Business-IT
29.05.2019
Open Source für Unternehmen
1. Teil: „IT-Entscheider spüren die Abhängigkeit“

IT-Entscheider spüren die Abhängigkeit

Open SourceOpen SourceOpen Source
Leszek Glasner / shutterstock.com
Unternehmen erkennen immer mehr die Vorteile, die lizenzfreie Software ihnen bietet. Open-Source-Lösungen sind oft besser skalierbar und lassen den Firmen mehr personelle Freiräume.
  • Peter Ganten: CEO von Univention und Vorsitzender der Open Source Business Alliance
    Quelle:
    Univention
Peter Ganten ist Experte für Open Source. Im Hauptberuf ist er CEO von Univention, das sich als
Anbieter von Open-Source-Produkten für den Betrieb und das Management von IT-Infrastruktur einen Namen gemacht hat. Und er ist Vorsitzender der Open Source Business Alliance. Sie fungiert als Netzwerk aus Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung, kleineren und mittleren Firmen und führenden IT-Unternehmen. Die OSB Alliance vertritt rund 160 Unternehmen, die in Deutschland circa 10.000 Mitarbeiter beschäftigen. Im Gespräch mit com! professional erklärt Peter Ganten die Vorzüge von Open Source und wa­rum proprietäre Software mit vielen Nachteilen behaftet ist.
com! professional: Die IT-Infrastruktur von Digital-Riesen wie Amazon, Facebook und Google basiert zu großen Teilen auf Open-Source-Software. Was für Vorteile hat Open Source im Unternehmensein­satz?
Peter Ganten: Die Vorteile für die Digital-Riesen sind zum einen Skalierbarkeit: Die Kosten steigen trotz rasant wachsender Nutzerzahlen nur geringfügig, anders als bei den meisten proprietären Software-Systemen. Dazu kommen Sicherheit - Unternehmen können unabhängige Experten heranziehen, um Sicherheit zu gewährleisten - sowie Innovationsfähigkeit. Die Software kann jederzeit geändert, Schnittstellen können geschaffen und neue Systeme angebunden werden. Alle drei Aspekte, aber insbesondere das Thema Innovation, sind auch für deutsche Unternehmen von großer Bedeutung.
Von großem Vorteil ist, dass man sich bei Open-Source-Software heute nicht mehr um alles selbst kümmern muss - der alte Frickel-Vorwurf -, sondern dies Unternehmen wie Red Hat, Suse oder Univention überlassen kann.
com! professional: Steigt die Akzeptanz von Open Source in Unternehmen?
Ganten: Die Übernahme von Red Hat durch IBM hat Open Source im Jahr 2018 einen riesigen Schub verschafft, Open Source ist spätestens jetzt in der Mitte der IT angekommen. Oder sehen Sie sich Microsoft an, das in den letzten Jahren nach seiner Kehrtwende hin zu Open Source die Unterstützung immer stärker ausgeweitet hat.
Dies zeigt die Öffnung einiger zentraler Produkte wie die Unterstützung von Linux in Windows und Azure, die Bereitstellung von Patenten oder die Übernahme von Github.
2. Teil: „Open Source im deutschen Mittelstand“

Open Source im deutschen Mittelstand

com! professional: Wie steht der deutsche Mittelstand zu Open Source?
Ganten: Immer mehr deutsche Mittelständler mussten in den vergangenen Jahren erkennen, dass sie
beim langfristigen Betrieb pro­prietärer IT-Lösungen erhebliche Risiken eingehen: Sie können weder Update-Zyklen noch die Produktstrategie beeinflussen und müssen steigende Lizenzkosten einkalkulieren. Viele IT-Entscheider spüren außerdem die gnadenlose Abhängigkeit von Anbietern proprietärer Software, die zum Problem wird, wenn ein Anbieter ausfällt oder seine Unternehmensstrategie neu ausrichtet. Diese Abhängigkeit besteht bei Open-Source-Software in einem viel geringeren Maß. Entwickelt sich eine Open-Source-Software aus Sicht vieler Kunden in die falsche Richtung, können am Markt hervorragende Alternativen auf Basis desselben Codes entstehen. Ein gutes Beispiel dafür ist MySQL, eine Datenbank, aus der sich nach der Übernahme durch Oracle MariaDB entwickelt hat.
com! professional: Ist Open-Source-Software generell sicherer als proprietäre?
Ganten: Die Annahme, dass Software allein durch die Art der Lizenzierung sicherer oder unsicherer wird, ist schlichtweg falsch. In Windows wie in Linux werden immer wieder Sicherheitslücken entdeckt und geschlossen, die teilweise über Jahre unentdeckt blieben.
Die Stärke von Open Source liegt aber darin, dass sie unabhängig vom Hersteller geprüft, weiterentwickelt und damit auch sicherer gemacht werden kann.
com! professional: Künstliche Intelligenz und Cloud sind oftmals nicht quelloffen. Ist hier besondere Vorsicht angebracht?
Ganten: Ja, es ist ein massives Problem, dass die KI-Entscheidungen der großen Cloud-Betreiber nicht nachvollzogen und auch nicht überprüft werden können. Wie weiß ich beispielsweise bei einer Websuche, ob ich wirklich die relevantesten Ergebnisse erhalte oder ob nicht die für mich wichtigste Webseite in der Trefferliste gar nicht angezeigt wird. Es ist unmöglich zu erkennen, welche Motivation den mir angezeigten Ergebnissen zugrunde liegt, ob ein staatlicher Zensor zugeschlagen hat oder ob jemand die Ergebnisse durch Bezahlung beeinflussen konnte.
3. Teil: „Schwierigkeiten mit Cloud-Lösungen“

Schwierigkeiten mit Cloud-Lösungen

com! professional: Gibt es noch weitere Schwierigkeiten mit Cloud-Lösungen?
Ganten: Ein ebenso massives Probleme bei Cloud-Anwendungen ist, dass diese oft nicht nur nicht im Quellcode, sondern nicht einmal als unabhängig vom Cloud-Angebot einsetzbare Lösung vorliegen. Die Abhängigkeit ist damit noch einmal deutlich höher als bei klassischer, pro­prietärer Software, die wenigstens auf unterschiedlichen Servern oder in unterschiedlichen Rechenzentren betrieben werden kann.
com! professional: München und andere Städte wechseln in der öffentlichen Verwaltung zurück zu Microsoft. Was ist Ihr Standpunkt dazu?
Ganten: Der Abbruch einer jahrelangen SAP-Migration bei Lidl zeigt, dass das Scheitern von aufwendigen Projekten keinesfalls von der Lizenzierung einer Software abhängt. Über die Gründe für das Scheitern des Projekts LiMux der Stadtverwaltung München will ich nicht spekulieren.
Über die Jahre hat unsere Erfahrung jedoch gezeigt, dass IT-Projekte in der öffentlichen Verwaltung oft deutlich länger dauern und teurer werden als ursprünglich geplant. Die Gründe reichen von unrealistischen Planungen mit viel zu niedrig angesetzten Gesamtkosten über mangelnde Koordination der Behörden bis hin zu mangelnder Akzeptanz bei den Anwendern.
Mittlerweile gibt es aber einen neuen Trend: Schleswig-Holstein hat im vergangenen Jahr als erstes Bundesland den Umstieg auf Open-Source-Software beschlossen. Einen ähnlichen Beschluss gibt es in Thüringen, und Baden-Württemberg hat seine Vergaberichtlinien so aktualisiert, dass Open-Source-Lösungen zukünftig der Vorzug zu geben ist.
com! professional: Inwieweit untergräbt der Einsatz proprie­tärer Software die digitale Souveränität von staatlichen Institutionen und Unternehmen?
Ganten: Für den Staat, aber auch für viele Unternehmen, ist digitale Souveränität, also die Möglichkeit zu Selbstbestimmung und autonomer Kontrolle, zunehmend wichtig. Staaten, die den Code, mit dem ihre Daten verarbeitet oder transportiert werden, nicht prüfen können, können auch nicht sicher sagen, wer auf diese Daten zugreifen kann. Sie müssen immer damit rechnen, dass schützenswerte Daten in unbefugte Hände geraten. Hinzu kommt, dass derjenige, der den Code kontrolliert, auch in der Lage ist, wesentliche Funktionen abzuschalten. Durch beides werden Staaten und Unternehmen abhängig und erpressbar. Sie sind zudem bei Verwendung proprietärer Software nicht in der Lage, die von ihnen betriebenen Systeme eigenständig mit neuen Schnittstellen zu versehen, was oft die Grundvoraussetzung dafür ist, IT-Infrastrukturen agil und innovativ weiterzuentwickeln.
com! professional: Was tut die Open Source Business Alliance, um die Verbreitung freier Software zu fördern?
Ganten: Mit rund 160 Mitgliedern ist die Open Source Business Alliance der Verband der Open-Source-Industrie in Deutschland. Wir sorgen dafür, dass mit Open-Source-Software arbeitende Anbieter und Anwender von Informationstechnologie noch erfolgreicher sind. Wir unterstützen die Vernetzung, führen gemeinsame Projekte durch und geben dem Thema eine Lobby. Gerade Letzteres ist zwingend
notwendig, um auf politischer Ebene ein Gegengewicht zu den millionenschweren Lobby-Aktivitäten der Cloud-Giganten zu schaffen und damit die Chancen und Potenziale von Open-Source-Software vermitteln und verbessern zu können.

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