Business-IT
05.03.2021
Status quo
1. Teil: „KI-Strategie für Deutschland“

KI-Strategie für Deutschland

Künstliche IntelligenzKünstliche IntelligenzKünstliche Intelligenz
Viktoriya / shutterstock.com
Ohne den Einsatz von KI könnte es künftig schwer werden, wettbewerbsfähig zu sein. Viele Deutsche Unternehmen haben dennoch Probleme mit der Einführung entsprechender Lösungen.
Die Idee kam Valentin Belser und Jakob Breu­ninger beim Mittagessen in der Uni-Mensa: Kurz vor Schließung gab es noch eine größere Menge an frisch gekochtem Essen, es kamen aber nur noch wenige Gäste - zu wenige, um das alles noch aufzuessen. Geboren war die Idee für das Start-up Delicious Data: Künstliche Intelligenz soll dabei helfen, Lebensmittelabfälle in der Gastronomie zu vermeiden.
Damit gingen die Gründer ein Dilemma an, vor dem fast alle Gastromiebetriebe, Kantinen und Bäckereien stehen: Wenn sie bis zum Schluss alle Gerichte anbieten, dann freuen sich zwar die Kunden, aber die Gefahr ist groß, dass am Ende einiges an Essen in der Mülltonne landet. Und wenn man das Angebot an Speisen oder Brot zum Ladenschluss hin reduziert, dann reagiert so mancher Kunde verärgert. Delicious Data will das Problem beheben, indem ein Algorithmus etwa die Verkaufshistorie analysiert und mit aktuellen Gegebenheiten wie dem Wetter oder der Urlaubszeit korreliert. Gastronomen oder Bäckereien sollen auf diese Weise die Zahl der vorbereiteten Produkte optimieren. Dem Start-up zufolge soll sich so beispielsweise der Wareneinsatz um 4 Prozent verringern lassen. Die Münchner Großbäckerei Höflinger Müller und die Kantine der Ergo-Versicherung setzen bei ihrer Planung bereits auf die KI von Delicious Data.

KI - nur ein Buzzword?

Das Münchner Start-up ist nur eines von vielen, aber häufig kaum bekannten Unternehmen, die Künstliche Intelligenz „made in Germany“ anbieten. Hinzu kommt: Die Deutschen haben noch wenig Ahnung davon, was Künstliche Intelligenz eigentlich ist und was sie kann.
Das bestätigt eine im vergangenen Sommer veröffentlichte Studie des Bayerischen Forschungs­instituts für Digitale Transformation (bidt), einem Institut der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Danach gaben rund drei Viertel der Befragten an, nur in etwa oder gar nicht darüber Bescheid zu wissen oder erklären zu können, was KI ist. Bei der Frage, welche Nation bei Künstlicher Intelligenz weltweit führend ist, geht die Unwissenheit noch weiter: Ein Viertel traute sich kein Urteil zu. 53 Prozent der Teilnehmer befüchteten dennoch, Deutschland könne im weltweiten Wettlauf abgehängt werden.
Auch wenn es hierzulande schon einige KI-Anwendungen gibt, so müsse jenseits der Frage, wie verbreitet KI bereits ist, der Fokus stärker auf Transparenz gelegt werden, so Marc Fliehe, Bereichsleiter Digitalisierung und IT-Sicherheit beim TÜV-Verband: „Viele Menschen wissen gar nicht, wo KI überall zum Einsatz kommt und wie sie funktioniert. Damit KI für viele mehr ist als ein Buzzword, ist es dringend erforderlich, für mehr Wissen und Mündigkeit zu sorgen.“
Andreas Raabe, Programmdirektor in der Gruppe Mathematik und Ingenieurwissenschaften 2 bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), sieht darüber hinaus zwei grundsätzliche Probleme: Zum einen sei weitgehend unklar, was genau mit dem Begriff KI gemeint ist. Dies sei sogar aktueller Gegenstand der Debatte im wissenschaftlichen Umfeld, „in der öffentlichen Debatte ist die Spannweite dessen, was als KI bezeichnet wird, noch breiter.“ Im technischen Bereich reicht sie laut Raabe von sehr spezifischen Schlussfolgerungsansätzen über maschinelles Lernen bis hin zu autonomen Systemen oder Robotern mit eingeschränkter eigener Entscheidungsfähigkeit. Das zweite Problem sei, dass schon eine Einordnung, was technisch bereits möglich ist, was in greifbarer Nähe oder was schlicht Science-Fiction ist, ein gewisses technisches Verständnis der betreffenden Verfahren erfordere.
Entsprechend schwierig ist Andreas Raabe zufolge eine öffentliche Diskussion zu diesem Thema. „Es würde daher sicherlich helfen, wenn weniger über Künstliche Intelligenz als Sammelbegriff und im Allgemeinen gesprochen, sondern zumindest klar nach Einsatzfeldern unterschieden würde. Damit wäre auch der Stand der tatsächlichen technischen Möglichkeiten im jeweiligen Bereich mit Beispielen beschreibbar.“
Industrie 4.0, Big Data, digitale Zwillinge oder Künstliche Intelligenz - in der Öffentlichkeit sind diese Buzzwords zwar weitverbreitet, „jedoch verstehen viele Menschen darunter alles, was mit Daten automatisiert abläuft, und kennen die Zusammenhänge kaum“, ergänzt Gisela Lanza, Professorin und Leiterin des wbk Instituts für Produktionstechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). „Allerdings sehen wir, dass insbesondere junge Studierende sich sehr intensiv mit der Technologie auseinandersetzen.“ Zudem bestehe in der Generation Z - die etwa die Geburtsjahrgänge von Mitte der 1990- bis Anfang der 2010er-Jahre umfasst - eine generell höhere Offenheit gegenüber Künstlicher Intelligenz. „In Zukunft werden wir sicher noch viel natürlicher in der breiten Masse über KI und Digitalisierung sprechen, da junge Menschen heute schon ganz natürlich damit aufwachsen.“ Doch auch die Verbreitung von KI in den Fachabteilungen der Unternehmen sei nicht zu unterschätzen, betont Gisela Lanza.
2. Teil: „KI in Deutschland“

KI in Deutschland

  • In welchen Bereichen nutzen deutsche Unternehmen KI? Ganz weit vorn liegt die IT gefolgt von der Produktion.
    Quelle:
    Deloitte-Studie "State of AI in the Enterprise - 3rd Edition", n = 168 (KI-Nutzer), Top-2-Nennungen
In Deutschland haben bereits Unternehmen vieler Branchen erkannt, wie relevant der Einsatz Künstlicher Intelligenz für den weiteren Erfolg ihres Business ist. So sehen knapp zwei Drittel der Firmen den Einsatz von KI als „sehr bedeutend“ für den weiteren Geschäftserfolg an, 20 Prozent halten den KI-Einsatz sogar für „erfolgskritisch“. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „State of AI in the Enterprise“ des Beratungsunternehmens Deloitte, für die 200 KI-Experten in deutschen Unternehmen befragt wurden. Und der Stellenwert wird steigen: 35 Prozent der Unternehmen halten KI in zwei Jahren für „erfolgskritisch“. Kurz: Künstliche Intelligenz ist bereits heute unverzichtbar und wird immer wichtiger.
Die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz für den Erfolg eines Unternehmens unterstreicht auch die Studie „Auf Künstliche Intelligenz kommt es an“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom vergangenen Dezember: Danach setzte 2019 mit rund 6 Prozent nur ein kleiner Teil der befragten Unternehmen KI ein, doch diese waren „eher in der Lage, anspruchsvolle Innovationen mit einem hohen Neuheitsgrad hervorzubringen.“ 
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz schlägt sich auch in den Bilanzen der Unternehmen nieder: Im Jahr 2018 erzielte die deutsche Wirtschaft mit Marktneuheiten einen Umsatz von 11 Milliarden Euro, knapp 8 Milliarden Euro davon mit Weltmarktneuheiten. Und 9 Prozent des gesamten Umsatzes, den die deutsche Wirtschaft mit Weltmarktneuheiten erzielt hat, sollen sich laut der Studie auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz zurückführen lassen.
Deutlich verbreiteter ist KI, folgt man der IBM-Studie „From Roadblock to Scale: The Global Sprint to AI“, die Anfang 2020 veröffentlicht wurde. Demnach implementieren oder evaluieren in Deutschland bereits sieben von zehn Betrieben KI-Technologien.
Auch wenn die Vorteile von Künstlicher Intelligenz klar auf der Hand liegen - wie bei vielen neuen Dingen dauert es in Deutschland halt einfach etwas länger. Und nicht selten hat man den Eindruck, dass der öffentliche Diskurs in Sachen KI mehr die fiktiven Risiken und weniger die konkreten Chancen in den Vordergrund stellt.
Marc Fliehe vom TÜV-Verband vertritt hier allerdings eine ganz andere Position: „Die Diskussion über die Risiken von KI speist sich vorrangig aus konkreten Beispielen von KI-Anwendungen, die zu Schäden und Unfällen geführt haben und nicht aus einer diffusen Zukunftsangst.“ Es seien Ereignisse, in denen beispielsweise ein autonom fahrendes Fahrzeug nicht zwischen einer Plastiktüte und einer Radfahrerin unterscheiden konnte. „In Deutschland haben wir daher einen Diskurs über KI, der eine ethische Abwägung beinhaltet zwischen dem wirtschaftlichen Potenzial von KI auf der einen Seite und dem Schutz von Leib und Leben auf der anderen.“ Deswegen, so Fliehe weiter, müssten wir uns dieser Diskussion auch stellen. „Es geht da­rum, welche Anforderungen an die Qualität und Sicherheit von KI gestellt werden und mit welchen Mechanismen wir sicherstellen können, dass diese erfüllt werden.“
Nach Meinung von Gisela Lanza handelt es sich dabei jedoch hauptsächlich um eine gesellschaftliche Debatte - „in den Bereichen der konkreten Forschung und Arbeit mit KI-Verfahren verlagert sich die Diskussion eher in die Richtung: Was sind geeignete KI-Anwendungen? Und welche Anwendungen werden sich auch in naher Zukunft nicht für KI eignen?“ Eine solche Diskussion sei auf jeden Fall sehr hilfreich, um die zum Teil sehr hohen Erwartungen zu relativieren und auch Projekte nur dann durchzuführen, wenn ein Erfolg zu erwarten ist.
Doch welche Schlussfolgerung sollte man daraus ziehen? Sollten Unternehmen in Deutschland mutiger sein, was den Einsatz von Künstlicher Intelligenz angeht? Marc Fliehe glaubt nicht, dass  Mut der ausschlaggebende Aspekt ist. Was wir ihm zufolge brauchen, ist zum einen mehr Verständnis für die Technologie - gerade bei denjenigen, die KI-Anwendungen nutzen. Die Anwender müssten in die Lage versetzt werden, zu verstehen, wo ihnen KI-Anwendungen aktuell bereits begegnen und wie sie funktionieren. „Hier ist Qualifizierung und Wissensvermittlung ein wichtiger Faktor. Und zum anderen brauchen wir Vertrauensdienstleister, die es schaffen, KI sicher nutzbar zu machen. Mithilfe von Sicherheitsüberprüfungen durch unabhängige Dritte kann das gelingen.“
3. Teil: „Amazon, Google & Co.“

Amazon, Google & Co.

  • Fehlendes Know-how: Mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen setzen bei der KI-Einführung auf eingekaufte Anwendungen.
    Quelle:
    Deliotte-Studie "State of AI in the Enterprise - 3rd Edition", n = 201
Trotz zahlreicher deutscher Unternehmen, die bereits heute innovative Lösungen rund um Künstliche Intelligenz entwickeln, wie das eingangs erwähnte Start-up - denkt man an KI, dann hat man meist nur die US-amerikanischen Tech-Riesen wie Amazon, Google oder Microsoft auf dem Schirm. Damit tut man der deutschen Forschung aber unrecht, wie Gisela Lanza vom Karlsruher Institut für Technologie anmerkt: „Auch deutsche Forscherinnen und Forscher bringen KI-Themen voran und entwickeln Innovationen im Bereich KI. Im Produk­tionsumfeld, etwa in der Automobilindustrie, der Elektro- und Medizintechnik oder im Maschinenbau, ist KI eines von vielen zentralen Forschungsfeldern hierzulande.“ Zudem verweist sie auf die zahlreichen großen Forschungszentren, etwa das Cyber Valley in Tübingen. „Aber auch unternehmensgetriebene Forschungs-Campus-Teams erarbeiten KI-Themen.“ 
Und dennoch: Fehlen uns in Deutschland nicht Tech-Giganten wie Google, die mit viel Geld, großen Forschungs-Teams und enorm vielen Daten ganz andere Möglichkeiten für Entwicklungen haben? „Die Datenmenge spielt eine zentrale Rolle in KI-Ansätzen“, bestätigt Gisela Lanza. In Deutschland sei dabei die wichtige Frage: Wer besitzt die Daten? Hier seien wir in technischen Anwendungen im Bereich der Industrie, insbesondere in den Fabriken, sogar im Vorteil gegenüber Unternehmen wie etwa Google. „Natürlich gibt es viele US-Anbieter von Social-Media-Plattformen, die sowohl über Unmengen an Daten verfügen als auch über die nötige Hardware zur Datenverarbeitung. Es ist sicherlich erforderlich, dass wir auch gemeinsam mit der Politik weiter in IT-Infrastrukturen investieren, um den Anschluss nicht zu verlieren.“
Marc Fliehe sieht übrigens grundsätzlich erst einmal keine Korrelation zwischen der Fähigkeit zur Datenverarbeitung und der Größe von Unternehmen: Für die Verarbeitung großer Datenmengen brauche es nicht unbedingt große Firmen, stattdessen könnte auch auf Cloud-Angebote zurückgegriffen werden. Etwas anderes gelte allerdings für die Verfügbarkeit großer Datenmengen. „Das Ziel sollte nicht sein, dass einige große Unternehmen große Datenmengen nur für sich generieren. Besonders nicht, um eine Monopolstellung aufbauen zu können und diese perspektivisch weiter auszubauen“, so Fliehe
Andreas Raabe von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gibt zu bedenken, dass für viele Einsatzszenarien aktuelle Verfahren des maschinellen Lernens schlicht immense Datenmengen benötigen. Und solche Datenmengen könnten nur von den ganz großen Unternehmen wie Google oder Amazon gewonnen werden. „Dass hier amerikanische Firmen vorne liegen, ist jedoch nicht KI-spezifisch, sondern betrifft viele Bereiche der Informationsverarbeitung und rührt vor allem aus der zunehmenden Monopolisierung dieser Märkte, die teilweise bereits seit den 80er-Jahren voranschreitet.“ Viele Verfahren benötigten enorme Rechenleistung, die nur diesen Technologie-Riesen zur Verfügung stehe. Die Folge: „Gerade im Fall des maschinellen Lernens ist daher ein wichtiges aktuelles Forschungsziel, aus kleineren Datenmengen und mit geringerem Rechenaufwand valide Informationen gewinnen zu können.“
Wenn es um das Thema Daten geht, dann ist in Deutschland auch der Datenschutz ein entscheidender Faktor. Er hat hierzulande einen hohen Stellenwert - was wichtig und richtig ist. „KI ist kein Selbstzweck. Sie sollte dort gezielt eingesetzt werden, wo sie für Unternehmen oder Privatpersonen einen konkreten Nutzen bringt“, fordert Gisela Lanza.
Darüber hinaus gibt es Andreas Raabe zufolge aber wenig in Sachen KI, was die Amerikaner besser könnten als wir: „Wir sind sowohl im Grundlagenbereich gut, als auch darin, die Erkenntnisse erfolgreich in Anwendungen einzusetzen.“ Die eigentliche Monetarisierung sei bei uns allerdings schwierig. Das sei bei der Künstlichen Intelligenz nicht anders als in vielen anderen Bereichen. „Wir tun uns in Deutschland sicherlich ein Stück schwerer damit, unsere grundlagenwissenschaftlichen Erfolge wirtschaftlich zu verwerten.“
Ein großer Unterschied liegt laut Marc Fliehe zudem im Umgang mit Innovationen: „Während in den USA Neuheiten vielleicht noch unausgereift auf den Markt kommen und in der Nutzung reifen, sind wir in Deutschland und Europa risiko­averser und wollen, dass Produkte und Anwendungen erst auf den Markt kommen, wenn sie einen gewissen Reifegrad erreicht haben.“ Damit seien wir in Europa nun mal langsamer im Hinblick auf die Einführung von Innovationen, „gleichzeitig ist ihre Nutzung zuvor bereits in einem geschützteren Rahmen vorher erprobt worden.“ 
Enquete-Kommission des Bundestages
Der Deutsche Bundestag hat im Juni 2018 mit einer Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale“ eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die den zukünftigen Einfluss der Künstlichen Intelligenz auf unser Leben, die deutsche Wirtschaft und die zukünftige Arbeitswelt untersuchen sollte. Die Kommission setzte sich aus Mitgliedern des Deutschen Bundestages und sachverständigen externen Expertinnen und Experten zusammen.
Nach knapp zweijähriger Arbeit veröffentlichte die Enquete-Kommission im vergangenen Oktober ihren Abschlussbericht – mit einem Umfang von mehr als 800 Seiten.
Der Bericht steht unter dem Leitbild einer „menschenzen­trierten Künstlichen Intelligenz“. Die Abgeordneten und Experten sehen die KI-Technologie als „die nächste Stufe einer durch technologischen Fortschritt getriebenen Digitalisierung“. Zudem gehe mit der Entwicklung ein Wertewandel einher, der zwar grundsätzlich nicht schlecht sei, aber einer „demokratischen Gestaltung“ bedürfe. Der Fokus auf den Menschen bedeutet laut Bericht, „dass KI-Anwendungen vorrangig auf das Wohl und die Würde der Menschen ausgerichtet sein und einen gesellschaftlichen Nutzen bringen sollten“. Mit dieser Grundidee lasse sich das positive Potenzial von Künstlicher Intelligenz ausschöpfen und das Vertrauen der Nutzer stärken. Die Enquete-Kommission sieht dieses Vertrauen als „grund­legenden Schlüssel für die gesellschaftliche Akzeptanz und den wirtschaftlichen Erfolg dieser Technologie“. Und dieser Erfolg sei notwendig, um sich mit einer „KI made in Germany“ beziehungsweise „KI made in Europe“ von den Ansätzen US-amerikanischer oder chinesischer Künstlicher Intelligenz abzugrenzen.
Eine der Herausforderungen beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist eine diskiminierungsfreie Technologie. Zu dem unter dem Stichwort Bias diskutierten Risiko diskriminierender KI-Anwendung empfiehlt die Kommission, den Transfer bereits bestehender Forschungserkenntnisse zu Diskriminierungserkennung und -vermeidung in den Software-Entwicklungsalltag zu fördern. Individuen müssten zudem in die Lage versetzt werden, sich gegen Diskriminierung durch KI zu wehren. Um dies sicherzustellen, brauche es einen Anspruch auf Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Erklärbarkeit von KI-Entscheidungen, damit eine gerichtliche Überprüfung automatisierter Entscheidungen möglich sei.
Der vollständige Enquete-Bericht steht zum Download zur Verfügung unter:
https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/237/1923700.pdf
4. Teil: „KI-Förderung“

KI-Förderung

Die Unternehmen können in Deutschland aber in jedem Fall auf die Unterstützung der Politik zählen. Sie hat die Wichtigkeit der Künstlichen Intelligenz erkannt. Bereits 2018 hat das Bundeskabinett eine KI-Strategie beschlossen. Für deren Umsetzung stellt die Bundesregierung bis zum Jahr 2025
5 Milliarden Euro bereit. Die KI-Strategie der Regierung verfolgt drei wesentliche Ziele:
Deutschland und Europa sollen zu einem führenden Standort für die Entwicklung und Anwendung von KI-Technologien werden
Die künftige Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands soll ge­sichert werden
Es soll eine verantwortungsvolle und gemeinwohlorientierte Entwicklung und Nutzung von KI sichergestellt und KI im Rahmen eines breiten gesellschaftlichen Dialogs und einer aktiven politischen Gestaltung ethisch, rechtlich, kulturell und institutionell in die Gesellschaft eingebettet werden.
Diese Ziele sollen dabei durch konkrete Maßnahmen umgesetzt werden, zum Beispiel durch eine Vielzahl neuer Professuren im KI-Bereich.
„Wir sehen in der Politik in den letzten Jahren eine große Offenheit und Bereitschaft zur Förderung von KI-Initiativen“, unterstreicht Gisela Lanza. So seien zahlreiche Förderprogramme in sehr kurzer Zeit initiiert worden. „Dadurch wird Unternehmen eine gute Starthilfe geboten, wo dies erforderlich ist. Diese müssen natürlich auch die Unternehmen nutzen und mit ihren konkreten Geschäftsmodellen und Ideen untermauern.“ Darüber hinaus werden laut Lanza auch die Bundesländer aktiv. Zum Beispiel Baden-Württemberg: Damit KI-Lösungen „made in Baden-Württemberg“ schneller entwickelt werden können, fördere das Land im Rahmen eines KI-Innovationswettbewerbs aktuell insgesamt 44 ausgewählte Projekte.
TÜV-Verband-Bereichsleiter Marc Fliehe zufolge fehlen jedoch seitens der Politik klare Vorgaben: „Aus meiner Sicht kann die Politik den Einsatz und die Nutzung von KI-Anwendungen fördern, indem sie Vertrauen in die Technologie schafft.“ Ein bewährtes Mittel für mehr Qualität und Vertrauen seien Sicherheitsprüfungen durch neutrale Institute - „bei risikoreichen KI-Anwendungen sollten unabhängige Dritte die Systeme auf Sicherheit und Zuverlässigkeit prüfen.“ Noch im März sei auf europäischer Ebene ein entsprechender Gesetzesvorschlag zu KI zu erwarten. „Hier sollte der risikobasierte Ansatz, der sich in anderen Produktbereichen bewährt hat, berücksichtigt und angewandt werden.“

Fazit & Ausblick

Fest steht: Die Künstliche Intelligenz lässt sich nicht aufhalten - und auch deutsche Unternehmen werden vermehrt auf die Technologie setzen (müssen), wenn sie weiterhin erfolgreich sein wollen. „Wir sehen die großen Chancen und Entwicklungen der KI in zahlreichen industriellen Anwendungen, die maßgeblich zu einer Produktivitätssteigerung beitragen“, fasst Gisela Lanza zusammen. Der Mensch als Arbeitskraft werde durch KI-Verfahren in unterschiedlichsten Bereichen unterstützt, lästige und aufwendige Routine-Tätigkeiten könnten ihm abgenommen werden.
Sie verweist in diesem Zusammenhang auf den Taschenrechner: „Er ist von der heutigen Generation schon fast wieder vergessen - und war vor 50 Jahren noch nicht einmal denkbar. Wir können gespannt bleiben, was genau der erste KI-Taschenrechner sein wird.“ Ihr Resümee und ihre klare Forderung: „Wichtig ist, um auch in Zukunft am Ball zu bleiben, dass wir gerade jungen Menschen ausreichend attraktive Möglichkeiten in Deutschland bieten, damit sie nicht in andere Länder abwandern.“
KI-Start-ups in Deutschland
„Künstliche Intelligenz und Start-ups - das passt“ - zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Künstliche Intelligenz - Wo stehen deutsche Start-ups 2020“ vom Bundesverband Deutscher Start­-ups und Hubraum, dem Tech-Inkubator der Deutschen Telekom. Demnach hat KI für gut 40 Prozent der deutschen Start-ups einen deutlichen Einfluss auf ihr Geschäftsmodell.
Dabei pflegen die KI-Start-ups eine enge Beziehung mit der Wirtschaft: Rund 74 Prozent gehen Kooperationen mit etablierten Unternehmen ein - deutlich mehr als im allgemeinen Durchschnitt von rund 67 Prozent. Die Relevanz von KI für den Mittelstand und Konzerne wird im Fokus auf das B2B-Geschäft deutlich (siehe Grafik). Der deutsche KI-Hotspot liegt übrigens in Berlin mit knapp 40 Prozent der KI-Start-ups, gefolgt von der bayerischen Metropole München mit gut 22 Prozent und Hamburg mit knapp 6 Prozent.
Doch auch wenn die KI-Start-up-Szene hierzulande zu boomen scheint - im internationalen Vergleich führt sie doch eher ein Schattendasein. Während der Studie zufolge Deutschland rund 300 KI-Start-ups zählt, sind es zum Beispiel im Hightech-Land Israel stolze 1.300 Start-ups im KI-Bereich. Vor allem wenn man bedenkt, dass in Israel nur knapp 9 Millionen Menschen leben, in Deutschland dafür mehr als 80 Millionen, wird deutlich, wie stark das kleine Land in Sachen Künstlicher Intelligenz aufgestellt ist.
Das zeigt sich auch beim investierten Wagniskapital: Rechnet man die Investitionen pro Kopf um, dann wird in Israel rund 30-mal so viel in KI-Start-ups investiert wie in Deutschland - 118 Dollar zu 4 Dollar. Deutlich mehr als hierzulande sind es auch in den USA mit knapp 60 Dollar.
5. Teil: „Im Gespräch mit Dr. Dirk Hecker vom IAIS“

Im Gespräch mit Dr. Dirk Hecker vom IAIS

  • Dr. Dirk Hecker: Stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS
    Quelle:
    Fraunhofer IAIS / Philippe Ramakers
Die Künstliche Intelligenz steht in Deutschland in vielen Branchen noch ganz am Anfang, insbesondere in den Industriebereichen, konstatiert Dirk Hecker. Er sieht aber durchaus Chancen, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern aufholen.
Dirk Hecker ist stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS. Zudem ist er Geschäftsführer der „Fraunhofer-Allianz Big Data und Künstliche Intelligenz“, einem Verbund von über 30 Fraun­hofer-Instituten zur branchenüber­greifenden Forschung und Technologieentwicklung im Bereich Big Data. Heckers aktuelle Arbeitsschwerpunkte liegen bei Big Data Analytics, Predictive Analytics, Deep Learning und Mobility Mining.
com! professional: Herr Hecker, können Sie uns ein Beispiel für eine richtig gelungene KI aus Deutschland nennen?
Dirk Hecker: Tatsächlich habe ich heute einen KI-Service aus Nordrhein-Westfalen genutzt, den ich mit dem Romanklassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“ verbinde. Damals war ich fasziniert von der Figur des Babelfischs, einer kleinen Kreatur, die sich im Ohr befindet und dem Träger eine direkte Übersetzung aller gesprochenen Sprachen ermöglicht. Kommunikationsschranken der Galaxis wurden so auflöst. DeepL aus Köln ist ein KI-basierter Übersetzungsdienst, den ich regelmäßig nutze, um meine ganz persönlichen Sprachbarrieren zu überwinden. Das Start-up schafft es, eine qualitativ sehr hochwertige Übersetzung durch den Einsatz von neuronalen Netzen anzubieten. Formulierungen in der Zielsprache können so treffsicherer übersetzt werden.
Dieses Beispiel sollte uns allen Mut machen, denn es zeigt, dass auch ein zunächst kleines Team mit viel Kreativität und Know-how den großen Internetgiganten erfolgreich Konkurrenz machen kann.
com! professional: Sprachtechnologie ist auch bei Ihnen am Fraunhofer-Institut ein Thema …
Hecker: Am Fraunhofer IAIS arbeiten wir intensiv am Thema Sprachtechnologien. So nutzt zum Beispiel die ARD unsere Sprach­erkennung, damit Journalistinnen und Journalisten audiovisuelle Inhalte wie Zitate und Redebeiträge schneller im hauseigenen Medienarchiv recherchieren können. Im sächsischen Landtag kommt unsere Spracherkennung zum Einsatz, um Live-Übertragungen aus Plenarsitzungen in Echtzeit zu unter­titeln. Sie sehen, dass Thema des Babelfischs lässt mich auch in meinem eigenen Entwicklungskontext nicht los.
com! professional: Dennoch, wenn man an Künstliche Intelligenz denkt, dann fallen einem vor allem die großen US-amerikanischen Firmen ein …
Hecker: In der öffentlichen Wahrnehmung sind amerikanische Unternehmen ziemlich präsent, ja. Leider haben wir vorerst das Rennen um die großen Internetplattformen im B2C-Bereich verloren. Die Technologie steht jedoch noch in vielen Branchen ganz am Anfang, insbesondere in den Industriebereichen, wo Deutschland und Europa seine Stärken hat.
com! professional: Das klingt jetzt nicht ganz so optimistisch. Welche Rolle spielen wir in der KI-Forschung?
Hecker: Wir haben die Chance aufzuholen, bestehende Märkte zu stärken und neue aufzubauen. In Deutschland sind wir auf der Forschungsseite gut aufgestellt, was sich auch durch die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen belegen lässt. Was wir brauchen, ist ein effizienter Transfer der Forschung in die Praxis.
Überall dort, wo sich KI-Ökosysteme aus Industrieunternehmen, Universitäten, Start-ups und Einrichtungen aus der angewandten Forschung gebildet haben, sehen wir Fortschritte in der Umsetzung. So zum Beispiel mit unserer Kompetenzplattform KI.NRW in Nordrhein-Westfalen. Die Zusammenarbeit fördert die Lust an der neuen Technologie und inspiriert die gemeinsame Kreativität.
Oftmals spüren wir jedoch noch eine Zurückhaltung in der deutschen Industrie, da die Künstliche Intelligenz viele etablierte Prozesse durcheinanderbringt. Wir sind es gewohnt, in zahlreichen Branchen inkrementelle Optimierungen durchzuführen, an einigen Stellen müssen wir dies aufgeben, um innovativ zu sein.
com! professional: Bleiben wir kurz bei der deutschen Wirtschaft. Wir sind bekannt für innovativen Maschinenbau - die Anlagen werden auch immer intelligenter. Wie stark ist die deutsche Wirtschaft bei KI? Oder wurden wir hier auch schon längst abgehängt?
Hecker: Wir haben sicherlich in Deutschland einen Maschinenbau, um den wir weltweit beneidet werden. Seit Jahrzehnten stellen ingenieurwissenschaftlich getriebene Hidden Champions präzise Hochleistungssensorik und leistungsstarke Maschinen her. Datengetriebene Dienstleistungen waren für sie jedoch lange Neuland. Vielerorts arbeiten inzwischen Data Scientists und Ingenieure Hand in Hand. Die deutschen Maschinenbauer müssen und können ihren Datenzugang nutzen - für Predictive Maintenance, Lagerorganisation oder Warenbeschaffung. Und ich bin mir sehr sicher, dass sich der Digitalisierungsgrad unserer Unternehmen noch einmal stark nach oben schrauben lässt.
Wir machen das eben „the german way“. Unsere Maschinen stehen für eine besondere Qualität und so bauen wir auch KI-Systeme. Sie sind transparent und vertrauenswürdig, laufen robust, respektieren die Sicherheitsstandards und wahren den Datenschutz. Dies stärkt das Vertrauen in KI-Technologien und stellt ein weiteres deutsches und europäisches Gütesiegel dar. Eine große Chance für die Branche.
com! professional: Müssen wir hierzulande einfach mutiger sein, was den Einsatz von KI angeht?
Hecker: Insgesamt haben mich die vergangenen Monate durch viele Gespräche optimistisch gestimmt. Klar, wir müssen noch besser darin werden, alle Akteure beim Thema Künstliche Intelligenz abzuholen, insbesondere die Gesellschaft sowie die kleinen und mittelständischen Unternehmen.
KI-Start-ups in Deutschland gelingt es immer besser, Wagnis­kapital einzuwerben, leider noch zu wenig aus Deutschland. Die meisten Unternehmer und Unternehmerinnen verstehen aber mittlerweile, dass KI eine Querschnittstechnologie ist, die man nicht einfach ignorieren kann, die nicht mehr weggeht - sie wird bleiben. Nach ersten Erfolgen stehen wir nun bei immer mehr Unternehmen vor den nächsten Meilensteinen. KI-Systeme jedoch systematisch und großflächig einzusetzen und zu skalieren, das wird noch herausfordernd.
com! professional: Wo sehen Sie das Thema Künstliche Intelligenz in Deutschland in den kommenden Jahren?
Hecker: Die Corona-Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig digitale Infrastrukturen sind, um auch in Situationen wie der jetzigen gesellschaftlich relevante Prozesse am Laufen zu halten. Egal ob in Krankenhäusern, Bildungseinrichtungen, der öffentlichen Verwaltung oder im Mobilitätssektor. Da müssen wir nachbessern und ich sehe viel Potenzial, dass KI-Systeme dazu auch einen Beitrag leisten können.
Zum Beispiel könnte überall dort, wo es um die Verarbeitung von Formularen und Akten geht, die intelligente Dokumentenanalyse zahlreiche Prozesse verschlanken und damit Arbeitskräfte für relevantere Tätigkeiten freisetzen. Die Technik dazu gibt es bereits und tatsächlich sehe ich bei jedem Behördengang neue Potenziale für deren Einsatz.
Ich wünsche mir, dass KI-Systeme aus Deutschland zum gleichen Exportschlager werden, wie die Maschinen unserer Ingenieure und Ingenieurinnen. An einem entsprechenden „Qualitäts­siegel“ arbeiten wir derzeit bei Fraunhofer mit zahlreichen Partnern aus Wirtschaft und Forschung. 

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