03.07.2018
Im Gespräch mit Marcel Schaniel von Pfister
1. Teil: „Management muss Digitalisierung vorleben“
Management muss Digitalisierung vorleben
Autor: Mark Schröder
Olivier Le Moal / shutterstock.com
Wie transformiert man einen Traditionskonzern? Wer übernimmt welche Aufgaben und welche Branchen brauchen eigentlich einen CDO? Das erklärt Digital Officer Marcel Schaniel.
Digitalisierung stark im Umbruch. Das lässt sich sehr anschaulich am Beispiel des schweizerischen Unternehmens Möbel Pfister zeigen. Die 1882 gegründete Firma hat schon vor rund zwei Jahren einen Digital-Chef eingestellt. Marcel Schaniel ist Leiter Digital Business & Corporate Development und berichtet von der Digitalisierung des Traditionsunternehmens.
Der Handel ist durch die com! professional: Welchen Hintergrund hatte die Rekrutierung eines Digital Officers bei Möbel Pfister vor zwei Jahren?
Marcel Schaniel: Matthias Baumann – CEO von Möbel Pfister – und ich kennen uns von früheren Projekten. Da Baumann keine isolierte Online-Einheit haben wollte, sondern sich Integration wünschte, kam er zu dem Schluss, dass es ein Thema auf Stufe Geschäftsleitung braucht. Er schuf einen neuen Verantwortungsbereich (und nicht nur eine Stabsstelle). So sollten auch die übrigen Geschäftsleitungsmitglieder – die eher Digital Immigrants sind – besser in den Transformationsprozess involviert werden. Das Management muss Digitalisierung vorleben und nicht nur verlangen.
Wenn der Digital Officer nicht eine Position auf Geschäftsleitungsebene gewesen wäre, hätte ich dankend abgelehnt. Ich bin zu lange im Geschäft, um zu wissen, dass gewisse Themen durchaus Bottom-up entstehen können. Die Digitalisierung benötigt allerdings einen Top-down-Approach und muss in der Unternehmenskultur verankert werden.
com! professional: Wie ist Ihre Geschäftseinheit aufgestellt?
Schaniel: Ich führe mehrere Teams. Aber lassen Sie mich etwas ausholen. Möbel Pfister hat eine lange Outsourcing-Tradition. Schon 1998 wurde damit begonnen, IT-Dienstleistungen auszulagern. Der Online-Shop war noch nicht dabei, denn es gab ihn noch nicht. Aber die wesentlichen Teile der IT waren outgesourct. Als ich im November 2015 in das Unternehmen eintrat, gab es nur eine Kern-IT für Projekte und das Service-Level-Management. Weiter hatte das Marketing eine relativ unabhängige Einheit für den E-Commerce, die den Shop aufgebaut hat. Den dritten Bereich, das Corporate Development, gab es im eigentlichen Sinne nicht. Damit waren Berater nur punktuell unterwegs. Die vierte Sparte, die Data Sciences, existierte überhaupt noch nicht.
com! professional: Welches waren Ihre ersten Schritte?
Schaniel: Zuerst ging es darum, Awareness für die neue Einheit zu schaffen. Die Reorganisation wurde Top-down angegangen, was zu Irritationen hätte führen können. Die Ansiedlung des Digital Officers als weiteres Mitglied in der Geschäftsleitung war zudem erklärungsbedürftig. Ich habe erläutert, was die Aufgaben der neuen Einheit sind, welchen Beitrag sie zur „Pfister Cross-Channel Strategie 2020“ leistet und welche Ziele verfolgt werden.
2. Teil: „Neuverteilung von Aufgaben im Unternehmen“
Neuverteilung von Aufgaben im Unternehmen
Zusätzlich musste ich noch neue Mitarbeiter einstellen. Und eine dritte Aufgabe war die Abstimmung mit dem Management. Hier musste definiert werden, welche Aufgaben ich mit meiner Mannschaft für die anderen Abteilungen übernehmen kann und welche sie mit uns zusammen angehen. Auch wurde bestimmt, welche guten Lösungen schon existieren, die allenfalls gestärkt werden sollten. Und von welchen Anwendungen wir uns verabschieden müssen.
com! professional: Welche Aufgaben haben Sie den Geschäftsleitungskollegen abgenommen?
Schaniel: Früher haben die Geschäftseinheiten die Konzeptarbeiten selbst erledigen müssen. Diese Aufgabe haben wir ihnen praktisch zu 100 Prozent abgenommen. Die Build-Prozesse leisten wir heute ebenfalls selbstständig, das Testing auch. Hier hat sich herausgestellt, dass das Testing nahe beim Business besser ist. Bei der Weiterentwicklung einer über 130-jährigen Firma klappt jedoch nicht immer alles so, wie man sich das vorstellt. Den Prozess überarbeiten wir gerade.
Neu eingeführt haben wir außerdem ein Schulungskonzept, das über eine Mausklickanleitung hinausgeht. Geschult werden nun nicht mehr einzelne Abläufe, sondern Prozesse.
Verabschiedet haben wir uns vom Abarbeiten einzelner Requirements, die bis dahin aus dem Business kamen. Stattdessen wurden gemeinsam mit der Geschäftsleitung fünf End-to-End-Prozesse definiert. Alle Requirements, die nicht in diese Prozesse passten, wurden verworfen. Das hat nicht nur Freude bereitet. Umso größer war die Zufriedenheit, wenn die anderen Requirements tatsächlich auch umgesetzt wurden. Dank dieser Maßnahmen ist die Maschine dann langsam angelaufen.
com! professional: Cross-Channel ist der Pfister-Weg. Ist das in den angesprochenen fünf End-to-End-Prozessen abgebildet?
Schaniel: Ja, selbstverständlich. Zum Beispiel geht es bei den End-to-End-Prozessen um die Kundenansprache: von der Unterschrift unter dem Kaufvertrag über die Bestellung in der Fabrik bis hin zu Pre- und Post-Sales. Wenn der Kunde zwischendrin ein alternatives Lieferdatum wünscht, gibt es meistens kein Problem. Fragt er aber eine andere Farbe an, ist meistens schon eine Abklärung erforderlich.
com! professional: Wie haben Sie die Prozesse digitalisiert?
Schaniel: Diese Prozesse existierten bisher schon – und sie funktionierten. Es stellte sich vielmehr die Frage, wie formalisiert und effizient die Abläufe waren, wie viele Medienbrüche es gab und wie viele Systeme involviert waren. Unser Bestreben war und ist es, diese Prozesse Schritt für Schritt in durchgängige Datenflüsse zu überführen. Eine menschliche Interaktion soll nicht mehr Regel sein, sondern Ausnahme.
com! professional: Was sagen Sie zur These: Kunden bestellen Ware einfacher und schneller online als Mitarbeiter in Filialen.
Schaniel: An dieser Herausforderung arbeiten wir derzeit mit Hochdruck. In der Pfister-Filiale am Hauptsitz in Suhr haben wir die Angestellten bereits mit Tablets ausgerüstet. Mit den Geräten haben sie den gleich hohen Benutzerkomfort wie die Kunden im Online-Shop. In anderen Filialen sind wir noch nicht ganz so weit. Ein Grund sind die Medienbrüche.
3. Teil: „Nahtloser Übergang von Online-Shop und stationären Filialen“
Nahtloser Übergang von Online-Shop und stationären Filialen
com! professional: Können Sie den Konsumenten heute schon ohne Medienbruch bedienen?
Schaniel: Wenn er sich mit einer „myPfister Card“ in unserem Online-Shop anmeldet, können wir ihn anschließend in der Filiale mit der "myPfister Card" weiterbedienen. Diesen Service muss der Kunde allerdings explizit wünschen. Beim Bearbeiten eines online vorbereiteten Kundenauftrags ist der Rollout demnächst komplett, sodass dann alle unsere 20 Filialen in der ganzen Schweiz damit arbeiten können.
Das gilt nicht nur für Bestellungen, sondern etwa auch für Anfragen oder Reklamationen der Kunden. Sind die Mitarbeiter vorab über den Status einer Bestellung informiert, wenn ein Kunde nachfragt, können sie einen besseren Service bieten.
com! professional: Ist das großflächige Outsourcing ein Grund für die vielen Medienbrüche?
Schaniel: Nein, überhaupt nicht. Die Gründe sind einerseits der große Applikations-Mix im Backend. Andererseits ist es die Unfähigkeit der Schweiz, endlich eine rechtsgültige digitale Unterschrift einzuführen. Weil dies vor Jahrzehnten versäumt wurde, sind die Kunden immer noch das Papier gewöhnt. Wer ein Sofa mit senfgelbem Lederbezug für 12.000 Franken bestellt, will Sicherheit. Die vermittelt ein ausgedruckter und unterschriebener Kaufvertrag. Für uns ebenfalls, wenn wir ein senfgelbes Ledersofa produzieren sollen. So benötigen einige Geschäftsabläufe immer noch eine eigenhändige Unterschrift auf einem Blatt Papier.
com! professional: Ich stelle es mir schwierig vor, mit einer ausgelagerten IT Digitalisierungsprojekte zu realisieren.
Schaniel: Heute ist die Entwicklung ausgelagert. Aber das wird sich ändern. Es wurden Geldmittel zugeteilt, mit denen wir eine eigene Entwicklungsabteilung aufbauen können. Die Java-Programmierung des Online-Shops soll in Zukunft zu 50 Prozent bei uns im Haus passieren. Aber nicht nur im Haus in Suhr, sondern auch in Coworking Spaces. So muss beispielsweise ein Programmierer aus Zürich nicht unbedingt täglich nach Suhr pendeln. Wir befürworten Coworking Spaces. Die Leute liefern eine sehr gute Performance. Das mag an dem kompetitiven Umfeld liegen. Werkzeuge wie Codeshare-Plattformen erlauben zudem den direkten Vergleich mit den Leistungen des Tischnachbarn.
com! professional: Welche Aufgaben haben Sie für die künftigen Programmierer bei Pfister?
Schaniel: Heute entwickeln drei Programmierteams mit der Scrum-Methode die Website weiter. Alle sind extern. Bis Ende des Jahres soll ein viertes Pfister-internes Team dazukommen. Dafür suchen wir drei Backend-Entwickler, einen Frontend-Entwickler, einen UX-Designer und einen Tester.
com! professional: Was halten Sie von dem Satz: Der Digital Officer ist ein temporäres Phänomen.
Schaniel: Für mich hoffentlich schon! Denn irgendwann möchte ich in Pension gehen. Aber Spaß beiseite: Ich glaube, der Job wird noch einige Jahre „Digital Officer“ heißen. Anschließend werden die Aufgaben mit denen des Chief Operating Officers verschmelzen. Denn das ist aktuell meine Tätigkeit. In vielleicht 20 Jahren wird es keinen Digital Officer mehr brauchen. Es wird jedoch weiterhin eine Führungskraft brauchen, die die Operational Excellence eines Unternehmens vorantreibt. Und die Operational Excellence ohne die IT ist für mich heute nicht mehr vorstellbar.
4. Teil: „Jede Branche braucht einen CDO“
Jede Branche braucht einen CDO
com! professional: Welche Branchen brauchen einen CDO?
Schaniel: Es fällt mir schwer, eine einzige Branche zu benennen, die keinen dedizierten Digital Officer benötigt. Alle Unternehmen müssen sich heute mit digitaler Technologie und der Operational Excellence beschäftigen. Möglicherweise ist dafür in Zukunft aber nicht unbedingt ein eigener Manager erforderlich. Denn viele COOs arbeiten schon jetzt ebenfalls an diesen Themen, einige CFOs auch.
Die CIOs sind meiner Meinung nach nicht für die Position als Digital Officer geeignet. Viele IT-Leiter haben die Mentalität „Never touch a running system“. Mit dieser Einstellung sitzen sie dann auch oft nicht in der Geschäftsleitung und haben keine Umsatzverantwortung.
com! professional: Welche Herausforderungen sehen Sie für die nächsten Jahre?
Schaniel: Möbel Pfister wird sich zum datengetriebenen Unternehmen weiterentwickeln. Wir haben mit dem Beseitigen der Medienbrüche und dem Automatisieren der Prozesse schon die grundlegenden Voraussetzungen dafür geschaffen. Außerdem sind neben der traditionellen Marktforschung bei uns mittlerweile auch Data Scientists beschäftigt, die sich ausschließlich mit der Analyse von Geschäftsdaten befassen.
Neu gibt es zudem auch Business-Account-Manager. Diese Mitarbeiter sind die Schnittstelle zum Geschäft: Sie holen Fragestellungen aus dem Business ab, übersetzen sie für die Data Scientists und transferieren die Ergebnisse der Analysen zurück ins Geschäft. Zusätzlich sollen die Business-Account-Manager ermitteln, wann eine Ad-hoc-Analyse sinnvoll ist und wo sich möglicherweise eine Automatisierung anbietet, damit Abfragen als Selfservice programmiert werden können.
com! professional: Was erwarten Sie von der virtuellen Realität in der Möbelbranche?
Schaniel: Augmented und Virtual Reality bergen riesige Chancen für die Einrichtungsbranche. Wir haben schon jetzt diverse Möbelkonfiguratoren auf unserer Website aufgeschaltet. Kunden können sich damit ihre Möbel individuell zusammenzustellen. Eine Herausforderung ist es, die notwendigen 3D-Modelle zu erhalten, zum Beispiel von einem Schreiner oder einem Sattler. Dieser schneidet den Schaumstoff für die Polster kubisch aus und bezieht ihn dann beispielsweise mit Leder. Dabei entsteht ein Radius, der bei keinem Möbelstück exakt gleich ist – und somit schwierig zu dokumentieren. Aus diesem Grund ist es fast unmöglich, für dieses Möbel ein exaktes 3D-Modell zu bauen.
com! professional: Wo haben Sie Fortschritte erzielt?
Schaniel: Große Fortschritte haben wir beim Digitalisieren der Produktkataloge gemacht. In den elektronischen Dokumenten für die Einrichtungsberater sind Logiken für alle möglichen Kombinationen hinterlegt. Nehmen wir zum Beispiel ein Sofa: Wenn der Kunde anstatt der eckigen die runden
Füße wünscht, bekommt der Berater signalisiert, dass bestimmte Konfigurationen in diesem Fall nicht mehr möglich sind – beispielsweise die tiefe Sitzfläche. Diese Logiken wurden den Einrichtungsberatern früher aufwendig in täglichen Schulungen pro Modell vermittelt.
Füße wünscht, bekommt der Berater signalisiert, dass bestimmte Konfigurationen in diesem Fall nicht mehr möglich sind – beispielsweise die tiefe Sitzfläche. Diese Logiken wurden den Einrichtungsberatern früher aufwendig in täglichen Schulungen pro Modell vermittelt.
Das war eine große Herausforderung, da zum Beispiel bei unserem „Classics“-Sofa über eine Million verschiedene Kombinationen möglich sind. In den Katalogen sind die Möbelstücke fotorealistisch dargestellt. Der Kunde kann sich am heimischen PC eine Kombination zusammenstellen und sie unter einer sechsstelligen Nummer speichern. Wenn er dann die Filiale besucht, lässt sich anhand der sechs Zahlen das Möbelstück finalisieren und anschließend bestellen. Der umgekehrte Fall funktioniert selbstverständlich auch: das Produkt in der Filiale zusammenstellen, zu Hause aufrufen und per Mausklick kaufen.
Der nächste Schritt sieht vor, die vom Kunden individuell konfigurierten Möbel in virtuellen Räumen zu platzieren. Der übernächste dann, die Möbel in den Raum des Kunden zu projizieren. Die Herausforderung ist hier anderer Art: Apps mit Augmented Reality kommen bei Männern gut an, bei Frauen jedoch aktuell weniger. Allerdings sind Frauen unsere primäre Zielgruppe. Das heißt, dass wir derzeit an einer Technologie und Applikationen arbeiten, die den Erwartungen unserer weiblichen Kundschaft entspricht. Wir sind auf einem guten Weg.
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