Business-IT
04.09.2018
Kai Schmidhuber, CDO von L'Oréal
1. Teil: „Marketing im digitalen Zeitalter“

Marketing im digitalen Zeitalter

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Rawpixel.com / shutterstock.com
Der Kosmetikkonzern L'Oréal sieht im E-Commerce ein riesiges Potenzial. Allerdings ist sich Kai Schmidhuber, CDO bei L'Oréal Deutschland, bewusst, dass Beauty im Internet sehr komplex ist.
  • Kai Schmidhuber: CDO bei L'Oréal Deutschland.
    Quelle:
    L'Oréal
Mitte 2016 sagte L’Oréals Vorsitzender Jean-Paul Agon: „E-Commerce ist nicht die Kirsche auf der Torte. E-Commerce ist die Torte.“ Zwei Jahre später fragen wir Kai Schmidhuber, CDO L’Oréal Deutschland, wie die Geschäfte so laufen.
com! professional: Herr Schmidhuber, wie bedeutend ist der Online-Handel inzwischen für L’Oréal?
Kai Schmidhuber: Vergangenes Jahr haben wir weltweit mit E-Retail, Pure Playern und unseren Direct-to-Consumer-Shops 2,1 Milliarden Euro erwirtschaftet. Das entspricht 34 Prozent Wachstum. Wenn E-Com merce für L’Oréal ein Land wäre, dann wäre das inzwischen das drittgrößte L’Oréal-Land der Welt nach USA und China. Für L’Oréal ist E-Commerce keine Zukunftsstrategie, die irgendwann mal stattfinden soll, sondern die jetzt in dieser Sekunde schon stattfindet.
com! professional: Und wie wird aus der Kirsche der Kuchen?
Schmidhuber: Für uns ist wichtig, E-Commerce in allen Facetten zu sehen. Wir arbeiten bewusst sehr eng mit unseren Brick-&-Mortar-Partnern zusammen. Auch das erwarten die Konsumenten: Sie wollen kanalübergreifend kaufen. Natürlich kooperieren wir auch mit Pure Playern wie Amazon, Otto oder Zalando, denn wir wollen auch Konsumenten, die nur noch online shoppen, bedienen. Aus allen Aktivitäten sammeln wir Insights, über die sich das Geschäft wieder optimieren lässt.
com! professional: Die Direct-to-Consumer-Umsätze haben Sie nicht zufällig parat?
Schmidhuber: Doch, aber diese Zahlen kommunizieren wir nicht. Ich kann aber sagen, dass hinter diesen Shops nicht nur die Intention steht, Umsatz zu erwirtschaften. Uns geht es mit eigenen Shops auch darum, unsere Konsumenten besser kennenzulernen. Dann können wir vielleicht auch Gespräche mit Retail-Partnern über diese Kunden ganz anders führen.
com! professional: Ihre wichtigsten Handelspartner sind Drogeriemärkte und Lebensmittelhändler. Müssen Sie da treiben?
Schmidhuber: Die Situation für Beauty in Deutschland ist sehr einzigartig. Es gibt kein Land mit einer höheren Dichte an physischen Shopping-Optionen. Rein statistisch liegt der nächste DM oder Rossmann maximal 500 Meter von mir entfernt. Von daher ist es eigentlich klar, dass E-Commerce bei uns eine andere Rolle spielt als in China oder Indien. Aus meiner Sicht sind die Drogeriemärkte nicht behäbig. Vielmehr ist Beauty im Internet sehr komplex. Jede Kategorie funktioniert in der Konsumentenerwartung anders. Make-up, Skincare und Haircare – so leicht sich das als Shop-Kategorie im Internet liest – dahinter stehen völlig unterschiedliche Welten mit völlig anderen Ansprüchen, Kaufmotivationen und Rhythmen der Bedarfsdeckung. Wir müssen mit unseren Brick-&-Mortar-Partnern daher erst mal Ideen entwickeln, die auch deren eigenes Geschäftsmodell und Nutzerversprechen für die Konsumenten reflektieren. Das dauert natürlich länger, als einen Shop zu eröffnen und den Produktkatalog hochzuladen.
com! professional: Wie ist Ihr Verhältnis zu Amazon?
Schmidhuber: Gut. Es wäre nicht clever, dort gar nicht stattzufinden. Denn viele Shopping-Touren - egal wo letzten Endes gekauft wird - starten auf Amazon. Auch wenn Konsumenten sich erst einmal nur informieren, müssen wir es schaffen, dass sie unsere Produkte dort zur Kenntnis nehmen. Unser größter Geschäftsbereich bei L’Oréal Deutschland, die Consumer Products mit Marken wie Maybelline, L’Oréal Paris oder Garnier, ist sehr aktiv und partnerschaftlich mit Amazon unterwegs. Aber auch hier müssen wir erst erproben, welche Kundenwünsche und Kaufabsichten wir vorfinden, um sie dann bedienen zu können. Um zwei Pole zu nennen: Ist es eher Bevorratung, weil One-Click-Buy meiner Pflege-Routine so schön einfach ist und man sich das Men-Expert-Rasiergel auf Abo legen kann, oder ist es Inspiration? Dann wäre es für uns besonders vor großen Produkt-Launches einer Marke spannend, für die man die enorme Reichweite der Amazon-Plattform nutzt. All das müssen wir wieder pro Marke und pro Kategorie analysieren. Das macht es spannend und komplex zugleich.
com! professional: Welche Erkenntnisse haben Sie schon?
Schmidhuber: Wir haben schnell gemerkt, dass es Produktkategorien gibt, die extrem bevorratungsintensiv sind. Wer aber ein Produkt noch nicht kennt, kommt originär eher nicht darauf, danach auf Amazon zu suchen. Für uns macht es daher zumindest in einzelnen Segmenten wenig Sinn, Amazon als große Launch-Plattform zu nutzen. Es geht eher darum, bei erfolgreichen Produkten auch auf Amazon verfügbar zu sein - und das mit dem richtigen Content. Das muss man als Hersteller erst mal in all seinen Facetten beherrschen. Die Prozesse dahinter sind völlig andere als im klassischen Geschäft.
2. Teil: „L'Oréal bedient Massenmarkt bis Luxussegment“

L'Oréal bedient Massenmarkt bis Luxussegment

com! professional: Für welche Brands haben Sie eigene Shops?
Schmidhuber: Das sind schon eine ganze Menge. Gerade im gehobenen und im Luxussegment sind wir da ganz erfolgreich mit Kiehl’s, Urban Decay, Biotherm oder Lan côme. Im vergangenen Jahr sind wir
  • Vom Massenmarkt bis zum Luxussegment: L'Oréal ist mit insgesamt 34 Brands aktiv.
auch im Massenmarkt gestartet, mit unserer absoluten Love Brand: NYX Professional Makeup.
com! professional: Warum sollten Kunden in Mono-Brand-Shops kaufen, wenn es Douglas und DM gibt?
Schmidhuber: Zum Beispiel weil es dort eine große Produktbreite und jeden noch so abgefahrenen Shade gibt. Gerade für eine Love Brand wie NYX Professional Makeup gilt das. Unsere Kundinnen gehen ohnehin regelmäßig auf die Seite, um sich inspirieren zu lassen. Da ist es schlichtweg schlau, auch eine Shopping-Funktion zu implementieren - auch im Sinne unserer Omnichannel-Strategie. Sie finden NYX Professional Makeup nicht nur bei DM, sondern auch in eigenen Flagship-Stores und im E-Shop. Wir decken die gesamte Customer Journey ab - und generieren über diese Punkte natürlich auch Daten. Und was gibt es Besseres als eine Kundin, die physisch im Flagship-Store war, online wiederzuerkennen
und ihr passende Produkte zu empfehlen?
com! professional: Wie bekommen Sie die 360-Grad-Sicht auf den Kunden hin? Junge Leute haben ja keine Payback-Karte.
Schmidhuber: Wenn Hersteller etwas zu bieten haben, gibt es schon Möglichkeiten. Für ein Meet & Greet mit einem Lieblings-Influencer geben Nutzer schon die E-Mail-Adresse preis.
com! professional: Aber die laufen ja nun nicht mit ihrer E-Mail-Adresse auf der Brust in den Laden?
Schmidhuber: Auch hier müssen wir erst mal Erfahrungen sammeln und analysieren, wie groß die Schnittmenge zwischen Online- und Offline-Kundschaft überhaupt ist. Wer zu uns in den Laden kommt, nimmt nicht einfach ein Produkt aus dem Regal, geht an die Kasse und zahlt. In der Regel geht ein Shop-Besuch mit einer ganzen Make-up- und Schminkberatung einher. Und unsere Shop-Mitarbeiter sind darauf geschult, entsprechende Daten einzusammeln, um den Kontakt nach dem Kauf aufrechtzuerhalten. Um noch mal auf die Online-Shops zurückzukommen: Wir wollen uns da natürlich auch als Experte für unsere Marken positionieren. Features wie den Routinefinder von Kiehl’s etwa gibt es sonst nirgendwo. Und wir versuchen, mit Gratisproben zu analysieren, welche Produkte besonders beliebt sind oder viele Bewertungen generieren. Diese Insights können wir mit großen Retail-Partnern wie Douglas teilen. Das ist ein wenig wie ein Testlabor. Nichtsdestotrotz wird da auch Geld verdient.
com! professional: Wirklich verdient oder als Marketing-Investition schöngerechnet?
Schmidhuber: Das ist signifikant und kein Business, das wir auf der Straße liegen lassen wollen. Es lohnt sich, wenn wir es schaffen, als Experte unserer Produkte im zweiten Schritt auch unsere ganze Routine dazuzuverkaufen. Wir haben ein System, das alle Geschäftsvorfälle und Touchpoints, die Daten generieren, visualisiert. So sehen wir genau, wie hoch eine Conversion aus einer E-Mail heraus ist, die auf ein Segment ausgerichtet wurde - etwa auf Kunden, die eine bestimmte Mascara gekauft haben. Wenn wir denen zusätzliche Produkte derselben oder einer anderen Marke von uns anbieten, können wir sehr gut messen, was gut funktioniert und was nicht. Dahinter steht ein sehr strukturiertes Management. Es ist wirklich weit mehr, als Produkte online verfügbar zu machen.
com! professional: Zu Ihren Aufgaben zählen vor allem Customer Centricity, Data und E-Commerce. Wo liegt Ihr Fokus?
Schmidhuber: Es ist unsere Aufgabe, die Bedürfnisse unserer vielschichtigen Verbraucher sehr gut zu kennen. Wir müssen am Ende des Tages ableiten, wann der beste Zeitpunkt ist, Verbraucher mit unseren Produkten zu erreichen, und über welche Kanäle welche Information gespielt werden muss. Deswegen ist eines unserer Ziele, zu der größtmöglichen Zahl an Konsumenten eine direkte Beziehung aufzubauen. Gleichzeitig wollen wir als Hersteller auch eine Kommunikationsbeziehung realisieren. Allein auf Facebook, Instagram und Youtube stieg die Interaktion unserer Konsumenten um fast 35 Prozent. Wir haben hier in Deutschland mehr als sechs Millionen Fans und Follower und allein auf Youtube haben wir mit unseren Videos, Tutorials und Kampagnen im vergangenen Jahr 250 Millionen Views generiert. Das ist extrem wertvoll, auch wenn es anonyme Daten sind. Meine größte Challenge ist, aus diesen anonymen Daten bekannte Daten zu machen und eine Plattform oder eine Master-CRM-Lösung zu etablieren, die alle Online- und Offline-Daten für das gesamte Markenportfolio von L’Oréal Deutschland zusammenführt.
com! professional: Branchenkenner loben Ihr disruptives Potenzial. Wie nutzen Sie das für L’Oréal?
Schmidhuber: Meine Leidenschaft gilt der Zusammenarbeit mit Start-ups, die aus einer ganz anderen Warte heraus - und einem völligen Unverständnis für Beauty – versuchen, ein Problem zu lösen. Meine Rolle, aber auch die der Teams, ist es, diese Start-ups zu identifizieren. Dafür gibt es international eine Founders Factory, die aufstrebende Unternehmen frühzeitig erkennt und operativ, aber auch durch Mentoringprogramme Unterstützung anbietet. Ein Beispiel ist die Übernahme von Modiface. Das ist ein Game-Changer, weil das Unternehmen eine völlig andere und neue Form der Interaktion mit dem Kunden ermöglicht und eine noch mal höhere Qualität an Daten liefert. Modiface ist die erste Technik-Akquisition in der L’Oréal-Geschichte und ein Meilenstein in der digitalen Transformation. Aktuell haben wir ein Start-up identifiziert, das eine Art Roboter gebaut hat, der es ermöglicht, in der Masse individuelle handschriftliche Karten und Briefe zu schreiben, ohne dass man erkennt, dass das eine Maschine geschrieben hat. Das wollen wir nutzen, um neben Newslettern und Push-Notifications in Apps unseren loyalsten Kunden auch mal eine physische Grußnote in die echte Welt zu schicken.
com! professional: Was ist Ihre größte Herausforderung?
Schmidhuber: Was mich als CDO he rausfordert, ist, dass wir gerade im E-Commerce in sehr kurzer Zeit mit extrem vielen Partnern in vier Geschäftsbereichen auf über 30 Marken Erkenntnisse sammeln. Mein Job ist es, diese Erkenntnisse nicht nur zu verstehen, sondern so transparent aufzubereiten, dass sie anderen Marken aus anderen Divisionen auch helfen. Denn was wir an der einen Stelle lernen, kann für das Business an anderer Stelle ein Game-Changer sein. E-Commerce passiert halt jetzt gerade. Was L’Oréal auszeichnet, ist, dass man dieses Thema nicht als Expertenwissenschaft abtut.
Wir leben Marketing im digitalen Zeitalter. Dabei ist selbstverständlich, dass der klassische Produktmanager einer Marke genauso digital und kanalübergreifend denkt wie der Kollege, der als Paid Search Expert ins Unternehmen gekommen ist.
Es ist für mich spannend zu sehen, dass man alle in einen Raum kriegt und für das Thema begeistern kann. Wir sind ein großes Unternehmen, das agiert wie ein schnelles Regattaboot. Jeder ist an Deck agil, hat eine spezifische Rolle, die auf das große Ganze einzahlt - und ist immer bereit, zu gewinnen.
L'Oréal in Zahlen
  • L'Oréal ist der größte Kosmetikkonzern der Welt
  • Er ist mit 34 Brands in 150 Ländern aktiv.
  • 2017 betrug der Konzernumsatz 26,02 Milliarden Euro.
  • Die globalen E-Commerce-Umsätze legten vergangenes Jahr um 33,6 Prozent auf 2,1 Milliarden Euro zu. Ihr Anteil am Gesamtumsatz liegt bei rund 8 Prozent.

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