Internet der Dinge
06.02.2019
IT im Automobilbereich
1. Teil: „Der Kampf um die IT im Fahrzeug-Cockpit“

Der Kampf um die IT im Fahrzeug-Cockpit

Apple carplay im ChevroletApple carplay im ChevroletApple carplay im Chevrolet
Chevrolet
Das Auto entwickelt sich vom Fortbewegungsmittel zum umkämpften Internet-Endgerät. In diesem Bereich konkurrieren klassische Autobauer gegen die großen Tech-Konzerne.
Am 18. September 2018 stürzte der Aktienkurs des Navi-Pioniers Tomtom um 30 Prozent ab. Grund für den Crash war eine Unternehmensmeldung: Google verkündete, dass man ab 2021 Autos von Renault, Nissan und Mitsubishi mit einem Infotainment-System auf Android-Basis ausstatten werde. Damit wird der Markt für separate Auto-Navigationssysteme auf einen Schlag ärmer, denn wer braucht schon ein Navi, wenn er Google Maps im Autoradio haben kann?
Der Deal zwischen Google und der Allianz der drei Autobauer ist nur ein Beispiel dafür, wie im Moment um den Platz am Armaturenbrett gekämpft wird. Dort, wo früher einmal der UKW-Empfänger saß, findet sich heute immer häufiger ein Touchscreen-Display, das als Multimedia-Zentrale fungiert.

Millionen Pendler

Das Auto als Device – diese Betrachtung wird für Internet­konzerne immer wichtiger. Denn hier verbringen Menschen erstaunlich viel Zeit. Nach Angaben des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung sind allein 18,6 Millionen Bundesbürger Berufspendler. Das bedeutet, sie müssen auf dem Weg zur Arbeit von einer Gemeinde in eine andere fahren. Rund 80 Prozent, hat der ADAC ermittelt, tun dies mit einem Auto und sind dabei pro Tag im Schnitt zwei Stunden unterwegs. Was das bedeutet, kennen Mediaplaner für Radiowerbung genau: Mit rund 54 Prozent liegt die Radionutzung im Auto höher als zu Hause.
Ein Radio haben heute rund 95 Prozent aller Autos, egal ob alt oder neu. So weit ist die Branche beim Auto mit Internetanschluss noch nicht. Es kommt zwar heute kaum noch ein neues Auto ohne Bildschirm im Armaturenbrett auf den Markt, doch wer darüber die Hoheit hat, ist immer noch umstritten. Seitdem die Autoindustrie die Infotainment-Ausstattung als Unterscheidungsmerkmal im Wettbewerb entdeckt hat, entwickeln alle großen Konzerne an immer neuen Software-Plattformen. Autokäufer denken da oft wesentlich pragmatischer: Die Frage, wie gut das neue Auto mit dem eigenen Smartphone spricht, kann durchaus da­rüber entscheiden, ob jetzt dieses oder jenes Modell gekauft wird.
Die großen Mobilfunk-Plattformen von Apple und Google setzen dabei auf ein Konzept, das das Smartphone des Nutzers zum Dreh- und Angelpunkt macht: Das Multimediasystem des Autos soll quasi den Inhalt des Smart­phones spiegeln. Icons für Apps auf dem Smartphone erscheinen dann auch auf dem Display im Armaturenbrett. Dabei gehen die Vorstellungen zwischen Autoherstellern und Mobilfunk-Giganten durchaus schon einmal auseinander: 2016 entschied sich Porsche für Apple Car Play als Onboard-Lösung für die schnellen Sportcoupés. Genauer: Man entschied sich gegen Android Auto, da die Google-Lösung den Stuttgarter Autobauern zu datenhungrig auftrat.
2. Teil: „Google schmiedet Allianzen“

Google schmiedet Allianzen

Toyota hat dagegen offenbar den Widerstand gegen Google aufgegeben. Wie das US-Fachblog "Automotive News" unter Berufung auf Insider-Quellen meldet, will der größte Autobauer der Welt sein Infotainment-System in Kürze für Android Auto öffnen - für den Google-Mutterkonzern Alphabet wäre das ein schöner Erfolg, denn Toyota baut im Jahr rund zehn Millionen Autos. Hatten die Japaner die Zusammenarbeit mit Google über Jahre aus Bedenken um den Datenschutz abgelehnt, beugen sie sich inzwischen offenbar der normativen Kraft des Faktischen: Weltweit liegt der Marktanteil für Android-Smartphones bei rund 80 Prozent.
Allerdings unterscheidet sich das Vorgehen von Toyota in einem wichtigen Schritt von dem Deal, den Google gerade mit Renault/Nissan/Mitsubishi abgeschlossen hat. Toyota will lediglich die hauseigene Software-Plattform Smart Device Link für Android Auto öffnen - iPhones hatten schon vorher Zugang. Beim Pakt mit der französisch-japanischen Markenallianz ist die Rolle von Google eine ganz andere: Der Internetkonzern wird nicht an eine vorhandene Multimedia-Lösung andocken, sondern diese komplett für die Hersteller entwickeln. Es ist sogar geplant, ältere Autos nachträglich mit dem Google-System aufrüsten zu können. Allein daran merkt man das enorme Interesse des Suchmaschinenkonzerns, seine Software in möglichst viele Autos zu bringen - die meisten Autohersteller sind eher zögerlich, wenn es da­rum geht, die Entertainment-Technik in bereits verkauften Vehikeln durch Software-Aufrüstungen auf den neuesten Stand zu bringen.
Auch das Smart Device Link, das Toyota seinen Kunden anbietet, ist keine eigene Entwicklung der Japaner. Die Software-Plattform wurde von Ford initiiert und wird dort auch Ford Applink genannt. 2015 wurden rund 2,4 Millionen Autos mit einem entsprechenden Infotainment-Paket ausgeliefert, bis 2020 sollen es 6,5 Millionen im Jahr werden.
Plattformen im Überblick
Apple Car Play
Die Apple-Antwort auf Android Auto bindet iPhones in die Unterhaltungselektronik von entsprechend ausgestatteten Autos ein. Dabei muss sich sogar Apple manchmal den Marktgesetzen beugen: Neuerdings unterstützt auch Car Play Google Maps – statt des Apple-eigenen Navis.
Baidu Car Life
Als Konkurrenz zu Car Play und Android Auto gestartet, unterstützt Baidu Car Life nicht nur – über eine entsprechende App – iOS- und Android-Handys. Baidu öffnet das System auch für unabhängige App-Anbieter. Die Unterstützung der Industrie ist breit – allerdings nur in China. Die Website zum System ist nur auf Chinesisch verfügbar.
GM App Framework
Seit 2013 lädt General Motors Software-Entwickler ein, Applikationen für die In-Car-Entertainment-Systeme des Konzerns zu entwickeln. Dabei gewährt GM den Entwicklern über Schnittstellen Zugang zu bis zu 200 verschiedenen Parametern, die während der Fahrt erfasst werden.
Mirror Link
Ursprünglich ein Projekt von Nokia, sollte sich Mirror Link zum universellen Standard für die Vernetzung von Auto und Smartphone entwickeln. Das ist nur zum Teil Realität geworden: Es unterstützen zwar viele europäische und asiatische Autos und eine Reihe interessanter Apps, iPhones kommen in der Kompatibilitätsliste des Konsortiums allerdings nicht vor.
Smart Device Link
Die ursprünglich von Ford initiierte Software-Umgebung soll einen einheitlichen Standard für die Zusammenarbeit zwischen Smartphones und Auto-Entertainment-Systemen bieten. Das Smart Device Link Consortium wird außer von der Autoindustrie auch von Firmen wie Amazon unterstützt.
3. Teil: „Eine Plattform für alles?“

Eine Plattform für alles?

Von einem Plattformdualismus, wie er bei Mobil-Betriebssystemen inzwischen vorherrscht, ist die Autobranche noch etwas entfernt. Neben dem erwähnten Applink-System von Ford gibt es Mirror Link, ein ehemaliges Nokia-Projekt. Aha by Harman stammt von dem gleichnamigen Autozulieferer, und auch General Motors bietet eine Plattform unter dem wenig aufregenden Namen GM App Framework. Sie alle zusammen, so schätzt die Marktforschungsagentur IHS Markit, werden es bis 2020 auf rund 25 Millionen installierte Systeme im Jahr bringen. Bei rund 80 Millionen produzierten Pkw im Jahr entspräche das einer Ausstattungsquote von annähernd 30 Prozent.
Auf der anderen Seite stehen die beiden Mobile-Giganten Apple und Google, die ihre Smartphone-Betriebssysteme fit gemacht haben, um geschmeidig mit möglichst vielen Autos dieser Welt zusammenzuarbeiten. Dabei bekommen sie unerwartet Konkurrenz aus China: Der Suchmaschinenbetreiber Baidu bietet mit Carlife eine Software-Plattform an, die nicht nur mit Android- und iOS-Geräten etwas anfangen, sondern auch Apps von Drittanbietern laufen lassen kann. Nach den ersten Berichten über das neue System zeigte sich nicht nur der koreanische Autokonzern Hyundai interessiert, sondern auch Audi und Chevrolet.
Warum sich die Internetgiganten um einen Platz in der Mittelkonsole reißen wird deutlich, wenn man sich in den USA in den neuen Chevrolet Equinox setzt. Das Infotainment-System im Armaturenbrett des Mittelklasse-SUVs synchronisiert sich nicht nur mit jedem gängigen iPhone oder Android-Handy, es ist auch eine E-Commerce-Plattform, basierend auf dem sogenannten GM Marketplace.
  • E-Commerce im Auto: Dunkin’ Donuts unterstützt bereits Bestellungen über diverse In-Car-Entertainment-Systeme.
    Quelle:
    Chevrolet
Die Restaurantkette Applebee’s, der Donut-Händler Dunkin’ Donuts und andere Brands haben bereits spezielle Apps entwickelt, die sich über den Touchscreen des Autos aufrufen lassen. Wer dort seine Account-Informationen hinterlegt hat, kann so ganz einfach Bestellungen aus dem Auto heraus aufgeben. Das könnte man natürlich auch über sein Smart­phone erledigen, doch das erklärte Ziel, so erläutert Marketplace-Manager Rick Ruskin, sei es, die Handy-Nutzung im Auto zu minimieren: "Es gibt keinen passenden Zeitpunkt, um ein Smartphone für Interaktionen und Transaktionen während der Fahrt zu benutzen." So wird das Mobiltelefon nur benötigt, um sich einmalig bei den gewünschten Shops anzumelden und die Opt-in-E-Mail zu bestätigen. Das geschieht idea­lerweise außerhalb des Wagens. Sobald der Equinox-Fahrer das erledigt hat, erscheint das entsprechende Angebot im Auto. Ruskin ist vom Nutzen des Systems überzeugt: "Wir glauben, dass Nutzer ihre Autofahrten produktiver gestalten wollen. Der Marketplace wurde von Anfang an so gestaltet, dass er während der Fahrt ebenso einfach zu bedienen ist wie das Autoradio oder die Klimaanlage."
Der Journalist Josiah Bondy, der das System für das US-amerikanische Tech-Blog "Tech Radar" ausprobierte, sieht noch Luft nach oben. Der Account war zwar nach wenigen Minuten aufgesetzt, doch zeigten die Apps noch Schwächen. So konnte er bei Dunkin’ Donuts problemlos Kaffee und Donuts bestellen, die vorgegebene Bestelloption jedoch nicht mehr nachträglich ändern. Und Applebee’s bietet über den Computer im Chevy nur eine sehr schmale Auswahl an Mitnahmemenüs an - darunter wenigstens einen Burger mit Fritten, wie Bondy im Testprotokoll dankbar vermerkt. In jeder App lassen sich bevorzugte Zahlungsmittel, bereits getätigte Bestellungen und weitere Präferenzen abrufen, und durch eine Koppelung mit dem Navigationssystem weiß das Auto natürlich auch den Weg zu einer nicht weit entfernten Filiale. Der nächste Schritt ist Location-based Marketing: Kommt das Auto in die Nähe einer Dunkin’-Donuts-Filiale, könnte im Display eine Werbung für den Deal der Woche aufpoppen.
Deutsche Autohersteller haben das Thema Internet im Auto schon länger auf dem Schirm. Bereits 1999 bot BMW für die Limousinen der 7er-Reihe ein Online-Paket an, mit dem sich das Autotelefon und das Navi mit dem Adressverzeichnis und dem Terminkalender auf dem PC im Büro synchronisieren ließen. Ebenfalls schon damals geboren wurde eine Idee, auf die heute viele Online-Plattformen setzen: Wer seinen 7er gegen einen baugleichen Mietwagen tauschen musste, konnte sich dort mit seinen Zugangsdaten anmelden - und machte so das fremde Auto zu seinem eigenen. Bei der Buchung von Hotels und Restaurants leistete BMW Pionier­arbeit - wenn auch analog: Wer ein Hotelzimmer brauchte, löste über einen Befehl im Menü einen Anruf im Callcenter aus. Während die Servicekraft am Telefon die Wünsche des Fahrers entgegennahm, funkte das Auto seine Position an die BMW-Zentrale. Und nach erfolgreicher Buchung übertrug die Zentrale die Adresse des Hotels ins Navi des Wagens.
4. Teil: „Ohne Armaturenbrett“

Ohne Armaturenbrett

Fast zwei Jahrzehnte später kommt das BMW-System ohne Callcenter aus. Im aktuellen
Modelljahr stattet der bayerische Autobauer alle seine Fahrzeuge serienmäßig mit einem Sprachassistenten auf Basis von Amazon Alexa aus, der selbstverständlich auch Hotels buchen kann. Einen Schritt weiter geht Mercedes mit seinem neuen User-Interface MBUX (Mercedes Benz User Experience). Dahinter steht eine Display-Lösung, die das herkömmliche Auto-Cockpit nicht nur ergänzt, sondern ersetzt. MBUX hatte seine Premiere im Kompaktwagen A-Klasse, und auch im neuen Kastenwagen Sprinter ist das Interface standardmäßig verbaut. Man darf davon ausgehen, dass künftig kein neuer Mercedes mehr ohne entsprechende Fähigkeiten auf den Markt kommt. MBUX arbeitet per Touch- und Sprachsteuerung, der Befehl "Hey Mercedes" aktiviert die Spracherkennung. Die Stuttgarter versprechen, MBUX sei selbstlernend und merke sich die Vorlieben des Fahrers. E-Commerce spielt noch keine führende Rolle, auch wenn man über MBUX selbstverständlich Hotels, Restaurants und andere Geschäfte finden kann.

Rollender Bildschirm aus China

  • Riesenbildschirm: Der chinesische Byton stellt die Vernetzung beim Autofahren in den Mittelpunkt. Die Produktion soll dieses Jahr starten.
    Quelle:
    Bild: Byton
Gegen das Byton Concept Car, das das chinesische Start-up FMC im Frühjahr präsentierte, wirken jedoch sogar die beiden nebeneinanderliegenden Displays in der neuen A-Klasse ärmlich. Dort, wo bei anderen Autos ein Armaturenbrett sitzt, spannt sich beim Byton Concept ein 1,25 Meter breites und
25 cm hohes Display über die gesamte Fahrzeugbreite. Auch auf dem Lenkrad prangt ein Bildschirm in iPad-Größe, ebenso an den Rückseiten der Vordersitze. FMC-Chef Carsten Breitfeld, der bis 2016 die E-Auto-Entwicklung von BMW leitete, sieht im Byton eine Verbindung aus Auto- und Digital­industrie, die "Menschen unterwegs eine völlig neue Art der Vernetzung bieten wird". Das "Shared Experience Display", so nennt Breitfeld den großen Bildschirm unterhalb der Windschutzscheibe, lässt sich per Gesten und Sprachkommandos steuern, und es soll die Fahrzeuginsassen mit allen Informa­tionen versorgen, die sie eventuell unterwegs interessieren könnten. Sensoren überwachen den Gesundheitszustand des Fahrers, eine automatische Gesichtserkennung ersetzt den Zündschlüssel. Alle denkbaren Parameter des Fahrzeugs sollen in einer Cloud gespeichert werden - sobald das Auto seinen Besitzer erkennt, stellt es Dinge wie Sitzposition und Wunschtemperatur passend ein. Wer angesichts der üppigen Display-Bestückung eine Ablenkung des Fahrers befürchtet, verkennt die Zeichen der Zeit: Ihr volles Potenzial werden Autos wie der Byton Concept vermutlich erst entfalten, wenn sie autonom fahren können. Doch noch in diesem Jahr soll die Produktion in China starten, 2020 ist der Verkaufsstart in Europa geplant. Das hört sich gewagt an, aber hinter FMC stecken der Internetkonzern Tencent und der Unterhaltungselektronik-Riese Foxconn.

Digitalisierung bei VW

Auch bei VW wird an der Digitalisierung gearbeitet. Bei der Entwicklung der Volkswagen Automotive Cloud arbeitet man mit Microsoft zusammen. In Planung ist eine Software-Plattform auf Basis der Cloud-Umgebung Azure. Dabei hat der Autobauer zwei Szenarien im Blick: Einerseits soll die Automotive Cloud den Zugang zu Applikationen gewährleisten, die in Autos des Konzerns integriert sind. VW will diesen Weg auch Partnern öffnen - das Auto würde zur Software-Plattform für Apps. Zusätzlich soll die Cloud den Zugang zur hauseigenen Mobilitätsplattform Volkswagen We eröffnen. Dabei haben die Partner nicht nur Kunden im Blick, die ein Auto aus dem Konzern besitzen, sondern auch solche, die Carsharing-Dienste nutzen wollen. Für VW-CEO Herbert Diess ist die Partnerschaft mit Microsoft "der Turbo für unsere digitale Transformation". Eigens für dieses Projekt und unterstützt vom Partner Microsoft will VW in Kürze ein Entwicklungszentrum im Silicon Valley gründen. Und ab 2020 sollen jedes Jahr mindestens fünf Millionen Autos auf die Straßen kommen, die für die VW Automotive Cloud vorbereitet sind. Diess ist sich sicher: "Gemeinsam werden wir eine zentrale Rolle dabei spielen, die Zukunft der Auto-Mobilität zu gestalten."

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