem Container wartete ein durchdachtes Mitnahmesystem auf die Kunden, die dort online reservierte Werkzeuge abholen und den Mietbetrag per Kredit- oder ­EC-Karte bezahlen konnten. Werkzeug Weber wurde zum Vorzeigeunternehmen für Shared Commerce. Zwei Jahre später hat sich Werkzeug Weber aus dem B2C-Online-Handel mit Werkzeugen zurückgezogen, die „Mietbox“ wird mittlerweile von einem Baustellen-Dienstleister eher im B2B-Umfeld vermarktet. Das Beispiel ist symptomatisch: Vor rund drei Jahren war das Konzept des Miet-Commerce in aller Munde. Heute ist es ruhig geworden um den einstigen Hype.

Kunden teilen Mobilität

Eine aktuelle Yougov-Studie zeigt: Nur jeder fünfte Deutsche hat bisher Sharing-Commerce-Angebote genutzt - und der weitaus größte Teil mietet Autos, Fahrräder oder neuerdings E-Scooter. Die bekanntesten Sharing-Commerce-Anbieter hierzulande gehören allesamt zur Mobilitäts- und Reisebranche. Angebote wie Otto Now oder Tchibo Share, bei denen es physische Waren anstelle von Dienstleistungen zu leihen gibt, sind noch weitgehend unbekannt. Wie passt dieses Unwissen auf Konsumentenseite mit dem oft breitbeinigen Auftreten großer Handelsketten zusammen, die seit einigen Jahren auf Miet-Commerce setzen?
So hat Otto bereits Ende 2016 einen eigenen Miet-Commerce-Service unter dem Namen Otto Now gegründet und dann konsequent ausgebaut. Inzwischen vermietet Otto Now über 700 Produkte an B2C- und B2B-Kunden, da­runter Elek­tronik, Weißware und Möbel. Die letzte Sortimentserweiterung umfasst E-Scooter. „Sehr gut läuft unser Mietmodell in den Segmenten Elektronik und Weißware“, berichtet Otto-Now-Co-Gründer David Rahnaward Basar. „Im Bereich Einrichten sind wir noch nicht da, wo wir hinwollten. Wir spüren Kundeninteresse, aber das reicht offenbar noch nicht so oft zum Abschluss des Mietvertrags wie in anderen Bereichen. Hier wollen wir in diesem Jahr ­genauer hinschauen. Zudem ist eine Ausweitung des Miet­sortiments geplant.“
2. Teil: „Mietkunde vs. Kaufkunde“

Mietkunde vs. Kaufkunde

Seit Mitte 2017 bietet der Discounter Tchibo mit Tchibo Share in Zusammenarbeit mit dem Start-up Kilenda Baby- und Kindermode sowie Spielzeug und Kinderzimmerausstattung zur Miete an „Wir erschließen uns auch neue Kundengruppen mit dem Mietangebot, die ansonsten kaum bei ­Tchibo eingekauft hätten“, so Lead Manager Sustainability Sarah Herms. „Diese Mietkunden motivieren Konzepte wie Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein. Für die Zukunft wollen wir auf jeden Fall versuchen, das Mietmodell auch ­gegenüber unseren klassischen Kunden stärker zu kommunizieren.“
Damit fasst Herms ein Pro­blem in Worte, das viele Miet-Commerce-Projekte eint: Oft passt die herkömmliche Zielgruppe des Unternehmens nicht zu einem Mietmodell. Wer bereit ist, für ein Luxusabendkleid einen vierstelligen Betrag ­auszugeben, will das gleiche Kleid nicht unbedingt mieten. Und wer die neueste Drohne einfach mal ausprobieren möchte, ist nicht unbedingt bereit, dafür den vollen Preis zu bezahlen. Das stellt die Handelsunternehmen vor ein Dilemma: Sie müssen eine ganz neue Zielgruppe ansprechen - und dafür ­andere Verkaufsargumente verwenden.
„Aus unserer Sicht gibt es verschiedene Kundenmotivationen, sich für Miet-Commerce zu interessieren. Da ist einmal natürlich der Nachhaltigkeitsgedanke. Viele Kunden wollen weniger und bewusster konsumieren und deshalb auch ­Secondhand-Produkte nutzen, um deren Lebenszyklus zu verlängern“, so Rahnaward Basar von Otto Now. „Eine andere Triebfeder ist die Neugier: Diese Kunden wollen gerne mal etwas Neues ausprobieren, ohne sich gleich durch den teuren Kauf finanziell sehr festlegen zu müssen. Auch der Wunsch nach mehr Abwechslung kann eine Motivation sein, beispielsweise im Bereich Mode.“ Da verwundert es wenig, dass es zwischen dem Kundenstamm von Otto und Otto Now bisher nur geringe Überschneidungen gibt. Daran will der Anbieter allerdings dieses Jahr verstärkt arbeiten und das Mietangebot zunehmend auch Otto-Stammkunden schmackhaft machen.
Dabei muss der Unterschied in der Zielgruppe kein Nachteil sein. „Viele Online-Händler werden beim Thema Sharing Commerce von der Vorstellung abgeschreckt, ihre Umsätze mit dem eigenen Mietmodell zu kannibalisieren“, erklärt Dirk Haschke vom Dienstleister Des­cartes. „Nehmen wir das Beispiel Werkzeuge: Natürlich brauchen die wenigsten von uns im Privatleben öfter als vielleicht zweimal im Jahr eine Bohr­maschine. Hier bietet sich also aus Konsumentensicht ein Mietmodell an. Aus Händlersicht allerdings steht natürlich unterm Strich mehr Umsatz, wenn er zehn Kunden zehn Bohrmaschinen verkauft, statt eine Bohrmaschine an zehn Kunden zu vermieten. Das Ziel für den Online-Händler muss also sein, mit dem Mietmodell eine neue Kundenklientel anzusprechen, für die ein Kauf zunächst nicht infrage kommt.“
Dennoch bleibt die Frage, wie wirtschaftlich Sharing-Commerce-Konzepte betrieben werden können. „Ja, aktuell verdienen wir im Miet-Commerce an einem Produkt unterm Strich weniger“, räumt Sarah Herms von Tchibo ein. „Aber wir glauben, dass sich im ­Miet-Commerce eine gesellschaftliche Grundentwicklung ausdrückt: Immer mehr Kunden ist es wichtig, über Besitz verantwortungs­bewusst nachzudenken. Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Unternehmen möchten wir diesen gesellschaftlichen Trend mit prägen und vorne mit dabei sein.“

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