Künstliche Intelligenz
29.07.2019
KI im Marketing
1. Teil: „KI-Agenten personalisieren die Kundenbeziehungen“

KI-Agenten personalisieren die Kundenbeziehungen

Menschliche Frau und RoboterMenschliche Frau und RoboterMenschliche Frau und Roboter
geralt / Pixabay.com
Jetzt setzen auch Marketing-Experten auf Künstliche Intelligenz: Die Technologie informiert das Marketing und skaliert den Vertrieb. Die Arbeitsweise wird durch die KI nachhaltig verändert.
  • Quelle:
    "Adobe Experience Index 2019"
Der wachsende Wunsch nach personalisierter Betreuung stößt auf Kapazitätsbarrieren im Vertrieb und im Kundendienst. Kundenzentrierte Unternehmen begegnen dem Wachstumsdruck durch den Einsatz Künstlicher Intelligenzen (KI). Die Automatisierung im Vertrieb setzt mittlerweile auf KI-Assistenten, die analytische Datenkompetenz mit verblüffend menschenähnlichen Kommunikationsfähigkeiten zu verbinden wissen.
Für viele Firmen war dieser Fortschritt auch dringend notwendig. „In Sachen Kundenservice haben Unternehmen Nachholbedarf“, beobachtet etwa Martin Moschek, PR & Social Communications Manager Central Europe bei Adobe Systems. Für die Studie „Adobe Experi­-ence Index 2019“ hat das Unternehmen gut 1000 Konsumenten in Deutschland befragt. Ergebnis: Vor allem die fehlende Personalisierung empfinden die Verbraucher als mangelhaft. 72 Prozent legen großen Wert auf personalisierte Services.
41 Prozent haben bereits mindestens einen Einkauf im Warenkorb abgebrochen, weil ihnen die Customer-Experience nicht gefallen hat. Und 57 Prozent der befragten Verbraucher möchten zwar lieber mit einem Menschen als mit einer Software interagieren, doch nahezu genauso viele, nämlich 56 Prozent, sind auch Bots gegenüber prinzipiell offen, sofern diese automatisierte Interaktion von den Unternehmen gut implementiert ist.

„Human Touch“

„Jennifer“ ist in vielerlei Hinsicht wie jede andere Verkaufsberaterin. Sie hat einen Job-Titel, eine E-Mail-Adresse und eine Telefonnummer, verrät augenzwinkernd Alex Terry, der Geschäftsführer von Conversica, einem kalifornischen Anbieter von KI-Assistenten. Jennifer kann interessierte Kunden fachgerecht zum Verkaufsabschluss begleiten, per E-Mail oder SMS - beharrlich und unnachgiebig, freundlich und professionell. Mal signiert sie als Jennifer, mal als Heidi oder Martina. Gibt der Interessent neue Kontaktdaten an, aktualisiert sie prompt die Kundendatenbank.
Jennifer schmiedet das Eisen, solange es heiß ist: Innerhalb von maximal vier Minuten hat der Käufer eine personalisierte Antwort auf sein besonderes Anliegen. Jennifer hält ihre Kommunikationspartner so entschlossen bei der Stange, dass es diese mit ihrer  Loyalität mitunter übertreiben. Der eine oder andere möchte der engagierten Beraterin unbedingt persönlich begegnen. Genau das hat aber noch keiner geschafft. Denn Jennifer ist grundsätzlich niemals im Büro anzutreffen, vielmehr hat sie ihren „Arbeitsplatz“ in einem Rechenzentrum.
„Sie ist heute schon wieder nicht da?“, fragt ein Interessent im Mercedes-Ausstellungsraum eines Autohändlers im US-Bundesstaat Texas und wundert sich:  „Sie hat mich doch gerade noch wegen der neuen Mercedes-S-Klasse angesimst.“ Menschliche Kollegen der KI-Agentin haben ihre liebe Not, die Abwesenheit von „Jennifer“, „Heidi“ oder „Martina“ zu entschuldigen, und doch möchten sie sie um nichts in der Welt mehr missen. Denn die Künstliche Intelligenz beschert ihnen hochwertige, qualifizierte Leads, die sich dann wie am Schnürchen zu Käufern konvertieren lassen.
Die heiß begehrte Verkaufsberaterin ist ein KI-gestützter Software-Agent, der sich in Salesforce und Adobe Marketo integriert. Er erweitert die menschliche Belegschaft um skalierbare Kapazitäten im Vertrieb, optimiert die Kundenreise und koordiniert nebenbei die unternehmensinterne Kommunikation als zentraler Informations-Hub.
2. Teil: „Übergabe von Leads“

Übergabe von Leads

  • Überwältigende Zustimmung: Fast 90 Prozent der Marketing-Manager befürworten den stärkeren Einsatz von KI.
    Quelle:
    "KI - die Zukunft des Marketing SRH Hochschule Berlin", n = 208
„Die Entkoppelung von Marketing- und Verkaufsteam bei der Übergabe von Leads ist ein Klassiker“, stellt Gloria Lee Ochman, Senior Marketing Programs Manager bei Conversica, kritisch fest.
Ihr Team setzt die hauseigenen Verkaufsagenten für die Vorab-Qualifizierung von Leads zur Weitergabe an menschliche Verkäufer ein. Vor Inbetriebnahme der KI-Plattform war Lead-Generierung bei Conversica ein mühsamer manueller Prozess mit einer hohen Fehlerrate. „Wir nutzten eine ganze Reihe prädiktiver Werkzeuge (…), um unsere Zielgruppe zu identifizieren“, verrät Ochman. Ein solides regelbasiertes Marketing-Automatisierungssystem sollte dann die Leads in den Verkaufstrichter einfließen lassen. Stattdessen landeten sie in einem „schwarzen Loch“. Denn die Verkaufsmitarbeiter folgten lieber eigenen Anhaltspunkten.
Durch diese Rosinenpickerei rann dem Unternehmen das Wachstum durch die Finger. Die interne KI-Verkaufsassistentin von Conversica, Spitzname Rachel, konnte auf Anhieb sagenhafte 63 Prozent neu geschaffener Leads und 54 Prozent der Bestandskunden im Rahmen von personalisierten Marketing-Kampagnen zu Interaktionen mit dem Unternehmen animieren.
Der europäische Sicherheitsanbieter ESET nutzt Conversica in seinen englisch- und französischsprachigen Verkaufstrichtern in Nordamerika - und konnte eigenen Angaben zufolge in den ersten zwölf Monaten nach Inbetriebnahme der KI über 23.000 Leads binden und 236.000 Dollar zusätzliche Einnahmen verbuchen. Andere Nutzer KI-gestützter Vertriebsassistenten berichten von ähnlichen Resultaten. CenturyLink, ein globales Telekommunikationsunternehmen mit Niederlassung in Frankfurt am Main, berichtet von einem 20-fachen RoI (2.000 Prozent pro Monat) in seinen englischsprachigen Kanälen. Das Unternehmen schreibt dies der „massiv personalisierten“ Ansprache geeigneter Zielgruppensegmente zu. Angie und Ashley, zwei Personas des KI-Agenten von Conversica, gewinnen für CenturyLink bis zu 400 qualifizierte Leads pro Monat und betreuen diese „strategisch“.
Anders als virtuelle Assistenten der Consumer-Klasse wie Alexa oder Google Assistant ist Conversica der deutschen Sprache noch nicht mächtig. Gegenüber com! professional wollte sich der Anbieter diesbezüglich nicht festlegen. In den kommenden Monaten möchte das Unternehmen in Europa zunächst noch das Terrain sondieren. Hierzu hat der kalifornische Anbieter im April 2019 einen Coworking-Space in London eingeweiht.

Touchpoints der Kundenreise

Die KI-Agenten von Conversica kommunizieren digital, jedoch nur schriftlich. „Sprechfähige“ KI-Engines führender virtueller Assistenten wie Google Assistant/Duplex, Microsoft Cortana und Amazon Alexa könnten diesen Markt durchaus aufmischen. Die plauderfreudigen KI-Systeme meistern inzwi­schen sogar die nicht lineare Gesprächsführung auf menschenähnlichem Niveau; ihre Leistung nähert sich allmählich den Fähigkeiten eines geschulten Vertriebsmitarbeiters an.
Die Technologieführerschaft beansprucht die chinesische Alibaba Group für sich. Das Unternehmen hat mehrere KI-Agenten auf Basis seiner AliMe-Engine aktiv im Feldeinsatz. Eine dieser Lösungen verhandelt bei der chinesischen Cainiao Smart Logistics Network Limited in „persönlichen“ Telefongesprächen mit einzelnen Empfängern über die bevorzugten Liefermodalitäten für ihre Pakete. Ein KI-Assistent der E-Commerce-Plattform Xian Yu von Taobao (einem Alibaba-Ableger) wiederum führt autark Preisverhandlungen für Gebrauchtwaren. Tmall Smart Selection von Alibaba liefert intelligente Kaufempfehlungen (auch) im stationären Einzelhandel. Die Gestaltung personalisierter Kundenerlebnisse stützt sich hierbei auf ausgefeilte Sensorik: Die Interaktionen eines Verbrauchers mit Ausstellungsstücken, Displays und Ladenregalen erbringen den Unternehmen wertvolle Daten.
KI-gestützte Agenten in Europa entwickelt etwa das französische KI-Start-up Yseop in Zusammenarbeit mit dem Fintech Addventa für Unternehmen wie Allianz und Société Générale. Dafür heimste es jüngst den begehrten Digital Finance Award 2019 ein.
Der Trend ist klar: Dank KI können kontextgetriebene, hochpersonalisierte Kundenerfahrungen erstmals im großen Maßstab skalieren. Marketing-Verantwortliche haben diese Goldgrube bereits fest im Visier. So lässt BMW das Markt­potenzial der KI-Technologie von Alibaba schon bald für sich arbeiten. Auf der diesjährigen „Consumer Electronics Show“ in Las Vegas führten die Unternehmen die neuesten Früchte ihrer strategischen Partnerschaft medienwirksam vor. Die Voice-Assistant-Technologie der A.I. Labs von Alibaba, Tmall Genie, soll Ende dieses Jahres in BMW-Fahrzeugen für den chinesischen Markt Einzug halten. So wird das Auto dank KI zum neuen Touchpoint der digitalen Kundenreise.
3. Teil: „Die KI-Offensive“

Die KI-Offensive

  • Quelle:
    SRH Hochschule Berlin
KI-Initiativen sind also dabei, nicht nur Betriebsabläufe zu optimieren, sondern auch das Kundenerlebnis zu verändern und neue Produkte und Dienstleistungen zu schaffen. Diese Entwicklungen schlagen sich in massiven Investitionen im Feld der Künstlichen Intelligenz nieder. So beobachtet etwa Marianne Daquila, Forschungsmanagerin im Bereich Customer In­sights & Analysis bei IDC, „weltweit signifikante Aus­gaben für Künstliche Intelligenz in jeder Branche“.
Die weltweiten Ausgaben für KI-Systeme werden laut IDC 2019 die stolze Marke von 35,8 Milliarden Dollar erreichen (44 Prozent plus gegenüber 2018). 2022 sollen für KI-Platt­formen weltweit 79,2 Milliarden Dollar ausgegeben werden, etwa doppelt so viel wie im laufenden Jahr. Im Prognosezeitraum 2018 bis 2022 erwartet IDC für KI-Systeme eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate (CAGR) von beachtlichen 38 Prozent. Ein Großteil dieser Ausgaben entfällt laut IDC im laufenden Jahr auf Software, teils für KI-Plattformen, teils für KI-Anwendungen (13,5 Milliarden Dollar). Besonders viele Investitionen tätigt der Einzelhandel. Branchenübergreifend geben die Marketing-Abteilungen den Ton an. Software-Agenten für automatisierten Kundendienst (4,5 Milliarden Dollar) sowie Verkaufsprozess-Empfehlungs- und -Automatisierung-En­gines (2,7 Milliarden Dollar) führen laut IDC die Liste von KI-Anwendungen an.

Nächste Evolutionsstufe

KI-gestützte Personalisierung der Kundenansprache gilt als die nächste Evolutionsstufe der Vertriebsautomatisierung. Mit der Übernahme der Analytics-Plattform Tableau im Juni 2019 hat sich Salesforce unter anderem die KI-Engine von Empirical Systems angeeignet. Bernd Wagner, Senior VP Salesforce Marketing Cloud, schildert KI als „elementares Werkzeug“ auf dem Weg hin zur kundengerechten Personalisierung. Sie stelle „Verknüpfungen zwischen dem Verhalten, den individuellen Interessen und der Historie eines jeden Kunden automatisch her“ und schaffe so ein „relevantes und personalisiertes Markenerlebnis, das alle Touchpoints einbezieht und den Kontakt optimiert - von Produktempfehlungen über Suchfilter bis hin zu personalisierten Angeboten auf den favorisierten Kanälen und einer individuellen Beratung im Store“.  Dank der intelligenten Datenanalyse könnten Unternehmen eine komplett neue Beziehung zu ihren Kunden aufbauen, resümiert Wagner. Selbst konkrete Handlungsempfehlungen würden KI-Lösungen wie Salesforce Einstein bereits aus der Analyse und Korrela­tion verschiedener Datenquellen ableiten. Sie würden so eine persönliche Ansprache und individuelle Beratung auch für Millionen von Kunden gewährleisten.
KI-Potenzial im Marketing (Beispiele)
Künstliche Intelligenz hält in vielseitigen Anwendungsszenarien Einzug ins Marketing.
Account-based Marketing: KI unterstützt B2B-Marketer bei Aufgaben wie der Lead-Qualifizierung, der Key-Account-Identifika­tion und der Absichtserkennung (Intent Identification) und kann das Account-Wachstum mitgestalten.
Audience Management: Führende Marken begegnen der wachsenden Zielgruppenfragmentierung durch die KI-gestützte, kanalübergreifende Segmentierung.
Bedarfsvorhersagen: Marketing-Verantwortliche machen sich zunehmend Techniken des Deep Learnings zunutze, um Kundenwünsche vorab zu erraten. Empfehlungs-Engines können das Kauf- und Konsumverhalten beeinflussen (etwa bei Amazon, Netflix und Spotify); KI-Systeme können künftige Nachfrage im Einklang mit dem Verlauf der Kundenreise antizipieren.
Einzelhandel: Sensordaten aus Regalen und RFID-Chips in Ausstellungsstücken sowie die Interaktionen der Besucher mit „smarten“ Displays erlauben es KI-Systemen, Echtzeiteinblicke in das Käuferverhalten zu gewinnen.
Kontextbezogene Individualisierung: KI-Dienste wie die roboterisierte Finanzberatung ermöglichen einem breiteren Kundenkreis Zugang zu maßgeschneiderten Lösungen; außerdem kann KI helfen, Schmerzpunkte (Painpoints) aus der Customer Journey zu entfernen.
Vertrieb und Kundendienst: Chatbots und Konversationsagenten können zunehmend Aufgaben wie Lead-Generierung und Account-Nurturing übernehmen und autark ausführen; Prozessautomatisierung hilft bei der Kundenbetreuung in Branchen wie der Versicherungsindustrie (etwa bei der robote­risierten Bearbeitung von Versicherungsforderungen in Insurtech-Firmen).
Inbound-Marketing: Automatische Inhaltserstellung mit Hilfe von KI unterstützt bei der kontextsensitiven Individualisierung von Angeboten in Echtzeit.
Programmatische Marken-Platzierung: Künstliche Intelligenz bewährt sich unter anderem im Programmatic Advertising bei Channel-Attribution und bei der Betrugsprävention; datengetriebenes Kampagnen-Management erlaubt kanalübergreifendes Targeting technikaffiner Zielgruppen.
Zielgruppenforschung und Produktdesign: Tommy Hilfiger nutzt KI-Werkzeuge in Zusammenarbeit mit IBM und The Fashion Institute of Technology (FIT), um künftige Trends der Modebranche anhand der Kundenstimmung bei einer Modenschau vorherzusagen.
Transaktionsvermittlung durch KI-Agenten: In Zukunft dürften KIs im Rahmen von „smarten Verträgen“ in datengetriebenen Wertschöpfungs-Ökosystemen miteinander via APIs „verhandeln“.
4. Teil: „Kluft zwischen Idee und Realität“

Kluft zwischen Idee und Realität

  • Zufall ausgeschlossen: Zum zwölften Mal in Folge kürte Gartner Salesforce zum Leader bei der Vertriebsautomatisierung.
    Quelle:
    Gartner
Während sich Software-Anbieter wie Salesforce gute Geschäfte von der KI-Euphorie erhoffen, scheint die Realität in den Marketing-Abteilungen noch nicht ganz so weit zu sein. Die erste Welle der Studie „KI - die Zukunft des Marketings“ unter der Leitung von Claudia Bünte, Professorin an der SRH Hochschule Berlin, konnte zwar einen „signifikanten Zusammenhang“ zwischen der Verwendung von KI und dem Marketingerfolg eines Unternehmens bestätigen. Doch insgesamt ist deren Einsatz im Marketing noch sehr überschaubar, beobachtet Claudia Bünte. Nur 7 Prozent aller Marketing-Manager nutzen demnach KI bereits intensiv. Bei diesen besonders aktiven Anwendern handelt es sich tendenziell entweder um die ganz großen Marktführer oder um eher kleine Firmen.
Bei Entscheidungsträgern in großen Organisationen, so Bünte, liege der Fokus „vermutlich mehr auf der datengetriebenen, langfristigen Nutzung“ der Technologie. Die kleineren Firmen wiesen tendenziell mehr Pragmatiker in den Marketingabteilungen auf, weshalb dort Künstliche Intelligenz vermutlich vor allem eingesetzt werde, um die Routine zu reduzieren, damit sich die Marketing-Köpfe verstärkt um die inhaltlichen Themen kümmern könnten.
Doch von diesen Vorreitern abgesehen: Drei von vier (76 Prozent) Marketern setzen KI der Studie zufolge bislang entweder gar nicht oder nur wenig ein. Ob sich das gerade ändert, ver­suchen Claudia Bünte und ihr Team mit einer weiteren Er­hebung herauszufinden (Teilnahme bis Ende 2019). Erste Ergebnisse der zweiten Welle zeigen, dass die Implementierung von KI-Systemen länger dauern wird, als die Forscher ursprünglich vermutet hatten. „Weder Wissen noch Skills sind nach eigener Aussage [der Teilnehmer] deutlich gestiegen“, verrät Professorin Bünte. Die Unterstützung im Unternehmen nehme nicht wirklich zu - und die Implementierung stagniere „auf niedrigem Niveau“.
Von ähnlichen Problemen bei der Umsetzung von KI im Marketing berichtet eine im April 2019 veröffentlichte Studie von Forrester Consulting im Auftrag von Albert.ai, Anbieter eine KI-gestützten Marketing-Plattform. Bei den 156 Teilnehmern dieser Umfrage handelt es sich zu 88 Prozent um An­wender von KI-gestütztem Marketing. Diese berichten, dass „transformative“ Resultate in den betreffenden Organisationen bislang größtenteils ausgeblieben sind.
Eine mögliche Trendwende deutet sich in der zweite Welle der Studie von Claudia Bünte an: Die Skeptiker unter den Marketing-Managern gleichen sich demnach in ihren Einschätzungen zu den Vor- und Nachteilen von KI den anderen Managern immer mehr an. Es bestünden „bessere Chancen als noch im vergangenen Jahr, dass die Implementierung Fahrt aufnehmen“ wird, urteilt Bünte. KI böte Marketing-Managern tatsächlich „eine Vielzahl an Vorteilen“, bringt es die Forscherin auf den Punkt. Auf der anderen Seite hätten sich jedoch bisher keine Standards herausgebildet.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt die Forrester-Studie. Die befragten Marketer schieben den Schwarzen Peter „den zu komplizierten MarTech-Stacks“ zu.  Jeder Vierte (26 Prozent) beschwert sich über unliebsame Überraschungen bei der Integration verschiedener Technologien. Ebenfalls 26 Prozent hatten Probleme damit, die gewonnenen Erkenntnisse in konkrete Geschäftsergebnisse umzuwandeln.
Professorin Bünte beobachtet einen Markt im Werden. Die großen Anbieter wie Adobe würden noch an der Inte­gration von KI in ihre Standardprodukte arbeiten. Start-ups wie Albert.ai mit einer selbstlernenden Plattform für autonomes Targeting und kanalübergreifendes Kampagnen-Management, seien in der Entstehung begriffen. Über mangelnde Angebotsvielfalt könnten sich Marketer also nicht beschweren, resümiert Claudia Bünte.
Dass sich der KI-Einsatz tatsächlich lohnen könnte,  beobachtet auch IDC-Analyst Andrea Minonne. In einem hart umkämpften Umfeld könne KI der entscheidende Erfolgsfaktor sein, insbesondere in Branchen mit direktem Kundenkontakt, allen voran Einzelhandel und Finanzwesen. KI böte hier den Unternehmen eine Möglichkeit, die Kundenerfahrung mit virtuellen Assistenten, Produktempfehlungen oder visuellen Suchen anzureichern und so auf ein höheres Niveau zu heben, so der Analyst. Viele europäische Einzelhändler wie Sephora, ASOS und Zara oder Banken wie NatWest und HSBC hätten sich bereits Vorteile von Künstlicher Intelligenz zunutze gemacht und profitierten von höheren Umsätzen, mehr Besuchern in den Ladengeschäften, niedrigeren Kosten und personalisierten Customer Journeys.
Doch obwohl das Erfolgspotenzial bei KI „enorm“ sei, ließen die geschäftlichen Auswirkungen von KI-Initiativen viel länger auf sich warten als man annehmen könnte, stellt Chirag Dekate fest, Senior Director Analyst beim Beratungshaus Gartner. Die Verantwortlichen müssten daher „frühzeitig anfangen“, rät ihnen der Experte.
5. Teil: „Zweischneidiges Schwert“

Zweischneidiges Schwert

Nicht alle Branchen-Insider stimmen jedoch in den Chor der KI-Enthusiasten ein. Ein zweischneidiges Schwert ist der KI-Einsatz in der Unternehmenskommunikation beispielsweise für Peter Schlecht. Nach dem Verkauf seines KI-Start-ups und als Gründer der Artificial Link GmbH sowie der Braingrade GmbH zählt er zu den Vordenkern von KI in Marketing und Vertrieb. Gegenüber com! professional weist Peter Schlecht auf die Gefahr hin, dass „die Grenzkosten für Ansprache eines zusätzlichen potenziellen Kunden durch KI-gestützte Systeme für alle digitalen Kanäle auf null fallen“ könnten. Dies würde zur Flutung der entsprechenden Vertriebskanäle führen. „Ähnliches konnten wir bei personalisierten E-Mails oder Robo-Calls beobachten“, erinnert sich der Experte. Und diese Kommunikationsüberflutung rufe technische wie auch regulatorische Gegenmaßnahmen hervor, so Schlechts Warnung. Nach dem Vorbild von Spam-Filtern entstünden zukünftig KI-Filter; eine „KI-DSGVO“ wäre dann nicht auszuschließen.
„Der Anteil an Entscheidungen und Prozessschritten, den Künstliche Intelligenz im Vertrieb übernehmen wird“, wird dennoch „für alle Produktgruppen signifikant steigen“, sagt Peter Schlecht voraus. Es gelte hierbei der Grundsatz: Je komplexer das Produkt, umso höher die menschliche Komponente - und fügt hinzu: „Commodities werden vollautomatisiert von KI-gestützten Systemen gehandelt.“ Bei einem erhöhten Komplexitätsgrad würden dagegen KI und der Mensch im Vertrieb Hand in Hand arbeiten, „zum Beispiel bei der Auswahl der richtigen Leads oder der Automatisierung des Vertriebsprozesses“.
„Mit Hilfe der KI kann der Mensch in der Zukunft hoffentlich viel mehr Zeit dafür verwenden, worauf es im Vertrieb ankommt - für die Beziehung zum Kunden und die Schaffung eines Mehrwerts“, resümiert Peter Schlecht.
Auch wenn also die heutige - überwiegend digitale - Marketing-Landschaft schnelllebiger ist als je zuvor, sind sich die Experten bei allen Unwägbarkeiten in einer Voraussage dann doch einig: Die Technologie der Künstlichen Intelligenz verändert das Marketing nachhaltig. Die ersten Resultate  dieser Transformation werden bereits sichtbar und  sprechen für sich.

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