Business-IT
05.01.2018
Gründerszene
1. Teil: „IT-Start-ups als Motor der Digitalisierung“

IT-Start-ups als Motor der Digitalisierung

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rawpixel.com / Shutterstock
Die Zahl deutscher Digital-Start-ups steigt. Schwerpunkt ist bei vielen jungen Unternehmen das B2B-Geschäft. Fast 50 Prozent sind ausschließlich oder überwiegend in diesem Bereich aktiv.
Die Digitalisierung stellt altbekannte Wahrheiten auf den Kopf: So war beispielsweise der US-amerikanische Fahrdienst Uber zeitweise mehr wert als BMW, obwohl er keine Fabrik und keine physischen Produkte besitzt. Das Unternehmen vermittelt „nur“ über eine Website oder Smartphone-App Fahrgäste an Mietwagen, private Fahrer mit eigenem Auto oder Taxis.  Ein weiteres Beispiel für die digitale Revolution ist Airbnb. Der Zimmervermittler ist wertvoller als die große Hotelkette Marriott.
  • Zielgruppe: Fast die Hälfte der deutschen Start-ups ist ausschließlich oder überwiegend auf dem B2B-Sektor aktiv. Weitere 8 Prozent adressieren eher B2B- als B2C-Nutzer.
    Quelle:
    DSM 2017
US-Tech-Konzerne wie Apple, die Google-Mutter Alphabet, Microsoft, Amazon und Facebook dominieren das Geschäft mit digitalen Plattformen für Endkunden (B2C), auf denen Nutzer Waren und Dienstleistungen teilen, tauschen oder verkaufen.
Deutsche Unternehmen liegen hier zurück. Doch Hoffnung gibt es im Business-to-Business-Bereich (B2B) für Geschäftskunden, in dem die deutsche Wirtschaft ihre traditionellen Stärken mit digitalen Elementen verknüpfen kann, etwa bei der Datenanalyse im IoT und in der Industrie 4.0, Process Mining oder Künstlicher Intelligenz. Hier gibt es eine lebendige Start-up-Szene. Das zeigen beispielsweise der „Deutsche Startup Monitor 2017“ (DSM) und der „BARC Start-up Award für Analytics und Datenmanagement 2017“.

Start-ups werden digitaler

Werfen wir zunächst einen Blick auf den 5. Deutschen Start­up Monitor des Startup-Verbands und der Beratungsgesellschaft KPMG. Hauptautor des DSM 2017 ist Tobias Kollmann, In­haber des Lehrstuhls für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen. Der aktuelle DSM repräsentiert 1837 Start-ups, 4245 Gründerinnen und Gründer sowie 19.913 Mitarbeiter.
Aus digitaler Perspektive sind zwei Ergebnisse entscheidend: Die deutsche Start-up-Szene wird digitaler und setzt verstärkt auf B2B. Rund die Hälfte der DSM-Start-ups ist in den Bereichen IT/Software-Entwicklung (19,4 Prozent), Software as a Service (12 Prozent), Industrielle Technologie/Produktion/Hardware (9,1 Prozent), E-Commerce (6,8 Prozent) sowie Online-Marktplatz (5,4 Prozent) tätig. Jeweils weitere 5 Prozent sind in Kategorien wie Online-Service-Portal und Fintech unterwegs. „Der Anteil der digitalen Wirtschaft ist im Vergleich zu 2016 noch einmal angestiegen“, heißt es in der Studie. Bei knapp 80 Prozent der Firmen hat die Digitalisierung sehr großen bis großen Einfluss auf das Geschäfts­modell.
Bemerkenswert ist auch, dass sich die deutschen Start-ups mit ihren Angeboten überwiegend an Kunden aus dem B2B-Bereich richten (55,7 Prozent), 19,6 Prozent an B2C- und B2B-Nutzer. Und 24,7 Prozent bieten ihre Produkte und Services speziell für B2C-Nutzer an. Die B2B-Kunden tragen sogar mit 68,3 Prozent zum Umsatz der Start-ups bei – Tendenz steigend.
Mittlerweile befindet sich schon jedes vierte Start-up in der „Growth Stage“, sprich es hat ein marktreifes Angebot und ein starkes Umsatz- und/oder Nutzerwachstum. Fast jedes zweite Start-up (45,6 Prozent) stellt derzeit ein marktreifes Angebot fertig oder realisiert erste Umsätze.

Analytics

Das gilt auch für die sechs Finalisten des BARC Start-up Awards für Analytics und Datenmanagement 2017, den das Beratungs- und Analystenhaus BARC im November 2017 zum zweiten Mal verlieh: 5Analytics, leadtributor, Lana Labs, minubo, Process Analytics Factory und Scitis.io. Die Start-ups kommen aus den Feldern Process Mining, Operationalisierung von Machine Learning, datengetriebenes Omni-Channel-Management und Vertriebssteuerung sowie IoT-/Industrie-4.0-Datenanalyse.
„Die positive Resonanz auf den Award und das hohe Niveau der Einreichungen zeigen, wie aktiv, vielseitig und innovativ die deutschsprachige Start-up-Szene im Bereich Business Intelligence/Analytics und Datenmanagement heute bereits ist“, freut sich Carsten Bange, Gründer von BARC und Mitglied des Boards der CXP Group. „Natürlich stammen viele digitale Trends oder Innovationen aus den USA. Es gibt aber auf den Gebieten BI und Analytics auch hierzulande sehr gute Ideen. Wir brauchen uns nicht zu verstecken. Process Analytics Factory (PAF), der Gewinner unseres Awards, steht beispielsweise für die Stärken und die Tradition von Prozessmodellen und Prozessanalyse in Deutschland.“
Das 2014 gegründete Unternehmen aus Darmstadt setzte sich im Finale mit seiner Lösung PAFnow Process Mining für die Analyse und Optimierung von Geschäftsprozessen gegen seine fünf Kontrahenten durch. „Process Mining ist nicht unbedingt eine neue Idee. Aber aktuell steigt die Bedeutung, zum Beispiel im Kontext von IoT und Industrie 4.0. Damit eröffnen sich neue Chancen und durch die Integration von Technologien für maschinelles Lernen und BI auch neue, innovative Lösungen“, begründet Carsten Bange die Entscheidung der Jury.
2. Teil: „And the winner is … PAF“

And the winner is … PAF

  • Digitale Star-ups: Die meisten jungen Unternehmen sind in den Bereichen IT/Software-Entwicklung, Software as a Service und industrielle Technologie aktiv.
    Quelle:
    DSM 2017
Tobias Rother, Gründer und Geschäftsführer der Process Analytics Factory, entdeckte das Process-Mining-Verfahren – die datenbasierte Rekonstruktion von Business-Prozessen aus IT-Systemen – 2008 an der TU Eind­hoven. Bis zur Gründung seines Unternehmens führte er eine Vielzahl von Process-Mining-Projekten durch. „Das Neue an unserer Lösung ist: Wir betten Process Mining in die vom Kunden bevorzugte Anwendung ein und automatisieren dort die Prozessanalyse. Wo ein Kunde vorher rund 400 Stunden brauchte, um die Prozesse im Einkauf zu analysieren, erfolgt dies mit PAFnow binnen vier Stunden“, erklärt Tobias Rother.
Diese enorme Beschleunigung geht auf das Verfahren und das zugrunde liegende Datenmodell zurück. Die Daten für die Prozessanalyse stammen aus Workflow-Anwendungen oder dem ERP-System; aktuell werden Daten aus SAP und Microsoft Dynamics unterstützt. Ein spezieller Extraktor zieht dann die relevanten Daten aus den ERP-Systemen zu PAFnow. Dort werden die Rohdaten automatisch transformiert und in einem eigenentwickelten Datenmodell ausgewertet, das auch auf maschinellem Lernen beruht. Anschließend werden die Daten in vorgefertigten Content Packs dargestellt, die unter anderem auf KPIs und Benchmark-Daten basieren. Derzeit gibt es diese Content Packs für die Analyse von Prozessen in Einkauf und Vertrieb, künftig auch für die Produktionsplanung (Industrie 4.0) und die Customer Journey.
„Wir sorgen für Transparenz und zeigen unseren Kunden, welche Prozesse sie etwa im Einkauf verbessern können. Inbegriffen ist beispielsweise auch eine Übersicht über die Automatisierungsrate bei den einzelnen Prozessen. Angenommen, das Unternehmen erfährt, dass die Bestellvorgänge im Einkauf nur sehr niedrig automatisiert sind, kennt es durch PAFnow den Hebel, an dem es ansetzen kann“, so Tobias Rother.
Anderes Beispiel: Bei einigen Lieferanten erhalten Firmen 3 Prozent Skonto, wenn sie Rechnungen bereits nach 14 Tagen bezahlen. Doch oft können Rechnungen nicht schnell genug freigegeben werden und die Skonto-Einsparungen verfallen. Dies kann verschiedene Gründe haben. PAFnow Process Mining kann hier weiterhelfen, indem es den Skonto-Ertrag etwa der letzten zwölf Monate misst und Prozesskennzahlen auswertet. Auf Basis der Analyse-Ergebnisse können Unternehmen ihre Prozesse beschleunigen und künftig Skonto-Verluste vermeiden.
  • PAFnow Process Mining: Das Programm misst den Skonto-Ertrag der vergangenen 12 Monate und wertet Prozesskennzahlen aus, um Skonto-Verluste zu vermeiden.
    Quelle:
    Process Analytics Factory
„Unser Ziel ist die Marktführerschaft im Bereich Artificial Process Intelligence mit zwei zentralen Säulen. Erstens der verstärkte Einsatz von Künstlicher Intelligenz, zweitens mit Process Mining als Teil des digitalen Arbeitsplatzes. Daher ist Process Mining bei PAFnow in Microsoft Office 365 integriert. So sieht der Mitarbeiter direkt vom Arbeitsplatz aus, welche Aufträge offen sind, wann Rechnungen freigegeben werden oder wie hoch der Skonto-Ertrag ist. Prozessanalyse wird künftig nicht mehr in Workshops, sondern digital passieren“, erläutert Tobias Rother.
Mittlerweile beschäftigt Rother 15 Mitarbeiter, mit stark wachsender Tendenz. Bislang wuchs das Unternehmen organisch aus dem eigenen Cashflow. Zur Innovationsforschung arbeitet PAF aktuell in geförderten Projekten eng mit Doktoranden der TU Darmstadt oder dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken zusammen. Eine Teilfinanzierung erfolgt dabei aus Forschungsgeldern vom Bund und durch das Land Hessen“, so Rother. Künftig setzt er auf eine stärkere Internationalisierung, „da wir Probleme lösen, die bei Firmen in aller Welt auftreten. Hier stehen wir vor der gleichen Herausforderung wie alle anderen deutschen Start-ups, nämlich der Frage nach der Wachstumsfinanzierung.“
Inkubatoren, Acceleratoren, Company Builder
In den letzten Jahren hat die Zahl der Acceleratoren und Inkubatoren, die Start-ups fördern, deutlich zugenommen. Mittlerweile gibt es mehr als 500 Gründerzentren beziehungsweise Inkubatoren in Deutschland, die entweder Gründer aller Branchen betreuen oder sich auf bestimmte Themen wie Informationstechnik, Digitalisierung oder Biotechnologie spezialisiert haben. Die Teams werden dann mit den üblichen Fördermaßnahmen unterstützt: Expertenwissen für Mentoring und Weiterbildung, Zugang zu einem Netzwerk aus Investoren und Geschäftspartnern, Hilfe bei der Finanzierung und Büroräume. Ähnlich arbeiten Company Builder. Eine Begriffsklärung:
Accelerator
In einem Accelerator-Programm werden Start-ups innerhalb eines festgelegten Zeitraums zwischen drei bis sechs Monaten intensiv betreut, um ihre Geschäftsidee und ihr Geschäftsmodell weiterzuentwickeln und markttauglich zu machen – meist in einer frühen Phase der Gründung. Die Gründer erhalten dort in einer Art Druckbetankung intensives Coaching und Mentoring sowie Kontakt zu Zielunternehmen, um die eigene Idee beschleunigt umsetzen zu können. Erweist sich die Idee als markttauglich, können die Start-ups in einem Inkubator weiter an ihrer Idee feilen.
Inkubator
Während bei Accelerator-Programmen der Startpunkt und die Dauer des Programms festgelegt sind,  ziehen die Start-ups im Inkubator zunächst unbegrenzt mit offiziellem Geschäftssitz in feste Räume ein. Sie entscheiden selbst über den Einzugstermin und schließen einen günstigen Mietvertrag mit Komplettservice für die (IT-)Infrastruktur meist unter dem standortüblichen Niveau ab. Auch im Inkubator geht es darum, ein Ökosystem für Gründer zu schaffen, in dem sie sich auf kurzen Wegen mit anderen Gründern aus der digitalen Wirtschaft, Coaches und Investoren vernetzen können.
Company Builder
Company Builder bilden neben Acceleratoren und Inkubatoren einen dritten Ansatz für den Aufbau oder die Förderung von Start-ups. Bekannteste Vertreter hierzulande sind Rocket Internet, Hitfox oder Hanse Ventures. Company Builder entwickeln im Unterschied zu Acceleratoren und Inkubatoren eigene Geschäftskonzepte und kümmern sich um den Aufbau des Management-Teams. Dieses  setzt sich meist aus internen Mitar­beitern zusammen. Teilweise holen Company Builder auch passende Gründerteams von außen für die Umsetzung ihrer Idee an Bord.
3. Teil: „Heißes Eisen Finanzierung“

Heißes Eisen Finanzierung

  • Digitalisierung: Fast 80 Prozent der deutschen Start-ups sagen, dass die Digitalisierung sehr großen Einfluss auf ihr Geschäftsmodell hat.
    Quelle:
    DSM 2017
Das Thema Finanzierung brennt allen Start-ups auf den Nägeln. Auch hier gibt der Deutsche Startup Monitor Aufschluss. Wichtigste Finanzierungsquelle der DSM-Start-ups bleiben weiterhin die eigenen Ersparnisse der Gründer (82,4 Prozent); jedes dritte Start-up erhielt staatliche Fördermittel (34,7 Prozent) oder Kapital von Familie oder Freunden (31,6 Prozent). Business Angels investierten in jedes fünfte Start-up (21,3 Prozent), 18,6 Prozent finanzierten sich aus dem eigenen Cashflow. Weitere Geldquellen sind Venture Capital (15,9 Prozent), Bankdarlehen (14,1 Prozent) sowie Inkubatoren, Acceleratoren oder Company Builder (10,1 Prozent; siehe dazu auch unten stehenden Kasten).
„Es fehlt in Deutschland privates Risikokapital in frühen Phasen der Gründung und auch später, wenn es um den Ausbau des Geschäfts geht. In der Frühphase können Gründer im Wesentlichen nur auf den High Tech Gründerfonds (HTGF), öffentliche Förderbanken auf Landesebene und Business Angels zurückgreifen. Zudem investieren die Kapitalgeber im Unterschied zu den USA weniger Geld in Vertrieb und Marketing, sondern mehr in die Produkt- oder Software-Entwicklung, wo Werte geschaffen werden. Doch man muss auch den Verkauf mit Investitionen pushen. Bei uns haben Gründer oft marktreife Lösungen, bekommen aber kein Geld, um im großen Stil in Marketing und Vertrieb zu investieren“, legt BARC-Gründer Carsten Bange den Finger in die Wunde. Hier können möglicherweise regionale Cluster weiterhelfen.

Regionale Cluster

„Regionale Cluster sind lokale Bündel von Organisationen, die untereinander so vernetzt sind, dass sie ihren jeweiligen Teil zum Gelingen des Ganzen beitragen. Zum Beispiel generieren Hochschulen und Forschungsinstitute neues Wissen und bilden Fachkräfte aus, Banken und Venture-Capital-Geber finanzieren neue Ideen und beraten, anspruchsvolle Kunden fordern Innovationen von Herstellern et cetera“, so Christian Gärtner, Professor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Digitale Transformation & Leadership an der Quadriga Hochschule Berlin.
Er sieht beispielsweise Berlin als sehr gut geeignet für Fintechs sowie Mikrosystemtechnik und optische Technologien. Fintechs finden in Berlin genügend Entwickler und Geldgeber. Im Cluster Optik arbeiten über 400 Organisationen miteinander oder kooperieren mit Forschungseinrichtungen, um so einen Know-how-Transfer und Innovationen zu ermöglichen.
Allerdings landete Berlin bei einem Ranking digitaler Städte in Europa hinter London, Stockholm, Amsterdam, Helsinki und Paris auf dem sechsten Platz – München ist Elfter. Der European Digital City Index (EDCi) vergleicht 35 europäische Hauptstädte und Start-up-Hubs miteinander nach Kriterien wie Zugang zu Kapital, unternehmerische Kultur, Lifestyle oder digitale Infrastruktur.
Auch der DSM 2017 zeigt einen Trend zu mehr regionalen Ökosystemen. Berlin bleibt weiterhin der Leuchtturm der deutschen Start-up-Szene, jedoch gewinnen andere Regionen und damit das gesamtdeutsche Start-up-Ökosytem an Reife. DSM-Autor Tobias Kollmann fasst zusammen: „Zielgerichtete Kooperationen in Form regionaler Cluster stellen eine hervorragende Möglichkeit dar, um die Herausforderungen von jungen und etablierten Unternehmen gemeinsam zu lösen. Von den DSM-Start-ups, denen ein regionales Netzwerk oder Cluster bekannt ist, sind die Hälfte auch Teil eines solchen Netzwerks. Für die Zukunftsfähigkeit der regionalen Netzwerke wird es wichtig sein, dass bestehende Probleme der Start-ups innerhalb der Cluster gelöst werden: Insbesondere sollte eine stärkere Beteiligung großer Unternehmen in Clustern gefördert werden.“
4. Teil: „Beispiele für Start-ups (Teil 1)“

Beispiele für Start-ups (Teil 1)

Regionale Cluster bieten den Start-ups gute Bedingungen. Im Folgenden stellt com! professional neben der Process Analytics Factory fünf weitere junge digitale Firmen vor – die Bandbreite reicht dabei vom Logistik- über Fintech- und Insuretech-Start-ups bis zum Datenanalyse-Start-up.
  • Toru: Der Roboter des Start-ups Magazino kann selbstständig Waren im Lager zusammensuchen und kommissionieren.
    Quelle:
    Magazino
Magazino – Roboter für die Logistik:
Mehrfach preisgekrönt ist die Magazino GmbH aus München, die wahrnehmungsgesteuerte, mobile Roboter für die Intralogistik baut. Vorzeigeprodukt des 2014 gegründeten Unternehmens ist der Roboter Toru, der selbstständig Bestellungen im Warenlager zusammensuchen und kommissionieren kann. Toru fährt nah an das Regal heran und greift das benötigte Objekt direkt aus dem Regal oder zieht den benötigten Karton zu sich. Mit seiner in den Greifarm eingebauten 2D- und 3D-Kameratechnik scannt er den Regalinhalt, bis er das gesuchte Objekt findet. Das Neue: Während bisher meist nur ganze Paletten oder Kisten automatisiert aus dem Regal geholt werden konnten, ermöglicht Toru den stückgenauen Zugriff auf das einzelne Objekt.
Weitere Produkte von Magazino sind der mobile Transport­roboter Soto, beispielsweise für die Automobilindustrie, sowie die Pick-&-Place-Station Kado, die die Entnahme von Ware etwa aus Kleinteilelagern automatisiert. Magazino entwickelt jedoch nicht nur mobile Roboter (Hardware), sondern mit Acros auch ein komplettes Software-Framework und Betriebssystem für perzeptionsgesteuerte Roboter.
Die drei Gründer von Magazino, Frederik Brantner, Lukas Zanger und Nikolas Engelhard, halten weiterhin die Mehrheit der Unternehmensanteile. Die erste Finanzierungsrunde erfolgte 2014 über den High-Tech Gründerfonds und zwei Business Angels, Mitte 2015 ist Siemens Innovative Ventures als Investor eingestiegen.
Smartphone Bank N26: Eines der bekanntesten deutschen Fintechs ist die Smartphone-Bank N26. Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal haben N26 2013 gegründet und Anfang 2015 auf den Markt gebracht. Seit dem Markteintritt hat N26 mehr als 500.000 Kunden in 17 europäischen Märkten gewonnen und beschäftigt rund 300 Mitarbeiter. Da die Smartphone-Bank mittlerweile auch über eine eigene Lizenz der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-Aufsicht BaFin verfügt, ist sie nicht mehr auf eine Partnerbank angewiesen. N26 verspricht, dass Kunden binnen acht Minuten am Smartphone ein Konto eröffnen können.
Um möglichst viele Funktionen für Mobile Banking zu bieten, hat N26 diverse Partnerschaften geschlossen. Dazu gehören beispielsweise Apple Pay in Frankreich, Spanien, Italien und Finnland, eine Kooperation mit Barzahlen.de zum kostenlosen Abheben von Geld im Einzelhandel (Cash26), Auslandsüberweisungen in Partnerschaft mit Transferwise, Festgeldsparen in Partnerschaft mit Weltsparen.de oder Versicherungs-Services in Kooperation mit Clark.
Im Lauf des Jahres 2018 will N26 auch in Großbritannien und in den USA an den Start gehen. Interessenten können sich schon jetzt bei N26 registrieren für ein Smartphone-Girokonto mit Karte, Überweisungen und Barabhebungen.
Picsure – KI für Versicherungen: 2016, als das Start-up vom Accelerator für Insurtech-Start-ups W1 Forward in München gefördert wurde, hieß Picsure noch Snapsure. Seitdem hat sich einiges verändert, nicht nur der Name. „Wir kamen letztes Jahr auf den Schirm von Snapchat und mussten wegen Verwechslungsgefahr einen anderen Namen annehmen“, erklärt Gründer Enrico Bolloni den Hintergrund. Zudem hat Picsure sein Angebot an Lösungen für Versicherungen auf Grundlage von Künstlicher Intelligenz mit einer eigenentwickelten AI-Plattform erweitert.
Object Recognition heißt inzwischen der ursprünglich Snapsure genannte Versicherungs-Bot, der auf Grundlage von Bildinformationen (Schnappschuss, Snapshot) mit intelligenten, selbstlernenden Algorithmen Produktvorschläge für Versicherungslösungen erzeugt. Konkret geht das so: Die Nutzer fotografieren über die Frontends der Versicherer (Homepage, Versicherungsvergleiche, Versicherungs-Apps) mit ihrem Smartphone Gegenstände, die versichert werden sollen, beispielsweise Fahr­räder, Autos, Uhren oder auch Gebäude. Der Bot erkennt die Gegenstände und schlägt automatisch und innerhalb von Sekunden Versicherungsangebote vor, die zu dem Schnappschuss passen.
Das zweite Standbein – Fraud Detection – baut auf den Fotos der Gegenstände auf, ermittelt anhand bestimmter Kriterien die Wahrheitsquote der gemeldeten Bilder und hilft auf diese Weise, möglichen Versicherungsbetrug zu erkennen. So lässt sich zum Beispiel über die Metadaten erkennen, ob ein Schadens-Foto bereits vor dem Abschluss des Versicherungs-Vertrags geschossen oder nachbearbeitet wurde. Das dritte Standbein – ID-Check – prüft die Identität der Kunden auf Basis des Ausweis­fotos. Intelligente Algorithmen erkennen den Kunden und laden automatisch die Anmeldedaten in das System. Damit vereinfachen sich Log-in und Verifizierungsprozess erheblich.
„Wir sind mit unserer Auftragslage sehr zufrieden und befinden uns auf einem guten Weg“, resümiert Enrico Bolloni. „Es kann sein, dass wir uns für weiteres Wachstum Kapitalgeber suchen, wir wollen aber die Beteiligungsgröße möglichst gering halten. Im Moment sind wir zu 100 Prozent eigenfinanziert.“
5. Teil: „Beispiele für Start-ups (Teil 2)“

Beispiele für Start-ups (Teil 2)

Soccerwatch.tv: Ein Leckerbissen für Fußballfans ist Soccerwatch.tv. Das 25-köpfige Start-up-Unternehmen mit Sitz in Essen hat einen Streaming-Dienst für alle regionalen und überregionalen Amateurfußballspiele entwickelt. Bis Ende 2018 will Soccerwatch.tv 1.000 Vereine mit seinem Kamerasystem ausrüsten, das an den Flutlicht-Masten installiert wird und von dort das Spielfeld mit einem 180-Grad-Blickwinkel erfasst. Die Vereine müssen sich nicht um Installation, Inbetriebnahme und Wartung der Kamera kümmern. Die geringen Kosten von 8,90 Euro im Monat werden mit den Werbeeinahmen verrechnet. Denn Soccerwatch.tv vermarktet die Amateurfußballspiele von der Kreisliga bis in die Oberliga. An den Werbeeinblendungen während der Pa­rtien von lokalen Partnern werden die Vereine mit 50 Prozent
beteiligt.
  • Regionale Verteilung: Mehr als die Hälfte der Start-ups (52,7 Prozent) stammt aus einer der sechs Gründerregionen. Berlin hat mit 16,8 Prozent die Nase vorn.
    Quelle:
    Deutscher Startup Monitor 2017
Der Spielverlauf wird dem Nutzer in gewohnter Kameraführung und Bildqualität zur Verfügung gestellt. Zuschauer können ihr Team per Live-Stream oder on demand verfolgen. Auch Highlight-Clips, das heißt dreiminütige Spielzusammenfassungen, werden bereitgestellt. Soccerwatch.tv streamt über das Mobilfunknetz seines Partners Vodafone. Investor und Technologiepartner ist der IT-Dienstleister Adesso.
5Analytics – Betriebssystem für KI: Ähnlich wie PAF ist auch 5Analytics im zukunftsträchtigen Feld Datenanalyse und BI unterwegs. Im Zuge der Digitalisierung wird es für Unternehmen immer wichtiger, mit Hilfe von Analytics schnell auf sich verändernde Bedingungen zu reagieren. Das 2016 gegründete Start-up aus dem Raum Stuttgart integriert mit seiner Lösung Datenanalyse durch Künstliche Intelligenz einfach und ohne großen Zeitaufwand in den Unternehmensalltag, etwa zur Steuerung des Vertriebs oder zum dynamischen Preismanagement (Dynamic Pricing). Neben der Software bietet 5Analytics auch Beratungsleistungen an.
Mit seinem „Betriebssystem für Künstliche Intelligenz“ unterstützt 5Analytics Unternehmen dabei, Prozesse in ihrer bestehenden IT-Landschaft zu automatisieren und Analysen mit Echtzeit-Daten zu starten. Die KI-Plattform übernimmt dabei sämtliche Aufgaben wie Skalierung, Authentifizierung, Autorisierung oder die Abstraktion bestehender Datenquellen. Für seine KI-Lösung erhielt 5Analytics bereits wiederholt Preise, darunter den Innovationspreis-IT Mittelstand sowie den Gründerpreis Baden-Württemberg. Beim BARC Start-up Award landete das Unternehmen hinter PAF auf dem zweiten Platz.
Telefónica Deutschland war mit dem Analytical Insight Center der erste Großkunde von 5Analytics. Über das AIC erhalten die Telefónica-Mitarbeiter Zugriff auf Unternehmens-, Markt- und Wettbewerbsdaten, sodass sie selbsttätig wertvolle Informationen erheben und auf deren Basis Entscheidungen treffen können. Weitere wichtige Kunden von 5Analytics sind das Pharmaunternehmen Merck KGaA und TA Triumph-Adler.
Die 10 wichtigsten Ergebnisse des Startup Monitors 2017
  • Gründungen in der digitalen Wirtschaft sind weiterhin attraktiv; acht von zehn deutschen Start-ups spüren einen großen bis sehr großen Einfluss der Digitalisierung auf ihr Geschäftsmodell.
  • Der Anteil der Gründerinnen in deutschen Start-ups steigt das dritte Jahr in Folge leicht auf jetzt 14,6 Prozent.
  • 82,7 Prozent der Start-ups planen eine (weitere) Internationalisierung, insbesondere in Europa, Nordamerika und Asien.
  • Fast ein Drittel der Start-up-Mitarbeiter kommt aus dem (EU-)Ausland. 63,9 Prozent der Gründer sind der Meinung, dass die deutsche Start-up-Landschaft durch die Zuwanderung von Menschen aus dem Ausland profitiert.
  • Die Start-ups im DSM 2017 schaffen durchschnittlich 13,2 Arbeitsplätze (inklusive Gründer) und planen wieder mehr Neueinstellungen (2018 im Schnitt 7,5 Mitarbeiter je Start-up).
  • Mehr als die Hälfte der befragten Start-ups, denen Cluster bekannt sind, sind Teil eines regionalen Clusters. Sie haben drei klare Erwartungen an ein Cluster: Wissenstransfer, Kooperationen und Sichtbarkeit.
  • Die TU München ist die Top-Gründerhochschule unter den Gründern des DSM 2017.
  • Neun von zehn Gründern beurteilen ihre Geschäftslage weiterhin optimistisch, werden beim Ausblick jedoch etwas zurückhaltender.
  • Die wichtigsten Erwartungen der Start-ups an die Politik lauten: weniger Bürokratie, weniger Steuern sowie mehr Unterstützung bei der Kapitalbeschaffung.
  • Die DSM-Start-ups sammelten bis dato knapp 2,1 Milliarden Euro an externem Kapital ein. Ihr weiterer Kapitalbedarf in den kommenden zwölf Monaten: knapp eine Milliarde Euro.
6. Teil: „Digitale Star-ups sind der Mittelstand von morgen“

Digitale Star-ups sind der Mittelstand von morgen

Prof. Dr. Tobias Kollmann ist der Hauptautor des Deutschen Start-up Monitors 2017. Im Interview mit com! professional beschreibt er die positive Entwicklung der deutschen Digital-Start-up-Szene, erklärt bestehende Herausforderungen und drängt auf bessere Rahmenbedingungen für Start-ups.
  • Prof. Dr. Tobias Kollman: Inhaber des Lehrstuhls für E-Business und Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen.
com! professional:
Herr Kollmann, als Lehrstuhl-Inhaber, federführender Autor des Deutschen Startup Monitors 2017 und als Business Angel blicken Sie aus vielen Perspektiven auf die hiesige Start­up-Szene. Wie beurteilen Sie die derzeitige Lage der Digital-Start-ups in Deutschland? 
Tobias Kollmann: Grundsätzlich positiv. Wir haben eine substanzielle Gründerszene rund um digitale Entwicklungen. Berlin als Hauptstadt dominiert, wir sehen aber auch in vielen anderen Regionen Gründungsaktivitäten, etwa in der Metropolregion Rhein-Ruhr sowie im Raum München oder Stuttgart. Daher würde ich hierzulande von einer breiteren Bewegung rund um die Digitalisierung sprechen.
com! professional: Wie stehen die deutschen Start-ups im internationalen Vergleich da?
Kollmann: International liegt die deutsche Gründerszene bei der Digitalisierung im Rückstand, zumindest im B2C-Bereich. Hier dominieren ganz klar Plattformen aus den USA wie Google, Facebook, Uber oder Airbnb. Große Chancen sehe ich aber beim Thema B2B. Hier könnten deutsche Start-ups gemeinsam mit Partnern aus der Industrie beispielsweise zentrale Plattformen für autonomes Fahren, Home Automation oder E-Health entwickeln, die Maßstäbe setzen und an die sich alle andocken.
com! professional: Das klingt plausibel. Doch wie sollen diese Innovationen entstehen?
Kollmann: Start-ups sind mit ihren meist jungen, agilen Gründern die wichtigste Quelle für digitale Innovationen, da sie mit Hilfe von Programmcode ohne große Investitionen ihr Produkt relativ schnell auf den Markt bringen können. Von etablierten Firmen sind hier kaum Innovationen zu erwarten, da sie gern an dem festhalten, worin sie erfolgreich sind. Wir müssen da­her den Mittelstand und die großen Player aus der Industrie für Kooperationen mit Start-ups begeistern, insbesondere bei der Digitalisierung.
com! professional: Dafür gibt es ja bereits regionale Cluster.
Kollmann: Ja. Der Deutsche Startup Monitor 2017 zeigt, dass regionale Cluster als Anlaufstelle für Start-ups und zumindest den Mittelstand funktionieren. Ziel der Cluster ist es, Start-ups vor Ort in den Regionen mit den bestehenden Firmen zu gemeinsamen Initiativen zusammenzuführen. Hier sehe ich vor allem im B2B-Bereich etwa mit dem IoT oder Industrie 4.0 große Chancen. Zum Netzwerk gehören auch Investoren wie Business Angels oder Venture-Capital-Gesellschaften sowie natürlich die örtlichen Hochschulen. Das Gros der Gründer hat heute einen Hochschulabschluss. Wir können daher an den Universitäten und Fachhochschulen noch Akzente setzen zur Förderung von E-Entrepreneuren, insbesondere an der Schnittstelle von Informatik, BWL und Technik. Führend sind hier etwa die TU München, die RWTH Aachen oder das Karlsruher Institut für Technologie.
com! professional: Welche Rolle spielen die politischen Rahmenbedingungen in diesem Zusammenhang?
Kollmann: Die Politik kann hier wichtige Impulse setzen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Das reicht von der Co-Finanzierung beim Cluster-Management über die grundlegende Förderung der Gründerszene bis hin zur Ausbildung an Schulen und Universitäten. Wir müssen den Gründergeist und die Risikobereitschaft fördern und dürfen nicht nur für das Angestelltenverhältnis und den Öffentlichen Dienst ausbilden. Es geht nicht nur um das Fachwissen, sondern auch um die Mentalität zur Wahrnehmung der einzelnen Chancen. Digitale Start-ups schaffen Arbeitsplätze und sind der Mittelstand von morgen. Wenn Gründer und Ideen da sind, müssen wir ein Umfeld schaffen, damit diese wachsen können.
com! professional: Zum idealen Umfeld gehören auch eine angemessene Finanzierung und Risikokapital.
Kollmann: Hier besteht ebenfalls noch Nachholbedarf. Der DSM 2017 zeigt, dass der Großteil des Kapitals der Gründer aus dem persönlichen Umfeld oder aus staatlichen Fördermitteln stammt. Bei der Frühphasen-Finanzierung sollten sich aber wie in den USA private Geldgeber wie Business Angels stärker engagieren können. Ferner fehlt in den späteren Finanzierungs-Phasen insbesondere auch Wachstumskapital bei größeren Finanzierungsrunden ab 30 bis 40 Millionen Euro.
com! professional: Was kann die Politik bei diesem Thema tun?
Kollmann: Die Politik sollte die steuerlichen Rahmenbedingungen verbessern, Investitionen in junge Gründer, aber auch die Abschreibungen beim Scheitern von Start-ups erleichtern. Lassen Sie es mich bildlich ausdrücken: Wir sollten diese anfangs zarten Pflänzchen Start-ups so unterstützen, damit daraus kräftige Bäume werden, die mit ihren Wurzeln nicht nur die zukünftige Wirtschaft zusammenhalten, sondern mit den daraus zu erwartenden Früchten auch den Wohlstand der gesamten Gesellschaft nähren.

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