Künstliche Intelligenz
24.03.2020
Handel online und stationär
1. Teil: „KI wird zum Game Changer“

KI wird zum Game Changer

KI im HandelKI im HandelKI im Handel
EstherQueen999 / shutterstock.com
Künstliche Intelligenz mischt die Karten im Handel neu. Vorreiter ist hier der E-Commerce. KI stellt mittlerweile einen Wettbewerbsvorteil dar. Die Frage lautet also nicht ob, sondern wann KI eingesetzt wird.
Die Produktbeschreibungen in den Online-Shops der Technikmärkte MediaMarkt und Saturn sind umfangreich - bei über 350.000 Produkten ein ordentliches Stück Arbeit. Dafür muss sich aber kein Mensch mehr abmühen: Die Shops nutzen für die Generierung von Produktbeschreibungen Künstliche Intelligenz (KI): Eine sogenannte Natural Language Generation (NLG) erstellt die Texte auf der Grundlage technischer Produktdaten. NLG ist, vereinfacht gesagt, der Prozess der Übernahme strukturierter Daten und deren Umwandlung in Text. Das System verwendet also die technischen Daten der Produkte, baut diese in vorformulierte Sätze ein und generiert auf diese Weise individuelle Produktbeschreibungen für jeden Artikel.
Das ist nur ein Beispiel, wie Künstliche Intelligenz den Handel verändert - und das nicht nur online, sondern auch im Laden um die Ecke. Wie KI das Einkaufserlebnis im stationären Geschäft belebt, zeigt Douglas: In mehreren Filialen der Parfümerie-Kette können Kunden individuell auf die eigene Haut abgestimmte Cremes kaufen. Ein Gerät in der Größe eines Kleiderschranks bestimmt die Hauteigenschaften des Kunden und stellt daraufhin KI-unterstützt eine persönliche Hautpflege zusammen.
„Künstliche Intelligenz ist essenziell, wenn es darum geht, das Kundenerlebnis durch personalisierte Erfahrungen und Smart Services zu steigern, und zwar nahtlos über alle Kanäle hinweg. Denn das erwarten Kunden vom Einzelhandel heute“, erklärt Nadine Wolanke, Leiterin Retail Business Unit bei Salesforce Deutschland. Die Einsatzmöglichkeiten reichten etwa von hochpersonalisierten Empfehlungen für Produkte über Rabatte zur richtigen Zeit über den richtigen Kanal bis hin zu schnellerem Kundenservice durch Chatbots. Aber auch den nächsten Schritt im Support wie die intelligente Zuweisung von Servicefällen an den geeigneten Mitarbeiter oder Empfehlungen für den Kundendienst könnte eine KI übernehmen.
„Die Anwendungsbereiche von Künstlicher Intelligenz im Handel sind vielfältig“, sagt auch Stephan Tromp. Laut dem stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE) findet man gängige Beispiele für den Einsatz intelligenter Systeme außer in Filialen etwa in den Unternehmenszentralen und in der Kundenerfahrung. Konkret seien dies zum Beispiel das Bestandsmanagement, die smarte Tourenplanung in der Logistik oder die digitale Umkleidekabine.

Status quo

Die Studie „Mit Künstlicher Intelligenz den Handel stärken“ der Managementberatung Horváth & Partners kommt zu dem Schluss, dass KI nicht nur Einzug in den privaten Alltag gehalten hat, sondern dass insbesondere der Handel von KI profi­tieren kann. Der Grund: Durch die Vielzahl an Kundeninteraktionen ergebe sich ein schier unermesslicher Datenbestand als Entscheidungsgrundlage für Unternehmensaktionen und -prozesse. Die Berater sehen allerdings auf der anderen Seite auch ein bedrohliches Szenario für Handelsunternehmen: Kunden änderten ihr Kaufverhalten und informierten sich lieber selbstständig und untereinander, Hersteller übernähmen die Funktionen des Handels und neue Anbieter ließen den Konkurrenzdruck steigen.
Während einige Händler die kommenden Herausforderungen erkannt hätten und Künstliche Intelligenz nutzten, um ihre Rolle als Vermittler zu verteidigen und den Kunden mit herausragendem Service zu begeistern, treffe dies, so Horvárth & Partners, jedoch bei Weitem nicht auf die Mehrheit der Handelsunternehmen zu. Oftmals fehle es an einer ganzheitlichen KI-Strategie.
Die Berater attestieren dem deutschen Handel zudem einen enormen Rückstand bezüglich KI und sprechen von einem „alarmierend großen KI-Gap“, einer riesigen Investitionslücke über die gesamte Wertschöpfungskette des Handels hinweg. Die Zahlen unterstreichen dies: So gaben 42 Prozent der für die Studie befragten Entscheider an, keine oder kaum KI in ihren Unternehmen einzusetzen. Das Potenzial wird also noch nicht annähernd ausgeschöpft. Als Gründe nennt die Studie einen grundsätzlich fehlenden Digitalisierungsgrad der Unternehmen, mangelnde Ausbildung oder Akzeptanz der Mitarbeiter sowie das wahrgenommene Risiko einer Fehlinvestition - „das lässt Entscheidungsträger den KI-Einstieg hinauszögern statt diesbezüglich aktiv zu werden.“
Das zögerliche Verhalten deutscher Händler in Sachen KI bestätigt auch Aleš Drábek, Chief Digital & Disruption Officer beim Elektronik-Fachhändler Conrad Electronic. „Aus meiner Sicht beschäftigen sich bis jetzt zu wenige Unternehmen in Deutschland mit diesem Thema.“ Ausnahme seien ein paar moderne Handelsunternehmen, die die Digitalisierung als Chance für sich erkannt hätten. „In vielen Ländern, nicht nur in den USA oder China, sind Unternehmen schon viel weiter auf diesem Gebiet. Um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben, ist es zwingend notwendig, auch auf KI zu setzen.“
KI im Handel am Beispiel HRS
Günstiger reisen: KI hilft beim Verhandeln von Firmenraten.
com! professional / Screenshot
Praxis-Beispiel I: KI verhandelt Raten
Das Buchungs-Portal HRS setzt auf Augmented Artificial Intelligence (AAI), eine speziellen Form der Künstlichen Intelligenz. Geschäftskunden von HRS sollen damit bei Ratenverhandlungen mit Hotels 10 Prozent und mehr an Hotelkosten einsparen können.
AAI nutzt mehrere Datenmodelle anstatt eines einzigen Algorithmus. Die AAI-Modelle des Kölner Reisespezialisten basieren auf maschinellem Lernen, das komplexe Muster aus kontinuierlichen Datenströmen identifiziert. So berücksichtigen die Algorithmen zum Beispiel die langfristige Ratenentwicklung inklusive Saisonalität, kurzfristige Ereignisse, die die Auslastung erhöhen, Raten anderer Firmen in der jeweiligen Destination sowie Such- und Buchungsdaten von Reisenden. „AAI identifiziert marktspezifische Muster in Sekundenbruchteilen, untersucht kontinuierlich Daten und verschiedene Szenarien und interpretiert die Ergebnisse genauer. Es entfernt auch irrelevante Datenpunkte, von denen der Mensch glaubt, dass sie einen hohen Einfluss haben“, erklärt dazu HRS-Geschäftsführer Tobias Ragge.
2. Teil: „Offline und online“

Offline und online

  • Einsatzfelder von Künstlicher Intelligenz: Algorithmische Entscheidungen kommen im Handel in vielen Bereichen vor.
    Quelle:
    Handelsverband Deutschland (HDE)
Auch wenn man im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz oft erst einmal an die Großen der Branche denkt - das Thema betrifft grundsätzlich jeden Händler, vom Big Player online wie stationär bis hin zur Boutique um die Ecke und zum kleinen, spezialisierten Online-Shop. „Es ist keine Frage der Größe, sondern eine Frage des Nutzens: Wo ist KI sinnvoll?“, betont Stephan Tromp. Zwar räumt er ein, dass für einen kleinen Modeladen die Entwicklung eigener KI-Systeme in den meisten Fällen nicht leistbar sei - „nichts­desto­trotz können auch Mittelständler mit standardisierten, eingekauften KI-Applikationen zum Beispiel für die Inventur oder das smarte Energiemanagement von intelligenten Systemen profitieren.“
Ähnlich sieht das Aleš Drábek: KI sei definitiv nicht nur für große Händler oder Shops geeignet. Auch kleinere Läden könnten Künstliche Intelligenz einsetzen, hätten allerdings oft zu wenig Daten und Ressourcen, um ein solches Projekt zu stemmen. Sie könnten aber dennoch Nutzen aus KI-Aktivitäten ziehen, etwa mit Plattformen, die bereits fertige Algorithmen anbieten, unter anderem zur Absicherung des Online-Auftritts und um Betrugsversuche zu erkennen.
„Dem spezialisierten Online-Shop oder der kleinen Boutique ist etwa mit einer Analyse, welche Kunden besonders gut auf Promotion von verwandten Produkten ansprechen dürften, oder einer Prognose, wann sie von welchen Artikeln besonders viele verkaufen können, genauso geholfen“, ergänzt Nadine Wolanke. Sie sieht ebenfalls in Plattformen eine Lösung: „Wenn Shops KI über eine Plattform nutzen, dann können sie von KI profitieren, ohne Spezialisten zu benötigen - was sonst eine Hürde wäre.“
Vor allem wenn es für das Ladengeschäft, das auch online aktiv ist, darum geht, gegen die wachsende Online-Konkurrenz zu bestehen, kann Künstliche Intelligenz eine Chance bieten. „Der Online-Handel und der stationäre Handel verschmelzen immer mehr“, berichtet Nadine Wolanke. Das zeige zum Beispiel die steigende Nutzung sogenannter Click-and-Collect-Angebote, das Abholen von Online-Bestellungen im stationären Geschäft. Laut „Salesforce Holiday Shopping Report 2019“ verzeichneten Einzelhändler, die Click and Collect angeboten haben, in den letzten fünf Tagen der Saison 56 Prozent mehr aktive digitale Käufer. Einen weiteren Beleg stelle die steigende Anzahl an Showroom-Konzepten dar, bei denen Marken und Händler in bevorzugten Lagen Flagship-Stores betreiben. Dort können Kunden die Marke und die Produkte hautnah erleben und sie entweder nach Hause oder zur Abholung bestellen. „Man spricht ja auch bei Kunden, die zunächst im Handel vor Ort nach Produkten suchen, um sie dann online zu kaufen, vom sogenannten Showrooming.“ Um dieses Erlebnis überzeugend zu gestalten, seien intelligente Technologien für die Planung, das Back-Office und den Kundenservice unerlässlich.
Die meisten Händler seien, so Aleš Drábek, heutzutage bereits sowohl stationär als auch online vertreten und würden ihr Geschäftsmodell auf Omnichannel ausrichten. In vielen Handelsbereichen seien derzeit große internationale Unternehmen mit hohen Marketingbudgets und Vorteilen aufgrund des Einkaufsvolumens führend. „Aber ich persönlich sehe für die Zukunft eine deutliche Chance für kleinere Unternehmen, die ihren Fokus auf die Entwicklung von Technologien, insbesondere von KI setzen.“
Mitarbeiter, die stark digital denken, spielen dabei eine wichtige Rolle - und die gibt es gerade auch in vielen kleinen Unternehmen.

KI im B2B

Auch wenn Künstliche Intelligenz im B2C-Bereich mittlerweile eine gewisse Bedeutung erlangt hat - im B2B-Sektor kommt KI bislang erst marginal zum Einsatz. Conrad-CDDO Aleš Drábek ist sicher, dass sich das in den kommenden Jahren ändern wird. Ein Grund sei, dass B2B-Einkäufer immer mehr Bestellungen über B2B-Marktplätze und Beschaffungsplattformen abwickeln. „Auf diesen Plattformen gibt es Millionen von Produkten. KI wird daher die Selektion von Produkten für die Einkäufer erleichtern.“ KI könne auch unterstützen, Lager zu reduzieren und dadurch Kosten zu minimieren. Denn: „Industriebetriebe sind auf optimale Auslastung ihrer Anlagen angewiesen, Ausfallzeiten kosten enorm viel Geld.“ Deshalb werde viel auf Vorrat eingekauft, was hohe Kosten verursache. Als weiteren Grund für mehr KI im B2B sieht Aleš Drábek den Aspekt Nachhaltigkeit, „ein Thema, das heutzutage nicht nur zum guten Ton gehören, sondern ein Muss für jedes Unternehmen sein sollte“. Die Digitalisierung interner Prozesse, der Logistik und der Produktion durch den Einsatz von KI-Algorithmen könne dabei unterstützen, den CO2-Fußabdruck eines Unternehmens zu verringern.
Nadine Wolanke bestätigt den Trend zu KI auch im B2B-Bereich: „Wir sehen zurzeit, dass KI im B2B-Umfeld eine zunehmend wichtigere Rolle bei Prozessen und Entscheidungen spielt.“ Immer mehr Unternehmen würden ihre Einkaufsprozesse auf digitale Plattformen umstellen, da Kunden mittlerweile auch im B2B-Geschäft die gleichen Funktionalitäten erwarteten, die man als Privatkunde zu schätzen wisse. „KI spielt hier eine tragende Rolle, auch für den Kontakt zum Geschäftskunden sind Personalisierung und ein effizienter Kundenservice extrem wichtig.“
KI im Handel am Beispiel Douglas Skinmade
Individuelle Hautcreme: Ein kurzer Hauttest und wenige Augenblicke später ist das genau auf den Kunden zugeschnittene Pflegeprodukt fertig.
Fraunhofer IPA / Rainer Bez
Praxis-Beispiel II: KI mischt Hautcreme
Die richtige Creme für den eigenen Hauttyp zu finden, ist gar nicht so leicht. Die Parfümerie-Kette Douglas hat in einigen Filialen Geräte aufgestellt, die mittels Künstlicher Intelligenz binnen Minuten eine personalisierte Creme anrühren.
Das Gerät des Unternehmens Skinmade, einer Ausgründung des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), ist so groß wie ein Kleiderschrank und fasst eine komplette Produktionsstraße – die Maschinensteuerung, Rohstoffe, Tiegel und Deckel sowie Messgeräte, um den Feuchtigkeits- und Fettgehalt der Haut des Kunden zu analysieren.
Bevor die Herstellung der personalisierten Hautcreme startet, wird an Stirn, Wange und unterhalb des Mundwinkels der Feuchtigkeits- und Fettgehalt der Haut ermittelt. Das Messverfahren basiert auf der Fettfleck-Fotometrie: Ein mattiertes Band wird für 30 Sekunden auf die Haut gehalten. Nach Kontakt mit dem Sebum, dem Hauttalg, wird das Band lichtdurchlässig und gibt so Aufschluss über den Fettgehalt der Haut. Eine weitere Messung bestimmt deren Elastizität.
Nun kommen selbstlernende Algorithmen und eigens programmierte neuronale Netze zum Einsatz, die das Messergebnis auswerten und berechnen, welche Inhaltsstoffe die Creme in welcher Konzentration enthalten soll. Nach sieben Minuten erhält der Kunde einen Tiegel mit seiner individuellen Creme.
3. Teil: „KI-Einführung“

KI-Einführung

  • Kosten sparen und Prozesse optimieren: Darin sehen die Entscheider im Handel den größten Vorteil von Künstlicher Intelligenz.
    Quelle:
    Horváth & Partners - „Mit Künstlicher Intelligenz den Handel stärken“, 2019 (n = 101)
Händler, die bislang wenig oder gar nicht auf Künstliche Intelligenz setzen, sollten daher alsbald anfangen, sich mit der Thematik zu beschäftigen. Horvárth & Partners gibt dazu in seiner Studie die folgenden Handlungsemp­fehlungen:
Heute aktiv werden: Unternehmen sollten eigene KI-Gaps entlang ihrer Wertschöpfungskette identifizieren.
Learn from the best: Unterstützung durch externe Experten sei erfolgsentscheidend, wenn das Wissen über Künstliche Intelligenz im eigenen Unternehmen nicht vorhanden ist.
Pick the „low hanging fruits“: Es sollten Pilotprojekte gestartet und so Erfahrungen für eine ganzheitliche KI-Strategie gesammelt werden.
Mitarbeiter und Führungskräfte mitnehmen: Motivierte und geschulte Mitarbeiter seien der primäre Erfolgsfaktor für gelungene Transformationsprojekte.
Laut Horvárth & Partners stehen der Realisierung von KI-Projekten im Handel noch häufig Widerstände und Hemmnisse gegenüber. So gaben in der Studie 44 Prozent der befragten Entscheider aus dem Handel an, dass der geforderte Digitalisierungsgrad nicht vorhanden sei. Zudem sagten 42 Prozent, dass die Mitarbeiter nicht ausreichend ausgebildet seien. Hier sei es wichtig, Aufklärungsarbeit unter den Mitarbeitern zu leisten, Ängste abzubauen und ein innovatives Mindset im Unternehmen zu schaffen.

Fazit

Künstliche Intelligenz, also IT-Lösungen, die für die automatisierte Verarbeitung bestimmter Aufgaben eingesetzt werden, gewinnt auch im Handel an Bedeutung - sowohl im Online-Handel als auch im stationären Einzelhandel. Auch im B2B-Sektor wird sich KI mehr und mehr durchsetzen.
Vor allem der E-Commerce ist bei der Künstlichen Intelligenz Vorreiter, viele KI-Anwendungen sind hier bereits erprobt und im Produktivbetrieb. „Die im E-Commerce eingesetzten KI-Anwendungen sind vielgestaltig und bieten Lösungen, die die Informatik bislang nicht oder nicht wirtschaftlich vertretbar zu leisten im Stande war. In der überwiegenden Zahl der Fälle übertrifft der durch den Einsatz von KI erzielte Mehrwert die erforderlichen Investitionen spürbar“, resümie­rte vergangenes Jahr der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) in seinem Positionspapier „Künstliche Intelligenz im E-Commerce“.
KI verändert also zweifellos den Wettbewerb im Handel. Die Frage ist daher schon lange nicht mehr, ob die Technologie zum Einsatz kommt, sondern nur noch, mit welchen Lösungen und welcher Methodik man die neuen Möglichkeiten umsetzt und nutzt.
KI im Handel am Beispiel Zalando
Das passt zusammen: Die Künstliche Intelligenz von Zalando erstellt passende Stylings für seine Kunden.
Zalando
Praxis-Beispiel IV: KI empfiehlt Outfits
Der Mode-Händler Zalando nutzt Machine Learning, um seinen Kunden individuelle Styling-Tipps zu geben. Hierfür erstellt der Algorithmic Fashion Companion (AFC) Outfits, die zu der Einkaufshistorie der Kunden passen.
Die Datenwissenschaftler haben nach Angaben von Zalando dem Algorithmus auf Basis von mehr als 200.000 Outfits beigebracht, einzelne Kleidungsstücke zu identifizieren und zu neuen Stylings zu kombinieren.
Der AFC kreiert Outfits um sogenannte Ankerartikel, etwa Kleidungsstücke, die Kunden kürzlich gekauft oder die sie auf ihre Wunschliste gesetzt haben. Zu diesen Artikeln werden jeweils zwei bis drei passende Stücke angezeigt.
4. Teil: „Im Gespräch mit Dr. Michaela Regneri von Otto“

Im Gespräch mit Dr. Michaela Regneri von Otto

  • Dr. Michaela Regneri: Senior Expert AI & Cognitive Computing bei Otto
    Quelle:
    Otto
Künstliche Intelligenz eröffnet dem Handel - sowohl online als auch offline - ganz neue Möglichkeiten. Davon ist Dr. Michaela Regneri, Senior Expert AI & Cognitive Computing beim größten deutschen Online-Händler Otto, fest überzeugt.
com! professional: Frau Dr. Regneri, Künstliche Intelligenz ist weit mehr als nur dynamische Preisgestaltung. Welche Anwendungen im Handel sehen Sie in erster Linie?
Michaela Regneri: KI-Anwendungen existieren bereits entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Handel - online ebenso wie stationär oder in Cross-Channel-Modellen. Viele dieser KI-gestützten Systeme gestalten das Kundenerlebnis neu oder besser, zum Beispiel mit präziseren Produktempfehlungen, übersichtlicheren Zusammenfassungen von Produktbewertungen oder beim Einsatz von Sprachassistenten und Chatbots im Ser­vicebereich.
Aber auch intern hilft KI, Prozesse effizienter oder zuverlässiger zu machen, zum Beispiel bei der Optimierung von Lieferwegen und Lagerbeständen oder auch bei der Betrugserkennung.
com! professional: Und wie weit sind wir hier in Deutschland? Setzen sich die Händler schon ausreichend mit dem Thema aus­einander?
Regneri: Der Handel hat die Relevanz von KI längst erkannt - oft gibt es aber noch Umsetzungshürden. Während die technischen Hürden mit Cloud-Diensten und Software-Angeboten langsam sinken, mangelt es häufig an digitaler Infrastruktur, Trans­parenz was die Datenrechtslage angeht und ausgebildeten Fachkräften.
Bei der Betrachtung des aktuellen Entwicklungsstands kommt es darauf an, welche Bereiche wir uns anschauen. Im E-Commerce sind viele KI-Anwendungen mit der digitalen Umgebung schon umfassend verwachsen, während im klassischen Retail-Geschäft noch Luft nach oben ist. Dabei wären beispielsweise vollvernetzte Ladengeschäfte, die in besten Innenstadtlagen die Vorzüge aus Online- und Offline-Handel miteinander verbinden, ideale Spielwiesen auch für KI-Anwendungen, etwa bei der Vor-Ort-Beratung von Kunden. Ich gehe davon aus, dass der Einzelhandel in den kommenden Jahren noch mehr in KI investieren wird, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
com! professional: Und wie stehen wir im internationalen Vergleich da?
Regneri: Hier sehe ich Deutschland gerade im Vergleich mit E-Commerce-Riesen aus den USA oder einigen asiatischen Ländern eher im Mittelfeld, was sich wiederum auf den Handel auswirkt. Gerade bei kleineren Unternehmen sind Faktoren wie Unsicherheit rund um Datenschutz oder Kundenvertrauen zusätzliche Hemmnisse. Das gilt übrigens auch beim Thema Smart-Home: Hier dominieren am deutschen Markt US-Systeme zum Beispiel von Google und Apple, denen nicht geringe Bevölkerungsteile durchaus skeptisch gegenüberstehen. Ich bin trotzdem davon überzeugt, dass KI in den kommenden Jahren stark an Bedeutung gewinnen wird - auch im Handel.
com! professional: Ist KI nur für große Händler und Shops oder profitiert davon zum Beispiel auch die Boutique um die Ecke oder der kleine, stark spezialisierte Online-Shop?
Regneri: Natürlich liegt es nahe, erst einmal auf die „Schwergewichte“ der Branche zu schauen, gerade wenn es um die - nicht selten kostenintensive - Entwicklung von KI-Anwendungen geht. Das können Konzerne meist einfacher schultern als Start-ups oder Mittelständler. Anzuraten ist der Einsatz von KI-gestützten Systemen aber grundsätzlich für alle Händler, unabhängig von ihrer Größe.
Was kleinen und mittelständischen Unternehmen meiner Meinung nach oft fehlt, sind niederschwellige Angebote, um die Vorteile von erschwinglichen KI-Technologien für sich zu erkennen. Gerade Nischenprodukte aus der kleinen Boutique im Szene-Viertel oder dem spezialisierten Online-Shop können zum Beispiel enorm von KI-gestützten Marketingtechniken profitieren, die ihre Reichweite erhöhen. Automatisierte, KI-basierte Prozessverbesserungen senken dabei die Kosten. Außerdem ist gerade für kleine Shops und Start-ups erfahrungsgemäß ein guter, schneller Kundenservice wichtig - auch hier kann Künstliche Intelligenz bei Skalierung und Qualität eine große Hilfe sein.
com! professional: Also spielt KI künftig auch im stationären Handel eine wichtige Rolle …
Regneri: Im Online-Handel sind Daten sehr viel umfänglicher und unmittelbarer verfügbar als im klassischen Retail. Daher lassen sich KI-Anwendungen im E-Commerce wesentlich schneller und nahtloser in die Geschäftsabläufe integrieren.
Das disruptive Potenzial ist für den Einzelhandel aber vielleicht sogar größer, etwa im Rahmen von Connected-Commerce-Konzepten, die auch hierzulande mehr und mehr an Bedeutung gewinnen werden.
com! professional: Das klingt nach einer Chance für den stationären Handel, sich gegenüber dem Online-Handel zu behaupten.
Regneri: Einerseits versucht der Online-Handel auch mit Hilfe von KI, möglichst umfangreich das echte, lokale Shopping-Erlebnis im Laden abzubilden, zum Beispiel mit Virtual-Reality-Apps, die Möbel platzieren können. Nur: Ein Vor-Ort-Shopping-Erlebnis vollumfänglich ersetzen, das wird er - zumindest nach dem heutigen Stand der Technik - vermutlich so schnell nicht können.
Allerdings ist die Abgrenzung von Online und Retail meines Erachtens auch der völlig falsche Maßstab: Vielmehr müssen Retail und E-Commerce künftig noch sehr viel vernetzter denken, enger zusammenrücken und ihre beiderseitigen Vorteile miteinander kombinieren. Warum nicht in Geschäften vollvernetzte Umkleidekabinen mit AR-Modulen anbieten? Warum nicht Kunden die Möglichkeit bieten, Ware aus Shopping-Centern online vorzubestellen, per PayPal zu zahlen und per Radkurier taggleich nach Hause liefern zu lassen? All das können wunderbare Spielfelder für KI sein.
com! professional: Welche Rolle spielt KI eigentlich im B2B? Hier sind Kundenbeziehungen in der Regel länger und intensiver.
Regneri: Im B2B-Bereich ist die Rolle von KI nicht weniger relevant als im direkten Kundenkontakt. Ein aktuelles Beispiel: Beim Aufschalten neuer Partner auf unserer Plattform Otto.de ermöglichen automatisierte Prozesse künftig nicht nur eine deutlich schnellere und besser planbare Abwicklung. Interessant könnten in diesem Kontext bald auch KI-Applikationen sein, die beispielsweise automatisch Artikelbeschreibungen standardisieren, vervollständigen oder auf rechtliche Implikationen prüfen.
com! professional: Blicken wir noch kurz in die Zukunft - wo sehen Sie künftige Einsatzgebiete von KI bei Otto?
Regneri: Betreffen wird die ständige Weiterentwicklung von KI meiner Meinung nach eher früher als später wohl alle Bereiche, vom Controlling bis zum Marketing. In welchem Ausmaß, das ist heute noch nicht absehbar.
Wahrscheinlich werden wir in den nächsten Jahren die auffälligsten Entwicklungen bei der kundenzentrierten Individualisierung von Produkten und Services sehen. Digitale Assistenten oder auch Kleidung aus dem 3D-Drucker sind dafür  ja schon erste, wenn auch noch sehr begrenzte Beispiele.
Wer weiß, vielleicht gibt es irgendwann einmal persönliche Drohnen, die nicht nur die Einkäufe für mich erledigen, sondern gleichzeitig auch noch Personal Trainer und Barista sind und außerdem meine Steuererklärung machen - das fände ich ganz großartig, wenn auch aus heutiger Sicht wenig realistisch.
KI im Handel am Beispiel Otto adSoul
Suchmaschinen-Werbung: adSoul erstellt automatisiert Keyword-Anzeigen.
Bild: Otto Group Digital Solutions (OGDS)
Praxis-Beispiel III: KI steuert Suchmaschinen-Marketing
Die Otto Group Digital Solutions (OGDS), ein Unternehmen der Otto Group, das sich auf die Gründung von Start-ups unter anderem im Bereich E-Commerce fokussiert, bietet mit adSoul eine Software zur Automatisierung von Search En­gine Advertising (SEA) an. Mit Hilfe von adSoul sollen Unternehmen Keyword-basierte Werbeformen auf Suchmaschinen vollautomatisiert umsetzen. Hinter adSoul steht eine automatische Textanalyse durch Künstliche Intelligenz und Natural Language Processing (NLP), also die sprachliche Verarbeitung und Interpretation von Wörtern durch Software. Das Tool adSoul bucht kontinuierlich Keywords sowie die entsprechenden ausschließenden Keywords, erstellt automatisch Anzeigentexte und bestimmt die passenden Zielseiten für die Suchmaschinenwerbung.

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