Internet
13.08.2019
Empörungswellen
1. Teil: „Im Auge des Internet-Shitstorms“

Im Auge des Internet-Shitstorms

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Sangoiri / shutterstock.com
Immer wieder verärgert Werbung die Internetnutzer - manchmal sogar sosehr, dass es erboste Nachrichten und Kommentare hagelt. Was tun, wenn der Shitstorm aufzieht?
  • Sorgte für einen ordentlichen Shitstorm im Netz: Der diesjährige Muttertags-Spot der Einzelhandelskette Edeka.
    Quelle:
    com! professional / Screenshot
Die Empörung ließ nicht lange auf sich warten. Kurz nachdem die Handelskette Edeka ihr Werbevideo zum Muttertag ins Internet gestellt hatte, hagelte es auch schon massenhaft Kritik. „Unterirdisch“ sei das, so ein Nutzer, ein „Schlag ins Gesicht eines jeden Vaters“, so ein anderer. Und immer wieder war die Drohung zu lesen: Künftig werde man woanders einkaufen.
Über 10.000 Kommentare sind bis heute auf der Facebook-Seite von Edeka zu dem Muttertags-Spot zu finden, die meisten davon negativ. Hinzu kam eine Beschwerdeflut beim deutschen Werberat. Und das alles wegen eines kurzen Werbe-Spots, der Väter ein wenig tollpatschig darstellt, aber vermutlich witzig gemeint war.
Ähnliche Erfahrungen musste vor etlichen Wochen auch die Baumarktkette Hornbach machen. In einem Video seiner Frühjahrskampagne blendete Hornbach am Ende eine Asiatin ein, die offenbar entzückt an der verschwitzten Wäsche eines Mannes riecht. Auch hier zeigte sich, wie schwierig der Umgang mit Humor sein kann: Über das Baumarkt-Unternehmen brach ein Shitstorm he­rein, ihm wurde sowohl Sexismus als auch Rassismus unterstellt.
Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen: Media Markt, Bayern LB oder True Fruits - manchmal bewusst, manchmal unbedacht haben diese Unternehmen mit ihrer Werbung große Teile der Internet-Community gegen sich aufgebracht.
Der sogenannte Wutbürger, der auf den diversen sozialen Kanälen seinem Zorn freien Lauf lässt, muss offensichtlich bei jeder leicht provokanten Werbekampagne mit einkalkuliert werden.

Krisenplan

  • Quelle:
    Facebook
Unternehmen sollten für einen Shitstorm also gut gerüstet sein. „In heutigen Zeiten eine Kampagne zu veröffentlichen ohne einen Krisenplan, ist vergleichbar mit einem Passagierschiff, das ohne Rettungsboote in See sticht“, bestätigt Nadine Dlouhy, Geschäftsführerin der Agentur Brand Lite, Köln.
Die Frage ist nur, wie so ein Krisenplan aussieht. Was ist die wichtigste Regel, wenn sich im Netz plötzlich Proteste gegen eine Werbekampagne formieren?
Experten raten im Ernstfall vor allem zu einem: Gelassenheit. „Als oberstes Gebot gilt: Ruhe bewahren! Nicht übereilt kommentieren oder posten, sobald der Mob tobt, sondern vorher überlegen, was man sagen möchte und wie“, betont Frauke Reimringer von der Digitalagentur Elsch&Fink aus Münster. „Viele Nutzer kommentieren im Affekt: spontan, impulsiv und meist emotional überladen“, weiß Sarah Korzeniewski von der Agentur TLGG, Berlin. „Exakt so sollte eine Marke nicht reagieren.“
Bevor sich das kritisierte Unternehmen in den sozialen Medien äußert, sollte es sich zudem erst einmal einen Überblick verschaffen. Vielleicht sind es ja auch nur ein paar kritische Anmerkungen, mit denen jedes Unternehmen immer wieder einmal rechnen muss. „Falls es allerdings ein echter Shitstorm ist, ist Quellenforschung angesagt“, erklärt Klaus Weise, Geschäftsführer von Serviceplan Public Relations & Content. „Wer steckt dahinter: ein frustrierter Troll, der seine Tage mit Hasspredigten verbringt, organisierte Fremdenfeinde, die Fake News verbreiten, oder eine Randgruppe, die nach Aufmerksamkeit heischt - oder tatsächliche Kunden des Unternehmens?“
Erst wenn diese Fragen geklärt sind, wenn also feststeht, welche Verantwortung das Unternehmen hat und welche Erwartungen der Internet-Community tatsächlich enttäuscht wurden, kann man auch richtig reagieren: mit einer Erklärung, einer Entschuldigung oder sogar dem Versuch, eine Diskussion anzuschieben. Dazu Frauke Reimringer von Elsch&Fink: „Ein erstes Statement zeigt, dass der Shitstorm ernst genommen wird, das Unternehmen das Problem anerkennt und daran arbeitet.“
Diese erste Stellungnahme des Unternehmens sollte dabei möglichst zeitnah erfolgen, was bedeutet: nicht unmittelbar, aber auch nicht erst viele Stunden später.
Hier zahlt es sich in jedem Fall aus, wenn sich Unternehmen im Vorfeld schon einmal mit dem Phänomen eines solchen Internet-Shitstorms befasst haben. Denn jetzt können kurze Abstimmungswege durchaus entscheidend sein. „Nichts ist peinlicher, als Stunden in Tausende interne Feedback-Schleifen zu investieren und erst am nächsten Tag auf einen oder mehrere Nutzer zu reagieren“, erklärt Sarah Korzeniewski von TLGG. „Das bringt zusätzlich schlechte Markenwahrnehmung und weitere Angriffspunkte.“
2. Teil: „Nutzer verärgern“

Nutzer verärgern

  • Kam auch nicht bei jedem gut an: In Hornbachs Spot riecht eine Asiatin offenbar entzückt an der verschwitzten Wäsche eines Mannes.
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Wichtig dabei ist, sich ernsthaft mit dem Anliegen der Internetnutzer auseinanderzusetzen und dabei eine klare Botschaft auszusenden. Im Fall der Kampagne der Baumarktkette Hornbach war es ein Tweet, in dem das Unternehmen betonte, für Vielfalt und Respekt zu stehen und niemanden verletzen zu wollen. Zudem kann die Wortwahl Pluspunkte bringen - keine verklausulierten, langatmigen Phrasen, sondern klare, leicht verständliche Sätze. „Lange Passagen aus der Pressemitteilung oder Unternehmensphilosophie sollten besser nicht kopiert werden“, betont Sarah Korzeniewski.
Die Kommunikation mit erzürnten Nutzern erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl. Allerdings ist es wenig sinnvoll, sich mit Trollen ernsthaft auseinandersetzen zu wollen, also jenem Personenkreis, der im Netz ausschließlich darauf abzielt zu provozieren. „Hier reicht es, den Troll kurz zu verwarnen und ihn anschließend zu ignorieren“, so Frauke Reimringer von Elsch&Fink. „Zeigt ein Unternehmen, dass es differenziert mit den verschiedenen Kritikern umgeht, wirkt sich das positiv auf das Ansehen aus.“
Tatsächlich steckt in jedem Shitstorm eine Chance. Selten bekommt ein Unternehmen einen so unmittelbaren, intensiven Dialog mit den Kunden. „Auch ein negativer Kommentar ist eine Einladung zum Dialog“, erklärt Martin Wittmann, Geschäftsführer von Territory Web­guerillas. „Tritt das Unternehmen offen, ehrlich und respektvoll auf, können trotz differenter Meinungen neue und feste Beziehungen entstehen.“ Außerdem schafft die Empörung Reichweite: Der Edeka-Muttertags-Spot wurde auf Youtube über zwei Millionen Mal aufgerufen. Das Hornbach-Video, das inzwischen zurückgezogen wurde, war ebenfalls ein viraler Hit. „Der Spot bekam aufgrund des Shitstorms eine gewaltige Reichweite, die das
Unternehmen keinen Cent kostete“, berichtet Klaus Weise. „Und asiatische Frauen, über die sich Hornbach lustig machte, sind für den Baumarkt als Zielgruppe marginal.“ Deshalb ist Weise sich auch sicher: „Das war alles geplant.“

Kommunikation darf provozieren

Eine geplante Provokation, um damit einen viralen Hit zu landen? Nicht wenige Experten raten davon ab. Andererseits gehört es zur Natur von Werbung, zu provozieren und damit auf sich aufmerksam zu machen. Für viele Kreative ist es eine Horrorvorstellung, nur noch zu hundert Prozent politisch korrekte Botschaften entwickeln zu dürfen, die garantiert niemanden verletzen - aber auch niemanden hinter dem Ofen hervorlocken.
„Natürlich könnte jede Kampagne so lange weichgespült werden, bis sie gar nicht mehr wahrgenommen wird“, sagt Dirk Spannaus, Geschäftsführer der Agentur Twenty Zen in Dresden. „Das wäre aber genau das Gegenteil von dem, was Werber erreichen möchten: Emotionen auslösen.“ Kollege Wittmann sieht das genauso: „Kommunikation muss polarisieren und provozieren dürfen, sofern sich dies schlüssig begründen lässt. Auf der anderen Seite des Grates stehen Populismus und jede Art von Diskriminierung - dies steht keinem Unternehmen gut.“
Allein deshalb werden Shitstorms weiterhin über die Werbelandschaft hinwegfegen. Eine aktuelle Umfrage aus der Schweiz belegt, dass die Werbungtreibenden den Zorn der Nutzer auch nicht mehr so fürchten wie noch vor wenigen Jahren. Als Bedrohungsszenario spielt er eher eine untergeordnete Rolle.
Dennoch sollten Unternehmen die Stimmung im Netz kontinuierlich mit Monitoring-Tools beobachten. Diese seien vergleichbar mit einem Wetterradar, so Dirk Spannaus: „Wir erfahren früher vom aufziehenden Unwetter und können den Zeitvorsprung nutzen, aber das Gewitter nicht aufhalten.“

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