Big Data
10.11.2021
Internet-of-Things-Strategie

„IoT-Projekte müssen Innovationen treiben“

Teamviewer
Lukas Baur von Teamviewer über den Wachstumsschub dank Corona – und die neue IoT-Strategie.
Es gibt wahrscheinlich nicht viele IT-Unternehmen, die von der Corona-Pandemie so stark profitieren wie Anbieter von Fernwartungslösungen. Lukas Baur von Teamviewer erklärt, welche Auswirkungen der Homeoffice-Trend auf das Geschäft hat und warum sich Teamviewer verstärkt auf die Industrie 4.0 konzentriert.
com! professional: Herr Baur, Hand aufs Herz: Die Corona-Pandemie ist doch – jetzt mal rein wirtschaftlich gesehen – das Beste, was Ihnen als Anbieter einer Fernwartung-Software passieren konnte, oder?
Lukas Baur: Sagen wir mal so – abgesehen von den ganzen menschlichen Schicksalen war 2020 für uns ein ganz außergewöhnliches Jahr. Das hat aber nicht nur etwas mit Corona zu tun, auch wenn die Pandemie definitiv einen Teil des Wachstums befeuert hat. Wir hatten unser erstes Geschäftsjahr als börsennotiertes Unternehmen. Aber klar, es gab eine extra Nachfrage, und da konnten wir natürlich ganz gut helfen.
Und es haben viele Unternehmen gemerkt, dass bei ihnen ein gewisser Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung existiert. Und zwar nicht nur bei Office-Arbeitsplätzen, sondern auch im industriellen Bereich. Aber man muss auch ganz klar sagen, unser Wachstum ist eher an die globalen Megatrends wie das Internet of Things geknüpft und weniger an diesen kurzfristigen Bedarfsanstieg.
com! professional: Das klingt ziemlich bescheiden. Sie werden aber doch sicher seit März vergangenen Jahres einen deutlichen Mehrbedarf an Fernwartungslösungen gemerkt haben?
Baur: Absolut haben wir das gemerkt. Die ersten beiden Quartale 2020 waren sicher die bis dahin stärksten Quartale in der Unternehmensgeschichte.
  • IoT und Augmented Reality: Teamviewer setzt verstärkt auf die Unterstützung der gesamten Wertschöpfungskette seiner Kunden.
    Quelle:
    Shutterstock / Zapp2Photo
com! professional: Und was heißt das in Zahlen ausgedrückt?
Baur: Wir sind mit rund 464.000 Abonnenten ins vergangene Jahr gestartet und sind mittlerweile bei 585.000 Abonnenten. Das größte Wachstum kommt dabei aus großen Unternehmen und von Enterprise-Kunden.
com! professional: Gibt es Länder oder Regionen, in denen das Wachstum besonders deutlich ausfiel?
Baur: Unsere stärksten Märkte sind sicherlich Europa und Amerika.
com! professional: Sie sagten, für das Wachstum von Teamviewer seien vor allem langfristige Themen wie das IoT relevant – hat also die Pandemie eher wenig Einfluss auf Ihre Unternehmensstrategie oder die Entwicklungsschwerpunkte?
Baur: Genau, es gab hier keine wesentlichen Veränderungen. Wir setzen weiterhin auf langfristige Themen wie das Internet of Things. Unsere Entwicklungsschwerpunkte haben wir nur sehr kurzfristig verändert, etwa auf die Meeting-Lösungen. Aber mittlerweile sind wir wieder sehr stark in den Themen IoT oder Augmented Reality.
Da hat uns sicher auch geholfen, dass wir ein stabiles und global gespanntes Netzwerk haben, das die Last gut abfangen kann, sodass wir im Zuge der Pandemie unsere Entwicklung dahingehend nicht erst ändern mussten – obwohl sich die Last teilweise verdreifacht hatte.
com! professional: Wieso setzt Teamviewer nun auch auf den IoT-Bereich? Ist das Wachstum im Sektor Fernwartung von PCs endlich?
Baur: Im Bereich der Fernzugriffslösungen erwarten wir weiterhin ein starkes Wachstum. Wir sehen bei Weitem noch nicht, dass unsere Kunden das volle Potenzial ausgeschöpft haben. Aber wenn man sich mal anschaut, wo die großen Investitionsvolumina der nächsten Jahre prognostiziert hingehen, dann sind das die Automatisierungsthemen, in denen wir erhebliche Wachstumsmärkte sehen.
Und wir sagen ganz klar, wir wollen uns entlang der Wertschöpfungskette aufstellen – und nicht nur auf einen Bereich fokussieren.
com! professional: Im IoT-Bereich tummeln sich allerdings schon viele Anbieter. Nehmen wir zum Beispiel einen Mittelständler, der entsprechende IoT-Automatisierungslösungen sucht – warum sollte er ausgerechnet zu Ihnen kommen?
Baur: Wir bieten ihm die Möglichkeit, sehr zügig und unkompliziert in dieses Feld einzusteigen. Wir sehen gerade im Mittelstand häufig ein Expertisen-Problem. Wir bieten unseren Kunden zum Beispiel Starter-Kits an, die sie in die Lage versetzen, innerhalb von 15 Minuten in diese IoT-Welt einzutauchen und erste Ergebnisse zu erzielen.
Zudem sind IoT-Projekte sehr oft sehr komplex. Viele unterschiedliche Hersteller müssen sich zusammenschalten, um so eine Lösung auf die Beine zu stellen. Wir sagen ganz klar: Den IoT-Agenten auf dem Edge-Gateway, die Verbindung in die Cloud, die Analyse und Visualisierung der Daten, das alles bieten wir aus einer Hand. Damit können wir die Komplexität in diesen IoT-Projekten deutlich reduzieren.
  • Industrie 4.0 boomt
    Quelle:
    Statista/Bitkom Research, April 2021; n = 555/552/552
com! professional: Sie haben die IoT-Starter-Kits angesprochen. Wie unterstützen Sie hier Unternehmen konkret? Beraten Sie diese beim Einsatz der Kits oder arbeiten Sie mit externen Beratern zusammen?
Baur: Das Starter-Kit hilft beim Überbrücken der oftmals fehlenden Expertise und mit der Reduzierung der Komplexität. Natürlich bieten wir den Unternehmen auch Beratung an. Mit den Starter-Kits eröffnet sich ein schneller Zugang zu den Daten der Maschinen, selbst wenn diese heute noch keine vollintegrierten IoT-Lösungen bereitstellen. Per Plug-and-play lassen sich bestehende Maschinen vernetzen und deren Daten sammeln und visualisieren. Auf diese Weise kann man auch einfach erste Regelwerke für das IoT aufsetzen.
com! professional: Kurz zum Verständnis: Das Starter-Kit überbrückt den oftmals an Maschinen angeschlossenen Industrierechner und bringt Teamviewer quasi direkt in die Maschine rein?
Baur: Es gibt da zwei verschiedene Möglichkeiten: Im Prinzip handelt es sich um ein Retro-Kit. Entweder die Unternehmen binden vorhandene Sensoren an das Kit an oder sie ergänzen Sensoren an ihren Maschinen. Sie brauchen damit nicht direkt auf die Maschine zuzugreifen, um zum Beispiel Vibration, Spannung oder Temperaturdaten zu erfassen. Diese lassen sich mit externen Sensoren messen und so werden auch ältere Maschinen digitalisiert.
com! professional: Was kostet dieses Starter-Kit ein Unternehmen?
Baur: So ein Starter-Kit kostet 690 Euro. Es gibt einen Assistenten, der einen in die Lage versetzt, die ersten Dashboards auf die Beine zu stellen, Daten zu visualisieren und erste Regeln festzulegen, wenn zum Beispiel bestimmte Werte überschritten werden.
com! professional: Apropos Konzeptmöglichkeiten: Häufig ist es ja so, dass IoT-Projekte nach einer kurzen Proof-of-Concept-Phase in den Unternehmen dann doch nicht mehr weiterverfolgt werden – aus den verschiedensten Gründen. Wie ist da Ihre Erfahrung?
Baur: Das ist natürlich ein sehr wichtiger Punkt. Ich habe da eine klare Meinung: Wenn Sie ein IoT-Projekt anpacken, dann muss das einen belastbaren Return on Invest erzeugen oder die Innovation treiben. Ansonsten machen solche Projekte oder Proofs of Concept (PoCs) keinen Sinn.
Ich denke, es ist wichtig darauf zu achten, dass nicht nur der technologische Aspekt betrachtet wird, sondern immer auch der wirtschaftliche Einfluss berücksichtigt wird. Unternehmen brauchen daher eine klare Strategie, wie sie sich zum Digitalisierungsthema aufstellen wollen. Über die ganzen Hierarchieebenen hinweg braucht es auch den Menschen, der jeden Tag an der Maschine steht und diese in- und auswendig kennt – diese Mitarbeiter sind bei allen Überlegungen immer miteinzubinden.
  • Pandemie befeuert IIoT
    Quelle:
    IDC-Studie „Industrial IoT in Deutschland 2021“, November 2020
Ein weiterer wichtiger Punkt, wenn man über die Wirtschaftlichkeit redet, ist, Kennzahlen zu generieren. Viele Unternehmen, mit denen wir zu tun haben, machen sich zu wenig Gedanken darüber, wie die Kennzahlen aussehen, mit denen sie ihre Produktionsprozesse überprüfen. Hier sollte man sich vorher die Zeit nehmen, gewisse Kennzahlen zu definieren und in dem Proof of Concept zu sehen, wie sich die Kennzahlen verändern. Das ist der Schlüssel, um ein PoC in einen Roll-out zu bringen.
com! professional: Noch einmal zurück zu Ihrem Unternehmen. Sie haben als international tätiger Konzern Ihren Sitz in Göppingen – nicht unbedingt eine Weltstadt. Wie sehr haben Sie dort mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen?
Baur: Diesbezüglich hat der Standort meiner Ansicht nach sogar einen Vorteil. Zum einen sitzen wir im Südwesten sehr gut angebunden am Know-how. Wir haben hier einige sehr gute Universitäten – Stuttgart, Ulm, Esslingen oder Karlsruhe. Das Bildungsniveau in der Gegend ist sehr hoch. Hinzu kommt eine hohe Dichte an Mittelständlern und globalen Unternehmen, die für uns als Partner sehr interessant sind. Darüber hinaus ist die Gegend perfekt an den Großraum Stuttgart angebunden.
com! professional: Sie haben also in Ihrem Unternehmen keine Rekrutierungsprobleme und kommen an die benötigten Fachkräfte heran?
Baur: Wir können durchaus unsere Fachkräfte an Bord holen. Uns hilft hier mit Sicherheit unsere bekannte Marke. Aber dass es gar kein Thema ist, will ich nicht sagen. Da haben wir in Deutschland schon ein Stück weit Handlungsbedarf.
com! professional: Ist es für Sie als international tätige Firma eher ein Vor- oder ein Nachteil, ein deutsches Unternehmen zu sein?
Baur: Ich glaube, das hängt sehr stark mit der richtigen Einstellung zusammen. Sie müssen sich auch innerhalb der Belegschaft international aufstellen – im Prinzip geht es um das diversifizierte Kollegium. Und Wachstum muss in der DNA der Mitarbeiter und des Unternehmens stecken. Dann ist der Standort am Ende gar nicht so relevant.
Was uns in Deutschland oder in Europa manchmal fehlt, ist der Mut, auch mal größere Risiken einzugehen oder groß zu denken. Also mit großen disruptiven Opportunities den Markt aufzurollen. Ich glaube, hier sind wir noch ein wenig zu überreguliert, und das steckt vielleicht auf per se nicht so in der deutschen Seele.
com! professional: Das Rezept ist also, schnell groß zu denken?
Baur: Absolut, das ist der Schlüssel – international denken. Schauen Sie sich die Kundschaft an, selbst mittelständische Unternehmen sind international aufgestellt. Wenn Sie dort nicht das entsprechende Konzept oder die Verbreitung haben, dann wird es schwierig.
com! professional: Zum Schluss bitte noch einen Blick in die Glaskugel: Wo sehen Sie Teamviewer in drei bis fünf Jahren?
Baur: Wir haben ein sehr ambitioniertes Wachstumsziel. Ich rechne weiterhin mit einer hohen Dynamik in unserem Wachstum, um die 30 Prozent. Bis 2023 wollen wir als Unternehmen die 1-Milliarde-Billingsmarke erreichen.
Zur Person
Lukas Baur ist seit Oktober 2020 Executive Vice President Solution Sales bei Teamviewer. Zuvor verantwortete er bei dem Anbieter von Fernzugriffs-Software als Vice President IoT die Sparte für industrielle Anwendungen.  www.teamviewer.com

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